Meine Mama wird gehen

  • meine mama stand mir mein leben lang sehr nahe (ich bin 40). sie ist relativ jung an alzheimer erkrankt, das war vor ungefähr 6 jahren, seit drei jahren ist sie in einem heim. mittlerweile geht es ihr sehr schlecht, sie wird wahrscheinlich innerhalb der nächsten sechs monate gehen.


    ich bin unendlich hilflos - die verständigung ist schon so lang nicht mehr möglich - zumindest nicht so, wie man sich das vorstellt oder wie ich es gerne hätte, sie erkennt mich schon lange nicht mehr. und doch weiß ich, dass sie auf andere art kommuniziert. es ist ein gewaltiger abgrund der uns trennt. ich kann sie nicht oft besuchen, weil mich ein besuch bei ihr zutiefst erschüttert und manchmal drei wochen vergehen, bis ich mich wieder aufraffen kann. dann sehe ich sie in ihrem bett liegen. ich spreche mit ihr und streichle sie. und dann muss ich gehen, weil ich nicht mehr ertragen kann.


    ich bin allein damit. ihr sohn, mein burder ist mit knapp 20 verunglückt (er war ein jahr älter als ich) damit konnte glaube ich keine von uns umgehen. es tut immer noch so weh, als wäre es gestern gewesen.


    eigentlich ist niemand ihrer freunde bei ihr geblieben. es gibt niemanden, der sie noch besucht. sie erkundigen sich manchmal bei mir und sind erschüttert, aber es traut sich niemand hin, oder möchte sie lieber so in erinnerung behalten, wie sie war: lebenslustig, fröhlich, immer an das gute im menschen glaubend.



    ich möchte ein wunderschönes begräbnis für sie organisieren - sie hat viel wert auf schöne dinge gelegt. gläubig ist sie nicht. ich muss damit jetzt schon beginnen , das ist zwiespältig, denn einerseits tue ich mir damit schwer, weil sie noch hier ist, andererseits habe ich das gefühl, dass ich endlich etwas sinnvolles für sie machen kann. dann stehe ich zum beispiel vor einer auslage um ein letztes Kleid für sie zu finden und bin wie gelähmt. aber ich möchte nicht in letzter minute schnell irgendetwas finden.


    es geht mir nicht gut. ich hoffe, das mir das forum hilft, damit besser zurecht zu kommen.

  • Hallo Geckolein,


    hast du wirklich niemanden, der dir jetzt ein bisschen zur Seite stehen könnte?
    Du bist gerade dabei, dich von deiner Mutter zu verabschieden, was sehr schmerzhaft für dich ist. Der Verlust deines Bruders, den ihr nicht bewältigt habt, kommt jetzt auch wieder hoch, was die Situation für dich besonders schwer macht. Da wäre es schon gut, wenn es noch eine Freundin oder einen Freund gäbe, die/der für dich da wäre. Vielleicht gibt es ja jemanden, nur der oder die weiß nichts davon, weil du nicht drüber sprichst?


    Vielleicht hilft dir der Gedanke, dass die Trauer, die du jetzt empfindest, ein Zeichen dafür ist, dass du mit deiner Mutter sehr verbunden warst/bist. Stell dir mal vor, du wachst morgen auf und die Trauer ist weg, spurlos verschwunden, sie kommt auch nicht mehr. Deine Mutter stirbt und auch dann - keine Trauer. Was wäre dann?
    Ich habe diese Frage unlängst einer Frau gestellt, die sehr plötzlich ihren Mann verloren hat und mir berichtet hat, wie unerträglich schmerzhaft es für sie ist, die gemeinsame Wohnung am Abend zu betreten. Auf meine Frage, was wäre wenn ..., hat sie geantwortet: Das ist unvorstellbar, das könnte nicht sein, das wäre nicht normal, wenn ich den Schmerz nicht hätte.


    Trauer ist der Preis, den wir dafür bezahlen, wenn wir im Leben das Glück hatten, jemandem sehr verbunden zu sein. Anders ausgedrückt: Trauer ist die Verlängerung der Liebe zu einer Person über den Tod oder einen Abgrund hinaus. In deinem Fall ist es nicht erst der endgültige Tod deiner Mutter, der in den nächsten Monaten zu erwarten ist. Deine Mutter ist in den letzten Jahren für dich schon viele Tode gestorben, - mit jeder Verschlechterung ihres Zustandes, den du ja als Abgrund bezeichnest. Du trauerst jetzt schon und du leistest Trauerarbeit, die andere oft erst nach dem Tod leisten. Das ist eigentlich "gut", denn du hast die Chance, dich dadurch sehr bewusst zu verabschieden.
    Vielleicht gelingt es dir, mit diesen Gedanken deinen Schmerz und deine Trauer anders zu bewerten und kannst damit öfter bei deiner Mutter sein. Ich wünsche es dir jedenfalls sehr. Sie erkennt dich zwar nicht, aber sie spürt, dass jemand da ist. Sie versteht dich zwar nicht, aber sie hört ja deine Stimme. Und genau das ist wichtig, dass sie sich sicher fühlt. Kommunikation mit Alzheimer-Patienten im letzten Stadium oder mit Sterbenden funktioniert sehr basal, sehr körperlich.


    Das Begräbnis jetzt schon zu planen, ist deine Art dich ganz bewusst und liebevoll zu verabschieden, indem du deiner Mutter und dir einen schönen Abschied planst. Ich kann mir schon vorstellen, dass du dich zwiespältig fühlst, aber was du machst, ist richtig und wichtig. Du wirst unmittelbar nach ihrem Tod nicht überwältigt sein von der Organisation der Bestattung, du wirst für den letzten Abschied Zeit und Ruhe haben und du wirst keine Schuldgefühle haben, weil du in der Hektik etwas unbedacht oder falsch gemacht/gewählt hast. Es täte uns allen gut, wenn es üblich wäre, so achtsam mit dem Abschiednehmen und der Abschiedsfeier eines Menschen umzugehen, wie du es tust.


    Alles Liebe und Gute
    Christine

  • liebe christine, vielen dank für deine reaktion - ich finde darin unterstützung von einem menschen, der schon erfahrung mit tod und trauer gemacht hat - das hilft mir vor allem deshalb, weil die menschen, die mir nahe stehen mir mit mitleid begegnen. ich bin dankbar dafür, trotzdem erlebe ich diese art von anteilnahme mehr und mehr als belastung. (ich höre immer wieder von denselben menschen sätze wie: "mein gott, du bist auch arm, weil du dich ganz allein kümmern musst....", "...solltest schon öfter hingehen", "wie gehts ihr dennn, ja, das ist schlimmm, ..." ) das ist teilweise sicher lieb gemeint aber ich glaube ich weiß jetzt, dass ich unterstüzung von menschen wie dir gebraucht habe. es gibt mir kraft weil du weißt, dass diese trauer, die ich schon seit jahren herumtrage unser gemeinsamer (meiner mutter und meiner) langer abschied ist, ich lese was du schreibst und erkenne, dass du das kennst - ich höre keine vorwüfe, auch keine versteckten. vielleicht tut es auch so gut, weil ich dich nicht kenne - du bist einfach ein mensch, der menschliches leid kennt oder damit umzugehen weiß. dafür danke ich dir und dafür, dass du mir mit deinen erfahrungen, die du auch mühsam gemacht haben musst, hilfst.

  • Hallo geckolein,
    erstmal möchte ich dir sagen, dass es mich sehr berührt hat, was du mir geschrieben hast. Danke. Es tut gut, mit Menschen darüber zu schreiben, die den Schmerz nachvollziehen können.
    Ja, du hast genau das auf den Punkt gebracht, was ich auch fühle... nur kein Mitleid... Ich habe deswegen auch den Fehler gemacht, dass ich es niemand erzählt habe. Meine Familie wohnt 600 km weit weg und als ich nach der Trauerfeier wieder nach Hause fuhr, hab ich es hier keinem erzählt. Ich wollte kein Mitleid. Ich hatte sogar Wut auf die Menschen, die es ja eigentlich nur gut meinten. Mein Vater gab mir damals den folgenden Rat: "Du musst den Menschen zugestehen, dass sie nicht wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen und was sie sagen sollen." Und ich habe angefangen mich von meinem Leid zu lösen und mich in die Lage der anderen versucht hinein zuversetzten. Klar, ich dachte "Hallo, ich bin diejenige, die den Schmerz trägt, warum soll ich den anderen helfen." Aber ich hab es versucht. Es hat geholfen. Ich sehe das Mitleid nicht mehr als schlimm an, ich sehe es als Unwissenheit der Anderen. Seitdem kann ich da drüber stehen oder sage auch nett formuliert, dass ich ihre Anteilnahme spüre und dass es dafür keine Worte bedarf. Wenn man das höflich formuliert, verletzt man auch keinen, bzw. ich habe gemerkt, dass die Menschen froh waren, dass sie sich nicht weiter dazu äußern müssen. Ich weiss nicht, ob dir das weiterhilft, aber vielleicht hilft es dir, dass ich das selbe gefühlt habe...
    Der Weg, den du momentan mit deiner Mutter gehst ist sehr schwer. Sprecht ihr denn über den Tod? Wie äußert sie sich denn darüber?
    Auch wenn ich dich nicht kenne, würde ich dich gern unterstützen. Wann immer dir danach ist, kannst du mir schreiben. Es hilft mit Menschen, die ein Familienmitglied verloren haben, zu schreiben, weil sie den Schmerz mit einem teilen können.

  • Hallo geckolein, hallo Mia,


    ich komme gerade aus meinem Toskana-Urlaub zurück: Ich teilte meine Wohnung mit zwei Geckos, die am Tag und in der Nacht sehr aktiv waren *ggg*! Daher habe ich immer wieder an geckolein denken müssen und war schon gespannt zu sehen, was im Forum während meiner Abwesenheit geschehen ist:


    Liebe Geckolein, es freut mich, dass du mit meinem Beitrag etwas anfangen hast können! Liebe Mia, liebe Geckolein, ich finde eure gegenseitigen Beiträge äußerst wertvoll für unser Forum! Danke euch beiden dafür!


    Alles Liebe
    Christine

  • liebe mia, danke für dein angebot. es bedeutet mir viel mehr, als du dir wahrscheinlich vorstellen kannst - ich habe noch nie eine frau getroffen, die ihren bruder verloren hat, du kennst das, was ich nicht erklären kann, wofür es keine worte gibt. wenn es dir gut tut, tauschen wir unsere erfahrung darüber aus.


    leider kann ich nicht mit meiner mama sprechen, sie kennt mich schon lange nicht mehr und das sprechen war neben der orientierung eine ersten fähigkeiten, die massiv abhanden gekommen ist. über den tod und wie wir damit umgehen haben wir nicht gesprochen, auch die jahre davor nicht, es war kein platz dafür.


    als sie die fähigkeit sich zu artikulieren verloren hat, war es erschütternd zu sehen, dass sie etwas sagen will, aber ganz andere worte herauskamen - irgendeine verbindung war plötzlich anders geschalten. anfangs wußte ich noch, was sie sagen wollte, nach und nach nicht mehr. die kommunikation funktioniert nun für "normale" Begriffe überhaupt nicht mehr (schon lange). mama merkt manchmal, dass jemand da ist, wenn ich sie anspreche - manchmal reagiert sie aber gar nicht. ich bin froh, dass ich ihr früher sehr oft gesagt habe, wie lieb ich sie hab und wie viel sie mir beigebracht hat und wie sehr sie mich unterstützt hat, durch ihren glauben an mich. sie hat mir sehr viel mitgegeben auf meinen weg.


    der umgang mit den mitmenschen empfinde ich dann schwierig, wenn ich spüre, dass nur neugierde dahinter steckt. immer kann ich das nicht unterscheiden - ich weiß auch nicht, es ist einfach ein gefühl.


    manche menschen, die mit mama befreundet waren haben mich auch verurteilt, weil ich mich dazu entschieden habe, sie im heim betreuen zu lassen. diese menschen wußten nicht wie schwierig die situation für mich geworden war - können sich wahrscheinlich auch nicht vorstellen, wie es ist, wenn man gefahr läuft sein leben um 100% umkrempeln zu müssen, weil ein angehöriger mehr und mehr zum pflegefall wird. es ist eine der schlimmsten entscheidungen gewesen, die ich treffen musste.


    ich denke, dass ich mich nicht kaputt machen lassen darf von umständen - ich bin auch kein mensch, der sich aufopfert, habe kein helfersyndrom und lebe mein eigenes leben. dazu hat mich meine mutter erzogen und ich glaube auch nicht, dass ich die verpflichtung habe, mein leben für meine mutter opfern zu müssen. ich trage, was ich tragen kann und wenn es zu viel wird, muss ich entscheidungen treffen, dir mir mein leben weiter möglich machen. es hat sich manches verändert im meinem leben ausgelöst durch die krankheit meiner mutter - und einiges davon würde ich gerne ungeschehen machen.


    ich vermute, es ist nicht möglich, entscheidungen zu treffen und dann einfach nicht darunter zu leiden. was immer wir entscheiden, die konsequenzen müssen wir tragen -das ist der preis. ich weiß, dass ich die richtige entscheidung getroffen habe.


    du mia und christine, ihr habt mir sehr viel mut gemacht. ich gehe meinen weg jetzt unbeirrbarer und meine traurigkeit wiegt nicht so schwer seit ihr mir mit eurem verständnis und euren erfahrungen geholfen habt.


    viel traurigkeit gehört zum leben dazu - ich mache jetzt diese organisationssachen für das begräbnis, weil es ein guter weg ist, noch etwas zu tun - einen abschied vorzubereiten, für den es keine gelegenheit mehr gegeben hat. der abschied ist deswegen nicht einseitig. wenn mama nicht mehr da ist, sollen die menschen sich nochmals an sie erinnern wie sie war. daran will ich arbeiten