Hallo liebe Leute,
bin neu hier und entschuldige ich mich für den sehr langen Text. Vielleicht gibt es tatsächlich Leute die ihn sich trotzdem durchlesen.
Heute ist es 32 Tage her das mein Papa nicht mehr bei uns ist. Ich muss sagen, ich kenne ihn kaum im gesunden Zustand. Bin jetzt 29 und die letzten 10-15 Jahre waren größtenteils schlimm, seit ca. 5 Jahren ging es dann aber rapide bergab. In jungen Jahren bekam er schon eine Darmkrankheit weswegen er Medikamente nehmen musste die seine Nieren kaputt machten, im Jahr 2007 ging er dann zum Arzt weil er sich immer schlechter fühlte. Dieser stellte dann fest dann die Nieren kaum noch arbeiteten. Ab dann ging es los, er musste 3x wöchentlich an die Dialyse. In den folgenden Jahren ist er regelrecht „zerfallen“. Er hat‘s überhaupt nicht vertragen und lag danach oft den ganzen Tag im Bett. Auto fahren, mal einkaufen, all das ging relativ schnell nicht mehr. Ein normales Leben führte er schon lange nicht mehr. Ständigen Juckreiz bis zum geht nicht mehr, die Fuß- und Fingernägel sahen aus, als würden sie regelrecht „gammeln“, die Beine so dünn wie seine Arme, ohne Rollator konnte er die letzten Jahre keinen Schritt mehr gehen. Er hat unglaublich häufig über alles geklagt und gesagt, das ihm das Leben so keinen Spaß mehr macht (verständlicherweise). Er musste so viel mitmachen. Ständig war der Shunt am Arm entzündet, irgendwann wurde ihm ein Zugang am Hals gelegt, das lief auch nicht immer reibungslos, ach, es war einfach immer irgendwas. Meine Mutter hat am meisten unter allem gelitten, kapselte sich mit der Zeit immer mehr ab, hatte oft keine Lust rauszugehen und Freunde zu besuchen (sie hat einen unglaublich großen Freundeskreis), musste überall alleine hingehen, egal ob Geburtstage oder Hochzeiten, Besuch zuhause wollte mein Vater nie empfangen da es ihm zu anstrengend war, selbst wenn wir Kinder (habe noch 1 Schwester und 1 Bruder) mit ihren Kindern da waren war er oft zu müde… zudem hatte er noch die Krankheit Morbus Bechterew, er lief sehr krumm und konnte seit Jahren seinen Kopf/Nacken keinen Zentimeter mehr zur Seite oder nach oben und unten bewegen und hatte oft so starke Schmerzen das ihm manchmal die Tränen kamen. Trotzdem hat er immer wieder versucht seine Gymnastikübungen durchzuziehen. Irgendwann kam auch noch Herzschwäche dazu, ein Oberschenkelhalsbruch der nie richtig verheilt ist und ihm oft Schmerzen bereitete, auf seinem linken Auge konnte er auch kaum noch was erkennen.. So viele Baustellen. Dann die Hoffnung vor 2 Jahren. Seine Schwester wollte ihm eine Niere spenden. Nach einer ewig langen Zeit und vielen Untersuchungen und Gesprächen war es dann irgendwann soweit. Die Ärzte sagten vorher allerdings klar und deutlich, es würde ein schwieriger Weg werden aufgrund seiner vielen anderen Baustellen und sie könnten nichts versprechen. In der ersten kurzen Zeit danach sah es auch ganz gut aus, aber es dauerte nicht lange dann ging es immer mehr bergab. Da er ja kein Immunsystem mehr hatte bzw. haben durfte, hat er alles mitgenommen. Unzählige Harnwegsinfektionen, Lungenentzündungen, Viren und Wasser im Körper, Krea-Wert immer wieder schlechter, viele Untersuchungen, Punktionen…. Sein Leben sah die letzten 2 Jahre nur noch so aus: 2-3 Wochen im Krankenhaus, ca. 1 Woche zuhause, wieder 2-3 Wochen Krankenhaus.. immer im Wechsel. Die unzähligen Stunden die wir bei ihm im Krankenhaus verbracht haben, immer erneut auf Besserung hofften, immer wieder enttäuscht wurden. Er hat die Hoffnung aber nie aufgegeben, sich immer wieder durchgekämpft, darauf bin ich sehr stolz. Für ihn, aber auch für meine Mutter, meine Geschwister und mich + unseren Partnern war das einfach die Hölle.
Keine Reise haben mein (jetzt) Mann und ich in den letzten Jahren beruhigt antreten können. Wirklich abschalten war nie möglich, immer die Angst vor der Nachricht das wieder was passiert und er wieder ins KH gekommen ist, 2x war es dann auch so das wir gerade im Urlaub waren und er wieder eingeliefert wurde. Im März haben wir eine Kreuzfahrt gemacht. Ich habe vorher ewig drüber nachgedacht ob wir es wirklich machen sollen aber dann dachte ich, wenn man es wegen meinem Papa lässt dann dürfte man ja nie mal in den Urlaub weil er so gesehen ja ständig was hatte. Wir waren gerade den ersten Tag auf dem Schiff, da kam eine Nachricht per Whatsapp von meinem Papa…. das er nicht mehr kann und er ein Sterbensgefühl hätte und er einen Krankenwagen bräuchte. Ich bin so sehr vor allen Leuten angefangen zu weinen und hatte es einfach so satt. Ich habe zu meinem Mann gesagt „Warum schreibt er mir das jetzt? Ich bin auf dem Schiff, weit weg, kann nicht weg, warum kann nicht mal 1 Woche lang alles gut sein?“ Später taten mir diese Gedanken wieder Leid. Es stellte sich raus das die Nachricht versehentlich an mich ging, die sollte eigentlich an seinen Bruder. Ich rief unter Tränen meine Mama an und sie sagte, seine Psyche würde verrückt spielen, ich solle mir keine Sorgen machen. Aber der Urlaub war einfach gelaufen, ich konnte nicht abschalten. Das ist nur ein Beispiel – so ähnlich ging es mir die letzten Jahre in jedem Urlaub. Selbst die Ärzte waren verzweifelt und wussten oft keinen Rat mehr. Sie sagten immer das bei meinem Papa einfach alles sehr, sehr schwierig wäre weil er so viele Baustellen hatte.
Ich habe in den letzten Jahren so oft Angst gehabt und so viel geweint. Dazu kam das meine Mama mir so unheimlich Leid tat. So oft, wie ich einen Notarzt und Krankenwagen gerufen habe – das kann ich nicht mehr zählen. Sie hat immer so sehr geweint wenn er wieder abgeholt wurde.. Im Februar diesen Jahres dachte ich, es ist vorbei. Meine Schwester rief mich mitten in der Nacht an das meine Mama sie unter Tränen angerufen hat das sie bitte kommen soll, meinem Vater würde es mal wieder so schlecht gehen. Allerdings kam sie von einer Fete und hatte getrunken, also bin ich hingefahren. Der Notarzt war schon da, mein Vater war überhaupt nicht mehr bei sich, fantasierte extrem schlimm, konnte kaum Luft bekommen. Als sie ihn mitgenommen haben sagte meine Mama immer und immer wieder unter Tränen „ich kann das nicht mehr, ich bin auch nur ein Mensch und lebe nur einmal, ich mach das nicht mehr mit, das Leben ist die Hölle…“ zumal sie auch nicht gesund ist. Sie hatte 2004 einen Herzstillstand, seitdem einen Defibrillator und schlimm Asthma seit ihrer Kindheit.
Die Stunden vergingen in der Notaufnahme. Ich habe meinen Papa kaum wiedererkannt und er tat mir so Leid. Er war nur ein Häufchen Elend. Es stelle sich dann eine sehr schwere Grippe raus. Die nächsten Tage verbrachte er mehr schlecht als Recht auf Intensiv, es war aber nicht lebensbedrohlich.
Dann kam eine ganze Woche in der ich mich plötzlich selbst nicht wiedererkannt habe. Ich lag nur auf dem Sofa, konnte nicht arbeiten, habe sehr viel geweint, keine Lust auf nichts. Bin sogar in Trauerforen unterwegs gewesen und habe viel, viel gelesen und kam mir so blöd vor. Ich dachte immer wieder über mich selbst: „warum machst du das? Du tust ja so als wäre Papa schon tot“.. und so fühlte ich mich in der Woche irgendwie auch, als wäre er gar nicht mehr da. Habe mir sogar schon seine Traueranzeige vorgestellt, wie der Grabstein mit seinem Namen drauf aussieht, wie ich den Postkasten bei meiner Mutter öffne und die Trauerkarten rausnehme, wie die Beerdigung werden könnte.. ich schäme mich heute richtig dafür das ich die Gedanken zu seiner Lebzeit schon hatte, erschreckend… Bin irgendwie total in Trauer versunken obwohl er ja lebte. Er rappelte sich auch diesmal irgendwie wieder auf, als es dann aber grade wieder ging und er wieder zuhause war fing er sich auch noch den Norovirus ein – wieder Krankenhaus, 3 Wochen. Es war unglaublich.