Beiträge von Greteline

    Das mit dem Urwald ist ein sehr passender Vergleich, liebe Elster.


    Gestern Abend hat mich eine Kollegin besucht. Sie hatte vor ca 2 Jahren Brustkrebs gehabt und war sicher gewesen, dass sie stirbt. Hat sich sogar schon mit der Pietät unterhalten und alles geregelt. Stattdessen ist sie nun doch "geheilt", soweit man bei Krebs von Heilung sprechen kann, man weiß ja nie ob er wiederkommt.


    Damals hat sie sich ganz fest vorgenommen, dass sie ab sofort genau das Leben lebt, das sie leben möchte. Genau nach Ulrichs Motto: "Genieße das Leben, denn es ist endlich".


    Naja. Und irgendwie schafft sie es jetzt doch nicht, sich von ihrem Mann zu trennen.

    Hängt fest in einer Schlaufe der Erwartungen von überallher, traut sich nicht, weiß nicht wohin, ist unglücklich.


    So ein Leben will ja auch niemand ( so war es bei mir auch früher mal, ich kenne das).


    Habe ich es da sogar besser? Das Leben liegt vor mir, frei zu meiner Gestaltung. Sie muss erst noch eine riesige Leistung vollbringen, um an meine Stelle zu kommen.


    Naja, das Gleiche ist es dann nicht so wirklich, denn für sie wird Erleichterung sein, wo bei mir tiefste Trauer sitzt.


    So viele Leute tragen ein Päcklein oder auch ein riesiges Paket. Man sieht es nur nicht.


    Ich habe ihr angeboten, dass sie eine ganze Weile bei mir unterkriechen kann. Ich habe ja Platz.

    Vielleicht mache ich hier ein kleines Auffanglager für gestrandete Frauen auf... das täte doch allen gut.


    Ich würde gebraucht werden und wäre nicht allein.

    Ich habe solche Angst vorm Leben

    Ich lese hier so viele Berichte

    Ist die schöne, unbeschwerte Zeit wirklich für immer vorbei?

    Ich muss noch so lange leben

    Alle schreiben: die Trauer wird immer ein Teil von uns sein

    Ich habe solche Angst vor der Zukunft

    Das Leben war so schön

    Liebe Ute, die Polizei stand vor der Tür, weil die Ersthelfer/ Krankenwagen seine Brieftasche mitsamt Personalausweis sichergestellt hatten, dann wussten sie ja wo er wohnt. Auf der Suche nach Angehörigen haben sie hier geklingelt. Und weil sie niemanden angetroffen haben, klingelten sie dann noch bei den Nachbarn. Die gaben dann der Polizei meine Handynummer.


    Er war auf dem Parkplatz von seinem Lieblings- Lebensmittelgroßmarkt neben dem Auto zusammengebrochen.

    Ich hoffe sehr, dass für ihn alles schnell ging, dass er von der Woche auf der Intensivstation im Koma gar nichts mitbekommen hat.


    Liebe Christine, tut dir das gut mit seinen Schuhen? Auch da zeigt sich wieder, dass jeder anders ist. Ich habe sofort, als ich erfuhr dass er sterben wird, alles von ihm weggeräumt. Ich dachte, ich werde wahnsinnig, wenn ich überall auf seine Sachen stoße. Jedes Mal erst das Gefühl von Normalität und dann das schreckliche Durchzucken: "ach nein, er ist ja tot". Ich kann auch erstmal kein Bild von ihm hinstellen, ich heule auch so schon genug.

    Jetzt ist er schon fast 4 Wochen tot.

    Seit 5 Wochen habe ich ihn nicht mehr gesehen, denn ich war ja bei meiner Tochter.

    Im Koma, nur noch mit Stammhirn, gilt nicht.

    Vor 6 Wochen waren wir noch im Urlaub.


    Der Urlaub ist schon so weit weg, geradezu unwirklich. Als hätte es diesen Urlaub nie gegeben.

    Es gibt komische Leute, die sagen: Toll, dass ihr noch so einen schönen Urlaub miteinander hattet.


    Damit kann ich gar nichts anfangen. Das hilft oder tröstet so gar nicht, der Urlaub ist da völlig egal.


    Ich komme mit meinen Gefühlen nicht klar.

    Nicht nur der Urlaub, der ganze Uli kommt mir so unwirklich vor.

    Wie ein Spuk in meinem Leben.

    Versteht das irgendjemand?

    Mein Herz weint den ganzen Tag.

    Ihr seid so lieb. Das tut mir gut. Danke.


    Unser Pfarrer hat den Pfarrer einer Nachbargemeinde angeschrieben und da ist offenbar eine weitere Trauernde in meinem Alter, die ebenfalls Kontakte sucht. Ich habe jetzt ihre Nummer und ihr eine whattsapp geschrieben. Hoffentlich ist sie nett! Es wäre toll wenn ich so jemanden finden könnte, auch so zur Freizeitgestaltung. Außerdem findet nicht so weit weg jeden 4. Sonntag im Monat ein Trauerfrühstück statt, wo auch Leute in meinem Alter anzutreffen sind.


    Gestern war ich ja wandern...

    Es war ok. Wir waren zu viert. Ich kannte nur eine davon, sie hatte mich eingeladen mitzulaufen. Ich sagte, ich komme nur mit, wenn die anderen wissen dass ich nicht gut drauf bin und bereit sind mich zu ertragen. Und sie waren bereit.

    Wir sind 23 km gelaufen, und dabei ging es auch ganz arg rauf und runter. Das hat mich sehr erschöpft, aber es war auch gut sich mal wieder richtig zu bewegen. Normalerweise bewege ich mich sehr viel, durchs wandern, fahrradfahren, auf Bäume klettern, durch Röhren robben, auf Bäume klettern... was man halt alles so macht als Geocacher. Aber seit vier Wochen mache ich ja nichts mehr.


    Aber normalerweise wandere Ich ja mit Uli, und da gibt es ja auch Rituale. Gestern musste ich ohne diese Rituale wandern, das tat auch schon wieder weh.


    Normal ist: wenn uns ein Pferd entgegen kommt, sagt Ulrich: "Chavalerie!"- jetzt habe ich bei jedem Pferd "Chavalerie!" geflüstert und dabei geweint.


    Normal ist: wenn es sehr steil rauf geht, über Steine und Wurzeln und man schafft es kaum, dann sagt einer von uns: "Gut dass wir die Fahrräder nicht dabei haben!" Gestern ging es sehr steil rauf, und ich sagte laut: "Gut dass wir die Fahrräder nicht dabei haben!" und alle lachten und hielten es für einen spontanen Witz.


    Am Sonntag wird ja Ulis Abschiedsfeier sein.

    Kennt ihr das Lied "Das Leben ist schön" von Sarah Connor? Das hat Ulrich immer gehört wenn er nostalgisch wurde.

    Esther, bei der wir zusammen Gesangsunterricht genommen haben, übt es gerade auf der Harfe und zu singen. Für seine Abschiedsfeier.

    Was für ein schrecklicher Tag, nun ist er fast vorüber.

    Ich musste die Urne nicht tragen.


    Es war grauenhaft. Die Pfarrerin dachte, ich kippe gleich um. Habe selbst gemerkt wie ich auf der Stelle rumschaukel. Konnte nicht anders.

    Mir laufen schon wieder die Tränen.

    Wie lieb ihr alle seid! Danke, danke, danke für die schönen Ideen und Gedanken. Ja, ich werde ein Haar von mir mit reinschmuggeln!


    Leichenschmaus ist ein so grauenvolles Wort. Meinen ersten Leichenschmaus erlebte ich mit 12 Jahren, da war mein Opa gestorben und es wurde Bienenstich serviert. Das war so schlimm für mich, dass ich seitdem keinen Bienenstich mit Genuss essen kann. Das ist für mich Leichenkuchen.


    Morgen gibts bei dem einen Sohn zu Hause Würstchen.


    Heute früh das Pfarrgespräch (für den 21.) war gut. Ich muss Eva nur ein paar Fotos schicken, sie kümmert sich bzw. deligiert an die Theatergruppe ums Ausdrucken, Größe auswählen, Bilderrahmen drum. Auch wird sie sich drum kümmern dass der Fleischkäs' und die Brötchen besorgt werden. Ich werde Ulis Fahrrad, seinen Campingklappstuhl und noch ein paar kleine Gegenstände, die ihn ausmachen, um den Altar herum dekorieren. Jeder Gast darf, wenn er möchte, eine Kerze anzünden und in ein großes Holzherz hineinstellen. Esther wird Harfe spielen und vielleicht auch singen. Jeder, der eine schöne Erinnerung an Ulrich teilen möchte, wird dazu eingeladen, dies laut zu tun, Teilnehmer von der Theatergruppe trauen sich bestimmt und bereiten da schonmal was vor, vielleicht trauen sich dann spontan auch andere, etwas zu sagen. Es wird bestimmt sehr schön und persönlich.


    Ich habe ziemlich viel Papierkram und alte Fotoalben zusammengesucht, den packen wir morgen in den Kofferrraum und bringen ihn den Söhnen mit.

    Guten Morgen,


    um 10 Uhr kommt der Pfarrer zu mir, um die Abschiedsfeier am 21. zu besprechen. Eva kommt auch. Eva übernimmt die Organisation, da bin ich sehr dankbar. Eva ist eine liebe Freundin von mir, sie war einige Male mit uns unterwegs im Womo, hat oft gegessen was Ulrich gekocht hat und sie ist hier Gemeindesekretärin. Also genau die Richtige um hier zu unterstützen.


    Es ist seltsam mit den Menschen. Jeder ist anders. Das ist gut so, macht die Sache aber nicht immer einfach. Ich nehme mir fest vor: wenn irgendwann in meinem Umfeld jemand stirbt, will ich für den Hinterbleibenden da sein. Aber ich darf ja nicht davon ausgehen, dass derjenige dann genau das gleiche braucht wie ich.


    Christine wollte nach Silvios Bestattung nur noch alleine sein- ich habe mir extra eine Freundin eingeladen, um die Folgenacht neben mir zu schlafen.

    Linchen hätte so gerne die Urne getragen- für mich das pure Grauen

    Daggi (kennt ihr nicht) wollte nach dem Tod ihres Mannes nur alleine sein und war genervt von jedem, der an der Tür klingelte. Sie sagt aber selber: wenn niemand geklingelt hätte wäre es auch nicht recht gewesen

    Das Thema "Melde dich, ich bin immer für dich da" hatten wir ja schon- ist auch nicht gut.

    Ich glaube, behutsam klingeln und anbieten dazusein und zuzuhören ist ein guter Weg. Dabei aber spüren, ob man besser wieder gehen sollte.


    Ich weiß einfach noch nicht, was für ein Blümchen ich morgen zu Ulis Urne lege. Ich darf ja nur was ganz kleines in den Friedwald mitbringen. Alles was aus dem Blumenladen kommt und gebunden ist, kommt mir so gekünstelt vor, sowas hatten wir hier eigentlich nie. In meinem eigenen Garten wächst nichts.

    Guten Morgen,


    der Tag des Grauens nähert sich. Freitag ist Urnenbestattung. Ich hoffe, dass mir gar nicht angeboten wird die Urne zu tragen. Denn wenn ich sie tragen muss werde ich ohnmächtig. Aber ausschlagen kann ich es auch nicht. Ulrich hätte meine Urne festgehalten bis zum Schluss. Ich kann doch nicht sagen: och nö, tragt sie mal selber oder tut sie auf den Karren... Wenn ich sie tragen muss, muss ich sie dann auch loslassen. Ogott, ich habe solche Angst vor Freitag.


    Ulrich hatte sich schon eine kleine Weile ein Wohnmobil gewünscht. Er wollte so gerne einen Kastenwagen selbst ausbauen. Und ich habe ihn erst ausgebremst: was das kostet, wie viele Nächte in schönen Hotels kann man stattdessen mit dem Geld bezahlen, rentiert sich doch gar nicht... Heimlich war er in facebook- Gruppen "Kastenwagen Selbstausbau" und so unterwegs, er hatte schon einige Ideen wie er es machen wollte...


    Dann rief mich ein Freund an. Er berichtete, dass er jetzt leider Krebs habe. Zwar keine schlimme Form, gut heilbar, aber es habe ihn über die Endlichkeit des Lebens nachdenken lassen. Und er hätte sich schon länger ein größeres Boot gewünscht. Ein kleines Boot hätte er zwar schon, aber ein größeres sollte es sein. Und das erste, was er gemacht hat nach der Diagnose? Größeres Boot gekauft.


    Dann erzählte ich ihm, dass Ulrich sich ein Wohnmobil wünscht. Und Stefan sagte: "Macht es. Und zwar JETZT."

    Am selben Abend gab ich Ulrich das OK zum Kauf vom Kastenwagen. Er wusste schon genau wo sein Wunschauto gerade zum Verkauf steht, eine Woche später stand es fertig angemeldet bei uns vor der Tür. Der Umbau begann, und vier Wochen später ging Corona los. Da hätte es so ein Auto, wenn überhaupt, nur noch zum doppelten Preis gegeben.

    Seitdem waren wir ständig unterwegs, es war wunderbar und ich habe es nicht eine einzige Sekunde bereut. Geocaching in Kombination mit Wohnmobil ist perfekt! Ich kann gar nicht mehr sagen, warum ich mich anfangs so gesträubt hatte, aber ich bin so froh dass ich doch recht schnell die Kurve gekriegt habe.


    Und jetzt gerade während unseres Urlaubs im Baltikum rief Stefan mich wieder an. Er stirbt. An dem Krebs. Dies ist sein letzter Sommer. Er lädt uns ein zu seinem 60., letzten Geburtstag. Wir sagten sofort zu. Ich sagte zu Stefan: Dir haben wir die schönste Zeit unseres Lebens zu verdanken.


    Und dann starb Ulrich zuerst. Neun Tage vor Stefans letzter Party. Ich rief Stefan an, wir weinten zusammen. Um Uli, um Stefan... ich sagte ab für die Party. Ich konnte da jetzt nicht alleine hin, zumal es 350km zu fahren wären, dazu fehlte mir die Kraft.


    Vorgestern rief Stefan mich wieder an. Er ist jetzt ein Pflegefall. Es geht rapide bergab mit ihm. Zu seiner Party hat er sich aus dem Krankenhaus beurlauben lassen.

    Seine Frau überlebt das letzte halbe Jahr nur mit Tabletten. Sie sind auch erst seit 6 Jahren zusammen und so glücklich.


    So ein langsames Sterben ist auch nicht gut. Also, aus Ulis Sicht hat er es richtig gemacht. Grausam für mich, aber anders ist es auch grausam.

    Und vor Allem: viel zu früh.

    Hallo Christine, ja, wir sehen wohl beide jünger aus als wir sind. Mein Foto ist ca 1,5 Jahre alt. Ist deins aktuell? Wie 81 siehst du da auch echt nicht aus!

    Was zu Ulrichs Tod geführt hat, weiß man bis heute nicht genau. Lies nochmal meinen allerersten Bericht hier in meinem Wohnzimmer, da steht alles drin was ich weiß. Komisch sind halt die hohen Entzündungswerte, man weiß einfach nicht woher die rühren. Allerdings hatte er die schon länger. Ehrlich gesagt hatte ich schon öfter heimlich gedacht, dass wir nicht zusammen alt werden, also dass er nicht so richtig lange leben wird. Er hatte einige Baustellen. Mehrere Bandscheibenvorfälle, seit dem letzten war das linke Bein gefühllos. Bluthochdruck. Immer wieder sehr schmerzende, dicke Füße. Arthrose vielleicht? Oder Rheuma? Man war auf der Suche. Vielleicht eher kein Rheuma, stattdessen Borreliose? Manchmal Cortison deswegen. Und eben diese hohen Entzündungswerte, aber niemand fand die Ursache heraus. Und übergewichtig war er und hat viel zu viel Fleisch gegessen. Wie dein Sohn. Geraucht hat Ulrich nicht mehr, das hatte er sich für mich abgewöhnt. Also, sein Körper war einfach nicht so richtig gut beinander.

    Ist dieser Freund von dir am Alkohol gestorben? Warst du mit ihm zusammen?


    Ja, von Gießen hattest du schon geschrieben, das ist von hier noch ca 70km nördlich. Mein Sohn hat dort Freunde.

    Hallo Christine, naja, einige Parallelen haben wir schon! Ich war auch zweimal verheiratet, habe drei Kinder und drei Enkel! Die sind allerdings noch klein. 7, 5 und 1 Jahr alt. Wohnen aber 260 km von hier entfernt. Mit Uli war ich nicht verheiratet. Wir hatten zwar mal drüber geredet es vielleicht aus Vernunftsgründen zu tun (eben damit man vielleicht mal im Krankenhaus nicht lügen muss dass man verheiratet sei, so wie ich es jetzt tat- ich wundere mich immer noch wie gut ich damit durchkam). Aber viel umgezogen wie du bin ich nicht.

    Früher konnte ich grundsätzlich nicht alleine sein. Also, mal Zeit alleine verbringen, das schon, aber ich musste unbedingt einen Partner haben, wahrscheinlich habe ich daraus mein Selbstbewusstsein gezogen, und deshalb bin ich von einer gescheiterten Beziehung in die nächste gestürzt. Das ist jetzt nicht mehr so, hoffe ich. Ulrich hat etwas in mir verändert. Er hat mich so sehr geliebt, dass ich jetzt weiß: ich bin liebenswert. Ich muss es niemandem mehr beweisen, indem ich einen Mann an der Seite habe.


    Grundsätzlich kann ich schon alleine sein, nur halt im Moment nicht.

    So, jetzt versuche ich mal ein Foto anzuhängen, ich kann das echt nicht so gut. Und ich finde mich so unfotogen, ich hatte es durchaus schon so verstanden gehabt dass du gerne ein Bild hättest, hab das aber geflissentlich überlesen. Aber ok, dieses hier geht so einigermaßen.

    Ja, liebe Christine, das hoffe ich ja auch. Ich lese hier ganz viel in den anderen Wohnzimmern, und viele davon machen ja wirklich Hoffnung. Diese Veränderung, die man da manchmal mitverfolgen kann. Von tiefster Trauer und Hoffnungslosigkeit ohne Perspektive, und irgendwann kommen die kleinen, wohlbekannten Lichtlein von irgendwo her, bis dann doch ein neues Leben beginnt. So weit sind wir noch nicht. Kann ja auch nicht. Aber irgendwann kann. Hoffentlich.


    Ich hatte ja schon mal geschrieben: gerade drei Wochen vor seinem Tod hatte Uli zu mir gesagt: "Versprich mir, dass ich vor dir sterbe." Er hatte selber ja schon mal eine Frau an Brustkrebs verloren und wollte dieses Leid auf keinem Fall nochmal durchstehen.


    Ich versuche nun, es als letzten Liebesdienst zu sehen. Mein Leid jetzt ertrage ich ihm zuliebe, damit er es nicht muss. Es tut mir unfassbar weh, und ich hätte ihm so sehr gewünscht dass er noch eine lange schöne Zeit gehabt hätte. Ich versuche mir zu sagen: Ja, das wäre schön gewesen. Aber er vermisst es ja nicht. Er schaut ja jetzt nicht auf die Erde und denkt: Mist, viel lieber wäre ich jetzt da unten. Ich habe keine genaue Vorstellung davon wie es ist tot zu sein. Entweder da ist gar nichts mehr, oder es ist schön. Vielleicht kann er da Tag und Nacht Schweinehaxe essen. Eigentlich hat er es ja richtig gemacht (abgesehen vom Zeitpunkt, viel zu früh- genau wie dein Sohn, Christine). Umfallen, bewusstlos, fertig. Von der Woche auf Intensivstation hat er ja höchstwahrscheinlich gar nichts mitgekriegt. Ich glaube, ein langer Pflegefall will ja keiner sein. Für mich ist es natürlich das pure Grauen, und alles so plötzlich! Aber wie gesagt: das ist mein letzter Liebesdienst an ihm.


    Ist es nicht schrecklich, dass man eigentlich im Voraus schon weiß: bei jedem Paar wird einer zuerst sterben und der Andere muss die Trauer ertragen.

    Ich denke, ich werde mich nie mehr an einen Mann binden. Erstens ist Uli einfach nicht ersetzbar. Zweitens möchte ich diese Trauer nicht nochmal durchleben. Ich gehe nämlich davon aus, dass ich selber uralt werde, das bedeutet, dass ich auch den Folgemann überleben würde. Und dann dieser ganze Scheiß nochmal!


    Gestern Abend war ich wirklich auf dieser Theater- Feier. Ich habe in unserer whattsapp- Gruppe gefragt, ob noch jemand einen Platz für mich im Auto hat. Sofort antwortete eine, dass sie mit der S- Bahn fährt um .... Uhr und toll, wenn ich mitkomme. Da habe ich nur noch losgeheult. S- Bahn! Kein Platz für mich ihn irgendeinem Auto! Versteht mich nicht falsch, ich habe normalerweise gar nichts gegen die S- Bahn, aber im Moment brauche ich es einfach dass man sich ganz lieb um mich kümmert und mich an der Haustür abholt, an die Hand nimmt, mich ins Auto setzt... ich habe dann geschrieben, dass mir für die S- Bahn die Kraft fehlt. Und sofort kam ein Auto- Angebot. Die mit der S- Bahn war einfach zu schnell gewesen mit ihrer Antwort.


    Ich versuche meine Freizeit vollzustopfen, um nicht alleine zu sein.

    Heute: mit Ingrid in die neue Pizzeria

    Mittwoch: mit Petra puzzeln

    Donnerstag: mit Esther auf der Couch rumhängen

    Freitag/ Gruseltag wegen Urnenbestattung: Edith schläft neben mir im großen Bett

    Samstag/ Tag nach Grusel: Anja passt auf mich auf

    Sonntag: die bereits erwähnte 21km- Wanderung (bin mir immer noch unsicher ob das nicht zu viel ist im Moment)

    Montag: Theaterbesprechung

    Dienstag: Sohn plus Freundin kommen und kochen hier


    Gestern habe ich mit meinem Arbeitgeber telefoniert (Öffentlicher Dienst): es gibt eine neue Regelung. Auch ich, obwohl ich "nur" ein "eheähnliches Verhältnis" hatte, bekomme zwei Tage Sonderurlaub. Da nehme ich den Gruseltag und dann noch den Montag nach der Abschiedsfeier.

    Liebe Mayatochter,

    ich habe bisher hier nur still mitgelesen, jetzt gerade merke ich dass es mich richtig, richtig freut dass du über deinen Berg der Angst gut rübergeklettert bist, das Schlimmste vorbei ist, und jetzt wird alles gut. Ich wünsche dir eine gute Genesungszeit!

    Das klingt toll, Christine. Schön dass dir das Lesen so viel gibt. Von dieser Auswahl habe ich nur mal einen Erzählungen- Band von Tolstoi gelesen, einige Geschichten davon hatten mir auch sehr gut gefallen. Im Moment gelingt mir das Lesen nicht. Ich versuche es und merke dann, dass ich gar nicht verstanden habe was da steht, weil die Gedanken nicht dabei sind.

    Ich spiele gerade viel am handy, aber das ist egal. Linchen sagt ja: die Aufgabe ist gerade nur die Tage zu überleben, und das mache ich damit.

    In die Natur gehen wie Linchen ist auch eine gute Sache. Ich merke, dass mir ein bisschen Wind gut tut. Damit ich meinen Körper spüre, der Wind versucht eine Last von mir wegzutragen. Gelingt ihm zwar nicht, aber er bemüht sich. Ich laufe draußen rum und denke die drei Worte: ICH - JETZT - HIER

    Damit versuche ich, meine traurigen Gedanken ein bisschen abzuschütteln und das Schöne um mich herum wahrzunehmen. Gelingt zwar auch nicht. Irgendwann vielleicht.

    Fernsehen ist nicht so meins. Also, handy spielen, rausgehen, versuchen Leute zu treffen aber wohldosiert, hier schreiben und Mandalas anmalen.


    Eine Kollegin fragte mich heute, ob's mir denn inzwischen besser geht. Hallo, spinnt die? Geht das jetzt schon los, die Trauerfeier steht noch bevor und sie erwartet dass ich allmählich wieder normal werde? Das hat mich wirklich umgehauen. Was denkt die!!!!

    Es dauert jetzt so lange, bis sich genug Wäsche ansammelt um die Waschmaschine zu starten...

    Das Gleiche mit dem Geschirr, vorher lief die Maschine mindestens jeden 2. Tag, jetzt starte ich sie halbleer, wenn es anfängt zu stinken...


    Das ist bei euch sicher genau so?


    Das ist alles nicht richtig.


    Das einzige das voll wird sind die Mülltonnen. Ich habe angefangen, vor allem Papierkram auszusortieren.


    Das Wochenende habe ich bei Freunden verbracht, ich durfte dort auch übernachten. Sie haben mir ihr neues Wohnmobil gezeigt, sie haben es erst seit ein paar Tagen und hatten sich so sehr darauf gefreut es Uli zu präsentieren. Jetzt war ich halt alleine da.


    Wir sind ein kleines bisschen gewandert, nur so vier Kilometer, zum Teil recht steil und ich war sehr schnell erschöpft. Nächsten Sonntag wollte ich eigentlich eine Wanderung von 21 km machen, da bin ich jetzt eher skeptisch ob das nicht doch zu viel ist. Ich freue mich ja wenn Freunde mir ein Angebot machen um Abende und Wochenenden zu füllen, aber über nächsten Sonntag muss ich nochmal nachdenken.


    Christine, von dir weiß ich ja, du liest sehr viel. Was denn so? Und ihr anderen, Bettina, Linchen, wie füllt ihr schwierige Zeiten?

    Nein, ist nicht schlimm. Da gibts echt Schlimmeres. Und dein Sohn sieht wirklich nett aus. Einer, mit dem man gerne Zeit verbringt.

    Und nein, ich wohne nicht in Rheinland- Pfalz. Seine Söhne wohnen dort, und ich durfte entscheiden wo er bestattet wird, und ich habe mich für den Friedwald in der Nähe der Söhne entschieden. Ich wohne in Hessen, deshalb gibt es für seine Freunde hier noch die Abschiedsfeier. Damit nicht alle, die Abschied nehmen wollen, 180km fahren müssen. Ich hoffe sehr dass ich es nie bereuen werde, ihn so weit weg zu geben. Wir fanden halt beide Friedwälder immer schön, und dort ist einer, wir hatten uns den auch mal zusammen angeschaut. Hier ist zwar auch einer, aber der gehört zu einer Gemeine mit der wir so gar nichts verbinden. Und aus Erfahrung (meine Eltern) weiß ich, dass es mir so gar nichts gibt, ein Grab auf einem Friedhof zu besuchen. Meine Art der Trauer ist anders. Naja, wie gesagt, ich hoffe halt dass ich es niemals bereuen werde.



    Bevor uns irgendwas zusammenführte...


    war er sieben Jahre mit einer Frau zusammen, die dann aber an Brustkrebs starb.

    Wir lernten uns zufällig ganz genau an ihrem ersten Todes- Jahrestag kennen. Unsere Beziehung begann so: mir ging es sehr schlecht, er verliebte sich sofort in mich, ich habe wohl am Beschützer in ihm gerüttelt, und er kümmerte sich ganz intensiv um mich. Er hat mich damals wirklich gerettet. Und er sagte: "wenn du irgendwann auf der Suche nach einem Mann bist, dann sollst du wissen: ich bin da."


    An einem Tag waren wir zusammen in seiner Küche, er schnitt Gemüse, ich kasperte irgendwie um ihn herum, und plötzlich stellte er mir die komische Frage: "Sag mal, wo kommst du eigentlich her?"

    Und ich gab die noch komischere Antwort:"Ich wurde geschickt."

    Da fiel ihm erstmal sein Messerchen aus der Hand, er ging schnell ins Nebenzimmer, musste sich erstmal beruhigen. dann kam er zurück und sagte, dass seine verstorbene Partnerin vor ihrem Tod gesagt hatte: "wenn es soweit ist, schicke ich dir Eine"


    Ich habe immer wieder Gänsehaut, wenn ich daran denke. Ich kann mit Esoterik und so weiter überhaupt nichts anfangen, das ist so gar nicht mein Ding. Aber ich weiß: So war es.

    Liebe Christine, natürlich darfst du mich bei meinem Namen nennen, sonst hätte ich ihn nicht verraten. Und dein Bild stört mich nicht. Warum hast du das vorherige gelöscht? Ein Jahr ist dein Sohn jetzt tot... ein ganzes Jahr... du sagst, das Jahr ging schnell vorbei? Ich dachte, es sei zäh... wie Kaugummi... langsam, langsam... hinterm Nebel, wie du schreibst... inwiefern hast du dich verändert, warst du vorher viel unterwegs, mit ihm, und dann plötzlich nicht mehr?


    Ich habe solche Angst davor dass ich jetzt schlagartig alt werde. Zusammen waren wir so aktiv, jung und voller Freude, und jetzt mache ich gar nichts mehr. Da muss ich doch verrotten.... aber wie gesagt, noch 30 Jahre... das geht doch alles so nicht.

    Guten Morgen,


    es ist Samstag. So ungefähr um diese Uhrzeit sieht das Ritual vor, dass ich mit zwei Tassen und einer grünen Thermoskanne nochmal ins Bett komme. Heute: nur eine Tasse, gefüllt mit Kaffee von gestern, in der Mikrowelle nochmal heißgemacht. Traurig.


    An allen anderen Tagen kochte Ulrich den Kaffee. Werktags sowieso, weil er früher aufstehen musste als ich. Und wenn wir im Wohnmobil unterwegs waren auch. Da war nämlich gar nicht viel Platz, einer MUSSTE im Bett liegenbleiben, und das war ich.


    Als wir uns kennenlernten fragte er mich, wie es bei mir denn so mit dem Kochen sei. Ojeh, dachte ich, was sag ich jetzt, die Wahrheit oder besser lügen? Ich entschied mich für die Wahrheit: ich koche weder gut noch gerne. Da hat er sich gefreut! Die Küche, sagte er, sei nämlich sein Revier.


    Unterm Herd ist eine riesige Schublade voll mit Gewürzen. Seinen Gewürzen. Was mache ich nur damit? Schon das hineinschauen in die Schublade schmerzt. Ich glaube, ich muss ein bisschen umräumen. Ich brauche nur Salz, Pfeffer, Paprika und Gemüsebrühe. In die große Schublade könnten die Küchenhandtücher und Lappen umziehen. Auch habe ich jetzt viel zu viele Gerätschaften, Pfannenwender etc, und Töpfe! Ich glaube fast, ich brauche gar keine Küche mehr. Ich esse ja nichts. Morgens zwinge ich mich zu einem Müsli, aber auch das vergesse ich manchmal.


    Gestern bin ich ein bisschen planlos rumspaziert und plötzlich stand ich bei Bärbel vorm Haus. Bärbel ist eine von denen, die mir geschrieben hatte "wir sind immer für dich da, melde dich..." Ich habe geklingelt. Sie öffnete. Ich heulte los und fragte, ob sie zufällig genau jetzt mit dem Hund raus muss. Sie nahm mich in den Arm und wir spazierten (ohne Hund) eine ganz lange Runde. Sie erzählte von ihrer Unsicherheit. Gut, dass ich geklingelt habe, der erste Kontakt sei so schwierig, man wüsste ja nicht was der Trauernde braucht, will er in Ruhe gelassen werden, man will sich nicht aufdrängen, will er reden, will er abgelenkt werden... jetzt weiß sie Bescheid. Nach dem Spaziergang hat sie mich noch mit nach Hause genommen, ihr Mann hatte dann schon einen Wein kaltgestellt und ich bekam einen Teller Süßkartoffelpommes. Auch bei Bärbel und Dirk steht mir das Gästezimmer zur Verfügung.


    Keiner weiß, dass meine Tage schlimmer sind als die Nächte.




    Ulrich und das Seepferdchen


    Natürlich konnte Ulrich schwimmen, er hatte verschiedene Abzeichen, nur eben nicht das Seepferdchen, und darüber machten wir uns manchmal ein bisschen lustig.

    Im letzten Winter sollte meine sechsjährige Nichte Emma schwimmen lernen, aber es zog sich so hin! Sie hatte keine Lust, strengte sich nicht an, ließ den Schwimmkurs ausfallen... meine Schwester war ziemlich genervt. Da hat Ulrich mit Emma eine Wette abgeschlossen: wer von uns schafft als erster das Seepferdchen? Er versprach heimlich meiner Schwester, dass Emma es als Erste schaffen wird, gab aber vor, heftig zu trainieren. Nach ein paar Wochen schickte mir meine Schwester endlich ein Foto: Eine strahlende Emma mit ihrem neuen Abzeichen.

    Tja, nun sah ich Ulrich natürlich im Zugzwang. Ich radelte zu unserem städtischen Schwimmbad und fragte, wann denn ein erwachsener Mann sein Seepferdchen machen könne. Die Frau an der Kasse amüsierte sich sehr und rief gleich oben beim Bademeister an. Gleich heute Abend würde es passen!


    Ich packte Ulrichs Schwimmzeug und schrieb ihm eine whattsapp, dass er heute nach der Arbeit schnell nach Hause kommen soll, denn er habe einen Termin. Also kam er freudig pünktlich hier an, er dachte, ich hätte als Überraschung in einem schönen Restaurant einen Tisch reserviert. Nee, sagte ich, du hast ein Rendez- vous mit dem Bademeister, hier ist deine Tasche, wir gehen gleich los. Ach, war das schön! Der Bademeister war sehr klein, stand so vor meinem riesigen Ulrich und fragte jede einzelne Baderegel ab. "Was machen wir mit unserem Müll?" "Mitnehmen." "Sehr gut..." Dann wurde eine Stelle gesucht, an der auch für Ulrich das wasser schultertief ist, um dort Ringe hochzuholen. Dann lief der kleine Bademeister neben Ulrich her, während der eine Bahn schwamm. Einmal gabs die Aufforderung "Hintern höher!" Schließlich war alles bestanden, Ulrich durfte noch einen Fingerabdruck auf sein neuerworbenes Dokument machen und der Bademeister gab den Tipp, das Abzeichen nicht auf die Badehose, sondern aufs Handtuch zu nähen, weil die Badehose ja vielleicht mal zu klein wird.



    Eigentlich war vorgesehen, dass das Leben mit viel Spaß und gemeisam so weitergeht. ICHWILLMEINENULIZURÜCKHABENJETZT SOFORTSOLLEREINFACHWIEDERDASEINDASLEBENMACHTKEINENSPASSOHNEIHNULIKOMMZUMIRZURÜCK!

    Da ist tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit. Angelika- das bin ich. So heiße ich wirklich. Greteline ist mein nickname bei geocaching, was wir auch mit Begeisterung zusammen betrieben haben.