Hallo,
danke für die Liebe Begrüßung =)
Mein Vater ist 72, also eigentlich zu jung zum Sterben.
Was er hatte? Nun, man sagt, eine Embolie.
Bei uns gehen Mittwochs immer einige Rentner zusammen Wandern, und mein Vater und meine zwei Onkel sind auch dabei.
Und an dem Mittwoch (da war sowieso von morgens weg schon alles komisch, kennt ihr das?), sind sie auf eine kleine Alm, da geht man vielleicht eine halbe Stunde? Also nix weltbewegendes eigentlich.
Und meine Onkel haben mir das Ganze so erzählt:
Sie gingen los, und der eine sagt zum Anderen noch: Schau mal, der Adolf geht heute aber gut (Adolf ist mein Vater).
Mein Vater hatte Probleme mit den Venen, von daher hatte er ab und an Probleme mit dem Gehen, aber nichts tragisches.
Und ein kleines Stück weiter oben haben sie dann gewartet, bis die anderen auch kommen.
Mein Vater sagte: Heute haben wir aber schon Glück mit dem Wetter, oder?
Irgendwer hat wohl mit "ja" geantwortet, und auf einmal hat es "boing" gemacht und er lag da.
Sie sagen, er war zuerst tot, und dann ist er umgefallen. Keine Abwehrhaltung der Hände etc.
Mein Onkel Hans hat dann erzählt, er hat sofort nach dem Puls gefühlt, aber da war schon nichts mehr. Und jemand hat dann die Rettung gerufen und zusammen haben sie versucht ihn wiederzubeleben - vergeblich.
Währenddessen war ich zu Hause mit meiner Mutter beim Tapezieren.
Wir haben eine kleine Zimmervermietung, und im Frühstücksraum war ein Stück Tapete hin, und das haben wir neu beklebt.
Sagt sie: Hmm, heute sind wir allein, Adolf am Berg, du hast Urlaub, lass uns nach St. Johann zum Hofer fahren.
Gesagt getan.
EIGENTLICH wollte ich mit meiner Freundin Monika wandern gehen, aber wie's der Teufel will, genau an dem Tag hatte ich keine Lust...
Also fuhren wir los, gingen einkaufen, usw. Und so um halb zehn hab ich mich dann mal über das Wetter gewundert (das war ungefähr der gleiche Zeitpunkt als mein Vater sagt: Wir haben Glück mit dem Wetter)
Beim Nachhause fahren bimmelt mein Handy, meine Schwiegermutter.
"Du, die Gerti sucht dich, wo seid ihr?"
Hab dann gefragt wer die Gerti ist (vom Krisen-Interventions-Team, das weiß ich jetzt auch...), sie wusste aber nicht warum diese Frau mich sucht.
Fünf Minuten später bimmelt das blöde Ding wieder, meine Schwester.
"Du, der Onkel Willi hat angerufen, was daheim los ist, wo seid ihr?"
Der hab ich dann erklärt, das wir shoppen waren, und auf dem Heimweg sind. Aber auch die wusste noch nicht was passiert war. Sie dachte nur, das mit Mutter etwas ist, weil Onkel Willi sie extra anruft.
Dann haben wir uns ein wenig gewundert, bis meine Mutter auf einmal sagt: Ich versteh ja viel, aber warum ist Willi nicht mit den anderen am Berg?
Da hab ich mir dann schon gedacht, das etwas passiert ist (aber doch nicht so etwas...).
Hab aber natürlich nix gesagt, weil Mama ja beim Auto fahren war, nicht das die mir in den Graben fährt oder sowas.
Zu Hause angekommen stand ein Auto neben dem Haus, und ich sag noch: Ach, der Willi wird Besuch haben und wollte sicher nur fragen ob er dieses Auto bei uns parken darf.
Dann sind wir rein gegangen, und ich bin erst mal hoch in meine Wohnung auf die Toilette, und als ich wieder runter kam, sah ich Onkel Willi im Hausgang stehen und eine rote Jacke (Rettung) in die Küche gehen.
Das ist der Moment den ich wahrscheinlich nie wieder vergessen werde.
Ich geh die Treppe runter und schau ihn an, und irgendwie weiß man in dem Moment, das jetzt was Krasses kommt. Aber doch nicht so krass.
Und er legt seine Hand auf meine Schulter und sagt: Du musst jetzt stark sein, der Papa ist tot.
Ich hab gar nix geantwortet, der Mund stand mir offen, bis ich ein "warum" heraus gequält habe.
Als ich in die Küche sah, der nächste Schock, meine Mutter sitzt mit zwei roten Jacken (das Krisen-Interventions-Team) am Küchentisch und sagt immer: Was ist denn los? Es muss doch was passiert sein, warum wärt ihr sonst hier? Was ist denn passiert?
- Sie wusste es noch nicht...
Bis sie plötzlich sagte: Was ist denn los? Ist es vorbei? Und die Frau (Gerti) sagte dann "Ja, es ist vorbei".
Ich bin dann rein, hab sie in den Arm genommen, klar.
Und diese zwei Leute, ich bin ihnen heute noch höchst dankbar, haben sich den ganzen Nachmittag um uns gekümmert (Pfarrer, Gemeinde, Bestatter...)
Dann kam erst der schwierige Teil, mein Mann kam vom Arbeiten nach Hause, sieht die Rettung, sieht schon ein Foto von meinem Papa am Tisch liegen und fragt: Was isn los? Natürlich war auch er sehr geschockt, er hatte ein super Verhältnis zu seinem Schwiegervater.
Der nächste schwierige Teil kam, als die zwei zu mir sagten: Gell Gudrun, du rufst deine Schwestern an.
Was? Wie? ICH? Warum ich???
Gut, dann mach ich das halt. Erst die eine angerufen, der erste Satz war: "Ge du spinnst wohl!!!" und dann hat sie geweint, und sie sind auch dann am Nachmittag zu uns gefahren.
Die andere angerufen, mit dem Bitten und Betteln "heb nicht ab, sei nicht daheim, sei in der Arbeit, heb nicht ab..." - "Hallo?" - Mist... Dann hab ich es ihr auch erzählt, ihr erster Satz war "Ge du spinnst wohl!!!!" und dann hat sie gar nichts mehr gesagt außer "Ich weiß echt nicht was ich jetzt sagen soll..." und "Ja dann müssen wir wohl nach Österreich fahren" (Sie wohnt in Holland)
Sie haben sich dann noch gegenseitig angerufen um zu klären ob ich das jetzt ernst meine oder ob das ein blöder Scherz ist, war es aber leider nicht.
Der Tag ging dann relativ schnell vorbei, erst haben wir eben Fotos für die Parte gesucht, Dokumente usw.
Dann sind wir auf das Gemeindeamt gefahren, und immer waren die zwei vom Krisen-Team dabei, total super.
Wir sind zum Pfarrer, eine Beerdigung ausmachen, und die Gerti hat dann noch den Bestatter angerufen, das er zu uns kommt.
Als wir dann daheim waren, war meine Schwester samt Familie schon da, dann wurde erst mal schon wieder geweint. Dann kam auch bald schon der Bestatter, zum Glück war sie da, alleine hätten wir das glaub ich nicht mehr geschafft.
Sie hat noch einen wunderschönen Spruch für die Parte ausgesucht: Viele Wege führen zu Gott, einer über die Berge.
Passender gehts nicht. (Papa hat auch mal gesagt: Was soll ich in der Kirche, auf dem Berg bin ich Gott viel näher)
Nachmittags sind wir dann noch zum Blumenladen und in ein Gasthaus, um den Leichenschmaus zu reservieren.
Dann war abends Kirche angesagt, danach haben wir uns dran gemacht für den Pfarrer einen Lebenslauf für die Beerdigung zu gestalten.
Am nächsten Abend wieder Kirche, dann kam auch meine Schwester aus Holland samt Familie.
Am Freitag war die Beerdigung, Wahnsinn, so viele Menschen, das kann man sich nicht vorstellen.
Donnerstag hätte ich von der Firma aus noch einen Erste-Hilfe-Kurs gehabt, aber den hab ich beinhart geschmissen, das hätt ich wohl nicht gepackt. Ich bin am Vormittag zur Chefin und hab ihr alles erzählt, und es war natürlich gar kein Problem.
Und dann, dann kam die Zeit, in der du versuchst, zu verstehen was passiert ist.
Das ist natürlich heute auch noch so, es ist ja erst ein Monat her.
Du sitzt vor dem Haus, die ganze Familie da, wunderschönes Wetter, und du wartest bis Papa sagt: Sollen wir Grillen?
Du sitzt da und wartest, bis er um die Ecke kommt, in Berg-Kleidung, weil er wandern war. Aber da wartest du lange...
Du schaust in die Küche, auf seinen Platz, wo er immer saß und Kreuzworträtsel gelöst hat. Er ist leer.
Du kommst abends vom Arbeiten heim und wartest bis Mama sagt: Geh bitte leise rauf, Papa schläft schon. Nein, du kannst jetzt Lärm machen, niemand schläft.
Wenn Mama fragt, was soll ich kochen, kann ich jetzt sagen "Kasspatzl, Pizza, Käsekrainer, Cordon Bleu, Lasagne..." - er mochte keinen warmen Käse. Ich krieg nicht mehr zur Antwort: Ge, du weißt genau das Adolf das nicht mag. Jetzt kommt: Oh, lecker, gute Idee.
Du kannst einfach mit Mama einkaufen fahren, weil sie nicht mehr erst schauen muss ob das Auto überhaupt da ist.
Und dann gibt es Tage wie gestern... Wunderschönes Wetter, auf einmal Regen, und das Wetter ist so komisch das du drei Regenbögen hintereinander siehst... Gestern abend um 9 Uhr schau ich dann nochmal zum Fenster raus. Weltuntergangsstimmung. Schau in den Himmel, eine dunkelgelbe Wolkenwand, gehagelt hatte es schon - mittendrin wieder ein Regenbogen. Ja, gestern hab ich vier gesehen.
Und ich bin jetzt an dem Punkt angelangt, wo mir jeder Regenbogen weh tut. Ich kann mich nicht mehr freuen, so wie am Anfang. Auch wenn es schön ist, ein Zeichen von ihm zu erhalten. Aber es tut weh zu wissen, das ich außer den Regenbögen nichts mehr von ihm sehen werde.
Gudrun