Beiträge von LauteStille

    Ein Text fällt mir noch ein, es ist ein Text allgemein übers Trauern, ich finde ihn sehr poetisch und wahr:



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    Ein alter Mann hat einem User im Internet, der seinen Freund verloren hat und nicht wusste, wie er weiterleben soll, geantwortet:


    "Ich bin alt. Das bedeutet, dass ich (bis jetzt) überlebt habe und dass viele Menschen, die ich kannte und liebte, nicht überlebt haben. Ich habe Freunde verloren, beste Freunde, Bekannte, Kollegen, Großeltern, Mama, Verwandte, Lehrer, Mentoren, Schüler, Nachbarn und viele andere Menschen. Ich habe keine Kinder und kann mir nicht vorstellen, was es für ein Schmerz sein muss, sein Kind zu verlieren. Aber hier ist mein Senf dazu:


    Ich wünschte, ich könnte sagen, man gewöhnt sich daran, dass Menschen sterben. Ich habe das nie getan. Ich möchte das auch nicht. Es reißt ein Loch in mich, wenn jemand stirbt, den ich liebe, egal unter welchen Umständen. Aber ich möchte nicht, dass es "nicht schlimm" ist. Ich möchte nicht, dass es zu etwas wird, was einfach passiert. Meine Narben sind ein Beweis für die Liebe und die Beziehungen, die ich für und mit der verstorbenen Person hatte. Und wenn die Wunde tief ist, dann war es auch die Liebe. So sei es. Narben sind ein Beweis fürs Leben. Narben sind ein Beleg, dass ich stark lieben und stark leben und auch verletzt oder enttäuscht werden kann. Und dass ich heilen und weiterleben und weiterlieben kann. Und die Haut einer Narbe ist stärker als es die Haut ursprünglich je war. Narben sind ein Beweis für Leben. Und Narben sind nur in deren Augen hässlich, die das nicht sehen.


    Und was die Trauer angeht, wirst du merken, dass sie in Wellen kommt. Wenn das Schiff das erste mal zerbricht, gehst du unter mit Wrackteilen um dich herum. Alles, was um dich herum schwimmt, erinnert dich an die Schönheit und die Pracht, die das Schiff früher hatte und jetzt nicht mehr. Und alles, was du tun kannst, ist schwimmen. Du findest ein Wrackstück, an dem du dich festhalten kannst. Vielleicht ist es ein Gegenstand. Vielleicht ist es eine glückliche Erinnerung oder ein Foto. Vielleicht ist es eine andere Person, die auch schwimmt. Eine Zeit lang ist schwimmen alles, was du tun kannst. Am Leben bleiben.


    Zuerst sind die Wellen 30 Meter hoch und brechen ohne Gnade auf dich ein. Sie kommen im Abstand von zehn Sekunden und geben dir nicht einmal die Zeit, nach Luft zu schnappen. Alles, was du tun kannst, ist durchhalten und schwimmen. Nach einer Weile, vielleicht Wochen, vielleicht Monaten, wirst du merken, dass die Wellen immer noch 30 Meter hoch sind, aber sie kommen in größeren Abständen. Wenn sie kommen, dann brechen sie immer noch auf dich ein und werfen dich aus der Bahn. Aber dazwischen kannst du atmen, kannst du funktionieren. Du weißt nie, was die Trauer jetzt auslöst. Es könnte ein Lied sein, ein Bild, eine Straßenkreuzung, der Geruch einer Tasse Kaffee. Es kann alles sein ... und die Wellen brechen auf dich ein. Aber zwischen den Wellen, da ist Leben.


    Irgendwann, und dieser Zeitpunkt ist bei jedem wann anders, wirst du sehen, dass die Wellen nur noch 20 Meter hoch sind. Oder 10 Meter hoch. Und auch wenn sie immer noch kommen, kommen sie in größeren Abständen. Du kannst sie kommen sehen. Ein Jahrestag, ein Geburtstag oder Weihnachten. Du kannst es schon erahnen und dich in den meisten Fällen darauf vorbereiten. Und wenn sie über dich hinweg spülen, weißt du, dass du da heraus kommst - wieder. Durchnässt, Wasser spuckend, dich immer noch an ein kleines Wrackteil klammernd, aber du kommst heraus.


    Lass dir das von einem alten Mann sagen. Die Wellen hören niemals auf zu kommen und irgendwie willst du das auch nicht. Aber du lernst, wie du sie überlebst. Und es werden auch noch andere Wellen kommen. Und auch die wirst du überleben. Wenn du Glück hast, wirst du viele Narben von viel Liebe haben. Und viele Schiffswracks."


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    Mit diesen hoffentlich etwas tröstenden Worten verabschiede ich mich und wünsche Dir alles Gute und viel Mut und Kraft!

    Liebe Diana,


    zunächst einmal möchte ich Dir mein herzliches Beileid aussprechen. Es ist unfassbar schwer und erschütternd, ein geliebtes Familienmitglied durch Suizid zu verlieren. Acht Wochen nur ist es her, also noch ganz frisch. Acht Wochen sind eine kurze Zeit und Dein Kopf und Dein Körper werden diesen Schock und die Fassungslosigkeit noch lange nicht verarbeitet haben. Es ist völlig normal noch immer von seinen Gefühlen überwältigt zu werden, die ständigen Gedanken und Fragen nach dem Warum sind ebenso normal. Das was Du erlebst, also die Zusammenbrüche, das viele Weinen, die Ohnmacht, die Hilflosigkeit, die fehlenden Worte, die verzweifelten Erinnerungen, die überwältigenden Emotionen, das Bedürfnis alles rauszuschreien, die immense Trauer und die Schlaflosigkeit... das ist alles die Trauer, diese traumatisierende, komplizierte Trauer, die leider mit einem Suizid einhergeht. Die Gefühle können so stark werden, dass man regelrecht glaubt, verrückt zu werden, aber auch solche Phasen sind normal und dürfen sein.


    Du schreibst, dass Du in Deinem Umfeld und in Deiner Familie nicht darüber sprechen kannst. Sogar Dein Partner fordert Dich auf nicht daran zu denken. Das ist sehr hart. Eine sehr schwere Last, mit all diesen Gefühlen alleine den Tag bestreiten zu müssen. Verdrängung kann manchmal hilfreich sein, um zu funktionieren. Etwa weil man den Alltag regeln oder die Beerdigung organisieren muss. Manchmal ist Verdrängung ein richtiger Überlebenshelfer. Aber Verdrängung hat seine Schattenseiten. Gefühle zu ignorieren und wegzuschieben kommt immer zu einem hohen Preis. Irgendwann bannt sich die Emotion ihren Weg und kommt stärker zurück. Auch wenn es sehr schmerzhaft ist und unerträglich scheint... manchmal ist es besser, sich seinen Gefühle und allen Gedanken ehrlich zu stellen und sie zu ertragen. Denn auch Gefühle gehen irgendwann vorbei (auch wenn sie später wieder kommen können). Es gibt eine Zeit zum Weinen. Es gibt eine Zeit zum Starksein. Es gibt eine Zeit zum Nichtsfühlen. Und es wird wieder Zeiten für Lächeln geben.


    Du beschreibst, wie viel Du gerade zu tun hast und wie wenig Zeit Dir zum Trauern bleibt. Es ist verständlich, dass sich Deine Psyche und Dein Körper diese Zeit dann nehmen, wenn Du zur Ruhe kommst, also nachts. Das ist natürlich bedenklich, da Dir damit die Ruhe, die Du dringend bräuchtest, um alles zu verarbeiten, gewissermaßen den Schlaf raubt.


    Ich finde es sehr klug, mutig und gesund von Dir, dass Du Dir gezielt die Hilfe im Internet suchst. Du bist nicht allein mit Deinem Schmerz.

    Mir fiel es damals nach einiger Zeit auch sehr schwer mit meiner Familie über den Suizid meines Bruders zu reden. Erinnerungen sind unterschiedlich, Persönlichkeiten sind unterschiedlich und meistens steht einem die Familie so nahe, dass alte Ressentiments hochkommen und man sich innerlich ohnmächtig fühlt oder in alte Muster verfällt.


    Doch es gibt Hilfe! Was mir besonders geholfen hat, waren die Gespräche mit anderen Betroffenen. Sie verstanden meine Gefühle, die wiederkehrende Frage nach dem Warum, die nagenden und herzfressenden Schuldgefühle, die peinigenden Erinnerungen an verpasste Gelegenheiten, die Scham nicht gut genug oder zu wenig da gewesen zu sein, die Traurigkeit, dass man keine Zukunft mehr gemeinsam hat... das alles hat mich innerlich gleichzeitig verbrennen und gefrieren lassen. Ich wusste nicht wohin mit mir. Dann habe ich recherchiert und gesehen, dass es in meiner Stadt Gruppen gibt, in denen sich Betroffene austauschen können. Es hat mich Überwindung gekostet hinzugehen, ich hatte Angst missverstanden zu werden und mich nicht wohlzufühlen. Aber ich kann Dir sagen, dass es eine große Stütze war (und bis heute ist), mit Menschen zu sprechen, die ebenfalls ihre Lieben durch Suizid verloren haben. Ich habe sogar einige Freunde gefunden, mit denen ich mich heute ganz normal treffe und über alle möglichen Themen rede und unsere verstorbenen Lieben sind ganz selbstverständlich Teil unseres Gesprächs, weil die anderen Betroffenen wissen, dass man ohnehin ständig an sie denkt und sie gerne auch mal im Alltagsgespräch erwähnen möchte, ohne bei dem Gegenüber betretenes Schweigen oder hilfloses Ablenken zu erleben.


    Suizid ist anders als andere Todesarten. Er lässt einen mit sehr komplizierten Gefühlen zurück. Der oder die Gestorbene ist gleichzeitig der/diejenige, der/die sich getötet hat. Zugleich gibt es keine/n Schuldigen. Traurigkeit und Wut sind gegensätzliche Gefühle, das erste lähmt, das zweite setzt Energien frei. Das macht einen Suizid so unfassbar kompliziert und die Trauer zu einer Schwerstarbeit.


    Doch wie gesagt: Du bist nicht alleine. Sprich mit Menschen, die Dich verstehen.


    Bei der Agus-Gruppe (die es deutschlandweit gibt) trifft man sich meist einmal im Monat, so anonym oder offen wie man es sich wünscht, und spricht oder hört nur zu. Vielleicht findest Du auch eine Gruppe in Deiner Näher: https://www.agus-selbsthilfe.de/agus-gruppen/


    Es gibt auch die Möglichkeit, 12 Wochen lang kostenlos ein Online-Gruppen-Progamm (auch anonym) zu machen, das therapeutisch begleitet wird. Dazu "trifft" man sich einmal in der Woche mit den anderen Teilnehmern per Telefon/Skype und spricht in der Gruppe über das, was man gerade durchmacht (man hört sich nur, sieht sich aber nicht): https://www.hilfe-nach-suizid.de/


    Es gibt auch zahlreiche Bücher und manchmal auch Veranstaltungen, die über das Thema Suizid in der Familie berichten. Das Buch von Chris Paul "Warum hast du uns das angetan?" ist zum Beispiel ein verständlich geschriebenes, gut strukturieres Werk, das sich mit allen Facetten von Trauer durch Suizid befasst. Es ist ganz einfühlsam geschrieben und erwähnt viele Aspekte, die einem in der ersten Zeit (aber auch später) immer wieder begegnen. Ich habe es damals von einer Freundin bekommen und auch meinen Eltern geschenkt.


    Hoffentlich helfen Dir meine Hinweise etwas weiter und vielleicht ist Agus oder die Online-Therapie eine gute erste Anlaufstelle für Dich.

    Ich wünsche Dir viel Kraft und Geduld - es ist alles sehr schwer und nicht darüber reden zu können, macht es noch belastender.