Alltägliches oder so

  • Guten Abend,


    vielleicht liegt es an der Hitze, vielleicht am Vielzuviel. Jetzt bin ich schon in einem Trauerforum angemeldet und merke, dass nichts rein- und nichts rausgeht. Ich schreibe wie ich lebe. Innen ist es oft so erdrückend bleiern und schwer, außen bin ich taff, solide, fröhlich und selbst wenn ich mal motze, ist doch irgendwie nichts zuviel. Und ich weiß nicht, ob es Show ist. Ich weiß es einfach nicht.


    Unter der Fassade muss ich einfach gestehen, dass die vergangenen 9 Monate wirklich nicht einfach waren. Seit dem 23.09.2012 ist mein Vater verwitwet und durch seine Trauer depressiv geworden. Fast 6 Jahre lang habe ich das mitgemacht. Bis 2015 mindestens zwei- bis dreimal pro Woche, nach seinem Zusammenbruch in 2015 täglich mit Urlaubsausnahmen. Nicht nur das - ich habe den Haushalt der Eltern geführt, damit es wenigstens dort halbwegs sauber und ordentlich ist - meiner ist total verlottert und momentan fehlt mir jegliche Kraft, die Ärmel aufzukrempeln und das in Ordnung zu bringen, was seit Jahren brach liegt. Mein Mann unterstützt, wo es nur geht, doch auch er ist lange schon über sein Limit hinaus. Gäste werden nur noch sehr vereinzelt ins Haus gelassen.


    Im Oktober letzten Jahres sind wir in die Bretagne gestartet - anlässlich des 60. Geburtstags einer Freundin - wir kommen an, wenige Tage später erfolgt die Nachricht, dass die Geburtstagsparty einer Trauerfeier weichen muss - ihr Lebensgefährte hat den Kampf gegen den Krebs verloren. Herbst und Winter waren furchtbar - meinem Vater ging es so schlecht wie lange nicht mehr und ich war mir irgendwann unsicher, ob meine klare Linie, ihn zu keinem Spezialisten mehr zu schicken und einfach in Ruhe zu Hause sterben zu lassen, wenn der Zeitpunkt denn da ist, wirklich so klar oder einfach nur verantwortungslos ist? Er hatte COPD im Endstadium und da wir uns in Sachen Zähigkeit, Trotz und Sturheit zu 100 % gleichen, hat man ihm die Schwere seiner Krankheit nie wirklich angemerkt und abgenommen - lediglich ich habe es tatsächlich mitbekommen - und irgendwann auch mein Mann. Den ganzen Herbst, Winter und halben Frühling durch habe ich immer um sein Leben gebangt - und dann holte ihn der Tod in einem Augenblick, wo ich es denn doch nicht vermutet hätte.


    Auch noch ein anderer Abschied dazwischen, der wirklich weh tat. Ich habe ein paar Jahre lang Gitarrenunterricht genommen, bin eigentlich noch Anfängerin und hatte einen Lehrer, der wirklich passte. Wir brauchten lange, bist wir uns verstanden - am Ende waren wir fast wie Freunde. Dann gab es während einer Stunde eine verbale Plänkelei - ich hatte ihn ein bisschen aufgezogen, eher noch liebenswürdig gemeint und er bekam es in den völlig falschen Hals - und schmiss mich quasi raus. Den Konflikt haben wir nie wieder geklärt bzw. ich ja, doch seinerseits erfolgte keinerlei Reaktion mehr. Ich sehe mich nicht schuldig - vermutlich habe ich ihn getriggert und verletzt, ohne zu wissen, wodurch und wie tief. Ich vermisse die Gitarrenstunden unendlich und habe auch in der Gegend bislang noch niemanden gefunden, wo ich mir vorstellen könnte, wieder einzusteigen. Was ich an seinem Unterricht sehr geschätzt habe, war es, dort abgeholt zu werden, wo ich gerade stehe. Im ersten Jahr gingen wir für die Basics nach Lehrbuch, doch ich liebe das Instrument so sehr, dass ich einfach für mich drauflos geklampft habe und später brachte ich immer das mit, was ich gerade spiele und wir erarbeiteten den Song dann einfach mit Noten und Akkorden. Als ich bei ihm aufhörte, begann ich mir das Zupfen anzueignen und komme da jetzt nicht weiter.

    Ichmuss noch erwähnen, dass er vor zwei Jahren seine über alles geliebte Frau (die ich auch sehr mochte) verloren hatte und es manchmal unglaublich schwierig war, mit der grauen Wand aus Trauer klar zu kommen.


    Naja, und alles andere wisst Ihr ja. Tod Vater, Tod Kollege, Tod Freundin.


    Und nun macht sich auch meine liebenswürdige ältere Dame, die ich hospizlich begleite, auf den Weg. Sie brach vergangene Woche durch die Hitze ein und ist nun bettlägerig im Krankenhaus, isst quasi nichts mehr und bekommt Wasser über eine Infusion zugefährt. So lange es so derartig heiß ist, wird sie auch leider nicht rückverlegt in das Altenheim, in dem sie seit Jahren lebt und liegt nun in einem kahlen Krankenzimmer mit wirklich nichts, gar nichts persönlichem an ihrem Nachtschrank oder Bett, weil sie anscheinend nur zur Beobachtung ins Krankenhaus sollte.

    Da sie keinerlei Familie oder Freunde vor Ort hat, besuche ich sie nun täglich - mit einem Teil mache ich das wirklich sehr gerne und trotzdem gibt es die besorgte Stimme in mir, die fragt, ob sich da nicht was wiederholt oder ob ich versuche, unausgesprochene Schuldgefühle zu kompensieren? Ein Anteil wird sicherlich mit dabei sein UND ich mag die Dame sehr sehr gern - eine Frau zum Liebhaben. Lustig, schelmisch und liebenswürdig. Ich finde das so unwürdig! Sie verweigert ja Essen und Trinken und trotzdem hat sie diese Kanüle in der Hand und bekommt gegen ihren Willen das Wasser. Ihr Tag besteht darin, rund um die Uhr zu liegen, die kahle Wand oder das kahkle Zimmer anzusehen, zu schlafen, zu atmen, dreimal am Tag kommt jemand in Sachen Pflege und Essensangebot und das war es dann.


    Ein Lichtblick: Da ich aufgrund meiner zeitlichen Tagesstruktur immer nur nach Feierabend ins Ehrenamt kann oder mal in der Mittagspause, werde ich fast ausschließlich in Heimen eingesetzt bei den Menschen, "wo Hopfen und Malz verloren sind". Das passt so für mich, doch da ich ja nun dieses tolle Buch de buddhistischen Hospizfachkraft gelesen habe, beginne ich mich sehr für das Verfahren der "basalen Stimulation" zu interessieren und habe beim Hospiz nachgefragt, ob mir hierfür eine Fortbildung gewährt werden kann. Die Bildungsbeauftragte hat es schon mal positiv abgenickt und nun muss es im Vorstand genehmigt werden.


    Es geht irgendwie nix rein, nix rauss. Ich habe viel geschrieben, bin aber nicht zufrieden. Lasse es jetzt mal so stehen und danke fürs Zulesen - und kippe jetzt rückwärts ins Bett - ich komme aus der Müdigkeit nicht mehr raus.


    Herzgruß,

    Hayat

  • Liebe Hayat,

    Jetzt bin ich schon in einem Trauerforum angemeldet und merke, dass nichts rein- und nichts rausgeht. Ich schreibe wie ich lebe. Innen ist es oft so erdrückend bleiern und schwer, außen bin ich taff, solide, fröhlich und selbst wenn ich mal motze, ist doch irgendwie nichts zuviel. Und ich weiß nicht, ob es Show ist. Ich weiß es einfach nicht.

    so unglaublich und so schmerzhaft es klingen mag - das ist die Trauer. Im Außen funktionieren, im innen erdrückend bleiern und schwer. Unzufriedenheit und Müdigkeit ...


    Kannst du deiner älteren liebenswürdigen Dame nicht etwas aus dem Altenheim bringen und auf den Nachttisch stellen? Warum sollten es Schuldgefühle sein, dass du dich um einen Menschen kümmerst?


    Ich wünsche dir, dass die bleierne Schwere dich manchmal aus ihren Fängen lässt und du dich immer wieder erholen kannst.

    Lg. Astrid.

  • Danke, liebe Astrid,


    mein "Schützling" liegt nun zum und im Sterben wieder in ihrem vertrauten Zimmer im Heim. Die Menschen dort haben ihr den Raum freundlich und für die letzten Wegemeter angemessen hergerichtet . Sie selbst trägt ein hübsches Nachthemd , die Haare sind gepflegt , wie sie es immer geliebt hat und eine spezielle beleuchtete Duftlampe sorgt für ein gutes Raumklima angesichts der Hitze. Ich mache gleich Feierabend und besuche sie für 2 Stunden , um das Personal zu entlasten . Bekomme schon den ganzen Tag lang nichts wirklich geregelt .


    Das Blei bewegt sich schwankend durch mein Gemüt, je nach Grad der Ablenkung . Ich mag die Dame sehr gern, doch ich bin jetzt auch froh, wenn diese Begleitung beendet ist und ich in die Pause gehe (bis zur nächsten Begleitung gibt es in der Regel einige Wochen Pause , um sich gut von der Person zu lösen und etwas auszuruhen).


    August bis Oktober will ich nun wirklich pausieren.


    Hayat