Beiträge von Nordlys2107

    Fast sieben Jahre sind es nun seit der Diagnose. Am 15. Mai hat meine Mutter mich das letzte Mal angelächelt.


    Jetzt kann sie nicht einmal mehr Blickkontakt halten. Meist sind ihre Augen geschlossen. Es ist 1,5 Jahre her, dass sie ihren letzten Satz mit dem Sprachcomputer gesprochen hat. Es sind 6 Jahre, seit ich zum letzten Mal ihre Stimme gehört habe.


    Es sind sieben Jahre unendlichen Leids. Und ich kann nicht mehr.


    Zu Anfang habe ich immer gebetet: "Bitte schenke meiner Mama noch 5 gute, lebenswerte Jahre!" Jetzt bete ich jeden Abend, dass sie endlich erlöst wird, dass ihr Leiden endlich ein Ende hat. Wann nur, darf sie endlich frei sein? Es macht mich so traurig das zu denken, denn natürlich will ich sie gleichzeitig festhalten. Aber nicht so. Sie ist nun in diesen Zustand hineingerutscht und hätte so nie leben wollen. Wenn ihr altes ich hier wäre und sich sehen könnte, dann würde sie mich anschauen und sagen "Um Gottes willen, so möchte ich nicht existieren."


    Ich liebe meine Mutter so sehr. Sie fehlt mir immerzu, jede Minute. Ich kann meine Augen schließen und sehe das Leben, dass hätte sein sollen zum Greifen nah vor mir. Ich kann sogar Unterhaltungen hören, die sie mit meinen Kindern gehabt hätte. Ich sehe meine Kleinste, die sie nie gesund erleben durfte, auf sie zurennen und sich in ihre Arme werfen.... ich sehe sie mit ihnen lachen und kichern... das ist und wird nie passieren, aber ich sehe dieses Leben, wie es hätte sein können ganz klar vor mir.


    Ich bin so unglaublich einsam ohne meine Mutter. Das ist furchtbar. Aber noch furchtbarer ist, mir ihre eigene Einsamkeit vorzustellen, eingeschlossen im eigenen Körper, bewegungs- und kommunikationsunfähig. Noch schmerzhafter ist es, ihr ausdrucksloses Gesicht zu sehen. Sie anzulächeln und keine Reaktion zu bekommen, nicht zu wissen was in ihrem Kopf ist. Wann wird sie nur endlich erlöst, denke ich immer und immer wieder und gleich darauf: Was bin ich nur für eine Tochter, sie so etwas wünscht.


    Ich wünsche ihr Freiheit, meinem Vater ein Leben und mir auch. Ich möchte mich nicht verabschieden und dennoch sehne ich mich nach einem guten Abschied, nach einem Schlussstrich, danach endlich ein wenig heilen zu können, mich an die guten Zeiten zu erinnern und zu versuchen, die furchtbaren zu vergessen, schöne Momente ohne schlechtes Gewissen genießen zu können, mich nicht immerzu zu sorgen, meinen Vater noch ein paar Jahre genießen zu können, bevor auch er sterben wird.


    Mein Ältester wird 12 Jahre alt. Sieben Jahre schon bestimmt die Krankheit meiner Mutter unser Leben, ist der Abschied und die Trauer unser ständiger Begleiter, sehen die Kinder mich immer wieder verzweifelt und in Tränen, nimmt es kein Ende.... fast sein halbes Leben.... ich habe so viel verpasst und nicht genießen können, weil da immer meine Mutter und ihre Krankheit, der drohende Verlust, der nächste Abschied war, die Schuld, die Verantwortung eine gute Tochter zu sein... und es nimmt keine Ende, kein Ende in Sicht.


    Was bleibt, ist Traurigkeit und Ohnmacht und Verzweiflung. Immer wieder aufs Neue.

    Und immer noch bin ich hier im Forum... viele, die schrieben als ich das erste Mal schrieb, sind schon nicht mehr da. Haben anscheinend den nächsten Schritt geschafft und mit der Trauer leben gelernt. Ich freue mich und gleichzeitig habe ich das Gefühl, bei mir geht es nicht weiter. Ich trete auf der Stelle. Nichts wird besser, alles nur immer Schlimmer. Ich kann nichts verarbeiten, weil es imme noch nicht vorbei ist. Ich kann nicht liebevoll erinnern und dankbar sein, während die Krankheit meine Mutter jeden Tag so unermesslich quält. Ich kann mich nicht auf die Zukunft konzentrieren, denn da warten nur immer noch schlimmere Dinge. Gleichzeitig muss ich auf alles verzichten, was meine Mutter mir war. Ich sitze in der Trauerfalle und habe das Gefühl es hört niemals auf, wird niemals besser. Alle, denen es vielleicht zumindest am Anfang mal ähnlich ging, haben längst ihr Leben wieder und kommen irgendwann an den PUnkt, an dem sie ihr Schicksal annehmen und allein weitermachen können, auch wenn es immer schmerzt. Und ich? Ich habe das Gefühl, wenn dieser Punkt mal da ist, irgendwann, wenn meine Mutter erlöst wurde und ich dann endlich auch mal offiziell trauern durfte, sie offiziell gehen lassen und verabschiedet habe, dann ist mein Leben vorbei. Sieben Jahre sind es jetzt. Wie viele werden noch kommen? Meine Mutter ist fort, aber ich kann nicht um sie weinen und öffentlich trauern, niemals abschließen....

    Ich bin so einsam. Mein "altes" Leben kommt mir oft vor wie ein Traum, Total unwirklich. Alles ist jetzt so anders. Gab es dieses Glück überhaupt? Es existiert nur noch in meinem Kopf. Eine Umarmung meiner Mama - nur noch eine sehnsuchtsvolle Erinnerung. Ihr Geruch - ewig weit weg. Sie riecht schon lange nicht mehr nach sich selbst, nur noch nach Krankheit. Selbst das Lächeln kann ich manchmal nicht mehr recht in meinen Kopf zurückrufen? Was ist noch echt? Was war echt? Wo ist sie jetzt? Es fühlt sich an, als ob es sie nie gegeben hat, als ob sie sich einfach in Luft aufgelöst hat. Sie könnte ebenso gut nur ein schöner Traum gewesen sein. In einem Buch habe ich vor zwei Tagen folgendes gelesen:

    " Einen geliebten Menschen zu verlieren ist das Allerschlimmste auf der Welt. Es reißt ein unsichtbares Loch, in das man fällt und das bodenlos ist. Die Menschen, die man liebt, machen die Welt echt und beständig, und wenn sie für immer fort sind, fühlt sich nichts mehr sicher an."

    Das fand ich sehr passend.

    Da bin ich wieder. Es ist Weihnachtszeit. Jedes Jahr an Weihnachten ist es schwer, die Dekorationen mit all den Erinnerungen hervorzukramen. Manchmal möchte ich sie alle wegschmeißen und einfach alles neu kaufen. Etwas ohne bittersüße Erinnerungen.

    Vor ein paar Tagen habe ich beim Einschlafen - ich muss wohl schon fast weggedämmert gewesen sein - das Gesicht meiner Mutter ganz nah, und so wie es früher aussah, nicht verzerrt von der Krankheit - vor mir gesehen und ihre Stimme gehört. Da war ich plötzlich wieder hellwach und es war, als hätte mir jemand ein Schwert ins Herz gerammt. Meist komme ich gut durch die Tage, weil ich verdränge, was ich verloren habe. Aber da war es ganz plötzlich so intensiv vor meinen Augen, da war die Liebe, die ich früher um mich hatte so nah und dann so aprupt plötzlich wieder verschwunden, dass ich mitten in der Nacht aus dem Haus bin und nur noch gerannt bin und geschrieen und geweint habe.

    Ich möchte so gern glücklich sein und gebe mir solche Mühe dankbar zu sein für die Dinge, die ich habe. Aber am Ende des Tages ist mein Leben doch unvollständig. In jedem schönen Moment bin ich gleichzeitig unsagbar traurig. Ich versuche, mit meinen Kindern und meinem Mann eigene, unsere eigenen Traditionen zu schaffen und vermisse dabei so sehr die alten, die aber unendlich weh tun, wenn ich versuche, sie weiter zu führen, denn ohne meine Mutter sind sie nicht richtig.

    In manchen Situationen strahlen meine Kinder mich an und sagen mir, wie schön der Moment ist und wie schön es mit uns als Familie ist und ich fühle mich schuldig, weil ich in den meisten Fällen gerade wieder gedacht habe, wie sehr mir meine Mutter fehlt. WIe allein ich mich fühle. Dass ich dieses Gefühl von Geborgenheit noch geben, aber nie wieder bekommen kann.

    Da bin ich wieder. Den ganzen Tag muss ich schon immer wieder weinen. Mein Leben ist so falsch ohne meine Mutter. Immerzu muss ich sehen, wie die Kinder anderer zu ihren Großeltern fahren, wie sehr sich die Kinder freuen, wie sehr sich die Omas freuen... meine Kinder sind regelmäßig in Tränen, weil sie keine Oma haben, weil sie nichts mit ihr machen können uns sie sich nicht an sie im gesunden Zustand erinnern können.


    Vor wenigen Wochen wurde nun auch noch bei meiner Tochter Epilepsie festgestellt. Als ob es noch nicht reicht. Jetzt muss ich auch um ihr Leben immerzu bangen. Meiner Tochter geht es psychisch damit sehr schlecht. Sie hat angefangen sich selbst zu schlagen und rastet bei den kleinsten Kleinigkeiten total aus (sie ist letzte Woche gerade erst acht Jahre alt geworden). Ich vemisse meine Mutter so sehr. Selbst wenn sie mir nicht helfen könnte, ich vermisse so sehr, einfach jemandem meine Sorgen erzählen zu können, jemanden der sich dann mit mir sorgt, mit mir weint, mich entlastet. Meine Mama hätte sich mein Mädchen geschnappt und mit ihr einen kleinen Ulaub gemacht, um ihr zu zeigen, dass sie etwas ganz besonderes ist. Ich hätte meiner Mutter einhundert Prizent vertraut, dass sie gut auf sie aufpasst. Meine Mutter hätte mich in den schwierigen medizinischen Entscheidungen, die ich nun treffen muss bestärkt und unterstützt. Aber anders, als mein Mann das kann. Sie wäre außenstehende, liebende Oma gewesen, eine stärkende Kraft mit Liebe nicht nur für meine Tochter, sondern auch für mich.


    Mein Vater hatte wieder nur Parolen auf Lager: So ist das eben, besser das Kind gewöhnt sich gleich daran, dass im Leben nicht immer alles so läuft, wie man sich das wünscht. Damit war die Sache für ihn erledigt. Zu ihren Wutanfällen und Selbstverletzungen sagt er, sie sei eben bescheiert und halt ein Mädchen und die würden sowieso spinnen. Das tut so weh! Ich fühle mich so unglaublich allein und im Moment scheint es mal wieder, als ob um mich herum nichst als liebende, quietschfidele Großmütter sind. Ich bin mal wieder die einzige, die nicht weiß, zu wem sie mit ihren Sorgen gehen kann. Oh wie ich ihre Stimme, ihre tröstenden WOrte, ihre Umarmungen vermisse. Ich bräuchte so sehr ihren Rat und ihre Unterstützung, aber sie ist nicht da. Nur ihr Körper. Alles andere ist weg. Und ich darf nicht mal sagen, dass ich sie vermisse, dann fragen alle: Oh, ist sie gestorben? Was soll ich da sagen? Ja, sie ist tot, aber ihr Herz schlägt noch. Denn so ist es. Nicht mal für eine Trauergruppe qualifiziere ich mich, Da wollte ich hingehen, aber ich wurde abgelehnt. Denn der Körper meiner Mutter ist ja noch da.

    Liebe rote Nelke,

    du sprichst mir aus dem Herzen. Jedes deiner Worte hätte von mir stammen können. Ich bin auch in deinem Alter - 41 mittlerweile und denke immer, dass ich irgendwie früher dachte, dass man in dem Alter auch ohne Mama zurechtkommt. Aber es ist nicht so. Es geht mir genau wie dir. Alles scheint wertlos, wenn ich es nicht mit meiner Mutter teilen kann. Die kleinen "Siege" meiner Kinder, das Seepferdchen, der erste Wackelzahn... ich frage mich, was sie wohl dazu gesagt hätte. Es wäre irgendetwas schönes, liebevolles gewesen, etwas das meine Freude verdoppelt hätte. Mir fehlt jeden einzelnen Tag ihr Rat, ihre Meinung, ihr Verständnis. Die Art, wie sie mich aufmunternd und zuversichtlich anlächelt. Die unendliche LIebe, die sie für meine Kinder empfindet und mit welcher Begeisterung sie Oma ist...

    Ich kann dir nichts raten, nur sagen, ich weiß genau was du meinst. Man fühlt sich, als sei man nur noch halb. Und alles fühlt sich falsch an.

    Ach, ihr Lieben! Es tut mir immer gut von euch zu lesen. Hier ist der einzige Ort, an dem ich nicht das Gefühl habe, verurteilt zu werden, dass ich noch immer nicht damit klar komme, das Ganze noch immer nicht "verarbeitet" habe. Diesen Ausdruck finde ich sowieso ganz furchtbar. So als ob man sich durch etwas arbeiten kann und es dann weg ist. Ich glaube, dieses ist nie weg. Nur ab und an schwächer.


    Ich weiß nicht, ob ich es erzählt hatte... meine Familie und ich hatten eine dreimonatige Auszeit für nur uns fünf geplant. Mein Mann und ich hatten beide Elternzeit eingereicht und wollten mit den Kindern drei Monate reisen. Es war alles organisiert und bezahlt. Ich habe so oft nur noch dafür gelebt endlich dort anzukommen, einmal verschnaufen zu können - tja, und dann kam Corona und machte alles zunichte. Nun sind wir zu Hause, Elternzeit ist abgesagt und wir arbeiten und betreuen und beschulen "nebenbei" die Kinder... von Erholung und Zeit, um die Gedanken zu ordnen keine Spur.


    Gestern nun war Muttertag und mein Vater gab mir überraschend die Elaubnis trotz Corona meine Mutter einen Tag zu uns zu holen. Ich hatte mich so darauf gefreut und dann war es so schwer. Ich vermisse sie so sehr und wenn sie dann hier ist und keinerlei Reaktionen zeigt den ganzen Tag (weil sie das nicht mehr kann), nicht mal mehr lächeln kann und auch die Augen nicht mehr so bewegen kann, dass man eine eindeutige Reaktion auf eine Frage deuten kann, dann ist sie so unglaublich weit weg. Ich hatte gestern meine Mutter hier bei mir und gleichzeitig war MEINE Mutter nicht da. Diese Frau gestern hatte die meiste Zeit die Augen geschlossen, war eigentlich, zumindest von außern erkennbar, nur noch ein Körper. SIe schien gar nicht richtig hier zu sein. So lange hatte ich mich gefreut, wollte ihr nach den vielen WOchen des nicht-sehens so gerne viele Dinge sagen, aber dann war sie hier und es ging nicht, denn die Frau, der ich das alles sagen wollte, die war nicht mit hier. Heute muss ich immerzu weinen und fühle mich so unglaublich einsam. Ich bräuchte so dringen eine "mütterliche" Person, die mich in den Arm nimmt, mir sagt, was meine Mutter für mich gewollt hätte, jemanden, der sie gut kannte. Perfekt wäre wohl eine Tante oder Großmutter, die mich und meine Mutter kennen würde. Aber das habe ich nicht. Ich habe nur meinen Vater, den ich seit dem Ganzen hier noch nicht einmal habe weinen sehen, der mir höchstens mal ein paar Durchhalteparolen zuruft wie "so ist das eben im Leben". Ich möchte so gerne aufgefangen und mal eine Tag bemuttert werden, Trost zugesprochen bekommen. Ich bin so sauer und enttäuscht und traurig, das meine Mutte mir nichts von sich für diese schweren Zeiten zum daran festhalten gegeben hat. Warum hat sie mir keinen Brief geschrieben? Mir etwas auf eine Kassette oder anders aufgenommen, ein paar liebe WOrte, so dass ich in schweren Zeiten ihre Stimme hören und Kraft schöpfen kann. Sie hatte 5 Jahre Zeit. Ich habe sie oft darum gebeten. Sie hat es nicht gemacht, Ich weiß, dass sie mich nicht bewusst verletzen wollte. Sie konnte es einfach nicht. UNd trotzdem frage ich mich immer wieder, warum konntest du nicht diese eine Sache für mich tun? Warum konntest du mir nicht wenigstens ein paar WOrte aufschreiben, die mir Mut machen, wenn ich ganz allein bin, weil du ncht mehr da bist. Wie konnte sie mich nur so allein lassen?

    Nach langer Zeit muss ich mir mal wieder etwas von der Seele schreiben - es ist sehr lang und einiges wiederholt sich sicher. Ich hatte gestern einen sehr schweren Tag. Corona verändert hier auch alles. Mein Vater hat mich gestern wieder beschimpft und fertig gemacht. Mehr will ich jetzt gerade dazu nicht schreiben, aber ich habe mich mal hingesetzt und angefangen aufzuschreiben, was mich bewegt. Vielleicht liest es ja jemand. Ich bin noch nicht fertig mit Aufschreiben, aber ich kann gerade nicht mehr. Alles bricht über mir zusammen. Mehr also später...

    Ich befinde mich seit sechs Jahren in einer Zeit der Krise. Die Zeit, die eigentlich wohl für die meisten Menschen die schönste ihres Lebens ist, die Zeit in der man jung ist und die Kinder klein, in der man gemeinsam Familie ist. Ich sage nicht, dass diese Zeit nur schrecklich für mich ist, aber sie ist nicht das, was ich erwartet habe. Tatsächlich habe ich mich mein ganzes Leben lang schon auf diese Zeit gefreut. Ich kann mich erinnern, wie ich selbst in der Grundschule in langweiligen Stunden aus dem Fenster schaute und davon träumte, wie mein Leben wohl als Erwachsene sein würde. Ich träumte von meinen Kindern, meinem Beruf und wie das alles sein würde. Schon mit zwölf sammelte ich Namen für meine potentiellen Kinder und mit neun schrieb ich in mein Tagebuch, wie ich meine Kinder erziehen wollte. Was nirgendwo steht ist, dass im Hintergrund all dessen immer auch meine Mutter stand, die mir schon als Kind erzählt hat von dem, was wir mal machen, wenn sie Oma ist und ich Mutter bin. „Wenn du mal Mama bist…“ oder „Wenn ich dann mal Oma bin…“, „Wenn du irgendwann Kinder hast…“ sind Sätze die oft fielen.

    Ich hätte nicht glücklicher sein können, als Chris, mein Mann, endlich zu mir zog, als unser erstes Kind geboren wurde. Aber dann bekam mein Mann Depressionen. Die Freude an unserem Kind wurde getrübt durch die Sorge um ihn, durch die Trauer darüber, dass er sich nicht freuen konnte, durch die Einsamkeit, alles allein zu machen und zu erleben, denn er war ganz woanders. Irgendwann suchte er sich Hilfe, es wurde besser. Die Freude kehrte zurück. Etwa ein Jahr später entschieden wir uns gemeinsam für ein zweites Kind. Als unser Mädchen zur Welt kam, war alles wunderbar. Meine Mutter freute sich so sehr mit uns und mir. Ich hatte einen Mann an meiner Seite, der ein toller Vater und nun ganz bei uns war. Wir zogen in ein Haus in einer kleineren Stadt, die Kinder verbrachten viel wunderschöne Zeit auch mit den Großeltern, wenn wir Hilfe und Unterstützung brauchten, dann waren sie immer da.

    Und dann kam der 18. Juli 2014 und alles wurde anders. Meiner Mutter wurde die Diagnose ALS gestellt und von einem auf den anderen Tag war meine Mutter verschwunden. Die zuversichtliche, fröhliche, sanfte, liebevolle Frau, die immer ein Wort des Mutes und der Unterstützung, des Trostes hatte, gab es von jetzt auf gleich nicht mehr. Alle ihre Träume waren zerstört und damit auch meine. Das ist schwer zu erklären. Aber von nun an wurde jede Unterhaltung mit meiner Mutter davon begleitet, was sie nicht mehr konnte, nicht mehr können wird und worüber sie traurig ist. Worüber ich traurig war, was ich verloren hatte, darüber wurde nicht gesprochen. Es ging nur um sie. Sie hatte kein Wort des Trostes für mich. Als ich einmal sagte, ich wisse nicht, wie ich ohne sie leben solle, da war die Antwort: „Du hast doch deine Tochter!“. Als ob ein Mensch einen anderen ersetzen könnte! Es wurde meine Aufgabe sie aufzuheitern, ihr Kraft zu spenden, ihr Mut zuzusprechen. Unsere Rollen wurden getauscht. Ich war fünfunddreißig Jahre alt, meine Kinder waren gerade fünf und gerade zwei. Wie oft hätte ich selbst noch gern mal Hilfe und Unterstützung gehabt, mal ein liebes, aufbauendes Wort. „Ich wünsche dir ein leichtes Leben!“, schrieb meine Mutter mir einmal. Fast hätte ich laut aufgelacht. Ein leichtes Leben also? In dem ich dabei zusehe wie meine Mutter nach und nach verfällt, in dem ich arbeite, mich um kleine Kinder und meine Eltern kümmere und nie jemandem gerecht werde? Sie hätte mich lieber schreiben sollen: „Ich wünsche mir, dass du jemanden findest, der dir hilft, der dich unterstützt, dir Mut zuspricht, wenn dich der Mut verlässt!“ Ein leichtes Leben kann sie mir wünschen, aber das habe ich nicht. Ich konnte mich über die kleinen Dinge nicht mehr gut freuen, so sehr ich es auch versuchte, dann wenn mein Kind schwimmen lernte und ich der Oma davon erzählte, dann kam zurück: „Ja, leider werde ich ja bald nicht mehr schwimmen können.“ Ich konnte mich nicht mehr erholen, denn wenn es freie Tage gab, dann holten wir meine Mutter ab oder besuchten sie bei sich zu Hause. Nicht selten wurde ich bei diesen Besuchen oder auch am Telefon von meinem Vater beschimpft oder musste dabei zusehen, wie er meine Mutter beschimpfte aus Überforderung mit seiner eigenen Situation. Wenn ich da war, bekam ich zu hören, dass ich nicht genug da war, nicht genug half, nicht wirklich etwas bewirkte mit meinen Versuchen zu unterstützen. Gleichzeitig fehlte diese Zeit meiner eigenen Familie. Wir konnten und können uns nur selten bis gar nicht auf uns konzentrierten uns mal erholen, gemeinsam unbeschwert Dinge machen. Über allem hängt immer die Schwere der Krankheit meiner Mutter. Wenn ich etwas genoss, fühlte und fühle ich mich sofort schuldig, denn meine Eltern können ja ihr Leben nicht mehr genießen. Ich sollte es nicht gut haben, wenn es ihnen so schlecht ging. Wenn ich Zeit habe, dann sollte ich ihnen helfen und mich nicht selbst vergnügen. Dieses Gefühl bestimmt mein Leben. Ich konnte und kann keinem von ihnen wirklich helfen, sehr ich es auch versuche und das begleitet mich jede einzelne Minute meines Lebens.

    Es kann sich kaum jemand vorstellen, wie beherrschend das ist, wenn jemand, den man liebt so leidet und man sich die ganze Zeit immerzu schuldig fühlt, weil man nichts tun kann und die ganze Zeit immerzu daran denkt und deswegen das eigene Leben nicht mehr genießen kann und sich dann deswegen auch noch schuldig fühlt, weil man doch zumindest dankbar sein sollte, für das, was man hat. Als ich mit unserem dritten Kind in den Wehen lag und es in die Übergangsphase ging, da dachte ich an meine Mutter. Wer schon mal ein Kind bekommen hat, weiß, dass man in dieser Phase eigentlich gar nichts mehr denkt, aber ich dachte an meine Mutter und daran, dass ich Angst habe vor dem Leben ohne sie, daran, dass dieses Kind, das gleich geboren werden würde, seine Oma nicht kennenlernen würde, jedenfalls nicht so, wie sie eigentlich war. Ich dachte daran, dass ich ein Leben in die Welt bringen würde, während ein anderes jeden Tag noch mehr schwindet. Ich hatte Angst und fühlte mich allein. Die Hebamme fragte, was los sei, warum ich nicht mitpressen würde. Ob ich Angst hätte. „Ja!“, konnte ich nur sagen, aber vor was ich Angst hatte habe ich nicht erklärt (das geht auch schlecht unter Wehen) und sie hat es sicher falsch gedeutet. Die Geburt machte mir keine Angst. Mein Leben machte mir Angst. Meine Einsamkeit. Meine Fähigkeit alles gleichzeitig sein zu müssen Mutter, gute und helfende Tochter, eine engagierte und gute Lehrerin, eine gute Ehefrau.

    Als die Kleine sich das erste Mal drehte, da schrieb meine Mutter: „Jetzt kann sich das Kind schon mehr bewegen als ich!“ Immer mehr Dinge konnte bzw. entschied ich, meiner Mutter nicht mehr zu erzählen, denn das machte alles nur noch schlimmer. Und diese Entscheidung tut bis heute weh, denn bis zu ihrer Diagnose war meine Mutter meine beste Freundin. Sie war die Person, der ich alles erzählte, meine engste Vertraute. Wenn gar nichts mehr ging, dann war da immer Mama. Nun war ich allein. Mein Mann kann diese Trauer nicht verstehen und sich darin nicht einfühlen. Es gibt keinen Menschen, zu dem er ein vergleichbares Verhältnis hat. Das ist auch in Ordnung, aber es macht mich noch einsamer.

    Hallo Regentropfen,


    ich habe nur kurz Zeit, aber ich wollte dir kurz sagen, dass ich diese Gedanken mit meinem Vater auch manchmal habe. Dass es einfacher gewesen wäre, hätte es ihn getroffen. Das klingt schrecklich und fühlt sich schrecklich an, aber es ist so. Er wäre ganz anders mit der Situation umgegangen. Es wäre genauso traurig und herzzerreißend gewesen, aber er hätte das Schicksal angenommen und sehr sicher keinerlei lebenserhaltende Maßnahmen gewollt- Er wäre schon lange tot. Das nimmt einem Zeit aber auch viel Leid. Wir hätten viele der schrecklichen Stadien dieser Krankheit gar nicht erst erreicht - er wäre vorher gestorben. Und so schlimm wie es klingt, er war und ist für mein Seelengleichgewicht nicht so wichtig wie meine Mutter. Außerdem hat er sich seit ich erwachsen bin deutlich von mir distanziert- Nicht im gemeinen Sinne. Aber für ihn ist das ein bisschen so, du bist jetzt groß, meine Aufgabe ist fertig, jetzt musst du allein klar kommen. Meine Mutter war und wollte immer Teil meines Lebens sein. Für meinen Vater ist es nicht unbedingt wichtig mit mir in Kontakt zu sein. Alle paar Monate würde ihm völlig reichen. Er kritisiert mich viel und eigentlich fast alles was ich tue mache ich in seinen Augen nicht gut genug. Meine Mutter hat das immer ausgeglichen, war der Positive Part, der nun fehlt.

    Hallo Bowie,


    als Autist fällt es dir schwer die anderen zu verstehen, weil du ganz anders denkst. Du siehst alle rationalen Gründe. Nicht autistischen Menschen fällt es schwer rational und logisch zu denken, wenn jemand gestorben ist. Sie möchten auch wenn der Mensch tot ist etwas tun, dass zeigt, dass ihnen dieser Mensch wichtig war. Für viele Menschen ist das die Beerdigung. SIe gehen dort hin, um sich von dem Menschen zu verabschieden, auch wenn dieser Mensch bereits tot ist und die Verabschiedung nicht mehr mitbekommt.

    Du musst deinen Verwandten erklären, dass autistische Menschen mit einem solchem Denken Schwierigkeiten haben und es nicht verstehen. Für dich ist es im Moment am Schlimmsten, dass dein Tagesablauf jetzt anders ist und sich alles verändert. Sag ihnen, dass du jetzt mehr als alles andere etwas brauchst, das du gewohnt bist.

    Man kann über gesundes Essen viel lesen und lernen. Dann kannst du zuschauen, wenn andere das Essen für dich zubereiten und sehen, dass es in Ordnung ist oder auch aufschreiben, was gekauft werden soll und was damit gekocht werden soll. Gehst du zur Schule? Gibt es dort Menschen oder eine Umgebung in der alles ist wie immer?


    Viele Grüße

    Nordlys

    Wieder ein Stück Mama weniger - jetzt kann sie nicht mehr lesen und nur noch selten sinnvolle Worte über die Abfrage der Buchstabentafel zusammenbringen. Ich weiß nicht mehr, wann sie das letzte Mal etwas zu mir gesagt hat. Ich vermisse sie so sehr. Mein beklopptes Gehirn hat immer noch das Gefühl, dass wir "später" dann endlich über diese schreckliche Zeit reden, dann uns wieder nah sind... aber es wird kein später geben. Nichts das wieder kommt. Ich habe solche Angst. Ich wünschte, ich könnte noch einmal einfach mit ihr sprechen, genau wissen, was sie jetzt denkt, wie es ihr geht. Aber das werde ich nie erfahren. Ich fühle mich furchtbar deswegen, so als ob ich sie im Stich lasse. Eingesperrt in ihren Körper.

    Lieber Heinz Maximiian,

    danke für deine Antwort. Aber meine Mutter ist geistig voll da und bei klarem Bewusstsein. Das ist der grausamste Teil der Krankheit. Sie weiß sehr wohl, ob ich da bin oder nicht. Sie versteht jedes Wort, sie ist in ihrem eigenem Körper bei vollem Bewusststein gefangen. Sie ist beatmet und künstlich ernährt, ihr Körper ist ihr eigener gläserner Sarg aus dem Sie alles genau mitbekommt. Über die Abfrage des Alphabets kann sie und, zwar mit sehr viel Zeit, aber immerhin - Sätze diktieren. Wenn sie geistig nicht mehr da oder ansprechbar wäre, ja dann wäre das noch wieder etwas anderes. Aber sie ist geistig - von den durch die Krankheit bedingten schweren Depressionen mal abgesehen - gesund und ich bin mittlerweile die Einzige, neben meinem Vater, die noch mal dafür sorgt, dass sie auch mal etwas Schönes erlebt. Mein Vater ist total überfordert mit der Pflege und dem bürokratischen Aufwand, gesundheitlich steht es auch nicht gut um ihn... er braucht mich eigentlich schon, ist aber frustriert, dass ich ihm nicht die Last abnehme, die er loswerden möchte. Ich bin in einer Situation, in der es nicht möglich ist, sich für die Kinder und damit gegen die Hilfe brauchenden Eltern oder für die Eltern und damit gegen die eigenen Familie zu entscheiden. Dieser Spagat geht immer weiter. Oft denke ich, dass dies der schönste Teil meines Lebens sein sollte, statt dessen ist es bisher der schwerste.

    Gestern war wieder ein schwerer Tag. Eigentlich sollte es ein Tag sein, der ein bisschen Licht bringt. Wir wollten den 70. Geburtstag meines Vaters nachfeiern. Aber schon als ich kam weinte meine Mutter. Mein Vater erzählte mir, dass er starke Magenschmerzen hatte und ein wenig später zog mich die Pflegekraft an die Seite und berichtete mir, wie schrecklich der Morgen gewesen war und dass sie so fertig sei und meine Mutter so schlimm geweint hat und sie dann auch weinen musste und mein Vater sie dann trösten musste und dass mein Vater am Ende seiner Kräfte ist und das alles viel zu viel für ihn ist. Und dann stehe ich wieder da. Ohnmächtig und weiß nicht, was ich tun soll. Ich habe drei kleine Kinder, ich arbeite. Ich weiß nicht , wie ich helfen soll, was ich tun soll. Mein Vater sagt nicht Bescheid, wenn er Hilfe braucht. Ich habe ihn schon so oft darum gebeten, mir Bescheid zu geben. Er tut es nicht. STatt dessen klettert er, 70jährig auf die Leiter und reinigt die Dachrinnen. Heute ist wieder ein Tag, da frage ich mich, wie lange das noch so weiter gehen soll? Meine Mutter wird seit 4 Jahren künstlich ernährt, nachts wird sie beatmet. Mein Vater kann nicht mehr. An Tagen wie heute frage ich mich, wieso hat sie kein Mitleid mit ihm? Wieso akzeptiert sie ihr schiksal nicht, beendet die Lebenserhaltenden Maßnahmen, verabschiedet sich von uns, jetzt, wo sie mit den Augenbewegungen wenigstens noch ja und nein anzeigen kann und lässt ihm noch ein paar Jahre Leben übrig. Was passiert, wenn er zuerst stirbt, sich das Leben nimmt, wenn er nicht mehr kann? Ich kann nicht bei ihr einziehen? Ein Heim ist keine option, denn sie braucht eine Intensivpflege 1zu1, das gibt es nicht im Pflegeheim. Sie lebt eine STunde von mir entfernt, ich kann nicht täglich 2 STunden hin und her fahren und 3 stunden da sein oder mehr. Ich schulde meinen Kindern auch Zeit und ein Leben. Aber wenn ich hier bin, dann fühle ich mich schuldig und wenn ich dort bin auch. Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll. Immerzu werde ich von den Pflegern angesprochen nach dem Motto "tun Sie doch etwas", aber ich weiß nicht was. Ich kann doch meiner Mutter nicht sagen, "willst du nicht doch lieber mal etwas schneller sterben?" Ich kann auch meinem Vater nicht sagen "Zieh einfach aus und lass sie allein". Näher an mich ran ziehen werden sie nicht. Dazu kommen die dauernden Beschimpfungen von meinem Vater, wenn ich anrufe und mich erkundige, wie es geht. Ich traue mich schon gar nicht mehr anzurufen, weil ich immer nur beschimpft werde, so als ob ich schuld sei, dass alles Scheiße ist. Bitte entschuldigt die vielen Rechtschreibfehler, dass war jetzt wild von der Seele getippt. Liebe Ros, vielen Dank für deine lieben Worte. Es tut gut, das zu hören. So, jetzt braucht die Familie Abendbrot...

    Nun überwinde ich mich doch und eröffne einen eigenen Thread. Heute geht es mir gerade wieder besonders schlecht.


    Ich habe mich hier angemeldet, obwohl meine Mutter noch lebt, aber sie leidet an einer tödlichen Nervenkrankheit (ALS) und ich kann schon seit mittlerweile 4 Jahren nicht mehr mir ihr sprechen, sie kann mich nicht umarmen oder auch nur meine Hand halten, weil ihre gesamten Muskeln gelähmt sind. Ich nehme seit fast 5 Jahren Abschied und trauere um meine Mutter, die es so, wie sie war, nicht mehr gibt. Das ist ein Schwebezustand, der nicht vorgesehen ist. Entweder man hofft und kämpft noch, oder man trauert um jemanden, der gestorben ist. Jemanden 5 Jahre im langsamen, grausamen Sterbeprozess zu begleiten und zu trauern, sich aber nicht verabschieden zu können, das gibt es nicht.


    Meine Mutter war immer meine beste Freundin und es tut mir so weh, dies in der Vergangenheit zu schreiben, denn es gibt sie ja noch. Und natürlich bin ich für jeden Moment mit ihr dankbar. Ich trauere trotzdem, denn so viel von ihr ist schon nicht mehr da. Ich hänge mit meiner Trauer zwischen den Welten, Ich darf offiziell nicht trauern, sie ist ja noch nicht tot und doch ist das, was so wundervoll war an unserer Beziehung, nicht mehr da. Ich kann sie nicht mehr anrufen, ich kann ihr nicht mehr von meinen Sorgen erzählen, ich kann nicht mir ihr über meine Kinder reden wie früher, sie kann ja nichts mehr dazu sagen, die Kinder können ihre Oma nicht mehr kennen lernen, so wie sie war. Mein Kinder sind noch so klein, dass sie sich an meine Mutter im gesunden Zustand nicht erinnern, ich kann nicht mit ihnen gemeinsam trauern, wir können uns nicht gemeinsam an sie erinnern.

    Meine Mutter wusste genau wie ich denke, wenn es mir schlecht ging, genau was ich brauche, um mich besser zu fühlen. SIe hatte immer den passenden Rat, war all die Zeit, die sie gesund war, ein positiver Mensch, der mir immer Mut gemacht hat. Ich habe sie immer sehr bewundert in ihrer ganzen Art. All das war auf einen Schlag weg, nachdem sie die Diagnose, ihr Todesurteil, erhalten hatte. Ich wünschte so sehr, sie hätte noch ein paar gesunde Jahre mit meinen Kindern gehabt, dass ich sie in meiner Rolle als Mutter noch mehr als Unterstützung als Mutter hätte haben können. seit der Diagnose ist sie in eine tiefe Depression verfallen. Lange hatte ich die Hoffnung, dass sie sich nach dem ersten Schock noch einmal wieder fängt, irgendwann ihr Schicksal annehmen kann und mir helfen kann, es auch anzunehmen und mir Worte mit auf den Weg geben wird, die mir Kraft geben, für das Leben ohne sie. Aber dem war nicht so. Sie blieb und bleibt in dem tiefen Loch. Wir haben unsere Rollen getauscht. Ich bin jetzt ihr Fels, ihr Trost, dabei hätte und brauche ich sie eigentlich noch so sehr. Aber all das ist nicht mehr und meine Sehnsucht unendlich.


    Meine Gefühle fahren seit 5 Jahren Achterbahn, die Trauer, die Verweiflung, die Angst, die Ohnmacht, die Wut mein ständiger Begleiter. An einem Tag hoffe ich, dass es alles nur vorbei sein möge - für sie und für mich und an einem anderen Tag, so wie heute, als mir die Pflegerin erzählte, dass sie fast nur noch schläft und es wohl mit der Atmung bergab geht, da möchte ich schreien: "Nein, noch nicht! Ich bin noch nicht bereit! Ich möchte ihr noch so viel sagen, so viel mit ihr bereden!" Aber praktisch geht das gar nicht mehr. Sie weint nur verzweifelt, wenn ich ihr auch nur ansatzweise erzähle, wie es mir geht. Ich möchte ihr so gerne so viel sagen und kann nicht, weil ich sie schützen muss. Ich möchte sie unbedingt halten und gleichzeitig endlich loslassen dürfen und trauern. Ich fühle mich so zerrissen. Ich kann mein Leben nicht richtig leben, immerzu ist da dieser Schmerz, in jedem Moment und sei er noch so gut, der Moment, die Trauer klopft jedesmal an. Auch meinen Vater habe ich durch die Krankheit verloren. Er ist hart und verbittert geworden. Er ist selbst krank, überlastet, überfordert, gefrustet, traurig - er redet aber nicht darüber, sondern lässt in regelmäßigen Abständen seine Wut verbal an mir aus. Nichts mache ich richtig, jemals. Er sagt mir, was für eine unfähige Mutter ich bin, dass meine Kinder sich nicht richtig benehmen, und und und. Wenn ich anrufe schreit er mich meist an, weil ich störe, wenn ich frage, was ich tun kann, sagt er entweder: "Nichts!" oder wenn er etwas abgibt, dann sagt er mir hinterher, er hätte es lieber gleich selbst machen sollen, denn ich hätte es falsch gemacht und er nun noch mehr Arbeit.


    Meine Schwiegerelten leben im Ausland und wir scheinen ihnen ziemlich egal zu sein. SIe rufen nicht mal zum Geburtstag unserer drei Kinder an. Das letzte Mal haben sie uns vo 4 Jahren besucht.Sie sind 10 Jahre älter als meine Eltern, aber topfit und reisen um die Welt und verbringen jede mögliche MInute mit den Kindern der Schwester meines Mannes. Ich kann mit dieser Ungerechtigkeit kaum klarkommen. Meine Mutter hat sich nichts mehr gewünscht, als Oma zu sein und diese Zeit zu genießen. Ihr wurde das genommen, und diese Menschen, meine Schwiegereltern, verzichten freiwillig darauf, unsere Kinder großwerden zu sehen, ein Teil ihres Lebens zu sein. Ich bin unglaublich allein. Meine Mama war immer mein Fels in der Brandung, meine Stütze. Jetzt bin ich ihre. Und heute habe ich wieder solche Angst. Meine Tochter wird im Sommer eingeschult. Als meine Mama damals diagnostiziert wurde mit einer durchschnittlichen Überlebenszeit von 2-5 Jahren, habe ich gesagt: Du musst 5 Jahre schaffen, ich will, dass du bei der Einschulung noch dabei bist. Jetzt sind es fast 5 Jahre, die Einschulung steht vor der Tür. Vielleicht schafft sie das aber nicht mehr. Wenn die Atmung nicht mehr funktioniert, dann geht es oft ganz schnell. Ich wünsche ihr, dass sie sanft einschlafen darf. Ich muss stark sein, für sie. ABer ich bin soooo traurig, so verzweifelt. Ich kann nicht loslassen und gleichzeitig fehlt sie mich doch so sehr, schon so lange.

    Pfingsten scheint das wohl so an sich zu haben dieses Jahr... ich war an diesem Wochenende mit meinem Mann und den Kindern zelten. Ich hasse zelten, aber den Kindern zuliebe tue ich es natürlich. Aber eigentlich war es "nett" - gesellig und mit Freunden und deren Kindern. Aber ich sitze da und fühle mich einsam. Ich habe früher nicht dauernd und in jedem Moment an meine Mutter gedacht. Jetzt schon. Über allem schwebt immer "das erlebe ich jetzt ohne sie". Irgendwie war sie im Hintergrund immer da, immer anwesend auf eine positive Art. Die Ruhe und die Sicherheit, die immer irgendwie irgendwo schlummerte, selbst wenn ich gar nicht an sie dachte. Ich habe nie so viel an sie gedacht, wie jetzt. Meine Freundin fürs Leben. Und jetzt ist sie immer präsent, dadurch, dass sie in dieser Form nicht mehr da ist. Es hängt immerzu über allem. Dieses allein sein, trotzdem man unter Menschen ist. Man mag auch nichts mehr sagen, weil alle sich wahrscheinlich nur noch denken "oh man, sie kommt immer noch nicht klar. Immer wieder dieses Thema".

    Ich kann dir also nur sagen, du bist nicht allein im allein sein. Mach trotzdem weiter, ich tue es auch. Im Vertrauen darauf, dass. wenn es nicht besser kommt, der Tod ja irgendwann von allein kommt.

    Liebe Regentropfen,

    ich habe hier lange nicht mehr geschrieben, aber eines weiß ich ganz sicher: Du bist die beste, die einizge und die richtige Mutter für deine Kinder. Auch wenn du "krank" sein solltest, wie du befürchtest, auch wenn dir im Moment alles schwer fällt und du glaubst für niemanden genug zu sein. Deine Kinder brauchen dich und niemand anderen. Niemand könnte dich jemals ersetzen, egal wie super jemand anderes alles machen würde, du würdest immer fehlen. Keinem würde es besser gehen, ganz im Gegenteil. Wenn du glaubst, es geht ihnen jetzt schlecht, dann potenziere das um ein Tausendfaches. Ohne dich, wäre das Leben furchtbar für sie.


    Mein Mann litt 2 Jahre unter Depressionen und auch er hatte diese Gedanken. Insofern bestätigen solche Gedanken schon den Verdacht einer Depression. Aber eine Depression ausgelöst durch einen schlimmen Verlust und einer Lebenskrise ist nichts Ungewöhnliches. Man ist nicht "krank", weil man nicht richtig ist, oder etwas nicht richtig macht. Manchmal ist einfach alles zu viel und der Körper reagiert so und dann braucht man Hilfe. Es ist nichts, was du allein verändern kannst. Wenn du über einen langen Zeitraum so überlastet und traurig bist, dann können sich chemische Abläufe im Gehirn verändern. Dadurch gehen Gedanken immer in dieselbe negative Bahn und je mehr sie das tun, um so mehr wählt dein Gehirn diese "Automatik". Das ist ein bisschen so, wie wenn man jeden Tag denselben Weg zur Arbeit fährt und manchmal losfährt und plötzlich auf dem Weg zur Arbeit ist, aber man wollte eigentlich woanders hin. Dieser Automatismus kann auch im Gehirn entstehen und macht es unglaublich schwer, da wieder heraus zu kommen. Mein Mann ist da auch hineingerutscht, weil er sich in einer Situation befand, die ihm einfach zu viel wurde. Seine Eltern waren plötzlich weit weg, er lebte in einem neuen Land mit einer Sprache die er nicht kannte, sollte in einem neuen Job ein Team in einer Sprache leiten, die er noch nicht sprach und unser Kind wurde geboren. Es war alles zu viel. Auf allen Ebenen hatte er über lange Zeit das Gefühl, dass er "es" nicht hinkriegt (das Heimweh verarbeiten, ein guter Vater sein, erfolgreich im Job usw....), aber müsste. Nach einem Jahr ging fast gar nichts mehr. Er hat auch erst einmal lange gebraucht anzunehmen, dass etwas über das Normale hinaus nicht stimmt. Schließlich hat er offen mit seinem Hausarzt gesprochen und ziemlich schnell ein Medikament gegen Depressionen verschrieben bekommen. Ich war da erst sehr skeptisch und wollte erst nicht, dass er das nimmt. ABER rückblickend war es der Schlüssel. Das Medikament hat ihm geholfen wieder "wie er selbst", so hat er es immer beschrieben, denken zu können. Die chemischen Prozesse im Gehirn liefen wieder in "guten" Bahnen ab und das hat ihm die Kraft verschafft, eine Therapie machen und nutzen zu können. Er sagt noch heute, die Therapie allein hätte nicht geholfen, er hätte gar nicht die Energie dazu gehabt. Heute ist es schon 7 Jahre her, dass er die letzte Tablette genommen hat.


    Ich bin so froh und so dankbar und stolz auf meinen Mann, dass er damals trotzdem er überzeugt war, dass wir ohne ihn besser dran wären und er sowieso ein Versager auf ganzer Linie wäre und es tausend Männer gäbe, mich und unsere KInder viel glücklicher machen könnten, sich der Aufgabe gestellt hat, versucht hat, Hilfe anzunehmen, auch wenn er nicht überzeugt war, dass es etwas bringen würde.


    Dein Mann will keine andere Frau. Der möchte DICH. Deine Kinder genauso. Versuche, für sie die Hilfe anzunehmen, auch wenn du nicht überzeugt bist. Und deine Mama? Sie ist nicht mehr da, aber sie hätte gewollt, dass du alle Unterstützung bekommst, die du haben kannst. Manchmal sieht man kein Licht am Ende des Tunnels, man muss einfach ganz fest daran glauben, dass es trotzdem da ist. Ich sage mir das fast täglich, Ich frage mich so oft, wann hört das endlich auf? Dieser Schmerz, diese Trauer, diese Wut, diese Verzweiflung. Immer, immerzu, jede Minute. Heute habe ich schon auf dem Weg zur Arbeit geheult, weil ich meine Mutter mit einer solchen Wucht vermisst habe, dass ich kaum atmen konnte. Aber wenn wir Kinder haben, dann müssen wir daran glauben, dass es irgendwann irgendwie auch wieder besser wird, auch wenn es sich nicht so anfühlt.


    Ich möchte dir damit Mut machen, daran zu glauben, dass es wieder besser werden wird. Manchmal braucht man Unterstützung, um aus einem Loch wieder herauszukommen, aber daran ist nichts Schlimmes. Und du bist auch nicht schuld, dass du in das Loch gefallen bist. Es war da und es war einfach zu schwer nicht abzurutschen. Du musst so viel leisten als Mama jeden Tag, daneben "mal eben nebenbei" den Verlust und die Trauer auszuhalten mit der du zurecht kommen musst, ist fast unmöglich.


    Ich sende dir ganz liebe Grüße!

    Achso, zu deiner Tochter. Mit drei Jahren beginnt einfach der Widerstand, das Diskutieren und das Streben nach Auntonomie. Das ist super anstrengend und Kräfte raubend, aber es ist auch toll...zumindest wenn man da langsam durch ist. Denn ein willensstarkes KInd, kann sich auch durchsetzen und macht später nicht alles einfach mit. Bei meiner mittleren Tochter begann es auch mit drei Jahren und ich habe so oft gedacht, ich mache alles falsch. Jetzt ist sie sechs und so langsam sehe ich Licht am Ende des Tunnels. Sie kann sich jetzt schon ganz oft selbst beruhigen und zuhören, wenn man ihr Dinge erklärt, es wird jetzt wieder einfacher. In der Situation kann ich dir nur raten, ziehe dich nach Möglichkeit zurück, wenn es dir zu viel wird. Meine Tochter ist extrem willensstark und ich musste (und muss) öfter einfach das Zimmer verlassen, um mich selbst zu beruhigen. Versuche ihre Gefühle zu spiegeln, das hilft oft. Zum Beispiel so was zu sagen wie: "Du bist jetzt gerade richtig wütend, weil..." Das hat zumindest hier viel gebracht, weil sie sich dann gehört fühlte. Wir haben dann trotzdem nicht gemacht, was sie wollte, aber manchmal hat es ihr schon geholfen zu hören, dass ich erkannt habe, was sie EIGENTLICH möchte. Ich sage meinen Kindern immerzu, dass ich traurig bin, weil ich Oma vermisse. Vielleicht zu oft... aber es ist eben so. Zu oft, Immerzu. Ich muss damit leben, sie auch.

    3 Jahre schon! Herzlichen Glückwunsch nachträglich an deine große kleine Maus!


    Die Oma, die die eigene Mama gewesen wäre kann nie jemand ersetzen. Schlimm ist es, vor dem eigenen Auge genau zu sehen, wie es gewesen wäre, aber die eigenen Kinder können es nicht sehen...

    Irgendwann wirst du ihr von deiner Mama erzählen können und sie wird es verstehen und sie vermissen. Ich weiß das so sicher, weil ich sogar die Trauer meiner Oma um ihre Mutter, die sie mit 15 verloren hat, nachempfinden konnte, durch die Geschichten, die sie mir von ihr erzählt hat. Ich konnte die Liebe fühlen, die sie von ihrer Mutter erfahren hat und erahnen, wie sehr sie sie immer vermisst hat. Heute wünschte ich, ich könnte noch einmal als Erwachsene mit meiner Oma darüber sprechen...


    Ich durchlebe auch gerade wieder schwere Tage. Sehnsucht ist unbescheiden, laut und rücksichtslos. Erinnern an die schönen Zeiten reicht nicht. Man will mehr, einfach die Mama wieder im Arm halten können, ihre Stimme hören, ihre bedingungslose Liebe spüren und sich dadurch sicher und aufgehoben fühlen, daraus die Kraft für den Alltag ziehen... aber man ist allein.


    Vielleicht kannst du gemeinsam mit deinem Mann mal etwas Abstand gewinnen, damit ihr ein bisschen zueinander finden könnt? Wir haben keine Schwiegerfamilie oder irgendjemanden, der uns unterstützt, aber ich habe mir mittlerweile ein System aus Babysittern aufgebaut, die die Kinder mögen und die mir und uns Luft zum Atmen und Abstand verschaffen. Das kostet natürlich Geld, aber für uns ist es gut investiertes Geld. Wir haben unsere über Aushänge im Kindergarten gefunden...


    Eine zeitlang habe ich sehr nach einem "Mutterersatz" gesucht, einer Frau, die mich mag, älter ist und mir mal Lebensratschläge und ein bisschen Geborgenheit geben mag. Aber niemand hatte Interesse daran. Auch eine "Ersatzoma" habe ich für unsere KInder gesucht (weil ich das für die Kinder schön gefunden hätte und immer dachte, es gäbe auch viele "ältere" Menschen, die keine Enkel oder Kinder haben, aber vielleicht gerne welche hätten), aber auch das wollte niemand. DAs hat mich noch trauriger gemacht, denn ich liebe unsere Kinder so sehr und sie sind so süß und vor allem, was würde meine Mutter dafür geben, ihre Oma sein zu können und mit ihnen spielen zu können... ich habe dann für mich entschieden, dass so etwas von allein passieren muss. Die Suche ist zu schmerzhaft, wenn niemand den "Job" will, für den meine Mutter alles geben würde... die Erinnerung muss mal wieder reichen und tut sie nicht. Aber mit den Babysittern habe ich mich jetzt arrangiert und fahre ganz gut damit. Dann sind es eben nur wir. WIr kriegen das hin, besser als enttäuscht zu werden und doch wieder zu denken: "Mit Mama wäre es anders gewesen..."


    "Tot sein ist ein Arschloch!" Habe ich mal gelesen und es stimmt immer noch! "Todkrank sein ist genauso ein Arschloch!"