Er hat mich verlassen

  • Mein Freund hat vor ca. einem Jahr Selbstmord begangen. Niemand hatte sich jemals gedacht, dass es ihm so schlecht ging.
    Ich schon, ich hatte es verdrängt, weil es mir angst machte und ich zu dieser Zeit nur an mich dachte. Unsere Beziehung
    dauerte nicht lange, leider nur 2 Jahre. Diese 2 Jahre waren die beste Zeit in meinem Leben, die ich je mit einem Menschen verbracht hatte.
    Wir haben uns sehr geliebt. Es war einfach so als würden wir wie für einander geschaffen sein, wie in einem kitschigen Film.
    Eine rosarote Brille gab es gar nicht, wir wussten beide was wir wollten und wir waren immer ehrlich zu einander. Es hat einfach gepasst.
    Ich war die Person, die ihm am nächsten Stand und war zu dumm und egoistisch um zu sehen wie schlecht es ihm ging.
    Jetzt ist er nicht mehr da. Das letzte Jahr ging an mir vorbei wie in einem Rauschzustand, wenn ma alles nur passiv miterlebt, weil
    man nicht mehr fähig ist zu handeln. Mir fehlen die Worte zu sagen wie sehr er mir fehlt. Wie sehr er meinem Leben einen Sinn gegeben hat
    und dass er das wichtigste in meinem Leben geworden ist. Es ist unbegreiflich, dass er niemals wieder mit seinem Auto in meine Einfahrt fahren wird.
    Niemals mehr meine Wangen berühren wird. Es ist immer noch wie in einem Traum aus dem ich langsam erwache. Das erwachen wird jedoch immer
    schlimmer. Ich vermisse ihn so sehr, dass ich mein eigenes Leben fast nicht in den Griff bekomme. Meine Freunde und besonders meine
    Familie war immer für mich da. Doch für sie geht das Leben weiter. Wie soll ich denn an meinem Leben wieder anknüpfen können. Es
    hat sich alles verändert. Ich habe mich verändert. Ich bin nicht mehr die Person die ich früher war. Auf einen Schlag bist du nicht mehr du
    selbst und hast keine Macht darüber zu dir zurück zufinden. Er fehlt mir so schrecklich. Ich habe so furchtbare angst alleine zu sein.
    Wenn niemand bei mir ist, ist mir nur zum Heulen und alles kommt wieder hoch. Wenn ich alleine bin frisst es mich innerlich auf.
    Ich weiß nicht wie ich dieses Gefühl der Einsamkeit und Hilflosigkeit überwinden soll. Ich hätte ihm so gerne beigestanden, ich war zu spät.
    Nun ist er tot und er wird niemals wieder zu mir zurück kommen.

  • Liebe Cube,


    es tut mir sehr leid, was Du durchstehen musstest. Diese Schuldgefühle kommen bei jedem Trauernden in unerbittlicher Härte nieder. Und bei Suizid wahrscheinlich noch mehr. Doch mache Dir bitte keine Vorwürfe.
    Du hast Dir die Antwort eigentlich in Deinem Schreiben schon selbst gegeben: ... Du hattest es verdrängt, weil es Dir Angst machte. Und genauso sehe ich das auch. Ich weiß ja nicht, warum es Deinem Freund so schlecht ging, aber Du hattest keine Verantwortung darüber gehabt. Du hättest ihn wahrscheinlich auch nicht helfen können.


    Hast Du schon einen Brief an deinen Schatz geschrieben? Wenn Dich diese Schuldgefühle überkommen, schreibe ihm einen Brief, schreibe hinein, was Dir leid tut ... schreibe aber auch hinein, was Dich verletzt hat. Das ist wichtig. Den unsere Verstorbenen waren auch keine Heiligen und haben uns sicherlich auch verletzt. Bitte ihn im Brief um Entschuldigung und vergebe ihm auch seine Schwächen. Verbrenne dann diesen Brief, somit gibst Du diese Gefühle auch frei. Du kannst ihn natürlich auch an einem besonderen Ort aufbewahren.
    Vielleicht geht es Dir dann besser.


    Ja, das Leben geht für all die anderen weiter. Für uns nicht. Aber, du kannst auch nicht mehr an das "alte" Leben anknüpfen, denn das gibt es nicht mehr. Was Dir bleibt, ist einen "neuen" Weg zu finden, der für Dich gut ist. Du wirst auch nie wieder die "Alte" werden. Durch den Tod eines geliebten Menschen verändert man sich automatisch. Man sieht alles anders, versteht auch die sogenannten Probleme der anderen nicht mehr. Kommt sich teilweise vor wie ein Außerirdischer. Nich zugehörig auf dieser Welt. Man gehört scheinbar nicht zu den Lebenden und auch nicht zu den Toten. Man ist irgendwie in einer "Zwischenwelt".


    Diese Angst ist es, die Dich noch mehr runterzieht. Die Angst vor dem Alleinsein. Man kann keinen Rat geben, da jeder Mensch anders mit dem Alleinsein umgeht bzw. einer ist geselliger der andere eher nicht.


    Hast Du Dir schon Hilfe bei einem Psychotherapeuten geholt? Vielleicht kann Dir so etwas helfen aus Deiner Angst zu kommen.


    Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich nur sagen, dass ich Angst bekomme, wenn ich an die Zukunft denke. Panische Angst. Deshalb versuche ich jeden einzelnen Tag hinter mich zu bringen, ohne Zukunftsschau. Denn, wie wir alle hier wissen ... es kommt sowieso alles anders, als man denkt.


    Die folgende Frage mag jetzt für Dich vielleicht komisch klingen. Hast du ein Haustier? Ich frage deshalb, da ich zum Glück einen Kater habe, der mir wirklich am meisten geholfen hat. Wenn ich besonders traurig war und heulte, legte er sich auf meine Brust. Er gibt mir so viel Trost. Ohne Worte. Denn gerade die (gutgemeinten) Worte der Menschen sind es, die leider Gottes zusätzlich noch mehr verletzen und belasten. Wenn ich in die "leere" Wohnung komme, kommt mir mein Kater schon entgegen. Er nimmt mir nicht krumm wenn ich weine. Er nimmt es nicht persönlich ;-). Er liebt mich wie ich bin und er hilft mir beim "Überleben".


    Aber vielleicht hilft Dir ja auch, wenn Du hier öfter etwas schreibst. Hier sind Menschen, die Dich verstehen, die genauso durch die Trauer gehen müssen ...
    Wir alle müssen unseren Weg finden und gemeinsam werden wir es schaffen ... irgendwann.


    Alles Liebe
    Susanne

  • Hallo Susanne!


    Danke für deine ehrlichen Worte und Ratschläge. Es hilft sehr wenn man weiß dass es Menschen gibt die einen doch verstehe n.
    Dir geht es mit Sicherheit genauso.
    Dein Mann ist von dir gegangen. Darf ich fragen wie das passiert ist.


    Einen Brief habe ich noch nicht geschrieben, dazu fehlte mir bis jetzt die nötige Kraft und die Worte. Wenn ich daran denke ihm
    einen Brief zu schreiben überkommt mich das Gefühl des "Los lassen müsens". Damit sage ich ihm Aufwiedersehn. Ich weiß nach
    über einem Jahr ist es Zeit loszulassen, aber ich kann und will das nicht. Es ist zu früh für mich.
    Erzähl von dir, wie konntest du Kraft schöpfen und wieder dein Leben in die Hand nehmen?


    Ja bei einer Phsychotherapeutin bin ich gewesen. Muss sagen in der ersten Zeit hat es geholfen jetzt nicht mehr.


    Ein Haustier habe ich auch. Sie ist ein 16 monate alter Golden Retriever. Mein Freund hatte ihn ausgesucht und ihr den Namen
    Mila gegeben. Ich verstehe dich vollkommen. Manche meinen zwar man ist verrückt, dass ein Tier einen so wichtig sein kann.
    Aber ich muss sagen mein Hund ist das wichtigste in meinem Leben. Selbst am ersten Tag nach seinem Tod hat Mila mir schon
    ein Lächeln auf die Lippen gezaubert. Für sie kämpfe ich weiter und versuche mich tag täglich wieder aufzuraffen.
    Und genau wie dein Kater ist auch sie immer für mich da und spürt wann es mir schlecht geht.
    Für die beiden können wir uns glücklich schätzen.


    Ich wünsche dir das Beste. Irgendwann können wir alle wieder voraus schauen.


    Alles Gute.

  • Liebe Cube,
    sei herzlich willkommen hier und mein herzliches Beileid zum Tod deines Freundes!
    Die Idee mit dem Brief ist gut. Einen Brief zu schreiben, hat aber nichts mit Loslassen-Müssen zu tun. In der Trauerbewältigung geht es nicht ums Loslassen, das ist vielmehr ein Gerücht, das sich hartnäckig hält! Wenn ich eine Bindung zu einem Menschen habe, dann kann auch der Tod das Band nicht ganz auflösen oder durchschneiden. Wir bewältigen Trauer, indem wir dem verstorbenen Menschen einen Platz in der Erinnerung, in unserem Herzen schaffen und gleichzeitig akzeptieren, dass er phsysisch nicht mehr hier ist. Er wird dann zu einer Art "innerem Begleiter". Du kannst in den Brief alles hineinschreiben, was in dir vorgeht, ohne dabei loslassen zu müssen!
    AL
    Christine

  • Liebe Cube,


    Christine hat es auf den Punkt gebracht. "Loslassen" ... wenn ich das schon höre. Wie kann man einen Menschen, den man so geliebt hat von heute auf morgen los lassen. Das geht nicht und braucht Zeit. Meiner Meinung hat man los gelassen, wenn man nicht mehr ständig traurig ist über den Verlust und wenn man sich über das gemeinsam Erlebte in Freude zurückerinnern kann. Das braucht Zeit und wird bei jedem anders sein.
    Bei mir bringt die Erinnerung an das gemeinsam Erlebte auch nur Traurigkeit, da ich weiß, dass ich das mit ihm nie wieder erleben kann. Es tut einfach nur weh. Hier kann wirklich nur die Zeit helfen.


    Schreibe diesen Brief, wenn Du bereit bist. Ich dachte er würde Dir bezüglich Deiner Schuldgefühle Linderung verschaffen. Zwing Dich zu nichts.


    Mein Mann, der ein Bär von einem Mann war, nie krank, hat Ende Februar zu Hause eine Hirnblutung im Stammhirn bekommen (inoperapel). Als es passierte, dachte ich an einen Schlaganfall und hab sofort die Rettung angerufen. Andreas kämpfte dann noch ein Monat im Spital. Zwei Wochen davon im künstlichen Tiefschlaf. Sprechen konnte er nicht, aber er verstand mich. Ein paar Tage vor seinem Tod, sagte ich ihm (wie so oft), dass ich ihn liebe und er erwiederte mit seinen Lippen:" Ich liebe Dich auch". Nach dem er nach dreieinhalb Wochen auf die Neurologie kam, dachten wir, er hätte es geschafft. Es würde zwar dauern, aber er hats geschafft. Sein Zustand verschlechterte sich und am 25. März 2012 ist er gestorben. Für mich ist eine Welt zusammen gebrochen. Er war und ist der wichtigste Mensch in meinem Leben. Er durfte nur 37 Jahre alt werden und wir hatten so viel Pläne und wollten gemeinsam alt werden.


    Du fragst wie ich mein Leben wieder in die Hand genommen hab und Kraft geschöpft habe. Naja, nachdem ich mitten im Berufsleben stehe musste ich nach einigen Wochen Krankenstand wieder arbeiten gehen. Es bleibt einem ja nichts anderes übrig. Und dann ist da noch der Garten von meinem Schatz. Ich hab noch nie in meinem Leben Verantwortung für einen Garten gehabt. Ihm zuliebe, als Andenken, habe ich mein Bestes gegeben (mit Tipps und Hilfe meiner Mutter). Ich bin auch stolz darauf, wie schön der Garten aussieht. Andreas freut sich sicherlich darüber, was sein Schätzchen da zustande gebracht hat ;-).


    Bei mir ists ja auch noch nicht so lange her. Und der heftige Wechsel von Gefühlen und Gedanken, das ewige auf und ab durchlebe ich auch. Ein Patentrezept gibt es nicht ... eine Abkürzung durch die Trauer leider auch nicht. Aber wichtig ist, dass Du Dich zu nichts überreden lässt, was Dir nicht gut tut. Zum Beispiel lehnte ich die Einladung zu einer Grillerei bei meiner Schwester und meinem Schwager ab, da dort lauter "normale Familien" wären und ich mir dort mehr als Fehl am Platz vorkommen würde. Ich hätte mich dort unwohl gefühlt und danach noch trauriger. Also habe ich abgelehnt, hab auch dazugesagt, dass so etwas im Moment nicht förderlich für mich ist. Sie haben es verstanden.


    Anfangs habe ich viele Bücher verschlungen. Herkömmliche Traurliteratur, aber auch Bücher über das Jenseits, da ich ja an eine Weiterleben der Seele glaube.


    Zum nächsten bin ich ein Mensch, der immer ein Ziel brauchte. Sei es ein Zimmer (damals mit meinem Schatz) zu renovieren oder so wie jetzt meine begonnene Ausbildung (nebenberuflich) fertig zu machen. Diese Ausbildung beinhaltet viele (für mich) Interessante Themen und ab und zu stell ich einiges hier rein, wenn ich mir denke, dass es den Menschen hier hilft z.B. Aromaöle, Bachblüten, Säure-Basen-Haushalt ....


    Nachdem man nach einigen Monaten ziemlich allein gelassen wird und dann schon aus Sturheit vieles selbst probiert (Reperatur od. Garten), das man sich nicht zugetraut hätte und ich nicht um Hilfe "betteln" gehen möchte, haben mich diese kleinen Erfolgserlebnisse auch bestärkt.


    Aber wie gesagt, ich bin auch noch Lichtjahre davon entfernt, dass ich behaupten könnte es ginge mir besser. Traurigkeit ist mein Grundgefühl und wir es wohl noch länger bleiben.


    Es freut mich, dass Du einen süßen Hund zu Hause hast. Es ist wirklich unglaublich, welchen Trost sie einem geben. Und man hat ja auch Verantwortung für sie ... das ist gut. Sonst würden wir uns wahrscheinlich nur noch hängen lassen. Aber besonders mit einem Hund muss man ja oft raus, damit er seine Geschäfte verrichten kann.


    Ich wünsche Dir viel Kraft und Zuversicht und schreibe immer, wenn Dir etwas auf der Seele brennt.


    Liebe Grüße
    Susanne