Lieber Walter,
irgendwie gehts mir heute ein wenig besser, also möcht ich versuchten zu einer deiner Fragen etwas zu schreiben.
Zwei Beispiele zur Reaktion von Verwandten bzw. Betroffenen.
1. Heinz lebte bei seinen Großeltern (seine Mutter hatte "kein Interesse an ihm"), auch seine Tante lebte im gleichen Ort. Für diese war er wie ihr eigenes Kind, da sie keine bekommen konnte, doch seine Mutter wollte nicht, daß er bei der Tante aufwächst.
Wir sahen uns zwar nicht allzu oft, Heinz und ich waren sehr viel unterwegs, doch ich wurde sehr liebevoll aufgenommen.
Nach Heinz' Tod bemühten sich sowohl seine Großeltern, als auch die Tante, den Kontakt zu mir aufrecht zu erhalten. Seine Tante sagte mir: so glücklich wie in der Zeit mit dir, war Heinz noch nie in seinem Leben! Mir fiel es extrem schwer, diese Wohnungen zu betreten und auch ihre Trauer zu sehen, doch ich spürte, wie wichtig es ihnen war, und bemühte mich.
Ließ aber als ich dann meinen Mann kennen lernte, doch den Kontakt ganz einschlafen. Ich schämte (?) mich, hatte Angst, ihnen mit einem anderen Mann zu begegnen.
Zur Hochzeit kam ein Päckchen mit einem Geschenk von ihnen. Damals war mir das direkt unangenehm. Heute, mit "etwas mehr" Lebenserfahrung weiß ich, daß sie mir damit sagen wollten, daß sie nicht "böse" auf mich sind, und auch meinen Mann aufgenommen hätten.
Doch bis ich so weit war, das zu verstehen, war es zu spät. Sie leben alle nicht mehr. Wenn ich, selten, aber doch, bei Heinz (und damit auch bei ihnen) am Friedhof bin, kommt von mir immer ein: "Bitte verzeiht mir, ich hab euch nicht verstanden"
2. die Mutter meines Mannes starb, als er noch keine sieben Jahre alt war, binnen kürzester Zeit an Leukämie.
Seine Großmutter (Mutter seiner Mutter) brach daraufhin den Kontakt ab. Es kam ein Brief (geschrieben von ihrem Mann!), in dem mitgeteilt wurde, sie möchte eine "Pause", da sie es nicht ertragen könne, den Schwiegersohn und Enkel ohne die geliebte Tochter zu sehen. Das war für 18 Jahre sozusagen das letzte Lebenszeichen. Es kam nie auch nur ein Brief an ihr Enkelkind.
Ich bin ein "Familienmensch",(vielleicht spielte im Unterbewußtsein auch mein 1. Beispiel mit. Aber "gewußt" hab ich es damals noch nicht) darum drängte ich meinen Mann, als unser Sohn geboren wurde dazu, ihr wenigstens eine Geburtsanzeige zu schicken. Ich wollte meinem Sohn seine "3. noch lebende Urli" nicht vorenthalten. Und auch ihr nicht ihr Urenkerl, obwohl ich sie nicht kannte.
Es kam ein Brief zurück. Sie freue sich, würde uns gerne sehen. Und so entstand ein, wenn auch nur relativ loser, Kontakt. (Mein Mann konnte ihr nie wirlich "verzeihen", daß sie sich nie gemeldet hatte, so ging alles immer nur von mir aus)
Zwei Jahre später erkrankte sie schwer. Ich war zu Hause, wäre auch für sie dagewesen. Doch sie brach den Kontakt wieder ab. Wir erfuhren dann später durch den Vater meines Mannes, daß sie gestorben war. Er hatte eine Parte erhalten.(wir nicht)
Ich möchte mit diesen Beispielen zeigen, daß Trauernde manchmal "unverhältnismäßig" reagieren, und diese Reaktionen oft von anderen nicht verstanden werden können. Weil sie eben für niemand anderen "nachvollziehbar" sind.
Liebe Grüße
Jutta
PS: Schön, daß ich dich gestern ein wenig zum lachen bringen konnte. Danke.