Oh meine arme liebe Alika,
Du bringst mich zum Weinen und Du hast so Recht... all' das habe ich auch erlebt.
Da man meine Mama und mich hier bei uns in der Stadt nur im Doppelpack kannte, werde ich ständig und von allen Seiten gefragt, wie es mir geht, dabei gibt es Menschen, die aus Interesse fragen und sehr mitfühlend reagieren - die Anderen fragen, um zu fragen, am besten ist immer die Frage: "Und...alles gut?
Das sind immer die Gleichen, denen ich schon x-mal geantwortet habe: "Nichts ist "gut", und wird es auch nicht mehr...wie auch?" Beim nächsten Zusammentreffen wieder das Gleiche: "Und? Alles gut?"
Mittlerweile sage ich nichts mehr, drehe mich weg und gehe weiter. Solche einfallslosen Mitmenschen braucht niemand. Einfach nur plump.
Die, die wirklich Anteil nehmen, fragen eher: "Geht's Dir immer noch so schlecht? Das tut mir leid, Du warst ja auch dermaßen eng mit Deiner lieben Mama, ich verstehe, dass sie Dir so fehlt. Dann bekommt man noch eine Umarmung und nimmt gute Wünsche entgegen. Das finde ich auch nett, auf die Dummen oder dumme Fragen/Bemerkungen kann ich verzichten.
Die Vorstellung, dass meine liebe Mama irgendwann stirbt, war für mich seit der Kinderzeit der blanke Horror. Ich habe immer gesagt, dass ich keine Sekunde ohne sie leben könne, dass mein Leben dann auch zu Ende wäre, das konnte niemand so richtig verstehen, ich glaube sogar, dass man mich für verrückt gehalten hat nach dieser Aussage. Meine arme Mama wusste, dass ich so denke, auch deshalb hat sie so gekämpft, all' die Jahre, in erster Linie für mich, das weiß jeder. Unsere Beziehung war - genau wie bei Dir und Deiner Mama- besonders, einzigartig, so tiefgreifend und voller Liebe, es war ein Geschenk.
So sah ich es auch als absolut "normal" und zusätzlich als meine Pflicht an, mich um sie zu kümmern, bei ihr zu sein, alles zu organisieren und zu erledigen. Es war für mich nie ein Opfer, ich habe es gerne getan und würde es, hätte ich noch einmal die Möglichkeit, absolut genau so machen, oder nein, ich würde noch mehr versuchen. Ich hätte, wie ich es vor vielen Jahren vor hatte, Medizin studieren sollen, dann wäre der Kampf gegen den Krebs vielleicht ein anderer gewesen, wobei mein Engagement im Rahmen meiner medizinischen Kenntnisse und Möglichkeiten den Ärzten (Onkologen, Hausärzten, etc.) oft genug sauer aufstoß...Kämpfe, die noch zusätzlich geführt werden mussten... als wenn die Krankheit als solche nicht schon schlimm genug ist, auch für die Angehörigen aber davon, dass die Angehörigen auch in einer schlimmen, verzweifelten Situation sind und eigentlich auch Hilfe brauchen (so, wie es in den Kliniken auf Plakaten sogar propagiert wird), habe ich nichts gemerkt, das Gegenteil war der Fall. Jedenfalls ist mein Vertrauen Ärzten gegenüber komplett gewichen, da gibt es nur noch ganz wenige Ausnahmen.
Traurige Realität ist, liebe Alika, dass wir Übriggebliebenen, nachdem wir alles Mögliche unternommen haben, über uns selbst hinausgewachsen sind und am Ende dann auch noch den Fortgang unserer Herzensmenschen mitansehen mussten, einsam und leer zurückbleiben. Die Aufgabe, die wir über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, gerne übernommen haben, gibt es nicht mehr. Ein großes schwarzes Loch hat sich vor uns aufgetan, wir fallen hinein und wissen aber garnicht, ob wir uns überhaupt noch einmal anstrengen sollen, um irgendwie wieder nach "oben" zu kommen. Zumindest empfinde ich es oft so. Und wie tut man sich selbst etwas Gutes? "Du musst jetzt mal langsam an DICH denken..."
Das hast Du bestimmt auch schon oft gehört, oder? Falls nicht, dann kommt's noch...
Kunststück! Für mich war meine geliebte Mama immer das Wichtigste...ging es ihr schlecht, ging es mir auch schlecht, das war so...jetzt soll ich mit Ü50 "an mich" denken...
Meine liebe Alika, Du siehst, wir sitzen mit vielen Anderen im gleichen "Boot", wir Paddeln gegen Wind und Wellen, unser Kapitän ging bereits über Bord. Entweder schaffen wir es gemeinsam, unser Boot in den nächsten Hafen zu schippern (Gemeinsam sind wir stärker) oder wir kentern.
Wir durchleben Gefühle von Trauer, Wut und Angst, leiden unter Selbstzweifel, Antriebs- und Freudlosigkeit, alles in ständigem Wechsel, mal mehr, mal weniger ABER: Es bleibt uns nichts anderes übrig: Wir müssen da irgendwie durch...
Fühle Dich nun ganz ganz fest gedrückt von mir , Sunflower 🌻