Liebe Astrid,
wieder sind ein paar Tage vergangen, in denen ich nicht viel im Internet unterwegs war.
In einem anderen Thread hast du vom Alleinsein geschrieben, das kann ich voll und ganz unterstreichen.
Ich war früher auch ganz gerne allein, war sogar froh, wenn ich einen Tag ganz für mich hatte, ich glaube wirklich, niemand der das, was wir erlebt haben nicht selber erlebt hat, kann erfassen, wie sich diese grausame Einsamkeit anfühlt, die wir alle hier erleben.
Zu diesem Thema komme ich, weil ich genau dazu in den letzten Tagen einige Erkenntnisse gewonnen habe und es mir scheint, als ob ich wieder einen weiteren bedeutsamen Schritt in meiner ganz persönlichen Trauerarbeit getan habe.
Ich habe nämlich entdeckt, dass ich die ganze Zeit, seit mein Mann gestorben ist, versucht habe durch den Kontakt mit Freunden und Bekannten, diese Einsamkeit und diesen Mangel an Geborgenheit den sein Tod in mir ausgelöst hat, zu reparieren.
Dadurch bin ich enorm unter Druck geraten, weil ich dauernd alle angerufen und versucht habe Treffen zu organisieren und zu reden Und jedes Mal wenn eine Absage kam war ich am Boden zerstört und ich fühlte mich auch gedemütigt, weil sich niemand von sich aus an mich wandte, fragte wie es mir geht, vorschlug gemeinsam etwas zu unternehmen etc. Immer ging die Initiative von mir aus.
Seit einiger Zeit habe ich die Notbremse gezogen und rufe niemanden mehr an und versuche auch nicht mehr über meine Trauer zu sprechen, was mir zunehmend besser gelingt.
Als ich mich also mit diesem Thema systematisch auseinandersetzte ist mir auf einmal die Einsicht gekommen, dass ich die Kontakte mit anderen Menschen unter völlig falschen Gesichtspunkten gesucht habe, dass es nett ist sich manchmal zu treffen und Kaffe zu trinken oder auf andere Art für Ablenkung zu sorgen - kurz das gesellschaftliche Leben in Gang zu halten - dass ich aber für mein persönliches Überleben gar niemanden benötige, dass ich als Gabi sehr gut für mich allein sorgen kann! und zwar nicht nur in materieller Hinsicht, wie ich es erfolgreich schon seit 11 Monaten getan habe, sondern auch in seelisch mentaler Hinsicht.
Mir ist da buchstäblich urplötzlich der Knopf aufgegangen und auf einmal fühlt sich mein Leben erheblich runder an.
Tatsache ist: Meine Lieben sind alle bei mir und unterstützen mich, auch wenn sie nicht mehr am Leben sind.
Tatsache ist: Ich habe mein Leben völlig im Griff und gut gemeistert und ich habe mir selber Hilfe organisiert, bezahlte Helfer mit denen ich all meine Probleme besprechen kann und ich kann mir selber auf die Schulter klopfen, wie gut und in welcher Qualität mir das gelungen ist.
Tatsache ist: Ich bin nicht alleine hier, ich habe noch Familie, auch wenn diese über 700 km weit weg ist, aber es ist Familie, die mir wohlgesonnen ist und wo ich mich jederzeit hinwenden kann, wenn es nötig ist.
Tatsache ist: Es gibt Bekannte und Freunde, die mir helfen, wenn ich sie wirklich brauche, die ich aber nicht unnötig mit meinen Problemen belasten sollte, sondern mit denen man sich zwanglos trifft, wenn es sich gerade ergibt.
Es sind jetzt bei weitem nicht alle Probleme weg und es ist immer noch nicht so, dass ich gerne lebe und es ist immer noch so, dass ich meinen Mann total vermisse und mit mir selber nicht so recht etwas anzufangen weiß, aber irgendetwas hat sich in mir gelöst, sodass ich das Problem mit der Einsamkeit wesentlich differenzierter betrachten kann als vorher.