Liebe Regentropfen,
auf Englisch habe ich vor einer Weile einen Spruch gelesen, der lautete "I sat with my anger long enough until it told me its name was grief!" Den finde ich sehr treffend. Ich war und bin oft so unglaublich wütend. Manchmal aus dem Nichts heraus. Manchmal kann ich gar nicht sagen, woher das jetzt kommt. Und sehr oft merke ich dann hinterher, dass ich einfach nur tief traurig bin und es nicht anders ausdrücken kann.
Meine Mutter ist bei vollem Bewusstsein, eingeschlossen in ihrem eigenen Körper. Sie kann noch rudimentär über Augenbewegungen ja/nein kommunizieren. Als es ihr noch besser ging, habe ich mal versucht mit ihr zu sprechen, darüber wie es mir geht. Das hat sie abgeblockt bzw. entweder dann selbst so schlimm angefangen zu weinen, dass sie keine Luft mehr bekommen hat (die Krankheit lähmt auch die Atemmuskulatur) oder das Thema schnell wieder darauf gelenkt, was IHR entgeht. Sie hat oft gesagt, wie dankbar sie ist, dass sie mich hat. Das ist ja auch schön und richtig, dass ich ihr Stütze und Trost bin. Sie ist mir immer die beste aller Mütter gewesen. Ich weiß, sie würde auch jetzt gern für mich da sein und kann es einfach nicht. Dennoch bin ich auf einmal allein. Ohne Stütze und Trost und besonders an harten Tagen, an denen man mit den kleinen Kindern den ganzen Tag allein ist, weil der Mann lange arbeitet, ist das sehr schwer. Man solle doch Hoffnung und Trost aus den Kindern ziehen, bekommt man dann oft gesagt und natürlich tue ich das. Und trotzdem ist es einfach auch sehr anstrengend kleine Kinder zu haben, viel Arbeit und wenn man so sehr trauert ist an manchan Tagen schon das Zubereiten des Abendbrots oder das Beantworten einfacher Kinderfragen ein großer Kraftakt. Dazu kommt, dass einem gerade MIT Kindern die Person fehlt, die einen selbst absolut bedingungslos liebt und bestärkt und die die Kinder mindestens so sehr liebt wie man selbst, die Oma. Die einen so ganz besonderen Blick auf die Kinder hat, sie so wohlwollend betrachtet wie niemand anderes, eine Art hat mit ihnen umzugehen und zu reden, wie eben nur die Oma es kann. Warum ich, warum sie, frage ich mich auch oft. Ich bin gerade in der Weihnachtszeit oft neidisch auf Freundinnen, die ihre Mutter gesund an ihrer Seite haben. Neulich war eine Tochter mit ihrer Mutter bei Tchibo hinter mir in der Schlange. Sie haben nett geplaudert und wollten sich einen Kaffee bestellen - waren gemeinsam auf Shoppintour und ich konnte es plötzlich nicht mehr aushalten vor Sehnsucht. Auf einmal liefen die Tränen und ich hätte den beiden Damen hinter mir eine reinhauen können, vor Einsamkeit, Trauer, Neid und der furchtbaren Frage nach dem Warum.
Ich hasse es auch, wenn Leute so etwas sagen wie "Sie lebt in dir weiter" oder "du verlierst sie nie wirklich". In meinen Augen ist das Schwachsinn. Natürlich leben ihre WERTE in mir weiter, gebe ich die Liebe, die ich von ihr erfahren habe weiter... aber wenn sie dann irgendwann gar nicht mehr da ist, dann ist sie weg. Schlicht und ergreifend eben NICHT mehr da. Nur noch Erinnerung. Als Mensch verloren. Klar lebt jemand, der gestorben ist, in der Erinnerung weiter, das lindert aber die Sehnsucht nicht, im Gegenteil. EInfacher wäre es doch, wenn mit dem Tod alle Erinnerung an den Menschen ausgelöscht würde. Traurig finden wir einen solchen Gedanken nur, weil wir uns an die schönen Dinge, die wir mit dem Menschen erlebt haben, erinnern. Wir wollen diese Momente festhalten, wir wollen sie zurück, ich klammere mich daran fest und breche am Ende doch nur wütend und verzweifelt weinend zusammen, weil die Momente nie wieder kommen und immer weiter weg schwimmen.
Ich habe keine schlauen Tipps für die Weihnachtstage, ich kann dir nur versprechen, trotz der schweren Zeiten, wirst du auch an diesen Tagen Momente zum Lächeln haben. Mach dir keinen Druck und nimm die guten Momente ,die leuchtenden Augen deiner Tochter, mit und wenn du ansonsten einfach nur " da durch" willst, dann ist das normal und in Ordnung finde ich.
Zum Schluss möchte ich dir auch noch fürs Zuhören danken und auch dir liebe Vilja. Ja, ich versuche mein eigenes Leben bei alldem nicht zu verpassen, aber das ist schwer. Ich ertappe mich oft bei dem Gedanken, wie schön es wäre, wenn ich einfach nur mein Leben leben könnte. EInen Schlusstrich ziehen, endlich mein Herz ein bisschen heilen könnte, beginnen könnte, die Geschehnisse zu verarbeiten. AUf bessere Zeiten hoffen könnte, statt immer nur auf das Schlimmste, das ja noch bevorsteht, der endgültige und komplette Verlust. Manchmal wünschte ich, dass das Leid meiner Mutter vorbei wäre und ich mich ohne Schuldgefühle mal wieder auf mich und meine Familie konzentrieren könnte. Kein schlechtes Gewissen haben müsste, wenn ich schöne Momente erlebe und genieße. Mir nicht, wenn ich von schönen Dingen erzähle, als Antwort anhören müsste, wie schlecht es meiner Mutter, meinen Eltern geht. Und gleichzeitig fühle ich mich dann doppelt schuldig. Denn welche Tochter wünscht ihrer Mutter den Tod? Und ich wünsche ihn ihr ja auch nicht, bin ja dankbar, dass sie noch da ist und freue mich über alles, an dem sie teilhaben kann, auch wenn sie nur zuschaut. Trotzdem ist da manchmal dieser Wunsch sich endlich nicht mehr ständig sorgen zu müssen, jede freie Minute zu geben, immer für jemand anderen stark zu sein. Einfach mal frei zu sein. Ich bin gleichzeitig eine furchtbare Tochter für meine Mutter und eine furchtbare Mutter für meine Kinder, weil niemand von mir so viel Energie und Zeit bekommt, wie er verdient hätte, ich mit den Gedanken jeweils oft woanders bin. Dasselbe gilt für meinen Mann, dessen Verständnis grenzenlos scheint, der aber dennoch traurig ist, dass ich nicht mehr Energie, Freude und Elan für ihn habe. Mir fehlt ein Mensch, der mal nichts von mir möchte, sondern für mich da ist. Das wäre früher meine Mutter gewesen. Jetzt ist da ein Vakuum, dass ich bisher durch nichts füllen könnte und wie ein schwarzes Loch manchmal mein ganzes Leben aufzusaugen scheint.