Liebe Sally,
wenn Du wüßtest wie sehr gut ich all Deine heutigen Emotionen verstehen kann, denn Vieles was Du geschrieben hast erinnert mich wie ein erneut ablaufender Film an die Bestattung meines Mannes. So laß Dich 'mal in Gedanken ganz doll und mitfühlig drücken.
Auch die Bestattung meines Mannes war etwas "anders", da er mit Religion und großem Pomp Nichts am Hut hatte. So gab es keine Messe, keine große Versammlung an Leuten und auch keinen Leichenschmaus. Ja, so manch Einer in seinen Kreisen warf mir vor ihn auf die billigste Weise verscharrt zu haben, da ich nach seinem Wunsch eine stille anonyme Urnenbestattung ausgesucht hatte. Es gab einige Leute deren Anwesenheit er sich gewünscht hatte, aber ich entschied mich auf sehr bewußte Weise gegen deren Einladung. Etwas was mir ihm gegenüber bis heute sehr leid tut, aber letztlich das Richtige zu dem Zeitpunkt war. Tatsache war nämlich das er seine Ex und beiden Kinder, seine Schwester und noch einige Leute dabei haben wollte - die allesamt in England lebten. Ja, und das Datum seiner Bestattung war schon eine Woche nach seinem Tod. Ich denke Du kannst Dir gut vorstellen wie irre ich zu dem Zeitpunkt durch den Wind war, zumal ich ja auch noch gleich zwei Tage nach seinem Ableben entdeckt hatte das er mir hoch verschuldete und leere Konten hinterlassen hatte. Ja, er hatte selbst das Geld was mir für seine Bestattung zur Verfügung stehen wollte noch eine Woche vor seinem Tod restlos im Internet verzockt.
Abgesehen davon wußte ich das seine Kinder mich schon immer bis auf das Knochenmark gehaßt haben, und auch seine Ex nur angerollt gekommen wäre mit der Hoffnug große Erbschaft abzusahnen. Auch seine Schwester war mir nie gut gesonnen gewesen und allesamt waren sie noch nie in Deutschland gewesen und sprachen auch nicht unsere Sprache. Ich gestehe ich hatte einfach nicht mehr die Kraft übrig all diese Leute mit Flügen, Hotel und Unterhaltungsprogramm zu organisieren - blos um mir anhöhren zu müssen wie würdelos mikrig Alles ausgefallen war.
Ja, Sally, durch den finanziellen Supergau den er mir hinterlassen hatte wußte ich an dem Zeitpunkt nicht einmal mit was ich die Bestattung be-
zahlen sollte.
So fand sie am Ende so statt das nur die Bestatterin, meine liebe Hospizbegleiterin und ich ihn auf seine letzte Reise begleiteten. Als wir vor seiner Urne standen gingen mir tausende von Gedanken und Emotionen durch den Kopf. Natürlich jede Menge Trauer, aber auch eine enorme Wut weil ich es ihm echt nicht zugetraut hatte das er mich bis zum letztem Atemzug dermaßen hintergangen hätte. Ja, als ich ihn das letzte Mal besuchte nahm er noch meine Hand und versicherte mir ich solle keine Angst haben da er bestens für mich vorgesorgt hatte. Das er mir auf dem einen Konto genug hinterlassen habe für eine gute Bestattung und etwas mehr als kleines "Trostpflaster". So war es gut das ich vor der Bestattung die Gelegenheit hatte den beiden Damen die mich begleiteten zu erzählen was passiert war. So erwartete man von mir keine groß-
artigen letzten "Liebesgesten" und zog das ganze nur so würdevoll wie möglich durch. Danach verabschiedete sich die Bestatterin von uns und meine Hospizbegleiterin und ich fuhren dann zu mir nach Hause um gemeinsam noch einen Kaffee zu trinken. Wenig später - nachdem sie gegangen war - stand ich auf der Leiter und fing an mein Eßzimmer zu renovieren weil ich einfach was sinnvolles zu tun haben mußte um seelisch nicht zusammen zu klappen.
Liebste Sally, ja, ich kann mir die Achterbahn der Gefühle in Dir sehr gut vorstellen unabhängig davon was sich Alles obendrein noch bei mir ab-
spielte. Wenn man einen Menschen so intensiv gepflegt hat brennen sich natürlich sehr viele Bilder ein die man nicht so schnell wieder vergißt.
Sie werden sehr Teil von all den guten Erinnerungen weil beides ja den selben Menschen betrifft. Und man darf es nicht überschätzen wie irre müde und ausgebrannt man sich fühlt wenn Alles vorbei ist und die große Verantwortung nicht mehr auf den Schultern lastet. Auch Das kann enorm überwältigend sein. Man hat ja für eine gewisse Zeit wie in einem niemals anhaltendem Hamsterrad gesteckt was plötzlich still steht als ob Jemand die Notbremse gezogen hat. Und zu guter Letzt. Ich glaube wir werden es nie wirklich wissen wie unsere Lieben ihre letzten Atemzüge empfunden haben. Auch mein Mann weinte bei meinem letzten Besuch mir sagend das er wohl nicht mehr lange leben würde. Leider etwas was ich nicht all zu ernst nahm weil er mich Das schon öfters gesagt hatte - sich aber dann immer wieder etwas erhohlte. Ja, nicht einmal seine Pfleger hatten damit gerechnet das er so plötzlich gehen würde.
So denke ich das Einem am Ende nichts weiter bleibt als sich mit dem Gedanken anzufreunden das die letzten Atemzüge mit großer Warschein-
lichkeit friedlich und schmerzlos waren. Wie ein Wegdösen in den Tiefschlaf. Liebe Sally, ich habe mich am Anfang auch sehr oft gefragt ob er wirklich so friedlich gegangen war, und irgendwann habe ich mich daran festgehalten das man ihn in seiner Lieblingsschlafposition gefunden hatte - was mir sagt das es kein Ringen und Kämpfen gab.
In diesem Sinne werde ich heute ganz doll an Dich denken und Dir viel viel Kraft senden für Dich und Deine Kleine,
Hanna