Moin zusammen,
ich sollte noch einen Titel eingeben, als ich meinen fertigen Beitrag versenden wollte.
Was liegt also näher als den Text der Trauerkarte einzugeben, denn der kleine Prinz gehört zu uns seit wir uns kennen und hat uns immer begleitet in unserem gemeinsamen Leben bis zum Schluß....
Ich bin Corinna und lese hier seit einigen Tagen immer mal ein bißchen quer, je nachdem wie lange und wie oft ich es aushalten kann.
Ich denke, mein Mann Lothar ist einverstanden, dass ich unsere Geschichte hier erzähle, weil er weiß, wie unglaublich traurig ich bin und sich sicher denken kann, dass es mir vielleicht hilft, Euch davon zu erzählen, weil Ihr versteht, wie es mir gerade geht.
Wir sind in den Urlaub gefahren am 29. Juli, mein Mann, ich und unsere vier Kinder, dreimal 15 und einmal 10 Jahre alt. Wir hatten Spaß während der Fahrt nach Dänemark, auf der Fähre habe ich schöne Fotos gemacht von den Kindern und ihrem Papa, eines davon wurde das Foto der Trauerkarte. Wir haben uns gefreut auf ein tolles Ferienhaus in den Dünen am Nordseestrand und auf 14 Tage Meeresrauschen, Toben in den Wellen und viele andere Pläne.
Unsere Tochter wollte den Leuchtturm in Hvide Sande runter klettern, wir hatten einige tolle Sachen geplant....Mein Mann liebte die Nordsee und das Toben in den Wellen. Als wir am Samstag angekommen waren, wurde als erstes die Badehose ausgepackt und dann ab zum Strand mit den Kindern ins Wasser.
Der nächste Tag war grau, verhangen, gewittrig und kühl. Wir nutzten ihn für eine 15 km Wanderung am Strand und im Regen durch die Dünen wieder zurück. Nachts tobte draussen ein Unwetter, Donner, Blitz und viel Regen, der im Ferienhaus auf der Glasüberdachung rumpelig laut war und uns vom Schlafen abhielt. Das wirklich sehr unbequeme Bett tat sein übriges dazu...
Der 31. Juli begann dann nach dieser lauten Nacht mit viel Sonne und versprach vielversprechend zu werden. Es war trubelig mit einigen Auseinandersetzungen, die manche Tage so mit sich bringen, wenn man sechs Meinungen unter einen Hut bringen muß.
Wir wollten am Nachmittag nach dem Glätten der Wogen das Schlafzimmer wechseln mit zwei unserer Kinder, in der Hoffnung auf besseres Liegen auf zwei einzelnen Matratzen, anstatt auf einer durchgehenden. Also alles umgepackt, umgeräumt und im anderen Raum wieder einsortiert.
Mein Mann hielt mir meinen Badeanzug entgegen. "Hier, wir müssen das tolle Wetter ausnutzen. Ich habe versprochen mit zum Strand zu gehen. Kommst Du mit?"
Ich zögerte.... und verneinte. ich war so müde, wollte mich hinlegen und ein bisschen dösen nach der unruhigen Nacht. Also haben wir noch einen Moment zusammen da gelegen auf dem anderen Bett und dann ist mein Mann gut gelaunt los gezogen mit zweien der Kinder. Die beiden anderen blieben mit mir im Ferienhaus....Wäre ich bloß mit gegangen....
Relativ schnell kam unsere Tochter zurück. Sie war in den starken Wellen sofort von den Füßen gerissen worden und hatte sich den Ellenbogen angehauen. Dann hatte sie keine Lust mehr und ist zurück gekommen.
Als sie wieder aus der Dusche kam, kam unser Sohn angelaufen. Er war ausser sich und erzählte, dass Papa bewußtlos am Strand läge. Der Notarzt sei da.
Ich sprang auf und rannte los. Ich fühlte mich viel zu langsam. Es dauerte gefühlt unendlich, durch den tiefen Dünensand zu laufen und es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Die Strecke vom Ferienhaus bis zum Strand waren etwa 400 m...die längsten 400 m meines Lebens.
Unsere beiden Jungs waren mitgelaufen, der Große, der bei Papa am Strand war und der Kleine, der vorher bei mir im Ferienhaus geblieben war. Die beiden Mädchen wollten nicht mit, sie blieben voller Angst im Haus.
Als wir durch die Dünen liefen, waren da noch zwei Nothelfer. ich rief ihnen zu, daß das am Strand mein Mann sei. Sie frageten mich, ob er vorerkrankt sei. Herz? Blutdruck?
Ich sagte "Nein! Nichts! Völlig gesund!"
"Er atmet nicht!"
Die beiden Jungs blieben in den Dünen, unser Großer meinte, er habe genug gesehen.
Ich ging runter zum Strand, durfte nicht zu ihm. Sie machten eine Druckmassage, wechselten sich ab. Ich mußte aus Entfernung zusehen, neben mir war eine deutsche Urlauberin, deren Mann Lothar zusammen mit meinem Sohn aus dem Wasser geholt hatte. Sie selber war Krankenschwester und hatte sofort mit der Druckmassage begonnen, als sie ihn aus dem Wasser geholt hatten.
Da hatte er schon keinen Puls mehr....und als sie nach 40 unendlichen Minuten aufhörten zu reanimieren, waren auch zwischendurch kein Puls und keine Atmung mehr da gewesen.....Ich stand da und meine Welt implodierte.
Ich war erstarrt, ich war nicht in der Lage, irgend einen Gedanken zu fassen oder etwas selbstständig zu entscheiden. Ich bin dort gefühlt mit gestorben. Ich habe ihn dort sterben sehen und hörte gleichzeitig, wie mein Herz zerbrach in unendlich viele mikroskopisch kleine Scherben, die explodierten und mich innerlich zerfetzten.
Er ist nicht ertrunken. Offizielle Todesursache nach Obduktion wegen ungeklärtem Todesfall ist eine Lungenembolie. Wo soll die her gekommen sein, bei einem fitten agilen Mann von 54 Jahren, der gesund mitten im Leben steht?
Ich weiß mittlerweile, dass er in eine Strömung geraten ist.
Sie hat ihn raus und runter gerissen in kürzester Zeit. Unser Sohn und er wollten von der Einstiegsstelle am Meer etwas weiter Richtung Süden gehen, weil dort wo sie waren der Untergrund komisch war, glatt und glitschig, die Wellen waren stark. Unser Sohn wollte im seichten Wasser laufen, wandte Lothar den Rücken zu, er wollte schwimmen.
Als unser Sohn sich wieder umdrehte, war Lothar weit draussen, schrie seinen Namen. Er hat versucht, zu ihm zu kommen, hat das aber nicht geschafft und ihm signalisiert, dass er am Strand Hilfe holt.
Das hat er auch getan, es wurde ein Notruf abgesetzt und mein Mann ist los geschwommen Richtung Strand. Und er hat nicht mehr gerufen, wohl aus Angst, dass unser Junge wieder rein geht und versucht, ihm zu helfen und dann vielleicht selber in Schwierigkeiten gerät.
Und weil er geschwommen ist, hat ihm keiner geholfen. Sie dachten, er schafft es. Unser Sohn erzählte, dass Papa geschwommen ist und plötzlich kam eine Welle, hat ihn von hinten überspült und dann trieb er im Wasser mit dem Gesicht nach unten. Er muß sofort tot gewesen sein. Unser Sohn ist rein mit dem Mann der Krankenschwester, sie haben ihn erreicht und sofort umgedreht und gleich am Strand mit der Reanimation begonnen....
Ich durfte nicht mehr zu ihm am Strand, die Polizei hat mich zurück gehalten.
Wie schafft man es, zurück zum Ferienhaus zu gehen und seinen vier Kindern zu sagen, dass ihr Papa tot ist?
Ich weiß es nicht...ich war im Autopilotenmodus, völlig distanziert, jegliches Gefühl war aus mir heraus, leer, komplett erstarrt. Ich bin selber neben mir her gelaufen und habe mir alles angesehen, als ob dort ein schrecklicher Film abliefe.
Abends sind wir in die Klinik gefahren und durften endlich zu ihm. Ich habe alle mitgenommen, keiner sollte allein im Haus bleiben. Sie sind alle zu ihm gegangen, unser Kleiner hat sich bei ihm bedankt für 10 tolle gemeinsame Jahre. Er ist ein ganz Großer!
Ich kann mich nur verneigen und ebenfalls bedanken für 26 Jahre mit Höhen und Tiefen, seit 21 Jahren trage ich voller Stolz seinen Ring und ich werde ihn niemals ablegen.
Er ist mein Geliebter, mein Weggefährte und mein bester Freund. Wir hatten noch so viel zusammen vor. Ich bin halbiert, amputiert, mein Herz wurde mir heraus gerissen und ich leide inzwischen auch körperlich unter dieser unglaublichen Trauer. Sie frißt mich auf, alles ist im Nebel und ich denke immer, es ist ein Albtraum, gleich wache ich auf und höre ihn neben mir atmen....aber es bleibt still....
Er hat mir eine Aufgabe hinterlassen. Ich werde unsere vier Kinder so gut ich kann in ein eigenständiges Leben führen.
Sie sind der Grund, warum ich morgens aufstehe und weiter mache. Und jeder Tag, den ich hier geschafft habe, bringt mich ein Stück weiter zu dem Punkt, an dem wir uns wieder sehen und er mich abholt ins Licht....denn dort ist er jetzt und wartet auf mich....
Aber ich bin so unglaublich traurig! Und immer wieder verfolgt mich die Idee, dass ich hätte mitgehen sollen zum Strand, vielleicht wäre dann alles ganz anders gelaufen.....
Ich danke jedem, der es geschafft hat, meinen Beitrag bis zum Ende zu lesen und wünsche jedem von Euch alles erdenklich Gute, viel Kraft für Eure eigene Trauer und hoffentlich irgendwann Sterne, die lachen können, weil Eure Liebsten auf ihnen lachen....
Ganz liebe Grüße,
Corinna