Beiträge von SarahMe

    Liebe Sarah,

    es tut mir sehr leid, dass du deinen Vater verloren hast. Ich bin (auch?) neu in diesem Forum und dachte, dass das wohl nichts für mich ist, aber jetzt möchte ich dir gern schreiben. Ich kann es so gut nachvollziehen, was du schreibst. Mein Vater ist vor gut einem Jahr gestorben. Da war ich fast 19 und er 66. Mein Papa hatte keinen Krebs, aber eine Herzinsuffizienz und letztendlich ein Geschwür am Darm, von dem man nicht mehr festgestellt hat, ob es vielleicht doch Krebs war. Als ich deinen Satz mit der Erleichterung gelesen habe, kamen mir direkt die Tränen. Genau das habe ich auch gefühlt. Ich war völlig am Ende und wollte mich von meiner Ärztin krank schreiben lassen. Genau an dem Tag kam mein Vater ins Krankenhaus und es kam keine Ruhe, sondern die Hölle begann. Ich hatte keine Kraft mehr und dann kamen 14 Tage hoffen und bangen, jeden Tag ins Krankenhaus... Mein Vater war nicht mehr ansprechbar, aber ich wollte so viel wie möglich bei ihm sein. Als die Ärzte gesagt haben, dass er sterben wird, war ich am Boden zerstört, doch als es dann vorbei war, war ich nahezu erleichtert. Endlich neue Kraft schöpfen, keine Angst mehr haben. Das war - natürlich - ein Trugschluss, auf lange Sicht wurde überhaupt nichts besser. Aber in diesem Moment war es gut so.

    Ich habe letzten Herbst angefangen zu studieren und dachte, ich hätte alles halbwegs im Griff, doch momentan ist es wieder so, dass ich Papa unendlich vermisse. Jetzt geht es hier um dich und ich heule dir die Ohren voll - entschuldige! Worauf ich hinaus wollte, ich kann dich gut verstehen. Ich habe viel damit zu kämpfen, dass es (scheinbar) niemanden in meinem Alter gibt, der mich verstehen kann. Trauergruppen da wo ich wohne sind entweder für Kinder oder ü40, da fühle ich mich nicht richtig. Vielleicht geht es dir auch so und es hilft dir ein wenig zu wissen, dass es auch andere "junge Erwachsene" gibt, die etwas ähnliches erlebt haben wie du und darunter leiden.

    Sei herzlich gegrüßt.

    also als erstes lass dir sagen, dass du nicht zu entschuldigen brauchst! Und mein herzliches Beileid.

    Auch bei mir hielt die erleichterung nicht lange an, denn das Vermissen überwiegt dieses Gefühl viel zu sehr.

    Ich werde dieses Jahr im September auch ein Studium beginnen, was ich eigentlich schon vor zwei Jahren wollte aber es rausgezögert hab weil ich für meine Familie da sein wollte und den Kopf dazu sowiso nicht gehabt hätte. Ob ich es jetzt auf die Reihe kriegen werde, weiss ich nicht, aber ich habs meinem Papa versprochen dass ich es tun werde, also versuch ich es. Ausserdem ist alles gut was mir einen geregelten Tagesablauf bietet. Komme momentan kaum aus dem Bett am Morgen (ich bin Krankenschwester, daher immer verschiedene Arbeitszeiten und Freitage) und möchte mich am liebsten 24/7 verkriechen, deshalb bin ich um alles froh was mich zum Aufstehen zwingt. In der Hoffnung dass es eines Tages wieder leichter wird... und das wird es bestimmt bei uns allen irgendwann.

    Auch dir mein tiefes Mitgefühl. Schön konntest du ihm noch einen so tolles wunsch erfüllen. Ich glaube es wird immer weh tun egal wie viel Zeit vergeht, aber ich hoffe wir alle finden einen Weg das ganze etwas erträglicher zu machen.

    Genau das meine ich, alles geht weiter aber ich bleib irgendwie stehen und weiss nicht so recht wie ich weiter komme... aber immerhin weiss ich jetzt, dass das „normal“ ist und es anderen auch so geht... wär schön wenn es ein Rezept gäbe für jeden wie man das beenden kann.

    Und natürlich auch dir mein herzliches Beileid.

    Vielen Dank für Deine lieben Worte

    Auch für dich mein herzliches Beileid.

    Es ist schön, auf Menschen zu treffen, die einem verstehen, auch wenn das meistens bedeutet diese Personen mussten auch leiden, aber nicht immer trifft man auf Verständnis leider...

    Liebe Sophie

    Ich weiss was du meinst und empfinde es nicht als unhöflich. Klar konnten wir uns verabschieden, was andere nicht können, ein plötzlicher Tod lässt vieles ungesagt und versetzt die Angehörigen in einen Schock, ein langer Leidensweg raubt allen Beteilgten die Kraft und lässt einen ständig hoffen obwohl es keine Heilung gibt. Beides absolut nicht wünschenswert, ich würde mich nicht entscheiden wollen...

    Wir drei „übrig gebliebenen“ reden viel miteinander, Mama und ich noch mehr als mein Bruder, er verarbeitet und kommuniziert anders, aber wir stehen uns alle sehr nahe.

    Ob ich zu meiner Mutter oder zu meinem Vater ein engeres Verhältnis habe/hatte kann ich so nicht beantworten. Wenn es um etwas emotionales ging oder Männerprobleme, da ging ich immer zu meiner Mutter. Ging es um Schule oder Arbeit zu meinem Vater. Mit meiner Mutter geh ich ins Kino, zum Shoppen oder in den Zoo. Mit meinem Vater ging ich zu Fussballspielen, in die Oper und zu Konzerten. Und meine Eltern sind/waren ein wunderbares Vorbild. Nichts wurde tot geschwiegen, egal ob die Krankheit von Papa oder sonstige Probleme die es in 30 Jahren Ehe gab (hatten übrigens tatsächlich 2019 noch ihren 30. Hochzeitstag), sie waren immer offen und ehrlich ohne uns zu viel zuzumuten. Und auch wenn bei uns selten die Worte „ich liebe dich“ gefallen sind, wussten oder wissen wir immer noch wie sehr wir uns alle gegenseitig lieben, auch im Streit oder anderen schwierigen Zeiten.

    Ich habe grosses Glück eine tolle Familie zu haben. Um so schlimmer, fehlt nun 1/4 davon...

    Im Juni letzten Jahres habe ich meinen Vater verloren, er war 60 Jahre alt, ich 23.

    Wir haben als Familie (Mama, Papa, mein Bruder und ich) zweieinhalb Jahre lang die Hölle durch gemacht.

    Februar 2017: Diagnose Prostatakrebs. Zitat Arzt „Gar kein Problem, machen Sie sich keine Sorgen. Wir werden die Prostata operativ entfernen, und sie werden weder Bestrahlung noch Hormontherapie, oder sonst was benötigen“. Okay. Nahmen wir so hin. April 2017 die besagte OP. Geschätzte Dauer nach dem Erfahrungswert: 5 Stunden. Tatsächliche Dauer: 8,5 Stunden. Da kann doch was nicht stimmen... Arzt: „Die OP wird doch nicht ausreichend sein, wir mussten noch mehrere Lymphknoten entfernen, der Tumor ist über die Prostata heraus gewachsen. Wir werden sofort mit Bestrahlung und Hormontherapie beginnen, damit wird er aber ganz sicher gesund.“

    Nach wochenlangem täglich ins Krankenhaus fahren für die Bestrahlung, regelmässig Hormonspritze die meinem Vater stark zugesetzt hat und er immer mehr Probleme hatte beim Gehen (dadurch dass die Bestrahlung in der unteren Bauch Region war und dabei auch gesundes Gewebe verbrannt wird, hatte er diese Probleme beim Gehen) wurde uns dann nach dem Abschluss der Therapie gesagt, dass auch das nichts gebracht hat, der Krebs ist immer noch da. Medikamentenwechsel stand an. 3 Monate gemacht, 3 Monate geholfen, 2 weitere Monate gewartet, Krebs zurück. Wieder ein Schlag für uns alle.

    Damals immer noch beim Urologen, hat dieser meinen Vater (oder quasi eigentlich uns alle) an einen Onkologen überwiesen.

    PET-Scan stand an. Krebszellen im Schlüsselbein und Arm. Schlüsselbein gebrochen. Höllenschmerzen. Bestrahlung zum 2. Tatsächlich, Metastasen weg.

    Nächster PET-Scan. Metastasen in der Wirbelsäule und Leber. Bäm wieder ein Schlag.

    20. November 2018: Termin beim Onkologen: „Unheilbar“ unheilbar? UNHEILBAR?! „1,5 - 3 Jahre. Eher 1,5“


    Sofort Start mit Chemo, so kann man das längste noch raus holen.

    Chemo 1: 6 Wochen. Kein Erfolg

    Pause

    Chemo 2: 5 Wochen kein Erfolg

    Pause mit Chemo 3 in Planung.

    Juni 2019: Termin bei der Hausärztin, mit dabei Mama und ich als Verstärkung: die Frage aller Fragen „Herr M. wollen sie das wirklich noch länger ertragen? ich bitte Sie sich zu überlegen, ob die ständigen Krankenhausaufenthalte durch Ihre Sz, durch ihre Schwäche, durch Ihre Blutarmut ect das der Wert sind? Es handelt sich nur noch um Tage, höchstens Wochen die mit einer weiteren Chemo gewonnen werden können.“ Klare Worte, aber eine tolle Ärztin (Auch der Onkologe war wirklich top, auch wenn es vielleicht manchmal nicht so aussieht wenn ich das schreibe). Mit unserer Unterstützung dann die Entscheidung. Sofortiges Abbrechen aller Therapien. Alles wird abgelehnt, nicht Mal mehr eine Blutentnahme. „Ich möchte aber nicht mehr nach Hause.“

    Der letzte Gang ins Krankenhaus. Irgendwo ein Bett aus dem Ärmel geschüttelt. Paliativ Station voll. Eine Woche vorbei. Immer noch. Dann Umzug ins Palliativ Zentrum. 1 Woche später in Anwesenheit von Mama und mir, hat er aufgehört. Aufgehört zu atmen, zu leben, zu leiden. Auch zu lieben?

    Zweieinhalb Jahre die Hölle. Für mich. Für meine Familie. Doch was ist mit meinem Papa? Wie hat er sich gefühlt? Ich wusste er wird sterben, aber er wusste „ich werde sterben“. Was hat das mit ihm gemacht? Er war sehr pragmatisch, Gefühle wurden selten gezeigt, aber er war eigentlich ganz „weich“ im inneren, er war ein seeeehr liebevoller Vater, er hätte alles für uns gemacht. Er war immer da und er har immer geliebt und das wussten wir alle auch ohne es täglich zu hören. Doch jetzt liegt dieser 1.80m grosse, starke Mann da. Leblos.

    Nach riesen Qualen hat er es geschafft. Geschafft? Nein. Verloren? Klingt zu hart.

    Was ist denn das richtige? Bin ich gemein, dass ich zu der riesen Flut der Traurigkeit ein kleines Fünkchen Erleichterung verspüre? Erleichterung, dass seine Schmerzen weg sind, aber auch für uns als Familie, da das ständige Hin und Her zwischen Krankenhäusern und allem vorbei ist, dass das Zusehen wir er nach und nach zu einem Häufchen Elend wird vorbei ist? Ich weiss es nicht. Ich weiss nichts.

    Mein Kopf hat sich ausgeschalten. Minuten, Stunden, Tage vergehen. Wieso fährt der Busfahrer normal seinen Bus weiter? Wieso verteilt der Postbote die Post? Wieso arbeitet die Dame an der Kasse im Lebensmittelgeschäft? Die Welt hat doch soeben aufgehört sich zu drehen. Wie kann das nur sein, dass alle so weiter machen als wär nichts? Schliesslich ist unsere Welt und die von vielen Verwandten und bekannten doch soeben zusammengebrochen.


    Und jetzt? Papierkram. Telefonate. Briefe.

    Beerdigung. Gespräche. Karten. Todesanzeigen. Wie am Laufband, was erledigt werden muss machen wir, schön aufgeteilt auf uns 3. Mama, Bruder, ich. Dazwischen viel Gehäule und Umarmungen.

    Tag der Beerdigung, ja der war da. Aber an den kann ich mich kaum erinnern. Ich war nur physisch da.

    Papierkram geht weiter. Telefonate. E-Mails. Ein endloser Kampf. Aber Ablenkung.

    Und jetzt? Wieder arbeiten? Wie soll denn das gehen. Okay tun was ich tun muss. Die Welt dreht sich wieder, aber ich drehe mich irgendwie nicht mehr mit.

    Tägliche Schwankungen zwischen Trauer, Wut, nicht verstehen, nicht akzeptieren, nicht anwesend sein mit dem Kopf.

    Warum kommst du nicht wieder? Ich habe dir vieles zu erzählen und ich möchte dich wie jedes Mal wenn ich dich gesehen hab umarmen und deinen Bart kraulen weil ich das immer so lustig fand. Aber du bist nicht da. Ich finde dich nirgends. Nur in meinem Kopf, in meinem Herzen, auf Bildern. Aber das bist nicht du.

    Wann kommt der Tag an dem ich das alles richtig realisiere? Wann kommt der Tag an dem ich es akzeptiere? Und wann kommt der Tag an dem ich dich wieder sehe? Ich habe nicht das Gefühl zu existieren, bin nicht glücklich und weiss irgendwie gerade auch nicht mehr wie das geht.

    Ich liebe dich und du fehlst so sehr.