Ich will einfach nur mein Leben zurück oder sterben dürfen.
Beides ist nicht möglich.
Neulich hat mich eine Bekannte gefragt warum ich mich so quäle? Sie hat gemeint, ich solle die Situation einfach annehmen. Sie hat auch noch gemeint, wenn man eh keine Wahl hat kann man sich auch dafür entscheiden glücklich zu sein.
Immer wieder kommt der Vorschlag, ich solle auf mich selbst schauen und tun was mir Freude macht.
Hat heute sogar wider Erwarten geklappt, als ich eine Einladung annahm und einen schönen Tag mit gemeinsamen Essen und Spielen annahm. Danach dann der Besuch im Krankenhaus bei einem Sterbenden der nicht sterben will. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, warum er sich so ans Leben klammert und nicht aufgeben will. Ich habe nicht einmal mehr Schuldgefühle wegen solcher Gedanken. Ich sitze einfach eine Stunde daneben, versuche ihn zu unterstützen so gut ich kann, wenn ihm die Realität durch die Finger gleitet, wenn er nicht begreifen will wo genau der Notrufknopf auf dem Display ist und er immer das Radio erwischt und wütend wird, weil alles so kompliziert ist, wo es doch eigentlich nicht kompliziert ist, sondern nur seine Lage zwischen Leben und Tod ihm Schwierigkeiten macht. Dazwischen genießt er einen Schluck kaltes Bier, das ich mit Billigung der Krankenschwestern ins Krankenhaus geschmuggelt habe, den Rest vergisst er zu trinken, weil er einschläft.
Gestern wurde ihm eine Magensonde gesetzt weil das Essen nicht mehr funktioniert.
Er wacht wieder auf und sagt mit fester Stimme, dass er zwar müde ist, aber noch nicht stirbt.
Trotzig sagt er es, als wäre der Tod sein erklärter Feind.
Mir wäre der Tod ein Freund, aber sowas sage ich natürlich nicht.
Nicht mehr.
Kommt nicht gut an.
Bin dann heimgefahren, nach einem Tag voller Lachen, der ein Geschenk wie von einem anderen Stern war und der anschließenden Beschäftigung mit dem Tod, der praktisch schon vor der Tür steht, aber noch heldenhaft abgelehnt wird.
Voller innerer unausgesprochener Widersprüche sitze ich seitdem daheim, beruhige im Telefongespräch die Schwester des Sterbenskranken und drehe den Fernseher auf.
Schlafe ein, dann spiele ich ein bisschen am Tablett, als mir plötzlich der Gedanke kommt mich auf einem Datingportal anzumelden, um mich gleich danach wieder zu löschen.
Ich soll mir irgendeine Beschäftigung suchen, damit mein Tag Struktur bekommt, höre ich mittlerweile von mehreren Seiten.
Da ist was Wahres dran, wenn ich nur wüsste was mir Freude macht. Denn wichtig ist die Freude bei dem was man tut.
Wenn man sich für nichts begeistern kann ist man selbst schuld.
Sei nicht so negativ!
Jetzt ist es halbdrei und ich bin nicht mehr müde, sondern schreibe Unsinn.
Morgen treffe ich mich mit einer Frau, die ich vor drei Tagen am Friedhof kennengelernt habe zu einem Spaziergang. Vor drei Tagen fand ich das eine gute Idee, als Zeichen meiner Flexibilität und dass ich mich nicht verkrieche, sondern aus mir herauskomme.
Gerade eben bin ich mir nicht mehr so sicher.
Einen Fixpunkt hat mein Tagesablauf ja.
Vormittags geh ich testen und um Eins ins Krankenhaus meinen täglichen Besuch machen. Bin schon gespannt worauf mein Cousin morgen Lust hat.
Ich betrachte die ganze absurde Situation wie ein Insektenforscher einen aufgespießten Käfer.
Emotionslos.
Fast heiter.
Immer wenn ich in meine Wohnung gehe, die ehemals mein geliebtes Zuhause war muss ich hemmungslos weinen.
Er geht mir so sehr ab und ich sehne mich nach ihm. Ich bin voller unerfüllter Liebe und maßloser Sehnsucht und zugleich einfach nur froh, dass mein Liebling rechtzeitig die Reißleine gezogen hat und diesen Alptraum, der sich Leben nennt erfolgreich und glücklich hinter sich gebracht hat.
Ich mag nicht schlafen gehen, weil morgen (oder besser gesagt heute) wieder ein neuer Tag beginnt und wenn ich irgendwas nicht mehr haben will, dann sind es neue Tage.
Tage voller Sehnsucht und Einsamkeit, mit Ablenkungen, die an der Oberfläche befriedigen, in der Tiefe aber die Sinnlosigkeit dieses Lebens auf der Erde ohne einen Menschen, den man lieben kann, immer mehr einzementieren.