Liebste Sandra,
jetzt muß ich Dich erst einmal ganz dick und doll drücken, und mich auch ein wenig für Dich mitfreuen das Du nun recht bald Besuch von Deinem Papa bekommst. Und ja, die tiefen Löchter rauben Einem alle Kraft und Antrieb und dafür bekommst Du ein extra großes Energiepaket von mir rüber geschickt.
Es hat mich sehr berührt zu lesen wie Du Deinen Rob bis zum letzten Atemzug begleitet hast, denn auch wenn wir ein Pflegeteam hatten bedeutete es auch für mich meist kaum aus dem Haus gehen zu können. Die Angst das mein Handy mit einem Hilferuf schrillen könnte sobald ich mich für ein paar hastige Minuten vor die Tür getraut hatte um das Nötigste im nahe gelegenem Supermarkt zu besorgen. Was den palliativen Pflegedienst betrifft war das wirklich nur eine sehr glückliche Fügung des Schicksales da er uns von seinem Pulmologen "verschrieben" wurde nachdem er meinen Mann als komplett austherapiert erklährt hatte. Und unser Schicksal wollte es wohl auch das seine Palliativärztin in deren Behandlung er nun war eng mit zwei Hospizen zusammen arbeitete und sie es war die uns den Weg für einen dortigen Platz ebnete. Liebste Sandra, vermutlich hat sich Alles auch so entwickelt weil seine Krankheit eben nur sehr langsam voranschritt und man mit einem recht langem Leidensweg rechnen mußte.
Wärend Du Dich hoffentlich ein wenig aus Deinem tiefen Loch heraus gebuddelt hast hatte ich heute einen sehr tiefsinnigen Abend. Als mein Mann mich verließ fing ich an regelemäßig Tagebuch zu schreiben, und heute Abend packte mich die Neugierde über was ich am 30. November vor einem Jahr eingetragen hatte.
Dabei stellte ich sehr zu meinem Erstaunen fest wie sehr stark ich mich auf ziemlich allen Gebieten verändert hatte seit dem. Und vor Allem wie sehr sich mein Leben total verändert hatte. Ja, es war schon komisch die Zeilen von damals zu lesen und zu erkennen wie viele der einst nieder geschriebenen Momente schon ziemlich verblasst oder gar vergessen waren. Wie wenig es mir damals bewußt war das ich tatsächlich unter einer akuten Depression und einem riesigem Schlafdefizit gelitten hatte. Ja, als ich weiter in meinem alten Tagebuch blätterte wurde mir erst einmal bewußt wie sehr ich selber völlig auf der Strecke geblieben war und eigendlich nur noch mechanisch funktionierte egal ob tagsüber oder durch die Nacht hinweg. Vor Allem hatte ich schon fast vergessen wie enorm einsam ich mich zu diesen Zeiten gefühlt hatte, bzw. Weihnachten alleine vor dem TV feierte da er an dem Abend kaum was essen konnte/wollte und schon sehr früh wieder schlafen gegangen war. Wie ich Silvester auch mit mir alleine feierte aus selbigem Grund.
Ja, und nun schaue ich auf mein hier und heute - und es könnte nicht veränderter sein. Ich vermisse ihn ohne Ende, aber wie ich damals schrieb ... würde ich nie wieder ein so trauriges Weihnachten und Silvester erleben wollen. Kurioserweise hat das Lesen in meiner/unserer Vergangenheit meine heutigen Kummerkisten enorm schrumpfen lassen. Besonders in Anbetracht der langen Zeit - Oktober bis fast Ende Juni - wo ich seinen sich ständig verschlechternden Zustand anschauen mußte wissend das Nichts mehr besser werden würde. Gerne hätte ich es ihm gegönnt zu-
hause sterben zu können, aber wie Du ja durch meine Postings weißt wollte es das Schicksal nicht so da seine Pflege nach dem Krankenhaus und seiner Notoperation schlichtweg von der Logistik nicht mehr machbar gewesen war. Damit meine ich das unser Haus überhaupt nicht für einen schwerst eingeschränkten Menschen geeignet gewesen wäre, Dank vieler schmaler Treppen, recht engen Türen und einen Badezimmer was ebenso für seine Bedürfnisse völlig ungeeignet gewesen wäre.
Du kannst es mir glauben das ich ihn nur sehr schweren Herzens dem Hospiz übergab, aber unter dem Strich war es wirklich hauptsächlich für ihn die beste Lösung. Anbei gesagt hatte er selber diesen Wunsch kurz vor der Entlassung aus dem Krankenhaus geäußert nachdem er den leichten Hirnschlag erlitten hatte und danach 24 Stunden Pflege benötigte. Ja, er hatte wortwörtlich Angst davor wieder nach Hause geschickt zu werden weil er wußte das eine Rundumversorgung dort eine riesige Herausvorderung gewesen wäre - und bei weitem nicht so gut trotz aller Bemühungen.
Vor Allem hatte er eine sehr große Angst davor leiden zu müssen, und so bin ich heutzutage froh das man ihm Das im Hospiz ersparen konnte.
Liebste Sandra, es tut mir leid das ich nun ziemlich ausgeschweift habe, aber vermutlich liegt das daran das mir heute Abend Dank meines Tage-
buches sehr bewußt wurde wie hart wir Beide um die Lebensqualität jedes einzelnen gemeinsamen Tages gekämpft hatten. Wie schwer es uns am Ende gefallen war nachsichtig und liebevoll mit einander umzugehen weil wir Beide einfach völlig erschöpft und des Lebens übermüded waren. Weil wir kaum noch die Kraft für irgend welchen Nettigkeiten und Zärteleien übrig hatten. Letztlich kein Wunder wo die großen Einschnitte in un-
ser gemeinsames Leben schon warend des Jahres zuvor eingesetzt hatten. Erst gingen keine längeren Unternehmungen mehr, dann blieben Dinge wie Konzerte oder sonstige Events auf der Strecke. Seine "Ausflüge" wurden peu a peu immer kürzer und seltener, und dann wurden Dinge wie seine Artzbesücher oder ein gemeinsames Essen im Restaurant kaum noch machbar. Ja, und am Ende drehten sich unsere Gespräche nur noch um das Timing seiner Medikamente, was er vielleicht tatsächlich essen würde, ob Alles verdaut wurde oder nachgeholfen werden mußte. Ja, wenn wir mehr als 10 Sätze am Tag ausgetauscht hatten dann war es ein echt reger Tag.
Liebste Sandra, wie schon gesagt vermisse ich ihn unendlich, aber ich muß auch gestehen das ein Teil von mir erleichtert ist das dieser Alptraum für uns Beide sein Ende gefunden hat. Sicherlich werde ich zum kommenden Weihnachten und Silvester sehr intensiv an ihn denken und so manche Träne weinen, aber ich habe mir auch vorgenommen diese Tage auch richtig gut zu feiern weil sie nun zu meinem neuen Leben gehohren und ich das Glück habe gesund im Leben zu stehen. Das Geschenk was das Schicksal ihm genommen hat.
Ich wünsche Dir eine sanfte Nacht und auf das Du morgen mit etwas Sonne im Herzen aufwachen wirst. Sehr viel an Dich denkend,
Hanna