Liebe Leser,
liebe chris, liebe Kate, liebe Petra und alle , die ich hier kennengelernt habe.
Ich schaffe es nicht euch aufzuschreiben, wie das Begräbnis meines Kindes war. Seit Tagen überlege ich, doch finde ich keine Worte. Ich habe hier ein kleines Geschenk für euch, da es ein Auszug aus meinem Buch ist. Doch ich vertraue euch so sehr, das ich es hier hereinlasse.
Dies ist ein großer Schritt für mich und schwer.
Der Abschied
Jemand machte mir den Vorschlag, nicht am Begräbnis teilzunehmen. Es wäre besser, wenn mir dieser Anblick erspart bleiben würde. Doch das kam für mich überhaupt nicht in Frage. Auch nicht, das ich irgendwelche Beruhigungstropfen nehmen würde. Ich wollte diesen Tag ganz bewusst erleben. Ich wusste in diesem Moment genau was ich wollte und im Vorhinein genau, dass ich es mir niemals verzeihen hätte können, nicht dabei gewesen zu sein.
Ich war stark genug mich schwarz anzuziehen, meinen Sohn Marcel zu Recht zu machen, gemeinsam mit ihm und Michi in das Auto zu steigen und in Richtung Zentralfriedhof zu fahren. So nervös ich auch war, ich war auf eine Art gelassen, da ich wusste, das musste jetzt sein. Es war wichtig, Abschied zu nehmen.
Gemeinsam besorgten wir noch Rosen, die wir in das Grab schmeißen wollten.
Am Friedhof angekommen, sah ich meinen Vater und meine Großmutter. Auch meine Schwiegermutter und Maria waren bereits da. Wir gingen zur Aufbahrungshalle 1, beim zweiten Tor. Ich begrüßte die Leute, die vor mir standen und ging alleine in die Halle, um zu sehen, wo mein Kind lag.
Durch den Tod meines Großvaters, kannte ich mich ein wenig aus und fand auch gleich den richtigen Raum.
Da stand er. Mein Sohn. Umgeben von Kerzenschein und eine Menge Blumen. Ich sah, dass alles in Ordnung war und beruhigte mich.
Danach ging ich wieder zu den anderen hinaus, wo bereits Freunde der Familie gekommen waren. Es war schwer. Jeder hatte diesen gewissen Ausdruck in den Augen, der mir zeigte, dass nicht nur ich nicht verstand, welchen Sinn es haben soll, dass Eltern ihr Kind begraben müssen.
Dann war es soweit. Wir gingen geschlossen zu unserem Kind und verabschiedeten uns still.
Vor unserem Sarg lag noch ein anders Kind. Ein Mädchen. Doch ihre Eltern, so hatte ich den Eindruck, waren anwesend, ja sie waren da. Keine Blumen, kein schwarzes Gewand. Und vor allem keinen Namen für das Kind. Lediglich dieses: Mädchen und der Nachname waren zu lesen. Es soll jeder Abschied nehmen wie er will. Doch ich merkte, dass unser Kind aus Liebe willkommen gewesen wäre und weil das nicht so war, verdiente es einen gewissen Ernst. Diese Menschen waren halt da. Es gab einfach einen Unterschied zu uns. Denn spürte ich.
Marcel stand mit Michi vor dem Sarg. Er weinte und dürfte nicht verstanden haben, was hier eigentlich geschah. Wo war denn jetzt nur sein Bruder auf den er so gewartet hatte. Hier, in dieser kleinen Kiste? Plötzlich setzte Orgelmusik ein, und da war Marcel nicht mehr zu halten. Er schluchzte und weinte sosehr, dass ihn Michi nahm und mit ihm hinausgehen wollte. Der Anblick war herzzerreißend.
Nun stellte ich mich vor den Sarg und verabschiedete mich leise von meinem Kind. Ich sagte ihm, dass ich ihn lieben würde und ihn niemals vergessen würde.
Als ich mich nach vorne bewegte, glaubten alle ich würde zusammenbrechen, doch ich gab auf meine Hand einen Kuss und drückte sie dann auf den Sarg.
Nun konnten sich auch die anderen verabschieden.
Wir gingen alle wieder hinaus und warteten, bis man uns den Sarg vortrug. Zuvor wurde das Mädchen hinausgetragen und ins Auto gebracht. Dann kam unser Kind. Nachdem dieses beim Auto angekommen war, bildeten wir eine Schlange und gingen dem fahrenden Auto hinterher.
Es war ein langer und steiniger Weg hinter seinem Kind zu gehen.
Ich kann mich genau an diese Stimmung erinnern, es war so traurig.
Über uns flogen Flugzeuge Richtung Schwechat und dadurch waren wir etwas abgelenkt. Sie waren so groß und laut. Wir konnten uns gar nicht auf den Weg konzentrieren, denn für Marcel war das natürlich ein ablenkendes Erlebnis. Und seit dem 11.9.2001 ist es einfach unheimlich, wenn ein Flugzeug so „knapp“ über den Kopf fliegt. Überhaupt, wenn man sich gerade auf einem Friedhof befindet. Immer wieder sah ich auf den kleinen Sarg und fragte, wie es ihm wohl gehe. Endlich waren wir angekommen. Als der Sarg aus dem Auto herausgehoben wurde, hätte ich ihn am liebsten übernommen und selbst zum Grab gebracht. Aber das hätte ich wahrscheinlich gar nicht gemacht. Ich hätte ihn nie mehr aus meinen Händen gegeben.
Wir gingen alle dem Mann mit dem Sarg nach und unsere Begleiter stellten sich in einer Reihe auf.
Ich war die Erste beim Grab. Neben mir standen Marcel und Michi. Ich beobachtete die Situation genau. Als der Mann den Sarg in die Grube legen wollte, fiel ihm plötzlich ein Gegenstand aus seiner Hemdtasche. Es waren wohl alle zu sehr geschockt, denn niemand sagte etwas. Es war dem Mann auch peinlich genug.
Ich hatte für meinen gestorbenen Sohn ein kurzes Gedicht vorbereitet, dass ich ihm auf den Weg in den Himmel mitgeben wollte. Ich schmiss es gemeinsam mit meiner Rose in das Grab und wünschte ihm alles Liebe.
Ich sagte ihm.“ Auf Wiedersehen.“
Danach waren die anderen dran. Ich habe nicht zugesehen, es war so traurig sich endgültig zu verabschieden.
Als wir alle fertig waren, fing der Mann an, die Grube mit Erde auszuschütten. In der Zwischenzeit sprachen uns die anderen ihr Beileid aus.
Marcel äußerte den Wunsch noch einmal zum Grab gehen zu wollen, um sich noch einmal zu verabschieden.
Als ich diese Zeilen schrieb, erzählte er mir, was er zu ihm sagte und ich solle es jetzt schreiben:“ Du wärst mein Bruder gewesen, aber leider bist du gestorben.“ Dann fing er an zu weinen.
Es kann sich jeder vorstellen, welch Herz zerreißende Szene das war. Ein Kind steht vor dem Grab seines Bruders.
Ich wollte gar nicht weggehen von diesem Ort. Irgendwie war es dann doch soweit. Wir gingen in Kleingruppen zurück, Richtung Autos. Am Weg dorthin, daran kann ich mich gut erinnern, sagte ein Freund: Da ist doch etwas falsch gelaufen. Eltern gehen doch nicht ihrem Kind hinterher. Doch eher umgekehrt.
Tja lieber Freund, du hast völlig Recht, so sehen wir das auch.
Anschließend gingen wir noch etwas Trinken. Wir versuchten alle, das gerade erlebte in irgendeiner Weise zu übergehen und wieder ins Leben zurück zu kehren.