18 Jahre später und es ist immer noch so frisch.

  • Grüße Euch im Trauerforum!

    Meine Trauer ist zwar schon alt, aber deswegen immer noch schwer.

    Vor 18 Jahren, ich war damals 26 und von meinem Freund schwanger, Hochzeit für Juli geplant, wurde Günther auf der Autobahn von einem Geisterfahrer totgefahren.

    Der ältere Mann am Steuer beging dabei Selbstmord und nahm auch seine Frau mit in den Tod.

    Mir blieb eigentlich nichts damals. Die Zwillinge, die ich von ihm erwartete, verlor ich drei Wochen darauf durch eine Fehlgeburt.

    Wir wollten zusammen seinen Landwirtschaftlichen Betrieb bewirtschaften, weswegen ich die Meisterausbildung absolviert hatte und gerade ein Praktikum auf einem großen Hof machte.

    Den Betrieb führt heute sein Bruder weiter.

    Die Zwillinge hätten jetzt im November ihren 18. Geburtstag.

    Zur Zeit kaue ich wieder schwer an meinen Erinnerungen und falle fast jeden Abend in ein Loch.

    Viele Filme und Bücher machen mich einfach fertig und ich breche in Tränen aus, wenn mir die Parallelen zu meinem Leben bewußt werden.

    Ich bin damals ausgestiegen. Ein halbes Jahr nach dem Unfalltod fuhr ich mit dem Rad los. Ich wollte in den Süden, ein neues Leben beginnen.

    Dabei blieb ich in den Bergen schon hängen und heiratete (aus heutiger Sicht zu überstürzt) einen Bergbauer.

    Wir bekamen drei Kinder, die Ehe ging nach elf Jahren in die Brüche und ich bin heute mit den drei Pubertieren alleinerziehend und voll berufstätig.

    Materiell geht es uns gottseidank (wieder) gut und ich kann mich nicht beklagen.

    In der Zwischenzeit zog ich mit den Kindern mehrmals um und wir hatten auch einen Patchwork-Versuch, der gründlich schief ging.

    Seit einem Jahr lebe ich wieder alleine mit den Kindern.

    Ich hätte nie gedacht, daß mich die Trauer so lange so intensiv begleitet. Zur Zeit ist sie wieder sehr präsent, was vielleicht auch an der dunklen Jahreszeit liegt und ich sonst keine problematischen "Baustellen" habe, die mich ablenken würden.

    Vielleicht kennt jemand etwas ähnliches und kann mir Ratschläge geben.

    Ich habe angefangen, meine Memoiren aufzuschreiben und hoffe, daß mir das für den Winter Beschäftigung gibt.

    Nachdem ich damals praktisch "emigriert" bin, wissen wenige in meinem Umfeld von meiner Geschichte.

    Das ist mir auch lieber so.

    Würde mich über ein paar aufbauende Worte und Erfahrungen freuen!

    Ingrid

  • Hallo Ingrid,


    zuerst mal herzlich willkommen hier bei uns. Ich muss schon sagen es ist nicht grad ermutigend zu lesen dass jemand nach so langer Zeit immer noch derart trauert, das macht fast Angst. Aber wahrscheinlich hast du damals nichts verarbeitet und wie du selber sagst nach relativ kurzer Zeit völlig überstürzt neu geheiratet. Das klingt ganz sehr nach Verdrängung, du wolltest es einfach nicht wahrhaben und hast versucht mit einer neuen Liebe das alte zu übertünschen. Das hat natürlich nicht funktioniert, das kann gar nicht funktionieren. Weil deine Seele verletzt war und keiner sie behandelt hat. Du hast die Schmerzen beiseite geschoben, weil nicht sein kann was nicht sein darf.

    Was dich heute noch so quält ist vielleicht nicht mal so die normale Trauer, es sind die Erinnerungen die unverarbeitet immer wieder aufbrechen. Vielleicht solltest du das mal in einer Therapie angehen? Wir trauern hier alle, aber wir reden drüber wir ermutigen uns gegenseitig Schmerz und Tränen zuzulassen, auch mal zu schreien wenn die Gefühle übermächtig werden. Ich glaube das hast du damals alles nicht getan. Ob du das heute alleine noch schaffst scheint mir zweifelhaft. Du solltest dir dringend Hilfe holen. Es ist jedoch ein guter Anfang jetzt, wenn auch spät, drüber zu reden. Mach das, lass alles raus was raus muss. Wir verstehn dich hier, weißt du?


    Ganz liebe Grüße von Soraja

  • Liebe Ingrid,


    ich glaube nicht, dass du es damals nicht verarbeitet hast, denn ich glaube nicht an die Verarbeitung.

    Es kann nur ins Leben integriert werden und da gibt es dann wieder Zeiten, in denen es wieder ärger werden kann.

    Bei dir hat es ja viele Verluste gegeben.

    Der Tod von Günther, die Fehlgeburt der Zwillinge, die Ehe, die in die Brüche ging, die Patchwork-Familie, die nicht funktionierte, du bist öfters umgezogen,... und Pubertiere können auch immer wieder einen Verlust von unterschiedlichen Situationen mit sich bringen.

    Ich kann mir vorstellen, dass sich da immer wieder etwas dazu gesellt hat, das die Trauer (und Trauer ist immer normal) immer wieder ankoppelt, an den alten Trauererfahrungen.


    Liebe Ingrid, ich möchte dieses Forum nicht als "Ratschlaggeber" sehen (Ratschläge sind auch Schläge), sondern als Möglichkeit des Austauschs. Und deine Geschichte ist eben so einzigartig, wie all die anderen Geschichten hier. Ich freue mich, dass du uns gefunden hast.


    Deine Geschichte aufzuschreiben, mit all dem Schweren und Leichten in deinem Leben, das finde ich sehr hilfreich.

    Dass in deinem Umfeld kaum jemand etwas über dich weiß, macht es für dich leichter. Doch vielleicht findest du mit der Zeit ein oder zwei Vertraute. Reden kann wohl tun und ganz viel Klarheit bringen.


    Ich wünsche dir heute einen Tag, an dem die Pubertiere freundlich gestimmt sind und du ein bisschen Ruhe zum Schreiben findest - hier und in deinen Memoiren.


    Lg. Astrid.

  • Liebe Soraja,


    ich weiß, du meinst es gut. Leider kann das was du geschrieben hast, eben so verletzende sein, wie wenn zu dir jemand sagt: Es wäre schon ein Jahr um, du musst doch ...


    Trauer hat seine Zeit und jeder Trauerfall ist anders, jedes Leben ist anders, jede neue Trauer koppelt sich an die alte Trauer. Es gibt keine Vorgaben. Wenn Ingrid schreibt, dass es ihr heute immer noch schlecht geht, glaube ich nicht, dass sie von dieser ständigen, tiefen Verzweiflung des Anfangs schreibt. Sehe ich das richtig Ingrid?


    Die Trauer darf trotzdem noch einen Platz haben. Die hat sie bei mir nach 15 Jahren auch noch. Doch sie haut mich nicht mehr um, sie zieht mir nicht mehr den Boden unter den Füßen weg, sie macht mich nicht mehr ohnmächtig oder verzweifelt. Sie ist da, manchmal als Sehnsucht, manchmal wohlig warm, manchmal als Hilfe, wieder zu mir zu kommen, manchmal als Freundin. Ja, meine Trauer wurde mir zur Freundin, die mich begleitet. Ebenso wie meine Freude zum Freund wurde. Diese beiden gehen mit mir durchs Leben. Und dafür bin ich dankbar. Und wenn wieder die frische Trauer in mein Leben kommen wird, dann wird sie mir wieder nicht als Freundin erscheinen, sondern sie wird ebenso hart und unbarmherzig sein - und irgendwann werde ich wieder erkennen, dass sie doch meine Freundin ist.


    Ich kenne auch Menschen, die auf Grund einer neuen Trauer nochmal durch die vorhergegangene Trauer gehen, weil es neue Aspekte eröffnete.


    Liebe Soraja, ich kann dir versprechen, die Trauer die du heute fühlst, wirst du in 18 Jahren so nicht mehr spüren. Ich kann dir nicht versprechen, ob andere Trauerfälle dazu kommen und du neue Dimensionen in deiner Trauer entdeckst. Und ich kann dir versprechen, dass sich deine Trauer auf jeden Fall wandeln wird.


    Ich wünsche dir einen erträglichen Tag.

    Lg. Astrid.

  • Okay Astrid, es ist dann vielleicht besser ich halte mich generell zurück. Ich könnte mich jetzt rechtfertigen, zu erklären versuchen was ich gemeint habe, doch was solls. Vielleicht fehlt mir der nötige Abstand anderen beistehen zu wollen, ich sehe meine Worte nicht verletzend bis auf den Ausdruck "normale" Trauer, das war nicht so gut getroffen, weil Trauer ist immer normal. Aber gut, ich lass das dann mal lieber.

    Alles Gute für euch...

  • Ich kann das schon nachvollziehen!

    Mein Trauerfall ist ganz frisch, mein Mann ist vor 5 Monaten tödlich verunglückt, aber ein Jahr davor ist mein Vater gestorben und vor 18 Jahren, wie bei dir, liebe Ingrid, meine Mutter nach langer schwerer Krankheit. Damals konnte ich nicht richtig trauern, ich war nur erleichtert und wütend als sie gestorben ist und war über mich selbst erschrocken, weil ich so gefühlt habe. Jetzt, wo mich der schwerste Verlust meines Lebens getroffen hat, vermischt sich diese akute Trauer mit der Trauer vor langer Zeit und ich verstehe vieles, was ich damals nicht verstanden habe.

    Ich denke das Schreiben deiner Memoiren kann eine große Hilfe zur Verarbeitung sein, ich persönlich nehme psychologische Hilfe in Anspruch, aber ich glaube das kannst du selber am besten fühlen, was für dich das Richtige ist.

  • Liebe Soraja,

    so habe ich das nicht gemeint. Ich wollte dir nur aufzeigen, dass es so sein könnte.

    Tut mir leid, wenn ich jetzt meinerseits dich verletzt haben sollte.


    Sei ganz lieb gegrüßt und ich wünsche auch dir an diesem Wochenende einen tröstlichen Moment.

    Astrid.

  • Du hast mich nicht verletzt Astrid, nur stark verunsichert. Und nun trau ich mir nicht mehr wirklich meine Sichtweise zu äußern, weil die wohl sehr falsch sein könnte. Ich habe eben andere Erfahrungen gemacht mit Freunden und Bekannten was das Verarbeiten betrifft. Da sind welche dabei die den Schmerz einfach verdrängt haben, versucht normal weiterzuleben und haben das auch gut geschafft. Doch nach Jahren kamen die Depressionen, Angststörungen und ähnliches. Andere wiederum haben den Schmerz zugelassen, geweint, geschrien, drüber geredet, die Trauer als solches angenommen und konnten nach eineiger Zeit viel besser damit leben. Dass die Zeit alle Wunden heilt, daran glaub ich nicht. Es wird nie wieder alles gut sein, die Trauer wird auch nie ganz weg sein. Doch das ist für mich Verarbeitung. Vielleicht versteh ich diesen Begriff schon mal falsch, da werd ich wohl mal recherchieren müssen. Aber vielleicht ist richtig oder falsch in diesem Sinn gar nicht angebracht, weil was für den einen gut und richtig ist, kann für den anderen völlig falsch sein.

  • Hallo Tigerlilli,

    nachvollziehen kann ich das auch, es ging hier aber nicht darum, sondern dass ich von fehlender Verarbeitung sprach. Dass ich damit jemanden verletzen könnte hab ich einfach nicht erwartet, es war keinesfalls als Missachtung der Trauer gedacht, wie das vermutet wurde. Es gibt Fälle wo es einem einfach nicht gelingt die Trauer zuzulassen und das kann dazu führen dass sie lange Zeit später ausbricht. Nichts anderes hab ich gemeint, aber wohl völlig falsch ausgedrückt. Deshalb bin ich jetzt sehr unsicher und werd sehr drauf achten ob und was ich schreibe

    Ich wünsche ein friedliches Wochenende

  • Ihr Lieben,

    ich überlege gerade... Missverständnisse entstehen schnell...

    Kann hier gerade folgendes gemeint sein, also was zum Ausdruck gebracht werden sollte?

    Auf manchen Trauerkarten steht folgender Spruch:

    "Alles hat seine Zeit.

    Es gibt eine Zeit der Freude, eine Zeit der Stille, eine Zeit des Schmerzes, der Trauer

    und eine Zeit der dankbaren Erinnerung."

    Ich glaube als Verfasser wird manchmal Dietrich Bonhoeffer genannt, manchmal steht da auch unbekannt. Ich weiß also nicht, wer diesen Spruch verfasst hat... Möchte auch das Urheberrecht nicht verletzen!


    Noch allgemein gesagt: Es kann eine lange Zeit dauern, bis die Trauer um einen geliebten Menschen "verarbeitet ist" (der Ausdruck passt vielleicht nicht ganz... "bewältigt?), es gibt "verschiedene Phasen" usw. Das ist bei JEDEM anders! Mögen alle Trauernden immer jemanden an der Seite haben, der sie begleitet in der Zeit!

    Mögen die schönen Erinnerungen irgendwann präsent sein. Liebe Ingrid, ich hoffe, dein Thread ist nicht "durcheinander geraten" durch den Meinungsaustausch...

    Liebe Grüße

    Sunset



  • Liebe Ingrid,

    heute habe ich in einer Traueranzeige diesen Text gelesen:


    Loslassen,

    wo wir festhalten möchten,

    Weitergehen,

    wo wir stehen bleiben möchten.

    Das sind die schwierigsten Aufgaben,

    vor die uns das Leben stellt.

    (Frank Hartmann)


    Ich wünsche Dir Kraft!


    Liebe Grüße

    Sunset



  • Ich hätte nie gedacht, daß mich die Trauer so lange so intensiv begleitet. Zur Zeit ist sie wieder sehr präsent, was vielleicht auch an der dunklen Jahreszeit liegt und ich sonst keine problematischen "Baustellen" habe, die mich ablenken würden.

    Liebe Ingrid, was auch immer der Grund für die momentane Präsenz deiner Trauer ist, es würde mich freuen, wenn du hier weiter schreibst. Auch wenn gerade ein Disput über deinen Beitrag ausgebrochen ist. Das kann geschehen, wenn unterschiedliche Zeiten der Trauer aufeinander treffen. Keine ist schlecht, sie sind einfach anders und dieses anders muss manchmal erklärt werden.


    Ich wünsche dir für heute einen der leichteren Tage und freue mich wirklich sehr, wenn du wieder schreibst.

    Sei lieb gegrüßt

    Astrid.

  • Liebe Ingrid74,<3


    hier steht jetzt bei meiner Antwort an dich schreibend :

    "die letzte Antwort liegt mehr als 365 Tage zurück. das Thema ist womöglich bereits veraltet. Bitte erstellen sie ggf. ein neues Thema."


    und da sind wir auch schon in deinem Lebensthema<3 deinem Leben mit der Trauer... es ist durchaus ja ein Leben MIT der Trauer...

    Auch in bestimmten Abschnitten in deinem Leben finde ich mich wieder.


    Was ich nicht hatte,

    mein tiefstes Mitgefühl spreche ich dir damit aus ... ist den geliebten Mann durch einen Unfall verloren zu haben und dann noch traurigerweise deine Fehlgeburt von euren Zwillingen...

    Sternenkinder<3

    ist noch zusätzlich dein grosser Verlust neben dem Tod deines geliebten Partners gewesen.


    Ich schreibe DANKBARERWEISE ist man in der Trauerbegleitung jetzt überall der Meinung, dass eine Trauerzeit NIE endet... nur wie Astrid richtig schrieb, man kann vielleicht mit der Zeit damit besser umgehen.


    Du hast leider nur zwei Beiträge geschrieben... SCHADE...


    Vielleicht liest du ja doch noch ab und an draussen "vor" und kannst dich sogar ein bisschen freuen, wenn ich jetzt schreibe "Ich kann dich verstehen und fühle mit dir°

    Sei versichert , viele können deine Trauer und deinen Lebensweg , den du für dich und deine Kinder gestaltet hast , absolut nachvollziehen. Ich kann an dich schreiben : " ich "verstehe dich" ,

    bzw. ich fühle mit dir...

    NICHT ich leide mit dir...


    Ich glaube , dass du in dem Sinne nicht "leidest", auch nichts verdrängt hast... du hast genauso das gemacht, was zu diesem Zeitpunkt für dich GENAU so SEIN sollte ... Das warst DU , deine Empfindung zu diesem Zeitpunkt in deinem Leben.


    Schreiben ist immer gut.

    Dein schreiben hier wäre für MICH eine Bereicherung, weil es meine Empfindung, das Trauer immerwärend ist, aber man dennoch, das ist bei mir so<3:)<3 durchaus fröhlich intensiv lebt und geliebt werden kann. Ich habe auch Patchworkerfahrung wie heute ja viele Menschen... Ja, die Pupertät ist eine sehr grosse Herausforderung an einen und wenn man dann noch alleine ist, ist es sehr, sehr anstrengend. Ich habe zu dieser Zeit in Wohngemeinschaften gelebt, wie eigentlich konstant in meinem Erwachsenenleben bis zu meinem 50.ten Lebensjahr.

    Häufig ist man ja auch dennoch auch als Ehefrau , weil der Ehemann sehr viel arbeitet, doch sehr viel "alleinerziehend".


    Vielleicht kannst du meine Worte , meine Empfinden , dass ich mit dir fühle ...irgendwie spüren... das wäre schön

    Ich schreibe übrigens auch nicht nur hier,aber nicht in einem anderenTrauerforum...

    bin sehr viel in meinem Leben umgezogen und wohne jetzt permanent nicht mehr in meinem Geburtsland. Das bedeutet auch Heilung für mich...Es ist nicht ein weglaufen, denn die Trauer und seine ich nenne es "Lebensaufgabe erkunden" nimmt man überall mit...


    Gerne schicke ich dir jetzt "weit verstreuend" liebe Grüsse

    und schreibe, durch die Verbundenheit

    herzlichst<3 deine Sverja

    P:S. und doch eigentlich keines. Mittlerweile schreibe ich am Satzanfang häufig ICH... weil es immer unser ICH ist, was niedergeschrieben wird<3