Mein Sohn hat uns verlassen

  • Hallo Ihr Lieben,


    erst einmal vielen Dank für eure lieben Geburtstagsgrüße. Ich habe den gestrigen Tag sehr ruhig verbracht, nach feiern war mir nicht zumute und das hat mein Mann auch akzeptiert. Er hat mir einen schönen und ruhigen Tag beschert und dafür bin ich sehr dankbar.


    Ansonsten geht es mir zur Zeit nicht sehr gut. Dies hat unter anderem auch gesundheitliche Gründe. Seit mehreren Wochen renne ich den Orthopäden die Türen ein weil ich starke Schmerzen in der linken Schulter habe und den Arm nur noch sehr eingeschränkt nutzen kann. Dann hat sich auch noch eine schwere Bronchitis eingeschlichen, die trotz Antibiotika nicht wirklich besser wird.


    Daher konnte ich in der letzten Woche auch nur drei Tage ins Büro. Am vierten gings dann nicht mehr. Ich bin sehr gut von den Kollegen aufgenommen worden und fast alle haben sich an meinen Wunsch gehalten, mich nicht auf den Tod meines Sohnes anzusprechen. So ließ es sich einigermaßen gut aushalten. Was die Arbeit selbst betrifft, merke ich, dass meine Konzentration noch sehr zu wünschen übrig lässt und mein Blick sehr oft zum Fenster hinausschweift. Wir hatten im Sommer diesen Jahres eine komplette Datenbankumstellung und ich ich hatte das Gefühl, mich wieder ganz neu einarbeiten zu müssen. Selbst meine Passwörter wusste ich nicht mehr auf Anhieb. Teilweise frustriert mich das richtig, so dass ich schnell die Geduld verliere und am liebsten alles hinschmeißen würde. Ich hoffe aber, dass sich das noch legen wird. Zur Zeit arbeite ich nur zwei Stunden täglich und ich bin sehr froh darüber. Mehr könnte ich im Moment nämlich noch nicht bewältigen. Es ist, als wäre es eine total neue Welt, die ich betreten habe, obwohl ich doch schon 17 Jahre in der Firma tätig bin. Auch dort merke ich, dass sich mein Leben geändert hat und ich einen neuen Weg für mich finden muss.


    Durch die Wiedereingliederung und auch durch die Krankheit habe ich das erste Mal nicht soviel an Milan gedacht und ihn auch möglichst aus meinen Gedanken verdrängt. Dies hat zum ersten Mal ganz gut funktioniert. Allerdings hat dies auch zur Folge, dass ich mir Bilder von ihm wieder ganz schlecht anschauen kann. Ich merke einfach, dass ich mich auf ganz dünnem Eis befinde und es ganz schnell wieder brechen könnte.


    Gestern Abend war es wieder etwas schlimmer, weil ich ständig daran denken musste, dass es das erste Mal ist, dass er mich an meinem Geburtstag nicht angerufen hat. Das war teilweise so schlimm, dass ich am liebsten gar nicht ans Telefon gegangen wäre, wenn ein anderer Gratulant angerufen hat.
    Weihnachten steht vor der Tür und mir graut auch davor, weil meine Schwiegertochter nun allein mit den Kindern kommen wird und Milan nicht dabei ist. Das kreist auch die ganze Zeit in meinem Kopf herum.

    Die Sonne, die Sterne tragen Kunde von Dir.
    Jeder Lufthauch erzählt mir von Dir.
    Jeder Atemzug, jeder Schritt
    trägt Deinen Namen weit mit sich mit.

    (aus: "Dein Anblick" von Schandmaul)

  • Liebe Anne!


    Ich verstehe Dich ganz gut, ich hab auch nächste Woche den ersten Geburtstag, an dem mir meine Mama nicht gratulieren wird. Ist eine schlimme Zeit, auch mir graut schon vor Weihnachten.
    Aber freue Dich, daß dich deine Schwiegertochter mit den Enkelkindern besuchen wird und in ihnen lebt Dein Milan ja weiter. Es werden wieder bessere Zeiten kommen, wo Du liebevoll an ihn denken kannst ohne gleich ganz traurig zu werden.
    Ich wurde an meinen ersten Arbeitstag nach Mamas Tod gleich am Parkplatz von einer Kollegin umarmt. Sie sagte einfach nichts, umarmte mich nur und ich musste weinen. So erging es mir bei meinen anderen Kolleginnen auch und irgendwie tat es doch gut zuerst mal ein bißchen zu weinen um dann mit ihnen darüber zu sprechen. Ein Kollege, dem letztes Jahr innerhalb kurzer Zeit alle beiden Eltern gestorben waren, kam erst nachmittags zu mir und sagte nur: Ich weiß wie es Dir geht und wir weinten beide. Es tat mir aber auch gut, darüber zu sprechen. Aber ich bin jemand, der darüber sprechen muß um es verarbeiten zu können. Tage später kam ein anderer Kollege zu mir und sagte mir, daß er mich bewußt nicht darauf angesprochen hat, weil seine Mama damals (muß schon sehr lange her sein) mit 47 Jahren ganz plötzlich starb und er immer noch traurig ist, wenn er daran denkt. Ich hatte das gar nicht von ihm gewußt und es wurde mir bewußt, daß man um seine Lieben lange trauern wird. Aber es wird vielleicht immer leichter, an sie zu denken.


    Ich wünsche Dir daß Du mit deinen Enkelkindern einen schönen Weihnachtsabend verbringen kannst.
    Laß Deine Tränen zu, ich weiß daß man immer stark sein will, aber das ist nicht immer leicht und manchmal muß man eben auch mal weinen, damit man danach wieder ein bißchen erleichtert sein kann.


    Ganz liebe Grüsse
    Michaela