Liebe Melina,
gerade habe ich noch einmal deinen persönlichen Beitrag gelesen.
Es tut mir aufrichtig leid! Eigentlich gibt es keine Worte, die in dieser Situation angemessen das beschreiben, was in uns vorgeht... dennoch: ich fühle mit dir. Auch meine Mama ist viel zu früh und völlig unerwartet durch einen schweren, unentdeckten Herzinfarkt im Februar gestorben. Drei Wochen hatte sie noch im künstlichen Koma durchgehalten, bevor die Lungenentzündung kam. Und ich entscheiden musste, ob die Geräte abgestellt werden sollen.
Ich bin zwar zehn Jahre älter als du und eigentlich kam ich mir nie so jung vor, wie ich bin. Im Gegenteil, ich war immer genervt, wenn mich jemand darauf ansprach (zum Beispiel meine Kollegen). Doch seit zehn Minuten komme ich mir vor wie ein kleines Kind. Nicht nur im übertragenen Sinne, diese Hilflosigkeit und Verzweiflung. Auch im wörtlichen Sinne. Im August hatte meine Nachbarin unter uns ihren Geburtstag gefeiert. Zu dieser Feier kamen ihre Eltern und ihre Großeltern. Sie ist 41 geworden. Knappe zwanzig Jahre mehr, die sie mit ihrer Mutter hat als ich. Sogar ihre Großeltern hat sie noch.
Ich möchte niemandem das Leben absprechen und es ist schön, dass andere nicht so früh ihre Lieben verlieren. Aber dennoch fühle ich diese Ungerechtigkeit. Meine Mama war gerade mal 66 Jahre alt und so unfassbar lebensfroh.
Du verstehst sicherlich, was ich meine. Ich bin sicher, dass es dir ähnlich geht. So vieles, was dein Papa nicht mehr miterleben wird. Auch das ging mir durch den Kopf. Was meine Mama alles nicht bei mir erleben wird.
Und irgendwann hatte ich das Gefühl, dass ich sie bei mir ist. Dieses Gefühl verstärkte sich in den letzten Monaten immer mehr. Zu Anfang sagte ich immer "seit meine Mama nicht mehr da ist", weil ich nicht anders beschreiben konnte, was passiert war. Seitdem ich jedoch fühle, dass sie ganz nah bei mir ist, kann ich auch das nicht mehr sagen. Seitdem spreche ich tatsächlich von ihrem Tod. Es ist nur ihre Physis, ihre Hülle, gestorben. Aber ihre Seele ist geblieben. Und in all ihrer Liebe zu mir hat sie beschlossen, mich weiterhin zu begleiten und zu beschützen. Sie wird also alles miterleben.
Nichts desto trotz schmerzt es so unsagbar. Und ich hätte sie lieber "ganz", mit ihrem Körper, damit ich sie umarmen kann, mit ihr sprechen kann. Aber wir sind nicht alleine, Melina. Unsere Lieben lassen uns nicht alleine, wenn wir nicht so weit sind. Sie stützen uns und geben uns ihre Wärme. Dein Papa wird sich dir in der ein oder anderen Art noch "zeigen" - und das ist kein esoterischer Quatsch oder eine Frage des Glaubens.