Liebe Martina,
manchmal weiß ich am Abend gar nicht, wie der Tag rumgegangen ist. Und das ist auch nach einem Jahr noch so. Es gibt gute und schlechte Tage. Ein Tag, an dem ich nicht weinen mußte, ist meist ein besserer Tag. Im Moment ist aufstehen so eine Sache. Wenn ich aufwache, denke ich oft: oh nein nicht schon wieder ein neuer Tag. Ein weiterer Tag ohne ihn. Aber irgendwie geht es dann. Eine Tasse Tee, ein bisschen aufräumen und eine Dusche. Manchmal brauche ich ewig dafür.
An manchen Tagen ist diese entsetzliche Stille so erdrückend. Selbst wenn das Radio an ist, ist es irgendwie so still. Diese Stille nimmt mir dann den Atem.
Jeden Nachmittag fahre ich zu Friedhof, bete, zünde neue Kerzen an und erzähle ihm von meinem Tag.
Jeden Tag schreibe ich ihm einen "Himmelsbrief", mit all meinen Gedanken, Gefühlen und was den Tag über so geschehen ist. Alle diese Briefe bewahre ich in einer Sammelbox auf. Da kommen Zeitungsausschnitte hinein, von denen ich weiß, dass es ihn sehr interessiert hat, wenn es z.B. Kunden von ihm betraf.
Ich habe ein Kissen mit seinen Bildern machen lassen. Es steht auf unserer Couch, nahe seinem Platz, wo er immer saß. Nachts steht es neben mir. So kann ich abends gute Nacht, und am Morgen guten Morgen sagen.
Ich schlafe nun schon seit über einem Jahr auf der Couch, da ich es in unserem Bett alleine immer noch nicht aushalte. Dabei hatten wir es uns nur wenige Monate vor seiner Erkrankung gekauft. Sein Bettzeug liegt noch da, inzwischen ziemlich verstaubt.
Seine Anziehsachen sind alle noch da.
Ich glaube, dass ich von einer Normalität noch sehr weit entfernt bin. Und ich bin sicher, dass das auch noch dauert.
Das ist so mein Ablauf meines neuen noch immer fremden Lebens. Aber was war in den letzten 2 Jahren schon normal?
Mein Liebster war ein Kämpfer, du hast es richtig gesagt. Er hat gekämpft wie ein Löwe, denn niemal wollte er mich alleine lassen. Immer hat er geschaut, dass es mir gut geht. Er konnte ja durch die Erkrankung nicht mehr sprechen. Wir haben uns mit Händen und Füßen, bzw. mittels einer kleinen Tafel unterhalten.
Und dass er letztendlich von der Diagnose bis zum schrecklichen Tod (es war tatsächlich schrecklich) nur 10 Monate Zeit hatte, hat uns nie jemand so richtig gesagt.
Die Ärzte haben uns niemals mit der Wahrheit konfrontiert.
So war wollte mein Kämpfer bis zum Schluss nicht wahrhaben, was unabwendbar war.
Jeder von euch hat da ja seine eigenen Erfahrungen gemacht. Die Zeitabläufe sind ja sehr unterschiedlich, von ein paar Jahren über ein paar Monate.
Ich wünsche euch allen, dass ihr einen Weg für euch findet, mit diesem Verlust und der dramatischen Veränderung in eurem Leben umzugehen.
Wie lange und wie schmerzhaft der Prozess sein wird, kann niemand sagen. Ich bin jetzt nach einem Jahr auch noch nicht viel weiter.
Seid herzlich umarmt
LG Angela