Liebe Gerlinde,
ich bin froh das Amitola Dir so sehr viele Dinge mit so guten, ausgewählten und dennoch sachlichen Worten sagen konnte, denn ich muß gestehen das ich ihre Empfindungen sehr mit ihr teile wenn ich Deine Zeilen lese.
Unendlich gerne würde ich Dir auf die Sprünge helfen können, aber ehrlich gesagt fällt mir das auch inzwischen immer schwerer Nichts bei Dir ankommen will - egal ob es das Teilen einer Erfahrung ist oder nackte Tatsachen sind, wie z. B. das es wirklich wahr ist das der Tod für sehr viele Schwerstkranke und deren Angehöhrige eine große Erlösung ist. Dies ganz egal um welche Krankheit es geht wenn sie dazu predestiniert ist tödlich zu verlaufen.
Du magst sagen das Deine Mam noch so viel Pläne hatte. Sich an noch sehr vielem erfreuen konnte und sich Ziele gesteckt hatte. Liebe Gerlinde, das ist völlig normal, denn sehr viele Schwerstkranken klammern sich daran fest weil sie damit ihr nahendes Ende verdrängen können. Oft werden sie dann auch noch einmal enorm lebensfroh und tun so als ob das Leben irgendwie weiter gehen wird. Auch Das schreibe ich Dir aus eigener Erfahrung, denn als mein Mann vom Krankenhaus aus ins Hospiz verlegt wurde "blühte" er noch einmal richtig auf. So sehr das ich echte Schuldgefühle entwickelte das ich einen noch so lebensfrohen und sehr lebendig wirkenden Menschen dort hin einweisen ließ. Wo er lange zuhause kaum einen Happen runter bekam verlangte er plötzlich Nachschlag und gab mir imme länger werdende Listen von Leckerlies die ich ihm zusätzlich mitbringen sollte. Ja, Du wirst es nicht glauben, aber er fing dort sogar noch einen heißen Flirt mit einer Krankenhausangestellten an, wegen der er sich den Frisör bestellte und sich eine Maniküre und Pediküre machen ließ. Und wo er sich nun an den Umgang mit dem Rollstuhl gewöhnt hatte machte er allmögliche Pläne für Ausflüge die man doch machen könnte sobald es draußen schön sommerlich werden würde. Ja, eine Woche vor seinem Tod hatte ich ihm ein paar leichte Shorts für den nun nahenden Sommer zu kaufen, und an seinem letzten Abend ermahnte er mich ich solle blos nicht seine frischen Erdbeeren zu meinem geplanten Besuch vergessen. Liebe Gerlinde, wie Du siehst, auch ein Mensch der nicht wirklich vor hatte zu gehen obwohl er wußte das sein unverhinderbares Ende eine Frage der Zeit sein würde.
So kann ich mich nur Amitola's Worten anschließen, das Deine Mutter gehen konnte weil sie wußte das Du auch ohne sie Deinen Weg gehen würdest. Und ohne Dir zu nahe treten zu wollen muß ich zu Deiner Schwägerin leider sagen das ich sehr ihre Ehe mit Deinem Bruder in Frage stellen würde wenn sie nicht einmal dazu fähig ist ihn aufzufangen. Die Worte das sie sich nicht mit "so was" auskennt finde ich persönlich total Käse, denn Trauer und deren Bewältigung ist nun 'mal eine Situation die immer wieder eine Ersterfahrung ist. Für die es keinerlei Gebrauchsan-
weisung gibt. Und wenn man einen Menschen heiß und innig liebt wäre es doch das normalste in der Welt das man ihn ganz spontan und mit ganzem Herzen in die Arme nimmt und dessen Leid mit ihm teilt - oder bin ich mit dieser Aussage auf einer völlig falschen Schiene?
Und was Deine Übermüdung betrifft für die Du keine Zeit zu haben scheinst um etwas gegen sie zu unternehmen tut es mir sehr leid Dir das so zu sagen, aber ich nehme es Dir nicht ab. Das sage ich Dir nur weil ich nicht nur meinen Mann mutterseelensalleine nebst recht großem Haushalt gepflegt habe, sondern auch am Ende und nach seinem Tod mit Allem sehr alleine da stand. Und dies mit Unmengen von Dingen zu bewältingen die schnellstmöglichst geregelt werden mußten. Das Ganze auch alleine. Und dennoch schaffte ich es auf meine Gesundheit zu achten - wenn auch oft nur im bescheidenen Format und im Eiltempo, aber sehr klare Ansage für mich war das ich meine körperliche Energie mehr denn jeh brauchte um diese Phase meines Lebens gut zu meistern.
Anstatt Abends stundenlang vor dem TV zu hocken oder großartig herum zu räumen und dabei zu grübeln ohne Ende habe ich mir ein großes Glas Rotwein reingezischt - bei Härtefällen auch das zweite - und danach geschlafen wie ein Stein. Manchmal nur wenige Stunden, aber immerhin Tiefschlaf. Glaube es oder nicht, aber es hat immer wieder Wunder bewirkt, indem auch nur wenige Stunden Tiefschlaf den Akku wieder aufluden, und ich mich meist wieder ausgeruht genug fühlte um meine Berge zu versetzen. Ja, und Sonntags habe ich mich nie den Wecker gestellt und habe es akzeptiert das ich so manches Mal erst am frühen Nachmittag aufgewacht bin.
Wenn ich Deine Postings lese brüllt mich immer wieder Deine irre Übermüdung an, und vermutlich ist das auch mit ein Grund warum Du die Welt nur noch schwarz auf schwarz siehst - die Menschen um Dich herum ebenso. Ist auch kein Wunder denn wer auf dem Zahnfleisch läuft hat den Kopf nicht mehr klar genug um die Dinge so nüchtern und neutral zu betrachten und zu empfinden wie sie eben sind.
Liebe Gerlinde, nun ist mein Posting an Dich ellenlang geworden, aber ich habe letztlich nur versucht Dich wach zu rütteln. In diesem Sinne schließe ich hoffend das wenigstens ein paar Botschaften von Amitola and mir bei Dir angekommen sind.
Wisse Dich in Gedanken dicke gedrückt,
Hanna