Beiträge von Squirrel

    Hallo Melanie84,


    ich habe in Deinem eigenen Thread, der mich ebenfalls sehr berührt und viele vergleichbare Erinnerungen hervorgerufen hat, gelesen, dass Du immer wieder Zeichen Deiner Mutter irgendwo erkennst, und ich hoffe wirklich sehr, dass es tatsächlich so ist.


    Bei uns ist es das Eichhörnchen (daher auch mein Nickname)... Mein Vater hat sich auf seiner Terrasse immer so an den Eichhörnchen in seinem Nußbaum erfreut. Und seit seinem Tod laufen sie uns immer wieder über den Weg. Als erstes ist eines neben unserem Auto über die Straße gesprungen, als wir nach der ersten Abschiedsfeier nach Hause gefahren sind. Sie turnen und quieken im Busch vor unserem Fenster im Haus meines Vaters, wenn wir dort zum Räumen übernachten, und zuletzt ist auch im September nach der größeren Trauerfeier eines über das Grab und uns vor die Füße gehüpft. Für mich sind dies auch Zeichen seiner Anwesenheit, Nähe und Sorge um uns.


    Und trotz allem komme auch ich in dieser Woche wieder ganz besonders schlecht mit der Situation klar. Wahrscheinlich auch aus genau dem Grund, den Du auch schon geschrieben hast, dass für (fast) alle anderen Corona irgendwann ein Thema sein wird, über das man im nachhinein nur müde lächelt. "Weißt Du noch das verrückte Jahr 2020...?" Als im März/April abzusehen war, dass meine Tochter ein ganz anderes Abi bekommen würde als das, auf das sie sich seit 12 Jahren gefreut hatte, habe ich sie noch mit den gleichen Worten getröstet: "Paß auf, wenn Deine Kinder mal Abi machen, wirst Du über Deine Erlebnisse dieses Jahres auch lachen können." Damals war unsere Welt noch in Ordnung und ich hatte gehofft, meinen Vater durch entsprechende "Anweisungen" und "Verbote" bestmöglichst schützen zu können. Bei allen Einschränkungen, die damals ins Haus standen, war mein immergleiches Statement: "Es ist alles egal, wir kriegen das hin - Hauptsache, wir sind im Herbst noch alle gesund zusammen!" Und jetzt kriegt man mit, wie alle Leute auf die Impfung setzen, die nächsten Urlaube planen (wir hatten auch Urlaubspläne mit meinem Vater) und sich auf ein normales Leben nach Corona freuen - und hat selbst nicht mehr die Chance, noch irgendetwas mit seinen Lieben zu unternehmen. Ich gebe zu, es ist auch purer Neid, der mich immer wieder so runterzieht. Mein Therapeut mein, ich solle mich mehr darauf konzentrieren, mich darüber zu freuen, meinen Vater gehabt zu haben. Ich kann das aber leider nicht, ohne dass sofort die Gedanken "nie mehr...", "das hätte ich aber noch länger mit ihm genießen wollen...", "warum mußte diese Zeit durch das Verschulden eines anderen vorzeitig zu Ende sein...?" ebenfalls hochkommen.


    Nächste Woche muß ich mit meinem Bruder wieder weiter das Haus meines Vaters räumen. Ich schlafe deshalb schon die letzten zwei Nächte kaum noch, sondern drehe stundenlang komplett am Rad. Keine Ahnung, wie das alles weitergehen soll...

    Hallo Bena,


    ich kann Dich so gut verstehen und vor allem auch Deine "schlimmen" Gedanken bestens nachvollziehen.

    Es tut richtig gut, dass mal jemand offen ausspricht, dass es ihm genauso geht, obwohl man sowas ja gesellschaftlich kaum laut sagen darf. Aber auch meine Tochter und ich schauen jeden Morgen als erstes nach den Infektions- und Todeszahlen und sind "froh", wenn diese möglichst hoch sind, weil wir dann den Eindruck haben, das mein Vater/ihr Opa kein tragischer Einzelfall ist - obwohl er das natürlich letztlich trotzdem bleibt. Als mein Vater starb lagen die Todeszahlen bei round about insgesamt 6000.


    Leider muß ich Dir aber auch sagen, dass es - zumindest bei mir - auch nach etlichen Monaten und Ablenkungsversuchen noch kaum besser ist als am Anfang. Ich schwanke in meinen Gefühlen nach wie vor zwischen Wut, Hass, Trauer und Neid.


    Mein Vater (absolut fit, ohne Vorerkrankungen, reiselustig, mental bestens beieinander und voller Pläne) ist bereits in der ersten Corona-Welle verstorben, obwohl er von sich aus 100%ig auf alle Vorsichtsmaßnahmen geachtet hat. Er hat für sich einkaufen lassen, ist viele Wege bereits im März mit Maske gelaufen, hat nichts angefaßt, was sich vermeiden ließ, nachher alles desinfiziert und das Haus nur verlassen, um dreimal die Woche in der Hautklinik einen Verbandswechsel (eines entfernten Furunkels) machen zu lassen. Dieser Arzt war eine Woche in Urlaub und hat danach meinen Vater mit Corona infiziert (obwohl er die Sorge meines Vaters kannte, dass einige der dortigen Ärzte noch immer in den Süden zum Skifahren fuhren). Der Arzt wurde positiv getestet, mein Vater in Quarantäne geschickt. Eine Woche später zeigten sich erste Symptome und weitere 10 Tage später ist er am 21.04.20 in der Uniklinik verstorben.


    Ich hatte ihn zu diesem Zeitpunkt leider schon seit Silvester nicht mehr gesehen, weil er im Februar selbst verreist war und ich mich im März nicht mehr traute, zu ihm zu fahren und ihm von meiner Arbeit möglicherweise das Virus ins Haus zu schleppen. So habe ich in den entscheidenden Tagen zwar täglich mit ihm telefoniert, zuletzt eine halbe Minute übers Handy am Tag, nachdem wir ihn ins Krankenhaus hatten einweisen lassen und er meinte, dass er gut versorgt und sich schon etwas besser fühlen würde.


    Inzwischen sind mehr als 8 Monate vergangen und ich hadere noch immer jeden Tag damit. Ich möchte zum Telefon greifen und ihm etwas erzählen, ich möchte für ihn einen Artikel aus der Zeitung ausschneiden und ihm zuschicken, möchte 100 Dinge mit ihm besprechen und und und.

    Weihnachten ist dieses Jahr bei uns fast komplett ausgefallen (auch weil ich nach dem vergeblichen tagelangen inständigen Bitten und Beten nicht mehr an die Existenz eines gütigen und allmächtigen Gottes glauben kann); Silvester war aber eigentlich noch schlimmer, weil ich mit dem Gefühl nicht klarkam, meinen Vater "im alten Jahr zurücklassen" zu müssen.


    Ich kann also Deine Stimmung wirklich bestens nachvollziehen - auch ich würde am liebsten jeden Morgen im Bett bleiben und mir einfach nur die Decke über den Kopf ziehen... ?(