Liebe alle,
danke, dass ich mich nun schon richtig als Teil der Gemeinschaft hier fühlen darf. Ich war ja lange irgendwie auf einer komischen Position. Einerseits von der Öffentlichkeit als die Vorzeige-Trauernde hingestellt (und zugleich stets darum bemüht, diese Zuschreibung zu relativieren und in Frage zu stellen), andererseits von vielen "echten" Trauernden missverstanden.
Bis heute bin ich froh, dass ich den Weg in die Öffentlichkeit nicht gescheut habe, der viel mehr auf mich zugekommen ist, als dass ich ihn aktiv gesucht hätte. Ich denke, es wurde ein bisschen mehr nachgedacht (von "Nicht-Betroffenen" oder "Noch-Nicht-Betroffenen") und manche Tabus wurden ein kleines bisschen gelüftet, und ein paar Menschen haben Worte bekommen für das, was sie auch fühlen, aber eben nicht ausdrücken konnten.
Aber jetzt genug zur Öffentlichkeit.
Ich danke Euch für Euren Respekt, für Eure Ehrlichkeit, und dafür, dass Ihr bereit seid, zwei- oder mehrmals hinzuschauen.
Für mich sind Trauernde vor allem:
Menschen, die die Kunst des Stolperns und Wieder-Aufstehens täglich üben. Menschen, die wissen, dass kein Mensch nur in einer Schublade Platz hat. Menschen, die erfahren haben, dass es Dinge gibt, die man nicht erklären kann, und die nun die Größe haben, einen anderen nicht zu verurteilen, nur weil sie ihn gerade nicht verstehen. Menschen die einen offenen Blick haben, weil sie es nicht mehr nötig haben wegzuschauen. Weil sie das Schlimmste bereits gesehen haben. Menschen, die...
Nun noch etwas Persönliches:
Michi, ich habe mich nun ein bisschen in Deine Geschichte vertieft. Sie berührt mich sehr. Ich bin sicher, Dein Mann ist bei Dir.
Weißt Du, beim Lesen Deines Posts fragte ich mich nur: glaubst Du, dass Gott da wirklich etwas getan hat, das für alle Beteiligten schlecht war? Ich kann so schwer daran glauben, dass Gott oder das Universum oder wie man ihn/sie halt nennen will, etwas tut, was nicht aus purer Liebe geschieht. Was ich mich frage ist: Kannst Du einen winzigen Teil von Dir denken lassen, dass das höhere Selbst Deines Mannes in jener Nacht gehen WOLLTE? Weil es gut war? Weil es genug war? Weil es grad am Schönsten war?
Weißt Du, mir hilft das manchmal, wenn ich an meinen kleinen Sohn denke, der mit sechs Jahren gestorben ist. Er war so fein und zart und zerbrechlich. manchmal hatte ich so Angst, ob er auf dieser Welt bestehen würde. Ich habe ihn extra ein Jahr länger im Kindergarten lassen, um ihn vor der harten Schulzeit zu beschützen. Dann ist er, ein halbes Jahr vor seiner Einschulung, gestorben. Manchmal denke ich, er hat sich das ausgesucht. Hat die Rosinen im Leben genommen und sich diesmal eine "ruhige Lebenskugel" gegönnt. Für ihn war es gut. Und genug.
Wenn ich das selbe bei meinem Mann denke, dann ist es ähnlich. Allerdings kam da irgendwann, sehr überraschend, die Wut ins Spiel. "Aha, Du sitzt jetzt auf Deiner Wolke und lässt die Beine baumeln, und ich kann den ganzen Käse hier alleine weitermachen? Na, Danke!" :022:
Das war nicht angenehm, und wie gerne hätte ich mich weiter mit Heli verbündet im Sinne von "wir sind beide Opfer Deines Todes". Aber Heli ist kein Opfer, denke ich, denn ich bin sicher, es geht ihm gut.
Wenn ich ihm das zugestehe und mir zugleich meinen wütenden Teil zugestehe, dann ....irgendwann... kann ich es mir auch "hier unten" gut gehen lassen, ohne das Gefühl zu haben, dass ich Hochverrat am "armen" Heli begehe.
Ich kenne sie auch, diese Stunden oder Tage, wo man im Bett liegt und (stumm oder laut) schreit "lieber Gott, bitte, warum nimmst Du mich denn nicht auch zu Dir?"
Einmal hatte ich dabei ein unglaubliches Erlebnis. Ich habe in der Nacht einen furchtbaren Nervenzusammenbruch gehabt und habe in einem fort gebetet: "Nimm mich zu Dir, bitte, ich meine es ernst! Bitte! Ich meine es wirklich erst!...." Nach einer halben Stunde, als ich noch immer so betete, habe ich plötzlich gespürt, wie sich zwei unendlich warme Hände unter mich schieben. Es hat sich angefühlt, als würde ich schweben, getragen sein von ... Irgendwie war plötzlich klar, "Gott" hat mich sowieso längst zu sich genommen, immer schon. "Ich bin bei Dir, du bist bei mir", das ist übrig geblieben von jener Nacht. :30:
Tot oder lebendig, dieser scheinbare Gegensatz kommt mir manchmal so vor wie die Frage, ob wir gerade angezogen sind oder nackt. Natürlich angezogen, meistens, aber ...gleich unter der dünnen Schicht unserer Kleider sind wir doch auch nackt. Das ist kein wirklicher Gegensatz. Und genauso denke ich, dass wir, so wie wir hier leben und atmen und spazieren gehen, gleichzeitig auch "tot" sind. Also das, was wir später sein werden und was unsere Liebsten schon in purer Form sind. Es ist gar kein so großer Unterschied, es gibt viel mehr, was uns verbindet.
Ich wünsche Dir, ich wünsche Euch winzige Momente der Freude, des Lächelns, der Begegnung.
Oder auch große. Stunden. Tage. Lachkrämpfe, Heulkrämpfe, Schreikrämpfe (warum gibt es bloss so wenig Orte, wo man ungestört schreien kann...?)
Eure Barbara