Ich bin noch genau 7 Tage 35 Jahre alt. Melde dich gerne, falls Du noch Interviewpartner benötigst. ♥
Beiträge von Shekinah
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Liebe KarenLe,
Ich muss es nochmal sagen, ich finde mich sooo in deinen Worten wieder! Ich freue mich sehr, dich hier gefunden zu haben, auch wenn der Grund sehr traurig ist. ♥
Unsere Parallelen sind wirklich sehr groß und ich fühle mich Dir und deiner Geschichte sehr verbunden.
Zum Thema Freunde:
Selbst wenn es gutgemeint sein mag, zu sagen: "Du kannst mich immer anrufen, wenn du mich brauchst" - dieses Angebot reicht nicht aus. Es ist irgendwie nicht weit genug gedacht und eher eine stumpfe Erfüllung der vermeintlichen Pflichten. Ich hab gerade gar keine Kraft, andere um konkrete Hilfe zu bitten, weil der Alltag schon alle noch vorhandenen Energiereserven frisst.
Auch bei mir fragen Freunde, ob es mir denn schon besser gehen würde. Und ich weiß nicht, was sie sich für eine Antwort erhoffen. Nach einem Magen-Darm-Infekt wäre das eine berechtigte Frage, aber doch nicht nach dem Tod eines Elternteils. Und wenn ich dann antworte, dass es mir nicht wirklich besser geht, herrscht Schweigen. Aber ich kann doch den anderen nichts vorlügen, nur damit sie sich beruhigt fühlen.
Und auch ich erwarte nichts, obwohl ich zugeben muss, dass ich bei manchen Äußerungen oder der Funkstille bei engsten Freunden schon einen Kloß im Hals habe. Vielleicht ist es gerade auch einfach zu schwierig, es mir recht zu machen.
Ich hab diese Erfahrung auch schon bei meinem Vater gemacht. Da waren einzelne Freunde wirklich da und haben mir aus dem Trauerloch geholt. Mit seinem Tod hatte ich, auch dank meiner Mutter, aber irgendwie einen gesünderen Umgang, obwohl diese Erfahrung nicht minder schlimm war. Mit meiner Mama wirkt es jetzt, als würden die Leute nicht fassen können, dass ich ihnen ständig ein neues Drama präsentiere und uns das wirklich schon wieder passiert. Ach, es ist schwer.
Und dann kommt meine eigene Ungläubigkeit dazu, dass jetzt tatsächlich auch meine Mama sterben musste. Nie hätte ich gedacht, dass uns das nach den Schicksalsschlägen der letzten Jahre wirklich auch noch passiert. Wie wahrscheinlich ist das auch? Und mir war bewusst, dass meine Mutter mit ihrer Diagnose wohl keine 80 Jahre alt wird. Aber dass uns nicht mal noch zwei, drei Jahre vergönnt waren, macht mich unfassbar traurig. Und so wütend.
Wir sind so erzogen worden, dass alles Gute, was man in die Welt hinaus trägt, wieder zu einem zurück kommt. Davon sehe ich gerade nichts.
Die Einsicht, dass das Leben einfach nicht fair ist, dass es einfach kein Karma gibt, keine Selbstverständlichkeiten und keine Garantien für irgendwas, diese Einsicht macht mir eine Himmelangst. Wie Du sagst, wie soll man denn das Leben weiterhin meistern und eine gute Mutter für seine Kinder sein, wenn einem die Leichtigkeit und das gesunde Urvertrauen nicht nur erschüttert, sondern so entrissen wurden? Ich will nicht so negativ durchs Leben wandern, aber gerade fühlt es sich nicht so an, als würde das wirklich nochmal anders werden. Vielleicht ist es das, was die Zeit leichter machen wird.
Früher hab ich bei kleinen und großen Problemen einfach Mama oder Papa angerufen. Jetzt greife ich noch intuitiv viel zu oft zum Telefon – merken aber kurz vorm Wählen, dass der Anruf ins Nichts führen wird. Es wird niemand mehr abheben... Die Nachrichten keiner lesen, die Fotos niemand sehen. Weil da niemand mehr ist. Diese Erkenntnis ist widerlich und hart, und eigentlich lernt man erst jetzt so richtig, was es heißt, auf eigenen Beinen zu stehen. Und dann wundern wir uns, weil wir immer dachten, das wären wir schon längst.
Und es klingt bescheuert, aber ich würde so, so gerne an ein Leben nach dem Tod glauben und dass da irgendwas kommt. Aber ich spüre nichts. Weder meine Mama, noch meinen Papa. Ich fühle mich beiden nach wie vor sehr verbunden, aber in der irdischen Welt spüre ich nichts. Vielleicht übersehe ich Zeichen, sollte es denn welche geben. Aber ich gucke wirklich aufmerksam hin. Da ist nichts. Keine Träume, kein Gefühl von Gestreichelt oder Getragen werden, keine Schmetterlinge die sich auf mir nieder setzen (...oder ähnliches). Und gerade, weil ich mit meiner Mutter so sehr verbunden war und sie seit ich denken kann eine spirituelle Ader hatte, bin ich maßlos enttäuscht. Wenn jemand Zeichen aus der anderen Welt schicken können müsste, dann doch wohl meine Mama!
Direkt nach ihrem Tod hatte ich keine Zeit zum Trauern. Das kommt erst jetzt ganz langsam. Ich wache noch immer morgens auf und muss mir bewusst machen, dass das wirklich alles passiert ist.
Nachdem sie gestorben ist, habe ich sofort umgeschaltet und wie ein Roboter alles abgearbeitet, was zu tun war. Und das war viel. Meine Mama war privat versichert und beihilfeberechtigt, es flattern immer noch Rechnungen ein. Sie hatte sich eine "Tree of Life"- Bestattung und keine Trauer- sondern eine Lebensfeier für die Öffentlichkeit gewünscht. Dafür musste in unserem kleinen erzkatholischen Dorf ein Bestatter gefunden werden, der ihre Urne nach Holland überführt und sich traut, eine so unkonventionelle Bestattungsart mit uns durchzuführen.
Tausend Dinge zu erledigen, zig Ämtergänge und Anträge, Fristen, die eingehalten werden mussten. Viele Probleme, Rückfragen, Telefonate, Ärgernisse.
Und dann gibt es noch unser Elternhaus, einst so voller Leben und sicherer Rückzugort, das niemand von uns übernehmen kann oder will und das jetzt verwaist ist. Und doch so vollgestopft mit Erinnerungen.
Langsam werden die Rechnungen weniger, um die sich gekümmert werden muss. Und so sehr ich mich über den bürokratischen Wahnsinn geärgert habe, so sehr graut es mir vor dem Tag, wenn wirklich alles erledigt ist. Weil dann auch in diesem Lebensbereich die ekelhaft erdrückende Stille einkehren wird. Es ist paradox.
Man rennt nicht sein Leben lang mit einer dunklen Wolke über dem Kopf rum, das habe ich aus meinem Schicksal gelernt und eigentlich weiß ich das auch ganz genau. So banal es klingt: Das Leben geht immer weiter. Es wird aber eine ganze Weile dauern, bis ich das wirklich begriffen habe.
Ja, wir haben unsere Eltern verloren. Ja, das wird für immer weh tun. Aber: Wir werden das schaffen. Irgendwie. Ganz sicher. Und ich glaub, unsere Eltern sind ganz schön stolz auf uns. ♥
ich umarme dich aus der Ferne und freue mich, von Dir zu lesen!
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Ihr Lieben,
eure Beiträge haben mich immer so ermuntert, dass ich mich noch einmal an euch wenden mag.
Es ist nun etwas Zeit vergangen, es sind Schulferien und ich kann etwas zur Ruhe kommen.
Eine Sache beschäftigt mich jedoch noch enorm - diese quälende Einsamkeit, die Gewissheit, dass kaum einer meiner Freunde mein Schicksal auch nur annähernd nachempfinden kann, das Gefühl, es alleine aushalten zu müssen.
Ich war gestern bei einer Freundin, die ich vor 2-3 Monaten das letzte Mal gesehen habe. Sie ist im Freundeskreis schon dafür bekannt, super beschäftigt zu sein, nur sie hat viel Stress, man muss sich terminlich immer nach ihr richten etc.
Ich saß also bei ihr in der Wohnung, wir unterhielten uns lange über ihr Praktikum (sie ist in den Endzügen ihres Arztstudiums und hat meinen Papa 1 Woche vor seinem Tod im Krankenhaus sogar noch gesehen). Sie wurde dann relativ einsilbig, als ich anfing, zu erzählen. Auf die Frage hin, ob ihr das unangenehm ist, reagierte sie sehr distanziert und meinte, dass wir uns darüber unterhalten können, aber doch bitte nicht den ganzen Abend, sie braucht ihren Feierabend zum Abschalten und könne das dann schlecht.
Ich war so vor den Kopf gestoßen, das ist mir bislang wirklich noch nie passiert. Ich würde sogar meinen, dass ich mich eigentlich sehr zurückhalte, ich nerve meine Freunde nicht, mache viel mit mir aus (weil ich sie eben nicht mit Themen wie Obduktion, offener Sarg, rechtsmedizinisches Gutachten, Embolie etc. nerven und belasten will). Da sie aber auch Medizinerin ist, konnte ich mich mit sowas immer an sie wenden.
Es folgte dann ein etwas heftiger Schlagabtausch, so ganz wollte sie es nicht einsehen - ihr ginge das ja auch alles nahe (wir kennen uns seit 30 Jahren und sie kennt meinen Papa auch), sie habe sich auch viel mit ihrer Mama darüber unterhalten ... nur, das bringt mir doch nichts?!
Ich habe dann versucht es diplomatisch zu lösen - es sei ein Kommunikationsproblem, ich dachte, sie wäre interessiert daran was passiert ist etc. Sei sie auch, es tut ihr auch leid, aber sie muss sich jetzt selbst schützen.
Ich weiß nicht, ob ich zu viel erwarte, aber ich war so vor den Kopf gestoßen, so verletzt, dass ich dann in Tränen ausgebrochen bin. Ich dachte, dass genau das eine Freundschaft ausmacht. Ich bin immer für Freunde da, auch nachts um 3 und wenn selbst bei mir alles bis "Oberkante" steht. Ich glaube so einsam wie in diesem Moment habe ich mich lange nicht mehr gefühlt. Und gleichzeitig habe ich meinen Papa in diesem Moment so schmerzlich vermisst ...
Ist es jemandem von euch mal ähnlich ergangen? Bin ich von meiner Trauer zu sehr eingenommen, sollte ich mich mehr zurückhalten, in Gesellschaft eine Maske aufsetzen und mir bloß nichts anmerken lassen (was ich eigentlich eh schon zu oft mache) ... ? Ist das die Überforderung mit dem Tod? Ich meine, wenn sie nicht darüber sprechen mag, weil sie sich schützen möchte, wie wird es dann wohl mir gehen - wo ich es tatsächlich durchlebe und noch nicht mal die Möglichkeit erhalten, meiner Trauer Raum zu geben und die Gefühle vor Freunden zu benennen?
Es war ein komischer Abend.
Liebe KarenLe,
Ich finde mich in deinen Texten so sehr wieder! Du sprichst mir aus der Seele mit Worten, die ich bislang nicht finden konnte.
Ich bin 35. Meine Mama ist vor zwei Monaten verstorben, mein Vater schon vor vier Jahren. Auch ich habe die Erfahrung machen müssen, dass man doch bitteschön so schnell wie möglich wieder zum Alltag zurück finden soll. Von meinem engsten Umfeld habe ich ganz oft nur hohle Phrasen erfahren, Aufgeben wäre keine Option, meine Eltern würden doch wollen, dass ich stark bin, ich soll nach vorne schauen, ich muss für meine Kinder da sein. Blabla. Ich weiß, es ist gut gemeint, aber es verletzt mich, weil ich das Gefühl bekomme, ich würde andere mit meiner Trauer belästigen und nicht ernst genommen werden.
Meine allerbeste Freundin, die ich seit 20 Jahren kenne und von der ich dachte, sie würde mich am besten kennen, hat mir seit dem Tod meiner Mutter genau fünf lapidare Nachrichten über whatsapp geschrieben. Das belastet mich mehr als es sollte und ich sehe mich nicht in der Position, ihr erklären zu müssen, was ich mir von ihr wünschen würde.
Alle meine Freundinnen haben ihre Eltern noch. Teilweise sogar noch einen Teil ihrer Großeltern. Verluste im engsten Umfeld haben die allerwenigsten erfahren.
Ich glaube, für viele Gleichaltrige sind unsere Schicksale nur schwer zu ertragen, weil schlichtweg die Erfahrung mit dem Tod von engsten Bezugspersonen fehlt und unsere Geschichten erbarmungslos bewusst machen, dass auch ihre Eltern nicht ewig bei ihnen sein werden. Das Selbstverständliche ist plötzlich nicht mehr so selbstverständlich. Diesen Gedanken schiebt man lieber beiseite. Hätte ich vor fünf Jahren auch noch. Aber so funktioniert das Leben halt leider nicht.
Andere sind einfach fassungslos und finden keine Worte, also sagen sie lieber gar nichts. Auch das verstehe ich, ich bin ja selbst fassungslos. Manchmal würde eine stumme Umarmung schon helfen.
Ich spüre, wie sich viele krampfhaft darum bemühten, den riesigen Elefanten, der ganz offensichtlich im Raum stand, bloß nicht anzusprechen und bloß ganz schnell wieder zur Tagesordnung überzugehen.
Die dumpfe Hilflosigkeit, mit der sich einige Menschen in meinem Umfeld diesem Thema näherten, war wirklich erschreckend.
Manchmal denke ich, ich hätte eine zu große Erwartungshaltung. Vielleicht ich das tatsächlich so und ich tue meinem Umfeld Unrecht. Aber ich würde mir wirklich wünschen, dass sich jemand die Zeit nimmt und mir zuhört. Und mir zugesteht, dass ich das alles scheiße unfair finde und die ganze Welt verfluche und es eben nicht ausreicht, 'einfach' nach vorne zu gucken. Wohin denn? Ich wollte so ein Leben nie. Für mich und meine Geschwister nicht ihr für meine beiden kleinen Söhne schon gar nicht. Der Plan war ein ganz anderer.
Und für uns kommen ja noch ganz viele tägliche Einflüsse dazu. Die Großeltern, denen ich in der Krippe meines Sohnes ständig über den Weg laufe, lassen mein Herz in tausend Stücke zerbrechen. Weil es mir immer wieder mit voller Wucht ins Gesicht knallt, dass mein Sohn niemals von seiner Oma oder seinem Opa abgeholt werden wird. Und dass er sich an seine wundervollen Großeltern, von denen er bedingungslos geliebt wurde, nie erinnern wird, weil sie viel zu früh gestorben sind. Ich kann den Gedanken kaum ertragen. Und ich werde richtig neidisch auf alle, die dieses Privileg haben.
Eine Trauergruppe habe ich mittlerweile 2x besucht. Ich bin dort mit weitem Abstand die Jüngste und fühle absolut fehlplatziert zwischen 'Kindern', sie selbst im Seniorenalter sind und die ihre 90- jährigen Mütter oder Väter an Altersschwäche verloren haben.
Ich fühle mich schlecht, so zu fühlen, aber es ist so.
Ich fühle mich verlassen, obwohl doch so viele Menschen um mich herum sind.
Puh... Ganz schön viel Negativität. Aber manchen Dingen kann man einfach nichts Positives abgewinnen.
Du siehst, der ablehnende gesellschaftliche Umgang in unserer Generation ist anscheinend leider keine Ausnahme. Du bist nicht alleine und ich schicke dir 1000 gute Gedanken!
Es bleibt der sehnlichste Wunsch, dass irgendwann alles wieder gut wird. Nicht so gut, wie es einmal war oder wie man es sich erträumt hat, aber anders gut...
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Hallo liebes Forum,
Durch ein Buch bin ich auf euch aufmerksam geworden und sehr froh, meine Geschichte hier niederschreiben zu können und zu wissen, dass sie von Menschen gelesen wird, die mich verstehen. Ich bin 35 Jahre alt, habe zwei Kinder und zwei Geschwister.
Das Drama nahm 2019 seinen Lauf.
An Ostern erhielt meine Mama aus heiterem Himmel die Diagnose fortgeschrittener Blasenkrebs, für uns alle ein absoluter Alptraum... Ausgerechnet meine Mama. Keine Krebsfälle in ihrer Familie. Niemals Raucherin, immer sportlich und penibel darauf bedacht, sich gesund und ausgewogen aus dem eigenen Garten zu ernähren. Wenig Fleisch, viel Gemüse. Der Naturheilkunde zugewandt und immer optimistisch und voller Hoffnung, dass alles im Leben seinen Sinn hat, auch wenn man ihn nicht sofort erkennt. Eine Frohnatur, ein Fels in der Brandung für viele Menschen, Trauerbegleiterin, ehrenamtlich im Hospiz tätig und stets sozial engagiert. Unser aller geliebter Familienmittelpunkt.
Sie musste eine schwere OP über sich ergehen lassen, die sie körperlich komplett verändert hat. Die anschließende Chemo war die Hölle, das Leben musste komplett neu aufgestellt werden.
Mein Vater, leider durch jahrelange Alkoholabhängigkeit schon schwer krank, starb mehr oder weniger plötzlich im Juni des selben Jahres mit gerade mal 62 Jahren nach einer Routine-OP an multiplen Organversagen, nachdem er dem Tod schon mehrere Male knapp von der Schippe gesprungen ist. Es war ein jahrelanges Auf und Ab, vor allem die fünf Jahre vor seinem Tod waren geprägt von Dialyse, ständigen Stürzen, schlimmsten Schmerzen nach mehreren Wirbelbrüchen und seiner Lebensmüdigkeit.
Er war der liebste, klügste und tiefgründigste Mensch, den ich kannte. Leider ist ihm genau das zum Verhängnis geworden und er ist am Leben gescheitert. Er sagte mal 'Der Einfluss des Alkohols auf die Menschheit liegt ohne jede Frage an seiner Macht, die verborgenen Fähigkeiten der menschlichen Natur zu stimulieren, die von den kalten Fakten und dem trockenen Zynismus der Nüchternheit zerstört werden.' Das trifft es ziemlich gut.
Sein Tod war für mich der erste größte Verlust meines Lebens. Ich hatte lange damit zu kämpfen, dass wir nicht bei ihm waren, als er starb. Es fühlt sich auch heute noch so an, als hätte ich ihm im Stich gelassen. Ich war seine Vorsorgebevollmächtigte und wir mussten im Krankenhaus unterschreiben, dass seine kreislaufstabilisierenden Medikamte abgesetzt werden dürfen, nachdem er mehrere Tage im Koma lag und es keine Hoffnung mehr gab. Meine Geschwister und ich saßen stundenlang an seinem Bett, eine Stunde, nachdem wir gegangen waren, kam der Anruf aus dem Krankenhaus, dass er gestorben ist.
Lange Zeit war ich eher Mutter für ihn als Tochter. Ich fuhr ihm zum Arzt, putze seine Wohnung, erledigte seine Einkäufe und Amtsgänge. Und ich tat es gerne. Meine Mutter nannte mich deswegen oft co-abhängig. Manchmal denke ich, ich trage eine Mitschuld, dass er die Kurve nicht mehr gekriegt hat.
In den Wochen des Todes meines Papas hatte meine Mutter gerade ihren dritten Chemo- Zyklus hinter sich gebracht. Sie war so tapfer und hat sich gut mit allem arrangiert. Sie hatte trotz Corona zwei tolle Jahre, der familiäre Zusammenhalt war stärker denn je. Sie und ihr Lebensgefährte kauften sich ein Wohnmobil, die beiden genossen ihr wieder gefundenes Leben und das Schicksal meinte es gut mit ihr. Wir alle atmeten auf.
Im März 2021 wurde ich Mutter meines zweiten Sohnes. Leider aufgrund schwerer Komplikationen acht Wochen zu früh. Und er war nicht bereit für diese Welt, viel zu leicht und viel zu unreif. Das alles zur Hochphase der Pandemie, was alles nur noch schwieriger machte. Es folgten 10 Wochen Neonatologie mit vielen Rückschlägen und traumatischen Erfahrungen. Zerrissen zwischen meinem großen Sohn im Homeschooling und dem Säugling auf der Intensivstation. Zwischen Masken, Desinfektionsmittel, fehlendem Wochenbett, Milchpumpe und dem Alltag, der erbarmungslos irgendwie weiter funktionieren muss.
Meine Mama war mir zu dieser Zeit die wertvollste Stütze... Ohne sie hätte ich oft nicht gewusst, woher ich die Kraft nehmen sollte.
Heute ist mein Sohn zwei Jahre alt und gesund. Ein kleines Wunder, für das ich unendlich dankbar bin.
Meine Mutter wollte immer Oma sein. Sie hat sich so gefreut, als ich das erste Mal schwanger wurde und sie zur stolzen Oma machte. Und sie war mit all ihrem Sein die allertollste Oma für meine Söhne.
Kurze Zeit dachten wir alle, dass wir doch jetzt genug vom Schicksal gebeutelt wurden und endlich wieder etwas Ruhe einkehren müsste. Falsch gedacht.
Im Juli letzten Jahres stellte sich heraus, dass meine Mutter wohl einen Tumor (angeblich ausdrücklich kein Rezidiv) an der linken Niere hatte. Aufgrund unglücklicher Umstände würde dieser Tumor leider erst sehr spät diagnostiziert. Ihr wurde die Niere entfernt, eine erneute Chemo lehnte sie ab.
Die OP überstand sie noch verhältnismäßig gut, doch schon da war sie nicht mehr die Selbe. Im Herbst bekam sie schlimmste Rückenschmerzen, die irgendwann nur noch mit Morphin annähernd in den Griff zu bekommen waren. Es ging rapide bergab, im Winter konnte sie kaum noch Essen bei sich behalten und war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Es war schlimm für uns, sie so sehen zu müssen und ihr nichts von der Last abnehmen zu können. Im März diesen Jahres bekam sie dann die Gewissheit, dass sie Metastasen in Bauchfell und Lendenwirbel hat. Keine Therapieoptionen mehr, nunmehr palliative Versorgung. Sie verweigerte Nahrung, ihr Magen arbeitete kaum mehr, Medikamte konnte sie deshalb oral nicht mehr einnehmen. Es folgte ein Hospizaufenthalt mit Anlage eines Ports und einer PEG zum ablassen der Nahrung um Miserere zu verhindern. Künstliche Ernährung lehnte sie vehement ab.
Ich habe den Gedanken viel zu lange nicht zulassen können, dass sie bald sterben wird. Ich wurde wütend, wenn meine Geschwister oder der Lebensgefährte meiner Mutter mir auch nur annähernd das Gefühl haben, sie aufzugeben. Ich habe Ärzte und Kliniken konsultiert, Befunde verschickt, viele Gespräche mit Spezialisten geführt. Alle mit dem gleichen hoffnungslosen Ergebnis. Ich wollte und konnte es nicht wahr haben. Und doch traf mich die Erkenntnis irgendwann wie ein Schlag: Meine Mama würde nicht mehr lange bei uns sein.
Wir hatten Dank eines tollen SAPV- Teams die Möglichkeit, sie nach Hause zu holen. Und das taten wir und waren abwechselnd Tag und Nacht an ihrer Seite.
Ich glaube, die einzige Barmherzigkeit die eine Krebserkrankung mit sich bringt, ist, dass er einem die Möglichkeit gibt, sich verabschieden zu können. Meine Geschwister und ich führten noch lange und intensive Gespräche mit unserer Mama, nichts blieb ungesagt. Dafür sind wir sehr dankbar.
Am 25. Mai um 12.40 Uhr starb sie.
Und mit ihr auch unsere Kindheit, unsere Hoffnungen und unser Vertrauen ins Leben und darauf, das immer alles irgendwie gut wird.
Sie durfte nur 62 Jahre alt werden, genauso wie unser Vater. Manchmal ist das Schicksal wirklich ein mieser Verräter.
Und nun, 9 Wochen später, stehe ich hier. Mutterseelenallein, im wahrsten Sinne des Wortes. Und ich weiß nicht, wie mir geschieht und wie die Welt es überhaupt wagen kann, sich einfach weiter zu drehen. Meine Geschwister und treffen uns jeden Sonntag in unserem leeren Elternhaus. Würde Mamas geliebter Garten nicht langsam verwildern, würde man denken, sie wäre nur längere Zeit verreist.
Wir versuchen verzweifelt, unsere Familienrituale weiter am Leben zu behalten, aber im Stillen ist uns allen klar, dass auch das ein Ablaufdatum hat, weil unser aller Mittelpunkt nicht mehr da ist.
Hätte ich meine Kinder nicht, würde ich nicht mehr aus dem Bett aufstehen. Bei jedem neuem Foto meiner Söhne möchte ich ihr eine whatsapp schreiben, obwohl einem sofort bewusst wird, dass das nicht mehr geht und man das doch eigentlich ganz genau weiß. Vielleicht ist es wie eine Art Phantomschmerz, als hättet man einen Arm verloren.
Zurück bleibt ein Loch, was sich nicht füllen lässt. Ein Gefühl im Bauch, was man nicht so recht beschreiben kann und das sich ständig verändert. Manchmal ist es schrill und schmerzhaft, manchmal taub, manchmal gleicht es Übelkeit, manchmal Zahnschmerzen. Manchmal denkt man, man wird verrückt. Man sucht nach Zeichen, fragt sich, wie es sein kann, dass so ein essentieller Bestandteil der eigenen Existenz einfach so weg ist... Und der einzige Mensch, der einem helfen und der einen verstehen könnte, der einzige, mit dem man überhaupt darüber reden möchte, ist nicht mehr da. Und ich weiß nicht, wie das Leben ohne Eltern funktionieren soll und wohin mit mir.Puh... Das ist ein wirklich langer Text geworden. Ich danke jedem, der bis hierher gelesen hat. Es tut gut, alles halbwegs geordnet zu Papier gebracht zu haben.
Ich schicke jedem eine warme Umarmung, der sie gerade gebrauchen kann.