Beiträge von Suu

    Erst einmal tut es mir wahnsinnig leid, dass du zwei dir so nahestehende Menschen innerhalb kürzester Zeit verlieren musstest. Dies ist eines der schlimmsten Erlebnisse, die Menschen machen müssen.


    Die Erfahrungen, die man auf Rauschmitteln macht, sind meist die Alltagszustände bzw, emotionalen Zustände nur in quasi potenzierter Form. Es ist eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Unbewussten. Heißt, deine Ängste, die du aufgrund der traumatischen Verlusterlebnisse deiner dir nahestehenden Liebsten, also der Verlust deiner Schwester und deines Bruders, entwickelt hast, treten sichtbar und stärker mit allen Begleitängsten unter Drogen in den Vordergrund. Das bedeutet, dass deine Ängste von dir selbst noch viel intensiver und gravierender als im normalen Alltagsbewusstsein wahrgenommen werden. Das ist nichts, was du fürchten musst, sondern es sind die gleichen Ängste, die dich sonst auch begleiten nur eben in diesem Moment viel intensiver und viel näher an deinem Grundkern von dir gefühlt. Der Horror, den du dabei erlebt hast, versucht dir vielleicht nur zu vermitteln, dass du viel mehr durch den Tod in deinen Grundfesten erschüttert und verletzt worden bist, als du dir selbst eingestehen magst und vielleicht viel weniger Kraft für deine Familie hast, wie du gerne hättest? Unbewusste Wahrnehmungen die ins Alltagsbewusstsein einbrechen, versuchen dir zu helfen und nicht dich zu zerstören. Das ist eine der wenigen Feststellungen, die für mich tatsächlich auch noch nach dem Tod meines Freundes unverrückbar sind.


    Meines Erachtens ist das Erlebnis einen nahestehenden Menschen zu verlieren viel weitreichender im inneren Seelenleben als die meisten psychologischen Studien bzw. Trauerphasengliederungen erfassen können. Der Tod stellt grundsätzlich Leben an sich in Frage. Diesen Widerspruch irgendwie zu vereinen, ist eine Mammutaufgabe, die vielleicht nie zur Gänze gelingt. Lange Rede kurzer Sinn: Versuch dich den Angstmonstern zu stellen, auch wenn du von Zeit zu Zeit scheiterst. Vielleicht ist Angst dabei tatsächlich ein schlechter Ratgeber und genau das ist die Hilfestellung, furchtlos in der größten Katastrophe zu bleiben?

    Vielleicht sollte ich in den vier Monaten schon weiter sein. Ich weiß es nicht.


    Ich denke nicht, dass es irgendeine Verordnung oder DIN-Norm gibt, die richtungsweisend und bindend für die ganz persönliche Trauer ist. Hamida, jeder hat sein Leben, seine Empfindungen, seine Prägungen und seinen eben auch ganz eigenen Weg. In welche Richtung sich der eigene Weg, die Gedanken und Gefühle entwickeln, zeigt sich ja meist von Tag zu Tag.


    Ich horche in mich rein, lass mich von mir überraschen und lasse zu, was dabei herauskommt. An manchen Tagen möchte ich nur schreien, bin stinkesauer auf die Welt. Dann kommen wieder neue Gedanken, die mich erstaunen, mir selbst bis dahin fremd waren. Dann sind da die Tage des Vermissens und der Suche nach meinem Freund, die mich verzweifelt, fassungslos dastehen lassen. Wie ein kleines schutzloses und verletzliches Wesen, auf einem riesigen Planeten, der mich mit seiner Größe und den Rhytmen von Leben und Sterben vor Angst erstarren lässt. Dazwischen immer wieder die Stunden der Hoffnung, wo mir bewusst wird, was mir mein Freund alles auf meinem Lebensweg mitgegeben hat und wie reich ich von ihm für ein zufriedenes Leben beschenkt wurde. Es sind Stunden in denen ich denke, wir haben gemeinsam so sehr die Zeit zu schätzen gewusst, lebe genau das weiter.


    Keiner kann mir vorschreiben, wie ich zu denken und zu fühlen habe. Die Welt hat mich in eine Situation geworfen, die ich so niemals wollte. Ich habe bis zum Februar ein zufriedenes und erfülltes Leben geführt. Sollte es irgendwelche moralischen Anforderungen seitens von wem auch immer an mich geben, kann derjenige mich mal :013: , denn ich muss diesen Verlust tragen - niemand sonst.


    Lauf in deinen Schritten Hamida, denn nur du kennst deinen Weg :24:

    Liebe Hamida,


    wir hatten keine Kinder, da unsere finanzielle Situation bis dato nicht so gesichert war, wie wir es uns für Kinder gewünscht hätten. Das mag jetzt sehr seltsam klingen, war aber unser beider Einstellung. Allerdings hatten wir dieses Jahr entschieden, ein Haus auf dem Land zu kaufen und im Zuge dessen über die Aufnahme eines Pflegekindes gesprochen, da wir tatsächlich gute Eltern gewesen wären - es ist und bleibt zum Schreien.


    Ich möchte euch noch mein Kraft- und gleichzeitig Heullied in den heutigen Tag mitgeben. Es ist von Trude Herr,"Niemals geht man so ganz" ich hoffe der Link funktioniert, vielleicht kennt ihr es schon:


    Mein Lieblingstextzeile: "... ich verspreche hier, bin zurück bei dir, wenn der Wind von Süden weht ..."


    Viel Kraft und bis später

    Liebe Hamida und ihr alle,


    ich habe meine Registrierung heute abgeschlossen, um hier auf deinen letzten Post zu antworten. Ich bin 37 Jahre alt und bei mir ist es nun 4 Monate her, dass ich meinen Freund völlig unvorbereitet verstorben in seinem Bett fand, ohne Vorerkrankung, ohne Warnung, von jetzt auf sofort alles anders. Er ist abends voller guter Dinge eingeschlafen und morgens einfach nicht mehr aufgewacht. Herzstillstand, ein Stück weit auch bei mir.


    Was ich seltsamer Weise dennoch beherrsche ist die Freude im Kleinen und seien es auch nur fünf Minuten am Tag: den Wind genießen, der um meine Nase pustet, der Duft der Bäume, ein Sonnenuntergang - vielleicht liegt es daran, dass wir beide große Augenblicksliebhaber waren und ich nicht gewillt bin, diesen letzten mir verbleibenden Rest auch noch herzugeben, ABER ... die Trauer in ihrer Vielfalt und Tiefe hätte ich mir vorher niemals nie so vorgestellt.


    Da hat man drei Tage, an denen alles einigermaßen erträglich im Innen wie im Außen abläuft, die nächsten zwei Wochen: Stillstand und ich kann nichts, aber auch gar nichts dagegen tun. Habe ich vorher gemeint schon so einiges erfasst zu haben, stelle ich ab da jeden Morgen wieder auf´s Neue fest, mein Freund ist nicht mehr da, jeden Tag wieder als sei es über Nacht vergessen. Und jeden Morgen trifft es mit der gleichen Wucht, ich fühle mich gelähmt, haltlos und nicht handlungsfähig. Diese Tage verstreichen und ich habe das Gefühl nun ist es wieder ein klein wenig lichter geworden, das Gefühl völliger Gelähmtheit ist gewichen, ich atme erleichtert auf, aber plötzlich aus heiterem Himmel streikt mein Kopf und kann sich nichts mehr merken, so dass die Alltagsbewältigung wieder große Probleme bereitet. Es kommt eine neue vorher nicht bekannte Unsicherheit hinzu, wieder muss ich mich mir gegenüber umstellen und so geht das fortwährend.


    Auch ich habe das Gefühl, dass es nach drei Monaten begann schlimmer zu werden. Unser Bewusstsein kann den Tod nicht fassen, meiner Meinung nach bedarf es viel, viel Zeit bis jedes Gefühl gefühlt und jeder Gedanke gedacht ist. Man ist so vollgestopft mit Emotionen, Bildern, Gedanken, bis dato unbekannten Wahrnehmungen, Eindrücken - wie ein reißender Fluss tobt es zu manchen Zeiten. In einem selbst vollzieht sich Unermessliches, man beginnt Raum und Zeit in Frage zu stellen alles Vertraute ist im Innen wie im Außen zerbröselt, zu Staub zerfallen. Das bewältigt man nicht in drei Monaten. Meiner Empfindung nach verläuft Trauer auch nicht linear, leider.


    Ich wünsche Dir und allen hier viel Kraft!