Der Letzte meiner Ahnenkette, der gegangen ist

  • Hallo,


    angesichts der fortgeschrittenen Stunde wird es kein allzulanger Text werden. Vor jetzt drei Wochen ist mein Vater verstorben - er hatte meine Mutter um sechs Jahre überlebt. Die Familiengeschichte kann und will ich hier nicht ausbreiten - es wäre einfach zuviel. Meine Mutter war Alkoholikerin, die Jahrzehnte nach ihrem Entzug trocken, jedoch ohne jegliche therapeutische Begleitung und nachhaltig durch ihre Kriegserlebnisse traumatisiert war. In der Familie gab es eine Adoptivschwester, aufgenommen nach ebenfalls traumatischen Ereignissen und mein nunmehr verstorbener Vater ist in spezifischer Weise übergriffig gewesen an uns beiden. Ich war nicht die geliebte Tochter, bis zuletzt nicht, aber diejenige, die in den letzten Jahren den elterlichen Haushalt führte und zwei Jahre lang mit Unterstützung eines Pflegedienstes täglich bei meinem Vater war. Meine Schwester verließ die Familie vor Jahrzehnten - der Kontakt ist abgebrochen.


    Beim Tod meiner Mutter bin ich bis heute klar. Mit ihr habe ich den Frieden hinbekommen und seit ihrem Tod spüre ich einfach nur Erleichterung und Entlastung. Was ich ihr von Herzen wünsche ist, dass die ihr entwichene Lebensenergie irgendwowiehin in guter Weise transformiert wurde.


    Mein Vater ist nun der letzte meiner Wurzeln, die gegangen sind. Sämtliche Großeltern verstorben und mit seinem Haushalt löse ich ein Stück weit auch meine äußere Herkunft auf. Den Akt haben wir an einen Entrümpler abgegeben - ich holte vorher das zu mir, worüber ich selbst entscheiden möchte, ob und wann es ggf. entsorgt wird. Die Trauer ist unspezifisch. Ich betrauere nicht die Person, die gegangen ist - vielmehr betrauere ich für mich und stellvertretend das, was in meinem Clan nie gelebt oder gefühlt wurde. Die Kriegsfolgen wurden weggefeiert und die Schatten verdunkelten am Ende unsere gesamte Familie. Bekunden mir Menschen ihr Beileid, könnte ich weglaufen, beim Mitgefühl ist es aber auch nicht viel anders. Werde ich ignoriert ist es ebenfalls irgendwie nicht richtig und in der Reaktion auf Ansprache lasse ich ähnliche Plattitüden ab, die mich bei den Mitmenschen ärgern...


    Es ist dumpf, es ist taub und es ist auch lebendig in mir. Ich bin üblicherweise ein zerstreuter Professor, sowieso schon, doch momentan übertreffe ich mich selbst noch um Längen. Das Arbeitsleben fällt mir unglaublich schwer - aber noch schwerer ist es, zu Hause zu sitzen und mich auch noch strukturieren zu müssen. Gerade ist alles irgendwie "nicht". Kennt das jemand von Euch? Offensichtlich um irgendetwas im eigenen Leben zu trauern, aber keine wirkliche Trauer zu spüren für die Menschen, die denn tatsächlich gegangen sind - und doch zu merken, dass auch das mit hineinspielt? Und dennoch lebe ich. Ich lache, ich mache Blödsinn - befreit von Elternpflichten gehen wir auf Reisen, ich treffe mich mit Freundinnen etc. Und es liegt irgendetwas schwer über mir, dass ich nicht greifen kann.


    So ist das mit diesem seltsamen Verlustgemisch in mir...


    Hayat

  • Liebe Hayat,

    das ist in der Tat eine sehr spezielle Geschichte. Vielleicht kann ich Dir morgen dazu etwas schreiben, wie es für mich war, als mein Vater gestorben ist. Ich hatte ein schwieriges Verhältnis mit ihm und nach seinem Tod auch ganz andere Trauergefühle als nach dem Tod meiner geliebten Mutter.

    Für jetzt aber einmal gute Nacht :19:

  • Ja, liebe StillCrazy,


    die Geschichte ist schon sehr speziell, doch welche Trauer ist das nicht? So wie wir Menschen mit unseren Beziehungen untereinander völlig unterschiedlich sind, so ist es auch unser Umgang mit Verlusten, Tod und Sterben. Als meine Mutter ging, war ja trotz allem noch jemand übrig und deren Haushalt - und damit ein Teil meiner Herkunft - existierte weiter. Es kocht derzeit vieles, was noch keinen Abschluss hatte, hoch und wird mit den hinterlassenen Hypotheken meines Vaters neu aufgemischt. Hinzu kommt, dass allmählich Stressfaktoren wie Pflege, Todesnachricht, Beisetzung etc von mir anfallen und das zutage tritt, was unter alldem begraben lag. Ich fühle mich auch physisch sehr mitgenommen gerade.


    Dir vielen Dank für Zulesen und Rückmeldung .


    Hayat

  • Liebe Hayat,

    herzlich willkommen hier bei uns.

    Jede Geschichte ist speziell und deine auch. Das hast du sehr schön formuliert.

    Ich kann dir ein Buch ans Herz legen:


    https://www.herder.de/leben-sh…book-(epub)/c-28/p-11779/


    In einem eigenen Kapitel wird das Thema: "Schattenseiten und Schweres" behandelt.

    Darin geht es eben auch um den Verlust der Hoffnung, dass sich in der Beziehung noch etwa verändern könnte.


    Der Unterschied zum Tod deiner Mutter wird vielleicht auch das sein: Du bist jetzt eine Waise. Auch wenn du deine
    Eltern nicht mehr zum überleben brauchst, wie das bei einem kleinen Kind der Fall ist, so sind sie doch unsere Lebensgeber.
    Sie sind die Schnittstelle zu unseren Wurzeln und wenn du verwaist bist, bist du in deinem Fall auch die jenige, die alleinig
    eure Wurzeln spürt.


    Gerade ist alles irgendwie "nicht". Kennt das jemand von Euch? Offensichtlich um irgendetwas im eigenen Leben zu trauern, aber keine wirkliche Trauer zu spüren für die Menschen, die denn tatsächlich gegangen sind - und doch zu merken, dass auch das mit hineinspielt?

    Dieses Gefühlschaos und das nicht unbedingt klar bekommen, um was trauere ich, das ist in deiner Familiengeschichte - so wie ich vermute - grundgelegt. Du schreibst, dass die Kriegstraumatas "weggefeiert" wurden. (Um welchen der vielen Kriege geht es in deiner Familie?) Es durfte keinen Platz haben und schwang wahrscheinlich doch immer mit. So kann ich mir gut vorstellen, dass du vielleicht auch all das betrauerst, was in deiner Familie nicht sein durfte.


    Und dann waren da noch Übergriffe, die auch betrauert werden möchten. Es ist nicht richtig, dass Kinder durch ihre Eltern leiden und doch ist es leider oft der Fall. Ein Kind will geschützt werden und geliebt werden. Fühltest du dich geliebt?


    Ich möchte dich ermutigen, dieses Chaos zuzulassen und herauszufinden, was daraus das erste ist, was du genauer betrachten, näher an dich heran lassen möchtest. Jeder Teil dieses Chaos gehört ja zu dir und will gesehen werden.

    Und ich wünsche mir, dass ich auch dich besser kennen lernen kann, durch deine geschriebenen Worte. Es freut mich, dass es in deinem Leben auch das Leben gibt, das du spürst und lebst.




    Schön dass du da bist. Lg. Astrid.

  • Ein herzliches Dankeschön von einer Parkbank aus der Mittagspause und darum etwas gestrafft.


    Eure Rückmeldungen tun gut und entsprechen meiner intuitiven Anmeldung gerade für dieses Forum.


    Traumatherapie mache ich, jedoch kein EMDR. Betz ist mir ein Begriff - ich bin für mich ein bisschen bei Frau Reddemann angedockt.


    Es ist vielleicht kein direktes Chaos, das mich umgibt, sondern ein angestautes Vielzuviel, das jetzt natürlich nochmal neu befeuert wird. In der Tat gibt es in meiner Familie mit all ihren Verstrickungen auch mindestens einen Schattentoten, der an jeder Wand hing und von dem ich lediglich weiß, dass er an einer Herzerkrankung verstorben ist, etwa 5 Jahre vor meiner Geburt. Meine mir bekannten Ahnen sind von beiden Weltkriegen belastet gewesen.


    Mehr evtl. später, die Pause neigt sich dem Ende zu ...


    Hayat

  • Liebe Hayat,

    herzlich willkommen bei uns! Und mein herzliches Beileid.


    Ein sehr spannender Ansatz! Inwiefern glaubst du, dass deine Familie in besonderem Maße von den Weltkriegen traumatisiert ist?

    Unser aller Ahnen sind von den Weltkriegen belastet worden und ich glaube schon, bzw. das wurde ja auch schon untersucht und beschrieben, dass die heutige gesellschaftliche Schwierigkeit mit Trauer gesund umzugehen auch transgenerative Folge der Weltkriegstraumata ist, - aber nicht nur.

    Unsere Trauerkultur - oder unkultur (wie man es nimmt) ist auch geprägt von verschiedenen Trauernormen und -konventionen, die sich über die Jahrhunderte und Jahrzehnte uns eingeprägt haben.

    Und darüber hinaus ist der Trauerprozess eines Menschen ja auch ein ganz individueller: Er hat zu tun mit der Persönlichkeit eines Menschen, seiner körperlichen/gesundheitlichen Disposition, seiner Erfahrungen, seiner Art mit Bewältigungsstrategien umzugehen, der Art des jeweiligen Sterbefalles und natürlich der Beziehung zum Verstorbenen/den Verstorbenen.


    Wenn du schreibst es ist dumpf und taub in dir und es ist "nichts", ist das etwas Neues für dich? Ich meine die Frage dahingehend: Was bist du an sich für ein Mensch - einer der zu seinen Gefühlen immer gut Zugang hatte und jetzt diese Taubheit verspürt oder immer schon jemand, der sich schwer getan hat zu Gefühlen Zugang zu haben und jetzt fällt es umso mehr auf, weil du von dir jetzt eigentlich mehr an Gefühl erwarten würdest.


    Wenn ich dich richtig verstanden habe, hattest du eher schwierige Beziehungen zu beiden Eltern, von daher kann ich deinen momentanen "Zustand" sehr gut nachvollziehen - da ist keine tiefe Trauer um deine Eltern - weil du wahrscheinlich keine tiefe Liebe von ihnen erfahren hast und keine wirklich gute tragfähige Bindung - auch wenn du irgendwie deinen Frieden mit ihnen gemacht hast. Und doch ist da eine Traurigkeit, die sich über dich gelegt hat, für die Dinge die du in deinem Leben nicht hattest, nicht bekommen hast .... Ich kann das wirklich gut nachvollziehen!


    Alles Liebe Christine

  • Guten Abend allseits,


    was mir jetzt erstmal wichtig ist:


    Ich bin berührt und von Herzen dankbar für Eure Rückmeldungen, für Eure Offenheit, Eure Freundlichkeit und Euer Verstehen. So vieles aus Euren Beiträgen springt mich nahezu an und geht mir durch den Sinn - und Zeit ist begrenzt, der Arbeitstag war voll und lang und ich bin müde... Und freue mich dennoch schon den ganzen Tag lang auf diesen Abendgruß hier.


    Ich bin noch neu hier, muss mich erst ein bisschen einfinden und schauen, wie das alles so funktioniert und bitte zu entschuldigen, wenn ich vielleicht erstmal nur bei mir bleibe - das gesamte Gehötter rund um Beisetzung, Kosten, Friedhof usw. usf. ist noch ganz frisch, den Bestatter haben wir gerade mal gestern bezahlt und ich bin noch völlig im Betreuungsrhythmus gefangen und noch nicht so sehr offen für die Außenwelt. Ich werde vielleicht in den nächsten Wochen, Tagen, die Fühlerchen nach Euch anderen hier ausstrecken und schauen. Bitte seht mir meinen grauen Kokon noch etwas nach!


    Vieles, was Ihr mir rückgemeldet habt, wirkt noch nach - ich fange einfach mal an, das ein oder andere herauszupicken, was dennoch sofort herausstach:


    @ Astrid und Christine:

    Nein, ich habe mich von den Eltern nicht geliebt gefühlt. Für meine Mutter muss ich das lang ersehnte Prinzesschen gewesen sein, das sich erst einstellte, nachdem bereits ein Mädchen an Kindes statt angenommen worden war. Dieses angenommene Kind wurde emotional vernachlässigt, als ich als das eigentlich gewollte Kind geboren worden war. Aufgrund verschiedener Umstände, die hier zuviel Raum einnähmen, würde ich sie auch noch schildern, war ich in den ersten Lebensjahren ein pflegeaufwendiges Kind mit vielen ärztlichen Behandlungen und einigen Krankenhausaufenthalten. Ich wurde per Kaiserschnitt geboren und meine Mutter bekam mich in den ersten Tagen nur durch eine Glasscheibe zu Gesicht. Von Anfang an mochte ich diese Frau nicht. Ich weiß nicht warum, ich mochte sie nicht wirklich, habe mir immer Mühe gegeben, "gespielt", meine Mutter zu lieben - aber da war nichts. Nur Ablehnung. Und dass ich ihr geliebtes, lang ersehntes Töchterchen gewesen sein soll, hat sie zumindest perfekt getarnt - gespürt habe ich es nie. Natürlich kann ich hier nur das schildern, was ich konkret erinnere - und die ersten Fragmente datiere ich etwa auf mein zweites Lebensjahr - sehr dunkel allerdings. Vermutlich habe ich mir vorher erfolglos alle Mühe gegeben, von meiner Mutter geliebt zu werden und irgendwann muss ich vielleicht die nonverbale Botschaft begriffen haben.


    Meinen Vater hingegen habe ich angebetet und mich nach nur einem Fünkchen Zuwendung von ihm gesehnt - aber da kam nicht viel. Im Außen hat er sich das nicht anmerken lassen, doch ich habe einfach gespürt, dass von ihm zu mir nichts ist. Kurz nach dem Tod meiner Mutter gestand er, dass er in der Tat meine Schwester mehr geliebt habe - sie habe ihm leid getan, weil mit meiner Geburt meine Mutter nur noch Augen für mich gehabt haben soll.


    Lieblos aufgewachsen bin ich zum Glück nicht - es gab das Großelternhaus, das ich unendlich geliebt habe - mit all seinen Bewohnern. Diese Menschen sind für mich Schutzengel auf Erden gewesen. Ohne diesen Teil der Familie wäre ich vielleicht wirklich zum emotionalen Zombie verkommen.


    Zu meiner Mutter bestand und besteht kaum eine emotionale Bindung. Respekt mittlerweile ja, sehr sogar, auch ein großes Verstehen und Verständnis, Mitgefühl (ich habe mich im Zuge einer Fortbildung sehr mit dem Thema Tod/Sterben usw. auseinandergesetzt und darüber sehr viel Heilendes zu meiner Mutter erfahren dürfen - doch eine emotionale Bindung/Verbindung gibt es kaum. Schreibe ich jetzt.


    Bei meinem Vater sitzen großer Schmerz und noch größere Wut, die jedoch dankenswerterweise nahezu atombombensicher verkapselt sind und immer nur in homöopathischen Dosen ins Leben gelassen werden. "Fühlen" ist in der Therapie ein immenses Thema. Ich kann meine Gefühle, wenn sie erstmal wieder durch sind, hervorragend und nadelspitz-pointiert analysieren, darüber seitenlang schreiben - doch aktiv FÜHLEN - das geht nur begrenzt. Freude, ja - bis zu einem gewissen Grad, aber bitte nicht übertreiben. Wut kann ich im Kopf denken, doch damit aktiv umzugehen ist superheikel und Trauer - das geht für mich ganz alleine, doch sobald jemand um mich ist,friert sie in der Regel sofort ein. Es sei denn, ich bin mit jemandem ganz konkret in dieser Sekunde im Kontakt, der/die mir persönlich sehr nahe steht. Oft denke ich, wie schade! Auf alten Kleinkinderfotos muss ich ein wirklich witziges, fröhliches Kind gewesen sein und heute blitzt sowas auch in mir durch, äußert sich jedoch eher im Sarkasmus. Fühlen ist für mich mit tiefer Angst verbunden. All in all bin ich, was das Leben von Emotionen angeht, ein sehr kontrollierter Mensch. Im Innen ist es anders. Ich bekomme oft zu meiner Belastung sehr viel unterschwellig mit, was man nicht so sieht. Vielfach kann ich es nicht benennen, spüre einfach hin, wenn was schräg oder auffällig oder "irgendwie ist".


    Ich würde grundsätzlich schon sagen, einen guten Zugang zu meinem Fühlen zu haben, doch Fühlen ist gleichzeitig für mich anscheinend auch brandgefährlich und das wird mit Sicherheit seinen ganz konkreten Ursprung haben. Wo ich mir ein Fühlen erlaube, ist in der Musik - und darüber bin ich sehr dankbar. Ich habe spät damit angefangen und werde vermutlich aufgrund meines Alters keine gute Musikerin mehr werden. Ich betreibe es für mich zum Spaß und eigentlich vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht mit dem Instrument gewesen bin


    Generationenübergreifende Traumata:


    Belastung durch die beiden Weltkriege sind eigentlich viel zu kurz gefasst. Ich bin für mich zu einer sehr eigenen Erkenntnis gelangt, die jetzt hier auszubreiten zuviel wäre und vielleicht auch überfordern würde. Ich versuche es einigermaßen kurz zu umreißen, fürchte jedoch, dass es mir nicht gelingen wird. Ich ganz persönlich bin der tiefen Überzeugung, dass kein einziges Wesen in diesem Universum "böse oder schlecht" geboren wird. Wir werden zu dem was wir sind, unsere Umwelt formt uns. Sehr grob gesagt, müssen wir nomadisierenden Zweibeiner irgendwann in unserer Frühgeschichte durch Naturgewalten oder was auch immer so nachhaltig traumatisiert und geschädigt worden sein, dass für uns Nahrung und Sicherheit das höchste Ideal und Gut geworden sind und mit Beginn der Sesshaftigkeit und dem Verlassen unserer eigentlichen Bestimmung, nämlich umherziehend dafür zu sorgen, dass das Leben auf dieser Erde weiterbesteht, ging das Elend los. Nahrungsgründe wurden überwirtschaftet, Besitz erzeugt Neid und Gier und daraus resultierend das gesamte menschliche Galama, das sich heute in einem unvorstellbaren Wahnsinn weiterentwickelt... Ich bin mir sehr sicher, dass diese traumatischen Grunderfahrungen in unseren Genen/DNA - was auch immer festgeschrieben sind wie die Grundbedürfnisse nach Nahrungsaufnahme, Fortpflanzung und Ausscheidung.


    Was konkret die Kriegsschäden für meine Familie angeht, so erlebten alle vier Großeltern beide Weltkriege sowohl als Kinder (I) als auch Eltern/Soldaten (II) die Geschehnisse hautnah mit. Alle vier Großeltern hatten kein einfaches Leben und "Liebe", Empathie usw. waren in deren Leben sicher nicht die Schlagworte wie sie es heute bei mir sind. Es gab viele Kinder und wenig Geld - meine Mutter musste als älteste Tochter ihre jüngeren Geschwister bei Bombenalarmen in Sicherheit bringen, während ihre Mutter irgendwo zum Betteln nach Essbarem unterwegs war - sie war damals vielleicht 16 Jahre alt.

    Vor allem: Für uns heute ist es beinahe schon normal, zum Therapeuten zu gehen, wenn es drückt - doch sämtlichen Kriegsgenerationen blieb dieser Luxus weitgehend verwehrt und sie mussten mit dem, was sie erlebt, gefühlt und gesehen hatten, irgendwie zurechtkommen und wurden nicht selten aufgrund ihrer seelischen und körperlichen Schäden noch verhöhnt und mißachtet obendrein. Ich bin mir sehr sicher, dass einiges von dem, was mich heute unterschwellig belastet, gar nicht mal mein eigenes ist. Ich bin, wie oben erwähnt, sehr sicher, dass zum einen grundlegende Traumata der Menschheit generell in uns angelegt sind und ich glaube weiter, dass unerlöstes Seelenleid von einer Generation auf die nächste übertragen wird - durchaus mit der immer neuen Chance, stellvertretend auch Leid zu heilen.


    Das Wort "Trauer-Unkultur" spricht mich sehr an. Wenn wir nicht den Mut finden, uns unserem eigenen und darüber hinaus dem gesellschaftlichen Schatten zu stellen, dann können wir auch gar nicht die Fähigkeit der Trauer und des würdigen Umgangs mit Trauer entwickeln. Und daraus resultieren dann oft fröstelnde Trauerfeiern, liebloses Einsargen und alleingelassene Trauernde.


    Zur Trauerkultur im besten Sinne zähle ich Euer Forum, das ich im Grunde seit Jahren schüchtern umkreise - ebenso wie ich mich andererseits und scher menschenlnd schwer tue und ungeduldig bin im Umgang mit Trauernden (die ja nur meinen eigenen unerlösten Schmerz antriggern...). Ich bin ehrenamtliche Hospizhelferin und wirklich fasziniert vom Sterbeprozess, der für mich nichts anderes ist als die Umkehrung einer Geburt und es ist für mich etwas Besonderes, Menschen hierbei unterstützen zu dürfen - doch die Trauer der Hinterbliebenen zu begleiten, überfordert mich. Allerdings spüre ich hier leise Bewegung. Erstmal ist jetzt meine eigene, vielschichtige Trauer dran und ich könnte mir jedoch vorstellen, mich auch in der Trauerbegleitung fortzubilden, ohne sie tatsächlich ausüben zu müssen. Es wäre ein Mutsprung.


    Es ist sehr viel geworden, verzeiht, doch Schreiben ist auch Heilung, finde ich. Die Taubheit ist für heute Abend jedenfalls weg und ich fühle mich geklärt. Wenn ich mich hier nicht konkret zu anderen Rückmeldungen geäußert habe, dann hat das gar nichts mit mangelnder Wertschätzung für Eure Worte zu tun! Und noch einmal Danke für den Raum, den Ihr trauernden Menschen eröffnet!


    Gute Nacht Euch allen!


    Hayat

  • Liebe Hayat,

    zu deinem grauen Kokon, es ist wichtig - wenn nicht sogar überlebenswichtig - in der Trauer zuerst auf sich zu schauen. Das machen viele hier so. Darum mach dir keinen Stress.


    Deine Gedanken und das Geschriebene kommt mir beim Lesen vor, wie ein Fluss. Das musste so raus und wie du schreibst, hat es dir die Taubheit ein bisschen genommen. Vielleicht weil du es in Worte gepackt hast, es benannt hast und durch das Schreiben hier einen Ausdruck dafür hast. Das freut mich.

    Es freut mich auch, dass du so offen und ehrlich bist. Du wirkst sehr reflektiert.


    Die Gefühle so zu kontrollieren, wie du es beschreibst, hast du dir sicher aus nützlichen Beweggründen angeeignet. Vielleicht findest du manchmal einen Moment, in dem du diesen Kraftakt ein bisschen lösen kannst. Und wenn es nicht im direkten Miteinander mit anderen Menschen ist, dann vielleicht hier.


    Ich wünsche dir für heute ein paar Sonnenstrahlen, die es bis in dein Herz schaffen.

    Lg. Astrid.

  • Vorsicht, Inhalt mag etwas schwer verdaulich sein!



    Guten Abend,


    ich schreibe hier einfach weiter - es ist ja meine fortgeführte Trauergeschichte.


    Astrid, ich möchte Dir von ganzem Herzen für die Buchempfehlung danken. Eva Terhorst wird mir gerade zur echten Begleiterin. Ich fühle mich mit meiner seltsamen Gemengelage gerade oft unverstanden und habe die Phantasie, Menschen total zu überfordern.


    Nenne ich Traumatherapie und Geschehenes beim Namen, dann habe ich die Mitfühlenden und -leidenden natürlich voll hinter mir und sage ich aber anschließend, dass ich diesen Menschen als Kind so (restlos erfolglos) angebetet und so angehimmelt habe, dass mir die ersten Ahnungen dessen, was folgte, wie Privilegien erschienen und er dennoch mein Vater ist und es Anteile in mir gibt, die ihn heute noch aus unschuldigem Herzen heraus lieben, dann ist die Irritation groß (von einigen Dingen wissen nur Wenige). Aber ansonsten reicht unsere Story sowieso schon genügend aus - das andere toppt die ganze Chose nur noch ein wenig).


    Erst heute erhielt ich von seiner Vermieterin noch eine Rückmeldung, wie gelungen und ansprechend die Trauerfeier doch gewesen sei. Ich hätte ihm einen würdigen Abschied geschenkt und unglaublich, dass ich auch die zweite Trauerrede gehalten und musiziert hätte... Habe ich alles. Und spürte alles gleichzeitig in mir, während ich da vorne neben dem Sarg stand, den ich am Tag zuvor auch noch selbst zugeschraubt habe, um eine Lebensphase ganz konkret zu beenden. Trauer, bleierne Schwere, Aufregung, eine Anspannung, die mich fast zerriss und ein Gefühl, jede Sekunde ohnmächtig zusammen zu brechen, während meine Stimme laut, klar, deutlich und fehlerlos meinen Text verlas, der auf dem Boden des väterlichen Wunsches entstand, bei seiner Trauerfeier nicht zu lügen und nicht zu heucheln.


    Ein Kapitel, das mir bei Eva Terhorst seltsame Gefühle macht einerseits und beruhigt andererseits ist das Weinen. Ich kann nicht wirklich, nicht richtig weinen. Ein bisschen ja, doch während beider Trauerfeiern meiner Eltern kam mir keine Träne ins Auge. Bei meiner Mutter war nichts als Erleichterung und bei meinem Vater begleitet mich seit der Todesnachricht am Urlaubsort diese bleierne Schwere und eine bei mir völlig ungewohnte Antriebslosigkeit.

    In den letzten Jahren habe ich einmal wirklich richtig geweint - das war, als eines meiner Kinder sein Weltenbummlerdasein antrat. Der Abschied hat mir richtig den Boden unter den Füßen weggerissen. Ich habe in meinem ganzen Leben noch niemals so sehr geweint wie in den ersten Tagen nach dem Abflug. Auch jetzt gehe ich ganz selten in sein Zimmer. By the way - natürlich sind wir über die üblichen Medien im Kontakt, mehr sogar noch als früher, als wir zusammenlebten.

    Bei dem kürzlich verstorbenen Vater jedoch keine Träne. Die Beisetzung taucht regelmäßig in unterschiedlicher Weise in meinen Träumen auf, ich bin täglich am Grab, mittlerweile gesellt sich meine Mutter zu meinen stillen Plaudereien dazu und ich habe das beruhigende Gefühl, dass die beiden nun miteinander sind. Doch was ist mit mir? Die beiden haben sich wieder und ich stehe da, mit schrägen Gefühlen, verrrückten Gedanken und einer Dumpfheit, die vermutlich heftige Gefühle zudeckelt und abpolstert.


    Ich fühle mich von Eva Terhorst einfach verstanden, das ist es wohl. In der Therapie werden wir uns demnächst wohl des Themas "Trauer" widmen. Vor der Hospizhelfer-Schulung sollten wir eine Abschiedsbiographie erstellen - darin enthalten auch Abschiede von Menschen, die noch leben. Zunächst dachte ich mir, ist ja locker und staunte nicht schlecht über eine etwa dreiseitige Liste... Und eines fiel mir damals wie Schuppen aus den Haaren - die meisten Abschiede sind mir vorgelatzt worden. Waren es nun tatsächliche Tode, waren es als Freunde betrachtete Menschen, die sich entweder einfach so aus meinem Leben gestohlen haben - oder waren es vorherige dramatische Konflikte. Letzteres gab es weniger - meist waren die Personen auf einmal weg und ich hatte zu akzeptieren.


    Schwer nage ich an dem Weggang meiner Schwester. Sie lebt noch, hat sich jedoch nach den familiären Ereignissen entschieden, zu gehen und jedweden Kontakt abzubrechen. In den ersten Jahren war ich froh - wir hassten einander. Mittlerweile hat sich das in mir vollständig gewandelt und geblieben sind Respekt und Verständnis für sie. Vielleicht rührt meine Sehnsucht nach Kontakt zu ihr vom Wunsch nach einer Zeugin. Jemand aus der Familie, der Zeugnis ablegt, wie beschissen das alles gewesen ist - und wie krass krank (ich benutzte jetzt einmal diesen zeitgeistigen Begriff...) die Fotos aus dieser Zeit. Einer Zeit, als meine Mutter eine längst dorfbekannte Säuferin war und das alles dennoch mit eiserner Disziplin im Außen verbarg. Wir Kinder sahen auf den Sonntagsfotos immer frisch, adrett und gepflegt aus, wir durchliefen artig die Kirchenschulung, meine Eltern beide im Außen immer adrett gekleidet - und unter dem Teppich drückten sich die imaginären Scheißhaufen bis dorthinaus hoch.


    Auch jetzt plagt mich das schlechte Gewissen, mich hier so derart auszubreiten. Bitte seht es mir nach - es schreibt aus mir heraus und ich bin einfach nur dankbar, dass das Internet eine solche Möglichkeit bietet, anonymisiert mit Menschen in Kontakt zu sein, auch wenn ich beim Unterschreiben immer noch etwas stocke. Meinen originären Namen möchte ich dennoch nicht preisgeben. Zumindest nicht hier, wo eben auch Externe draufschauen können. Die, die wissen, würden "mich" vermutlich eh herauslesen.


    Genau, Stichwort Therapie. Irgendwo in diesem Forum habe ich heute darüber gelesen. Nachdem viele Jahre Therapie irgendwie nicht wirklich gefruchtet hatten bei mir, war das Thema eigentlich durch für mich, kochte jedoch im Zuge der Pflege meines Vaters massiv hoch - leider ließ es sich nicht vermeiden, dass ich ihm aus einigen Malheuren heraushelfen musste und das ging mir ehrlich über die Kräfte. Ich habe es hinbekommen, irgendwie. In dieser Zeit ging es mir einfach wahnsinnig schlecht und der Pflegedienst drückte sich davor, den Auftrag zu erweitern und erst als ich ihnen die Pistole auf die Brust setzte und sehr klar schrieb und schilderte, dass ich kurz vor einem Vatermord stehen würde, wenn nicht bald und andernfalls eben den Vertrag kündigen, kam dann endlich die Unterstützung. Wenig später begann ich dann auch die nun hoffentlich letzte Therapie, die allem Anschein nach anschlägt.


    Was ich mit vielen Worten eigentlich nur sagen will: Ich glaube, dass bei einer Trauer bei Menschen mit einem gesunden Familienleben und intakten sozialen Netz vielleicht keine Therapie nötig ist - ich frage mich manchmal sogar, ob es überhaupt nötig ist? Bin mir allerdings unsicher. Ich besitze keine intakte Familie, außer meiner kleinen, feinen mit Mann und Kindern, die ich mit diesen Geschichten jedoch nicht unnötig belasten will. Es gibt ein paar gute Freundinnen mit ähnlichem Lebenshintergrund, die in etwa ticken wie ich - ohne sie wäre mein Leben sehr viel ärmer und vielfach ersetzen Telefonate oder Musikabende mit ihnen die beste Psychotherapie. Mir geht es hinterher einfach gut. Oftmals hilft es einfach nur zu benennen, was ist - und Musik ist für mich schon immer der aufrichtigste Seelentröster gewesen.


    Nun aber wirklich Schluss - das Instrument lauert...


    Hayat

  • Liebe Hayat


    Herzlich willkommen in diesem Forum!


    Die bleierne Schwere und Kraftlosigkeit die Du spürst ist die ganz normale Trauer. Ich wurde auch von meinem Vater missbraucht und verstehe deshalb vollkommen Deine zwiespältigen Gefühle.

    Manchmal frage ich mich, ob es so etwas wie das Stockholm-Syndrom ist. Man entschuldigt, versucht zu verstehen, liebt da man mit der HARTEN BITTEREN Wahrheit nicht zurueckkommen würde, der Wahrheit, dass man von einer Person, die man liebte missbraucht wurde.


    Vielleicht würde diese wahre Erkenntnis in der vollen Bandbreite mit all ihren Konsequenzen etwas in uns zerstören und diese "Liebe" zum Missbraucher schützt uns davor????


    Es ist auch oft so, dass wir versuchen "böse" Taten von anderen Menschen zu rechtfertigen, zu verstehen, weil wir einfach nicht damit klar kommen, dass es einfach nur "böse" war.


    Wie oft wurden wir auch schon von anderen Personen "emotional" missbraucht....


    Wir wollen alle eigentlich wieder zurück zu unserem "Garten Eden".


    Ich wünsche mir oft, dass er endlich stirbt, weil ich dadurch denke, dass ich dadurch endlich "befreit" sein würde.


    Du bist endlich "frei" von ihm und dieser "kranken" Beziehung. Du kannst jetzt endlich loslassen, akzeptieren ohne Gefahr!



    Du hast bis jetzt überlebt und jetzt kannst Du leben! Vielleicht hilft dieser Gedanke:)



    Und alle Gefühle sind immer erlaubt:)



    Liebe Umarumungen


    Katarina

  • Liebe Katharina,


    ganz herzlichen Dank für diese Rückmeldung! In der Tat, ich fühlte mich heute früh, nachdem ich meinen Beitrag in der Ursprungsfassung gelesen hatte, ganz elend. Meine inneren Anteile quakten wild umeinander und es ging nicht anders, ich geriet einfach in Not, hier zuviel preisgegeben zu haben und nie zu wissen, wer "von außen" in dieses Forum guckt. Mit der neuen Fassung bleibe ich immer noch bei mir und fühle mich dennoch etwas geschützter und da von Dir klar geschrieben zu sehen, war einfach entlastend.


    Ich bin restlos ambivalent mit meinen Gefühlen. Sinngemäß schreibt Eva Zurholst ja, dass auch die Hoffnung stirbt, nochmal etwas zu verändern, rückgängig zu machen. Bis zuletzt hatte ich ja gehofft und ich mir dafür den Hintern aufgerissen, noch etwas zu retten, zu ändern, zu erlösen. Die Erinnerungen verwischen - manchmal sind sie klar, oft traue ich ihnen nicht - sie sind so verwaschen und unklar, wie es auch das Atmosphärische war. Ich weiß und dennoch ist es verschleiert.


    Ja, ich glaube, ich will wieder zurück an einen Punkt, wo alles gut und richtig war. Bloß, hat es den je gegeben? Ich glaube nämlich nicht. Das ist vielleicht der größte Stopfen auf meinem hermetisch abgeriegelten Trauerfass. Es ist ein Teil, über seine Lebensgeschichte zu schreiben, zu reden und es ist der andere Teil, sie zu fühlen - und der hinkt sehr schwer bei mir. Was es schwer macht, vielleicht auch bei Dir, ist dieses nicht Schwarz, nicht Weiß. Mein Leben hat die Momente und es hat die Momente. Es gibt Leid, es gibt Wut, es gibt Freude nur die Trauer wird tabuisiert.

    Vielleicht ist es das, was Du schreibst, wo ich nicht hinspüren will - dass die allumfassende, emotionale Erkenntnis über das, was passiert ist, unerträglich wäre und wir uns so hinter "der Liebe zu..." noch verstecken? Vielleicht auch deshalb nur meine häppchenweisen Emotionen.


    Ich kann damit leben und umgehen, wenn Dinge falsch laufen, wenn menschliche Fehler passieren, wenn Menschen aus der Not heraus handeln wie sie handeln (wer wirklich frei von Schuld ist, der werfe den ersten Stein...) Ich könnte keinen Stein aufheben... Doch womit ich überhaupt nicht umgehen kann ist, wenn wir für unser Tun keine Verantwortung übernehmen.


    Für hier belasse ich es mal. Ich bin mir noch sehr unsicher im Umgang mit diesem Forum - gibt es auch eine Möglichkeit, quasi undercover zu kommunizieren?


    Herzliche Grüße,

    Hayat

  • liebe Hayat<3


    gerne , wenn du magst , sende ich dir mein DICH willkommen heissen hier in diesem Forum....

    du bist eine komplexe Persönlichkeit , wie alle Menschen....

    Das ist allerdings meine Meinung, die nicht deine sein muss...


    Ich lebe mit Katarina (3 Schwestern) zusammen und wir lieben uns ... Ich "kenne" und erfühle viel von ihrem Missbrauch und dadurch entsteht auch eine grössere Intensität bei mir in "Bezug" auf Missbrauchsopfer...Allerdings kenne ich auch noch andere Frauen , die diese bittere Lebenserfahrung machen mussten...


    Du bist eine intelligente Frau, die für mich , sehr vieles erkannt hat....

    Ich wage sogar noch eine sehr extreme Meinung zu dem Vater-SEIN hier hineinzuschreiben... beruhend auf Aussagen von dem Vater meiner Tochter und meines Sohnes...

    Der Vater meiner Tochter sagte unmittelbar nach der gemeinsam durchge "gelegenen" Geburt unserer Tochter ...so sinngemäss..."ich habe nur eine Ahnung , was es heisst Kinder zu gebären"...

    das ging meinem Sohn ebenfalls bei der Geburt seiner Tochter so...

    KEINESWEGS:!::!::!: eine Entschuldigung für Missbrauch...


    dennoch würde es gerade die Ambivalenz deiner und Katarinas Gefühle erklären... Männer , auch Väter:!: fühlen anders ...haben einen andern "Zugang" zu ihren Töchtern wie Mütter...

    Noch einmal...

    das ist KEINE Entschuldigung für diese TAT, diesen MISS-BRAUCH:!:

    es kommt zwar vor, aber viel seltener , das Frauen , Mütter ihre Kinder MISS-BRAUCH-en...

    Vielleicht , weil sie eben gebären, weil sie 9 Monate lang dieses LEBEN in sich wachsen lassen....

    Es ist ein Teil, über seine Lebensgeschichte zu schreiben, zu reden und es ist der andere Teil, sie zu fühlen - und der hinkt sehr schwer bei mir. Was es schwer macht, vielleicht auch bei Dir, ist dieses nicht Schwarz, nicht Weiß. Mein Leben hat die Momente und es hat die Momente. Es gibt Leid, es gibt Wut, es gibt Freude nur die Trauer wird tabuisiert.

    hinkt hinterher...schreibst du... Ja, hinken bedeutet ja dennoch, dass man , zwar im Ungleichgewicht sich befindet...aber man kommt vorwärts ...

    übrigens zu "man"...

    ich lerne gerade schwedisch ...

    alles was sich auf Frauen bezieht ist "hon" bei Männern wird "han" gesagt... Dies flechte ich ein, weil ich die deutsche Sprache als sehr "männlich betont" mittlerweile empfinde...

    Damit will ich aber Schweden keinesfalls idealisieren... Katarina und ich fühlen uns allerdings hier viel wohler als in Deutschland , oder anderen Ländern , wo wir auch wohnen könnten...


    du schreibst etwas , was sich glaube ich viele wünschen

    Für hier belasse ich es mal. Ich bin mir noch sehr unsicher im Umgang mit diesem Forum - gibt es auch eine Möglichkeit, quasi undercover zu kommunizieren?

    man hat die Möglichkeit einer Konversation, wobei , wenn man MAG :!:

    Telefonnummer und Adresse austauschen kann, oder sich später dann besuchen kann , wenn man möchte:!:

    aber es bleibt immer ein Risiko , solange man sich nicht RREAL begegnet, wer dieser Mensch nun ist?

    Deswegen finde ich es gut von dir , dass du richtig schreibst..

    unsicher im Umgang mit diesem Forum

    dass kann einem unter Umständen Ent-Taeuschungen ersparen...

    doch noch ein wichtiger Gedanken -An. Stoss vielleicht


    wie geht man mit keineswegs Missbrauch des Vaters um , sondern mit zuviel "liebe" und das festhalten wollen des Vaters , wenn ein Partner in das Leben der Tochter kommt? Auch eine nicht zu unterschätzende "Gefahr der Abhängigkeit" und damit schmerzhaftes abnabeln der Tochter...

    Meine Schwester sagte dann bei der Urnenbeisetzung meines Vaters, meine Mutter ist 15 Jahre früher gegangen ( gestorben)

    Jetzt müssen wir "erwachsen " werden...


    Ich " verstehe" dich auf andere Art und Weise ... wie wir alle hier verschiedene SICHTEN haben

    herzliche Grüsse zurück<3

    Claudia Amitola

  • Liebe Hayat


    Wir entscheiden selber wie wir gewisse Sachen SEHEN wollen, wie wir was interpretieren und das ist dann unsere eigene Wahrheit. Wieviel vom ganzen Bild wollen wir sehen, was picken wir raus und was blenden wir aus?


    Ich persönlich habe für mich entschieden "offen" zu sein um "Grenzen" zu sprengen. Und wir Menschen lernen und profitieren von anderen Lebensgeschichten und Erfahrungen. Sie führen IMMER zur Selbstreflexion.


    Wenn Du private Konservationen führen möchtest gibt es den Button oben rechts mit den Sprechblasen.


    Herzliche Grüsse


    Katarina

  • Hej Ihr 2,


    ja, Ihr habt mir für den heutigen Nachmittag einiges zu denken mitgegeben. Beide Ansätze bewegen mich, arbeiten in mir. Mich begleitet die Haltung, dass wir alle "Gewordene " sind - was keine Verbrechen dieser Welt entschuldigt. Es gehört zu meinem Forscherdrang, zu verstehen, zu wissen, dahinter zu schauen, zu begreifen, zu erfassen - vielleicht auch das, was nicht fassbar ist.


    Jahrzehnte später sehe ich aus der Vogelperspektive, dass im Moment des Geschehens viele unglückselige Drähte zusammengelaufen sind und ich bleibe bei der Haltung der Verantwortung. In großer Not mag ich wirkliche Scheiße bauen, die vielleicht unumkehr ist - doch ich habe immer die Möglichkeit, ein Zeichen, eine Geste, ein Wort der Verantwortung zu setzen und sei es nur ein schlichtes "Bitte verzeih mir!"


    In diesem Sinne kam heute Nachmittag in einer Bahnhofsbuchhandlung ein Buch zu mir "Solange wir leben, müssen wir uns entscheiden" von Jehuda Bacon und Manfred Lütz. Manfred Lütz ist relativ populär - Jehuda Bacon sagte mir erstmal nichts. Er ist Künstler, wurde als 13jähriger nach Theresienstadt deportiert und von dort aus nach Ausschwitz - und hat überlebt. Er antwortet auf eine der Fragen Manfred Lütz, was ihn durch diese Hölle gebracht hat, sinngemäß an einer Stelle, dass in jedem Menschen ein göttlicher Funke angelegt sei, der auch beim größten Verbrecher hervorblitze. So gab es für ihn von einer gefürchteten SS-Schlägerfrau statt Stock eine warme Süßspeise oder ein Kapo entpuppte sich als Kinderfreund und rettete vielen Kindern durch Extrarationen Nahrung oder das Durchsetzen des Appells im Kinderblock das Leben... Ich kann gar nicht mehr aufhören zu lesen, habe das Buch bereits zur Hälfte durch. Es beeindruckt mich ähnlich wie Viktor Frankls "Und trotzdem Ja zum Leben sagen". Beiden Persönlichkeiten ist AUCH gemeinsam, dass sie in einem liebenden Umfeld aufgewachsen sind. Denn ich glaube zusätzlich, dass wir, wenn wir als geliebte Menschen ins Leben treten und als geliebte Menschen aufwachsen dürfen, ein enormes Rüstzeug mitbekommen, Schlimmes durchzustehen. Mein wirklich ganz großes Glück waren meine beiden Großmütter, ein Cousin und dessen Mutter, die mir so viel an Willkommen und Zuflucht geschenkt haben, dass ich eben nicht zum emotionalen Zombie mutiert bin.


    Und nochmal - wir alle sind nicht Schwarzweiß - wir alle bergen das gesamte Universum mit all seinen Facetten in uns.


    Ich bin mir meiner Komplexität durchaus bewusst :evil::saint::95::/<X:8: und kann mich damit grundsätzlich auch schon mal ganz gut leiden...

    Von Herzen und eine sehr nachdenkliche

    Hayat,


    die diesen Faden sicher nochmal aufnehmen wird, wenn sie denn ausmeditiert hat... Wofür ich Euch jedenfalls danke, ist ein Gefühl der Ermutigung.

  • Liebe Hayat,


    danke dass du hier mit so viel Offenheit deine Geschichte erzählst und deine Trauer teilst, ich hoffe dass du den Trost findest, den du brauchst, und wünsche dir ganz viel Kraft...


    Ja, danke dir für diesen Lesetipp...es erinnert mich spontan daran dass ich gestern zufällig wieder einmal den Film "die Dolmetscherin" mit Nicole Kidman sah...ich fand eine Filmszene faszinierend, auch wenn ich sie nirgends fand ich werde versuchen sie wieder zu geben...


    die Protagonistin erzählt davon dass, in einem afrikanischen Stamm (Name leider vergessen) Rechtsprechung so aussieht dass bei Mord man den Mörder in einem Boot auf das Wasser fährt, und ihn gefesselt an Händen und Füßen ins Wasser wirft. Die Familie des Opfers darf dann entscheiden ob sie ihn retten, oder nicht.

    Retten sie ihn nicht, haben sie Vergeltung erhalten. Sie werden aber, so die Legende, ein ganzes Leben lang trauern.

    Retten sie ihn, so gestehen sie sich ein, dass das Leben nicht immer gerecht ist, erhalten Trost und können die Trauer überwinden.

    Rache, so die Protagonistin, ist eine faule Form der Trauer.


    Das ist natürlich doch harter Tobak, vor allem wenn man ganz unmittelbar an all die Scheußlichkeiten denkt die Menschen Menschen antun, und dann noch mal bei sich selbst nachdenkt, wie man so tickt - ich habe es getan - und trotz meines Widerstandes , ist mir diese Filmzitat "hängen" geblieben...ich denke immer noch drüber nach...


    Ich weiß nicht ob das passt, aber ich bedanke mich für diesen schönen Gedanken oben

    und wünsche dir weiterhin viel Kraft,


    mit liebem Gruß,


    m

    Die Wahrheit triumphiert nie, nur ihre Gegner sterben aus (Max Planck)


    rilke.de/briefe/160703.htm


    VORÜBUNG FÜR EIN WUNDER


    Vor dem leeren Baugrund
    mit geschlossenen Augen warten
    bis das alte Haus
    wieder dasteht und offen ist

    Die stillstehende Uhr
    so lange ansehen
    bis der Sekundenzeiger
    sich wieder bewegt

    An dich denken
    bis die Liebe
    zu dir
    wieder glücklich sein darf

    Das Wiedererwecken
    von Toten
    ist dann
    ganz einfach

    (Erich Fried)

  • und ich habe das beruhigende Gefühl, dass die beiden nun miteinander sind. Doch was ist mit mir? Die beiden haben sich wieder und ich stehe da, mit schrägen Gefühlen, verrrückten Gedanken und einer Dumpfheit, die vermutlich heftige Gefühle zudeckelt und abpolstert.

    Liebe Hayat, spiegelt dieses Gefühl nicht das, was du erleben musstest? Sie beide zusammen und du möchtest dazu gehören und konntest es nicht erreichen?


    Ich finde es gut, dass du die Öffentlichkeit des Forums bedenkst und den Beitrag auch geändert hast. Ich habe zwar die Urform nicht gelesen, doch geht es vielen so, dass wenn sie es am nächsten Tag nochmal lesen, sie den Eindruck haben, es ändern zu wollen. Dem nachzugehen ist wichtig.


    Kinder wollen ihre Eltern lieben. Was auch immer passiert, werden die Eltern geschützt und mit einer Verzweiflung geliebt, die außenstehenden oft unverständlich ist. Diese Liebe ist bedingt durch einerseits die Abhängigkeit des Kindes von den Eltern und andererseits durch die Spiegelung im Außen. Alle anderen werden von ihren Eltern geliebt und lieben diese auch.

    Dass jeder inniger Kontakt für dich als Kind eine Wohltat war und erst schlimm wurde, als er Grenzen überschritt von denen du damals vielleicht noch nicht einmal wahrhaben konntest, dass diese Grenzen überhaupt existieren, das habe ich von vielen anderen schon gehört und könnte mir vorstellen, dass das bei dir auch so ähnlich war?


    Weiß dein Mann von diesen Übergriffen? Wenn du schreibst, du willst deine Familie da raus halten, dann kommt es für mich schon darauf an, wie und von was raus halten.


    Dein Weltenbummlerkind - ist es schon lange unterwegs?

    Ja, das ist Trauer, wenn sich jemand verabschiedet und die Beziehung sich zu ändern droht. Der Sinn der Beziehung sich verändert.


    Liebe Hayat, ich finde es wunderschön, wie es so aus dir herausschreibt.

    und darf ich Eva Terhorst diese Sätze von dir schreiben? Sie würde sich sicher freuen.


    Astrid, ich möchte Dir von ganzem Herzen für die Buchempfehlung danken. Eva Terhorst wird mir gerade zur echten Begleiterin. Ich fühle mich mit meiner seltsamen Gemengelage gerade oft unverstanden und habe die Phantasie, Menschen total zu überfordern.

    Ich fühle mich von Eva Terhorst einfach verstanden, das ist es wohl.

    Lg. Astrid.

  • Liebe Astrid,


    zuvörderst: Gerne darfst Du meine Zitate weitergeben!


    Der andere Wuscht... Mein Mann weiß, ist jedoch zu diesem Thema ausgesprochen unsicher und ich habe in den letzten Jahren erstmal so viel beiseite geschaufelt, dass das noch kein Thema war zwischen uns und nun, wo das Nest leer ist und alle Wurzeln gekappt und ich quasi frei bin, nochmal eines werden. Eins nach dem anderen - und es war ja nicht grundlos, damit sehr lange zu warten. Wobei ich es nicht als "Warten" empfinde - es ist ja schon im Dransein befindlich.


    Ich wage zu bezweifeln, ob sich meine Eltern früher hatten. Sie haben einige Wochen vor dem Tod meiner Mutter ihre Goldene Hochzeit sehr still mit uns gefeiert. Beide waren keine Menschen, "die miteinander sprechen". Ihr Credo war stets "Wir tragen nichts nach außen und keinen geht etwas an, was bei uns passiert. Wir wollen und wir brauchen keine Hilfe. Punkt!" "Lange Gespräche" begannen sie in den letzten Lebensjahren meiner Mutter zu führen. Immerhin hat sie damals bekundet, welche Folgen die Sucht und vor allem, was sie zerstört hatte. Das fand ich wirklich großartig. Während unserer Kindheit lebten die beiden ihre Leben nebeneinander her - der eine so, der andere so. Es gab Grenzpunkte, wo sich Interessen berührten und ein Stück weit auch das "offizielle Gesellschaftsleben". Gier/Sucht sind fürchterliche Eigenschaften, die menschliches Leben demontieren und zersetzen und Familien wirklich vergiften und zerstören. Die Sucht war das Wichtigste im Leben. Für sie wurden, sehr hart geschrieben, Kinder über die Klinge gezogen.


    Ja, wie ich schon schrieb - in dieser verzweifelten Sehnsucht nach... war jede (zur Schau gestellte) Zuwendung wie ein Privileg...


    Astrid, mir hat auch diese Rückmeldung so gut getan. Ich finde es gerade sehr spannend hier für mich. Jede Eurer Reaktionen empfinde ich als Unterstützung und Förderung. Eine Stimme lädt mich zu neuen Blickweisen ein, eine Stimme ermutigt mich, weiter offen zu schreiben und der Wahrheit ans Licht zu verhelfen, von Dir weht gerade so etwas Schützend-Mütterliches zu mir hin, das ich ebenfalls schön finde und ich spüre, je mehr ich mich zu schreiben traue, desto klarer werde ich wieder in mir. Danke für diesen Raum!


    Hayat

  • Liebe Nebelfrau,


    ich empfinde diese Haltung nicht nur als harten Tobak, sondern als ausgesprochen klug und weise. Erst heute früh unterhielt ich mich mit jemandem darüber, wie zerstörerisch Neid, Gier und Rachsucht sind. Dass ich mich bis zum Schluss sehr für meinen Vater engagiert habe, versteht kein Mensch nicht. Wir haben uns unglaublich oft gestritten, immer habe ich ja noch gehofft, etwas aus ihm herausschütteln zu können, habe oft heftig provoziert auch, um ihn auf seine Verantwortung zu stoßen, doch nichts, taube Ohren hinter meterdicken Mauern.


    Ich habe irgendwann eingesehen, dass ich nicht ihn ändern kann, höchstens mich und dass es dafür höchste Eisenbahn ist. Dass Hass und Rache nicht weiterbringen, sie nur unnötig Kräfte binden. Ich denke, seine Erkrankung und äußerliche Vergreisung waren die Antwort des Lebens auf seine Weise des Lebens und am Ende blieb da noch das Mitgefühl für ein Clanmitglied, einen Alten, den ich nicht auf der Straße liegen und achtlos verenden lasse.


    Erst heute zündete ich auf dem Grab ein Licht an, wieder mit dem gleichen flauen Gefühl wie gestern beschrieben und dann ging irgendwann ein Ruck oder eher ein fließendes Aufrichten durch meine Wirbelsäule hindurch und ich sagte mir, okay, die haben sich und ich bin frei. Lebe JETZT. Das ist immerhin ein Anfang und ganz in diesem Sinne geht es ab Mittwoch über das verlängerte Wochenende mit dem Wohnmobil auf Reisen. Mal sehen, wie es wird.


    Hayat