Ganz plötzlich ist sie nicht mehr da und was bleibt, sind Schuldgefühle

  • Hallo liebe Community,


    in den letzten Tagen habe ich mich in diesem Forum ein wenig umgesehen und mir eure verschiedenen Geschichten und die dazugehörigen Posts durchgelesen.

    Das hat mich dazu bewegt, es auch einmal mit meinem… „Problem“ hier zu versuchen. Ich weiß nicht, was ich mir davon erhoffe und ob es mir wirklich hilft, aber ich möchte euch meine Geschichte erzählen.

    Vielleicht noch kurz zu mir: Ich bin 27 Jahre alt und hatte bisher das unsagbar große Glück, noch keinen einzigen Todesfall in meinem familiären Umkreis gehabt zu haben... aber jetzt ist es ganz plötzlich passiert.


    Vor ziemlich genau einem Monat (am 12. April) ist meine Oma ganz plötzlich und unerwartet von uns gegangen. Ich kann es bis heute noch nicht ganz begreifen…

    [Das ist jetzt mein 3. Versuch, hier keinen Roman zu schreiben…]


    Omas sind irgendwann alt, vor allem, wenn man als Enkelkind schon weit über 20 ist. Omas sind alt und sie sterben irgendwann. Die Realistin in mir weiß das, aber das naive Enkelkind, das immer eine liebende Oma gehabt hat, die jeden Tag für sie dagewesen ist, die kann nicht verstehen, dass die Oma plötzlich weg ist. Einfach weg. Aus irgendeinem Grund habe ich den Gedanken, dass Oma eines Tages nicht mehr da sein könnte, immer nur als abstrakt und in unerreichbar weiter Ferne gesehen. In meiner Lebensplanung war für mich nie vorgesehen, dass meine Oma plötzlich nicht mehr da sein könnte… vor allem nicht so plötzlich. Es ging alles so unglaublich schnell… Donnerstag hieß es noch „Du wirst im Krankenhaus nur etwas aufgepäppelt, in ein paar Tagen kommt du wieder nach Hause.“ Freitag sagte der Arzt im Krankenhaus dann: „Damit hat hier niemand gerechnet… auch ich nicht, als ich vor 2 Stunden noch nach ihr gesehen habe.“ Meine Oma ist morgens im Krankenhaus zu einer Untersuchung abgeholt worden, zu dem Zeitpunkt ist Papa nach Hause gefahren. Als er 25 min später zuhause angekommen war, hatte er bereits verpasste Anrufe vom Krankenhaus. Er solle sofort zurückkommen, Oma läge im Sterben. Die Untersuchung hat nicht mehr stattgefunden. Und als Papa 25 min darauf wieder im Krankenhaus ankam, war Oma 5 min zuvor verstorben. Es ging so unglaublich schnell…

    Mir ist bewusst, dass Oma mit ihren 82 Jahren ein stolzes Alter erreicht hat und ich weiß auch, dass es besser für sie gewesen ist, einfach so einzuschlafen und nicht mehr den Leidensweg gehen zu müssen, der ihr am Donnerstag vom Arzt nach ein paar Untersuchungen noch offenbart worden war. Ich weiß auch, dass es ganz natürlich ist, dass ich so traurig bin, war sie doch mein Leben lang jeden Tag da. Ich bin mit ihr im selben Haus aufgewachsen, sie war quasi wie eine zweite Mutter.


    Mein ganz großes Problem, was ich mit mir selbst habe, sind meine Schuldgefühle. Um das zu erklären, muss ich leider ein klein wenig ausholen…

    Vor nun etwa 6-7 Jahren ist bei meiner Oma zwei Tage vor Weihnachten Magenkrebs diagnostiziert worden. Nach den Feiertagen kam sie ins Krankenhaus, ihr wurde der Magen entfernt, sie ging in die Reha, erholte sich und wurde ein halbes Jahr später von den Ärzten gesund erklärt. Soweit, so gut, sollte man meinen. In dieser Zeit jedoch, begann Oma sich sehr zu verändern. Sie entwickelte Charakterzüge, die man bis dato von ihr einfach nicht gewohnt war. Sie wurde rücksichtslos, zuweilen unverschämt und in den letzten 1-2 Jahren wurde es so schlimm, dass sie meinen Eltern ständig Schlechtes unterstellte und sehr gemeine Lügen über meine Mutter verbreitete. Das meiste davon habe ich nur durch meine Eltern und Brüder erfahren, da ich studienbedingt weiter weg wohne. Aber es reichte, um das Bild von meiner liebenswürdigen, hilfsbereiten Oma etwas zu trüben. Ich besuchte sie dennoch jedes Mal, wenn ich meine Eltern besuchte (schließlich war es ja nur ein Treppengang nach unten), aber irgendwann wurde aus dem Bedürfnis, meine Oma zu besuchen, ein unangenehmes Pflichtgefühl. Ich ärgerte mich immer öfter über ihr Verhalten und was sie sagte. Aus damaliger Sicht hatte sie ein großes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit. Jedes Mal, wenn man sie fragte, wie es ihr ging, bekam man eine negative Antwort. Es ging ihr nie gut oder ok. Das zerrte auf Dauer etwas an den Nerven, da sie doch von allen Ärzten immer bescheinigt bekam, dass sie gesund sei. Kerngesund, möchte man fast sagen.


    Heute weiß ich, dass ich ihr damit großes Unrecht angetan habe. Die Ärzte im Krankenhaus äußerten sich zu Omas Todesursache folgendermaßen: „Ihr ist zwar damals der Magen entfernt worden, um den Krebs zu besiegen, aber offenbar gab es doch schon Metastasen, die sich in Herz, Lunge, Nieren, Speiseröhre und Gehirn ausgebreitet haben.“ Für mich ist absolut unverständlich, wie das nicht entdeckt werden konnte, aber darum geht es mir nicht…


    Ich habe so damit zu kämpfen, dass ich Oma gegenüber so unfair gewesen bin. Ich war es nicht direkt, ich war ihr gegenüber niemals unfreundlich oder dergleichen, dafür habe ich sie trotzdem zu sehr geliebt. Aber all das Schlechte, was ich über sie gedacht habe und, dass ich es als lästige Pflicht empfunden habe, sie besuchen zu müssen, wenn ich mal zu Besuch im Elternhaus gewesen bin, das nagt so sehr an mir. Ich wollte mich bei ihr entschuldigen, ich musste mich bei ihr entschuldigen, aber wir haben es zu spät erfahren. Die Wesensänderungen gehen wohl auf die Metastasen im Hirn zurück. Mir ist klar, dass ich das nicht wissen konnte, niemand wusste es. Aber dieses Gefühl, ihr Unrecht getan zu haben, zerfrisst mich innerlich. Ich kann mich nicht einmal mehr daran erinnern, wann ich ihr das letzte Mal gesagt habe, dass ich sie so sehr liebhabe.


    Wie geht man mit so etwas um? Im Gegensatz zu Oma bin ich kein religiöser Mensch, ich finde keinen Trost in der Kirche. Mit meiner Trauer bin ich zwar nicht allein, ich kann mit meinen Eltern reden und auch mein Lebensgefährte ist mir eine unfassbar großartige Stütze, aber keiner von ihnen kann mir dabei helfen…

    Ich glaube, ich hoffe… dass es hier Antworten gibt…


    Entschuldigt, dass es jetzt doch noch ein so langer Text geworden ist…


    Liebe Grüße

  • ... jetzt geht es doch ...


    Mein Vater hatte vor vielen Jahren einen extrem starken Hintetwand-Herzinfarkt, sah sich schon im Bett liegen und er schwebte an der Decke ... er kam zum gr. Glück zurück, auch wenn die Ärzte viele Tage fast schon Wunderwerke verbrachten.

    Er war davor immer liebevoll, ausgeglichen, fröhlich ...


    Seit dem rastet er wegen nichts aus, schimpft ...

    ?!?!?!?!??!!!

    Die Ärzte sagten uns :"er wird sich verändern".


    Während dieser Zeit "sank" er mächtig in meinem Tochter-Vater-Liebes-Thermometer ...

    Ich hatte auch viele Schuldgefühle.

    Als Knall auf Fall vor 1 Jahr mein Mann starb (les, wenn es dich interessieren sollte bitte in meinem thread), plagten mich unendliche Schuldgefühle


    Durch realistisches überdenken, und sehr oft natürlich auch unrelistisches überdenken/fühlen bat ich ihn ix mal um Verzeihung ! & beteuerte ihm trotzalledem meiner ♡sens Liebe ihm gegenüber.


    Dadurch wurden bei mir die Schuldgefühle mit der Zeit weniger und weniger.

    Zwischenzeitlich erspürte ich, dass ich ohne Schuldgefühle bin.

    Wie schön !

    Und dies alles Situationsbedingt war & "damals" ehrlich, ich denke das ist Leben in allen Facetten.


    Vll können meine Worte bei dir etwas bewirken ... ?


    Liebe Grüße

    Stille Perle

  • Danke für deine Antwort, Stille Perle


    Ich weiß einfach nicht, wohin mit diesen Gefühlen. Jeden Tag geht mir durch den Kopf, wie leid es mir tut und, dass ich mich so gerne entschuldigen würde... aber irgendwie fühlt es sich immer so an, als sage ich das nur zu mir selbst.


    Ich habe angefangen, hin und wieder Oma zu schreiben, in einem Tagebuch... mehr aus dem Gedanken heraus, dass ich ihr eigentlich noch so viel erzählen wollte, aber auch da schreibe ich ihr, wie sehr es mir leid tut, aber es ist einfach... keine Ahnung. Es ist dieses beklemmende Gefühl, dass es zu spät ist.


    Liebe Grüße

  • ich verstehe dich nur zu gut !

    Ich kam mir auch lange Zeit einfach hilflos & schuldvoll vor und trug diese "empfundene Schuld" im Herzen mit mir herum.

    Auch ich schrieb ihm, (finde ich trotzdem immer noch sehr gut) hatte trotzdem das Gefühl -> es bringt ja nichts, nun ist er tot, hättest du zuvor anders reagiert, liebevoller gehandelt, öfters nach ihm geschaut ...


    Jedoch, stellt man sich diese Fragen nicht immer / jedes Mal, wenn ein lieber Mensch uns für immer verlässt ???

    Ich denke doch, ja, das macht man, jedes Mal auf's Neue.

    Bsp. 2x pro Woche jemanden besucht,

    1x gerne, das 2x schon naja, nerv, wird erwartet, nie ist es genug ...

    Woher soll ich mir denn immer die Zeit nehmen ?!?


    Stirbt der/-diejenige denkt man doch im Nachhinein :

    Hee, du hättest auch locker 3-4x /Woche hingehen können ...

    & das stimmt nicht !

    Da "erhöht" man etwas was nicht reel leb-bar ist.


    Deine Oma würde deine Schuldgefühle bestimmt nicht verstehen, wusste sie doch immer im ♡, wiiie lieb du sie -grundsätzlich- hattest !


    Vergib dir selbst !


    Stille Perle

  • Du hast recht... am Ende ist es nie genug. Was man auch macht, man hat nie genug Zeit, weil es immer etwas gibt, was man noch hätte machen oder ändern wollen.


    Ich glaube, es fällt mir gerade deshalb so schwer, mir selber zu vergeben, weil sie sozusagen mein einziger Großelternteil war, zu dem ich wirklich ein sehr gutes Verhältnis hatte. Ich habe zwar geschrieben, dass ich bisher noch niemanden beerdigen musste, aber verloren habe ich vor Jahren trotzdem meine Großeltern mütterlicherseits. Das hat aber mehr damit zu tun, dass Mamas Mutter eine schreckliche Frau ist, die meine Familie lange terrorisiert und fertig gemacht hat. Ihr Mann, mein Opa, leidet darunter sehr, weil er durch ihr Verschulden keinen guten Kontakt mehr zu seinen Töchtern und Enkeln hat.

    Ich vermisse meinen Opa W., weil ich doch weiß, dass er der einzige Großelternteil ist, mit dem ich noch normal reden könnte, jetzt da Oma nicht mehr da ist. Aber seine Frau verhindert es ... Und mein anderer Opa hat leider Alzheimer und muss seit 1 Jahr im Altenheim leben. Von ihm ist nichts mehr geblieben, außer seiner Hülle und manchmal der ein oder andere grantige "Ausruf".

    Meine geliebte Oma war die einzige Konstante unter meinen Großeltern; die, die mir am meisten bedeutet hat. Ihr das nie gesagt zu haben, fühlt sich einfach so unglaublich schrecklich an.


    Ich glaube dir, dass sie weiß, wie sehr ich sie geliebt habe, es sogar noch tue. Nur erdrückt mich das Bedürfnis, ihr das gesagt haben zu wollen. Es schnürt mir die Kehle zu, bereitet mir Kopfschmerzen. Ich hasse unerledigte Dinge, ich konnte damit noch nie gut umgehen. Dass diese Sache nun endgültig unerledigt bleibt, ist für mich einfach nur schrecklich.


    Ich versuche nun, es irgendwie mit meinem Opa W. noch hinzubiegen. Ich schreibe ihm Briefe und sage ihm, wie sehr ich ihn lieb habe und ihn vermisse... andererseits bereitet es mir auch ein schlechtes Gewissen, weil ich weiß, dass er deswegen Probleme mit seiner Frau bekommen wird.


    Wie man es macht, man macht es falsch...

  • ja, verzwickt ...

    Vll hast sogar den Mut zu deinem Opa W. zu gehen ... trotz seiner Frau, deiner Oma.


    DIR ist es wichtig, ihm gegenüber deine Gefühle als Enkelin zu zeigen & zes zu sagen.

    Da nimmt er sicher gerne die grandige Frau in Kauf ! ;-)


    Vll ist sie auch so, da sie selbst kaum oder fast nie gesagt bekam, dass sie gemocht/geliebt ist/wurde ?

    Im Laufe meines über 50-jährigen Lebens und meiner Arbeitsstelle habe ich viel gelernt ... & auch, dass alles, immer eine Geschichte dazu hat.

    Meistens stecken verletzte, zugedeckelte nicht gefühlte geliebtsesein/alleine/-einsam sein -Gefühle dahinter.


    Überrasche doch deine Großeltern mit einem Blumenstrauß und nem Paket Kuchen für euch 3, indem du plötzlich damit vor ihrer Haustüre stehst.

    Meinst du, du hast diesen Mut ?

    So wie ich dich "hier lese", denke ich ja :)).

    Was meinst du wie sie staunen werden & sich sicherlich freuen !


    Sollte !!! es nicht so sein, hast du dein bestmöglichstes getan.


    Denn es könnte ja sein, dass sie die Briefe, aus dem Familienzweig, für ihn, "abfängt".

    Es gibt viel ....


    Meine Eltern, in diesem Fall natürlich deinen Eltern, würde ich nichts davon erzählen.

    ICH würde es einfach tun.


    Meistens "hängt" dieses nichtgeliebtsein-Gefühl dahinter.

    Wobei es wirklich Menschen gibt, die sich sooo unmöglich benehmen, dass man dies nicht kann.

    (Ich habe von dieser Art Mensche 1 Tante, (puhhh -> Vermeidung).


    Ich mag auch keine unerledigten (persönlichen) Sachen, doch bei deiner Oma darfst du nun eine andere Denkweise entwickeln.

    Sonst quälst du dich, irgendwie umsonst, wenn mal etwas mit diesem Opa wäre.


    Und dein anderer Opa freut sich sicher auch über deinen Besuch, vll hast du ein paar Kinderlieder mit ihm gesungen oder er hat dir vorgelesen, ...

    Daran erinnern sie sich fast immer.


    Ich wünsche dir gute Entscheidungen und den Mut dazu


    Stille Perle

  • Meine Lieben,

    dieser im Nachhinein aufkommende Gedanke "hätte ich doch" kann in zweierlei Hinsicht nicht hilfreich sein. Zum einen kann Vergangenes nicht mehr geändert werden und zum andern macht sich dadurch in einem selbst nur das Gefühl der Ohnmacht und der Schuld breit. Und zwar grundlos, denn wenn man es zu diesem Zeitpunkt schon besser gewusst hättest, dann hätte man es eben auch besser gemacht. Wir können immer nur gemäss unseres eigenen Wissensstandes handeln. Es sei denn, wir wären Hellseher. Weil wir es jedoch nicht sind, können wir nur so handeln, wie wir es zu dem gegebenen Zeitpunkt für richtig hielten. Also tun wir uns selbst unrecht, wenn wir unser Tun im Nachhinein für falsch halten.