Die erste Zeit der Trauer sah für mich so aus:
Die Zeit steht still. Die Tage ziehen sich unendlich langsam dahin.
Die Gedanken kreisen um den geliebten Menschen wie Schmetterlinge die nirgendwo landen können.
Begleitet wurde das bei mir von einer totalen Gefühllosigkeit gegenüber allem und jedem, was nicht das Thema geliebter Verstorbener betrifft.
Adrenalin hat meinen Körper überschwemmt. Ich war fast rund um die Uhr hellwach, habe kaum mehr als ein, zwei Stunden geschlafen, hatte keinerlei Hunger mehr und ständig das Bedürfnis mich zu bewegen.
Ich hielt es in meiner Wohnung keine 5 Minuten aus ohne was zu tun.
Ich suchte krampfhaft den Kontakt zu anderen Menschen und wollte nur mehr ausschließlich über meinen Mann reden.
Innerhalb von 2 Wochen nahm ich um die 15 kg ab und legte jeden Tag um die 20 km in schnellem Tempo zurück.
Mein Verstand funktionierte wie ein Roboter was mich dazu befähigte alle notwendigen behördlichen und wirtschaftlich organisatorischen Schritte zu unternehmen und das in absoluter Gefühllosigkeit.
Dazwischen Zusammenbruch und endlose Heulattacken.
Medikamente nutzten mir persönlich nichts. Medikamente dämpften zwar ein wenig meine Unruhe, aber dieses Grauen und der Schmerz blieben.
Nach den ersten paar Wochen im Schock fingen die Trauerwellen an.
Ich fühlte mich grundlos ruhiger, manchmal fast gelassen und heiter, es fühlte sich aber fremd an, so als würde ich neben mir stehen, diese Ruhephasen wechselten sich ab mit gewaltigen, schmerzhaften Trauerattacken, bei denen mir die Luft weg blieb und die mich erneut zur Aktion zwangen - reden, rennen, schreiben war mein Motto und in dieser Zeit meldete ich mich im Forum an.
Um es kurz zu machen: das erste Trauerjahr verging fast unbewusst im Schockzustand.
Das zweite Trauerjahr war dann erst richtig schlimm, denn ich erlebte die Abwesenheit meines Mannes voll bewusst und äußerst schmerzhaft.
Das dritte Trauerjahr brachte eine gewisse Gewöhnung und mehr innere Ruhe mit sich, wofür ich sehr dankbar bin. Dennoch bin ich noch mitten im Trauerprozess und auch nach drei Jahren ist es mehr Überleben als richtig leben. Es erschüttert mich ein wenig, wenn ich den weiten Weg betrachte, den ich gegangen bin und mich immer noch so weit vom Ankommen im neuen Leben vorfinde. Aber die Hoffnung bleibt aufrecht.
Zu den psychischen Symptomen kamen auch einige körperliche.
Zwar nicht so schlimm, wie ich es bei manch anderen Trauernden gehört und gelesen habe, aber meine persönliche Schwachstelle ist seit dem Tod meines Mannes die Lunge, die Schulter und Nackenbereich.
Vorher gab es da nie Probleme.
Das Gewicht habe ich übrigens sehr bald wieder zugenommen, nachdem der akute Stress vom chronischen Stress abgelöst wurde.
Zu Beginn des Trauerprozesses bekam ich hier im Forum den unendlich wertvollenTipp, möglichst nur in der Gegenwart zu leben und die Tage in mehrere Abschnitte einzuteilen.
Sich regelmäßig Termine vorzunehmen, an denen man sich sozusagen festhalten und sich damit von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag weiterhangeln kann.
Meine Psychologin klärte mich über Trauerphasen, paradoxe Gefühle und die zu erwartende Zeit des Trauerprozesses auf und begleitet und ermutigt mich immer noch, wieder intensiver seit mein Cousin krank geworden war.
Ich hatte die Gelegenheit mich intensiv der psychischen und körperlichen Genesung zu widmen und ich kann jedem Trauernden nur empfehlen, sein Leben selber in die Hand zu nehmen und jede mögliche Hilfe anzunehmen, die sich anbietet und die sich gut anfühlt.
Trauer ist kein Ereignis das eintritt und nach kürzerer oder längerer Zeit wieder endet, Trauer ist ein Prozess im Leben der uns lange begleitet. Ob Trauer je ein Ende findet kann ich noch nicht beurteilen.
Ich kann aber den Trauernden, die noch am Beginn des Prozesses stehen sagen, dass sie sich von meinen Aussagen nicht abschrecken lassen sollen.
Man wächst sozusagen langsam in dieses neue Leben hinein und irgendwann gewöhnt man sich an diesen neuen Zustand. Selbst die Trauerwellen eben ab und wenn wieder mal eine Phase kommt die kaum auszuhalten ist, weiß man aus Erfahrung, dass es irgendwann wieder leichter wird.
Für mich persönlich waren und sind die gut gemeinten und aufmunternden Ratschläge vom "nach vorne blicken", "das Schöne in den kleinen Dingen sehen", "positiv ins Leben gehen" und so weiter etwas, was Schuldgefühle und massiven Druck erzeugt. Und zwar darum weil impliziert wird, dass man sich nicht genug anstrengt, dass man sich für positive Gefühle entscheiden könnte.
Und dann stelle ich fest (und damit bin ich nicht alleine), dass ich das nicht fertigbringe und fühle mich noch oben drauf schlecht.
Inzwischen bin ich der Meinung, dass diese Starre in der sich viele von uns befinden nur von innen, aber niemals von außen gelöst werden kann und dass es nur zusätzlich unmenschlichen Druck erzeugt, wenn von außen eine Positivität eingefordert wird zu der die innerliche Bereitschaft fehlt.
Das ist der Grund warum es so gut tut sich gegenseitig die innersten Gefühle zu erzählen, so destruktiv das für Außenstehende auch wirken mag. Es hilft die Einsamkeit zu mildern, man fühlt sich verstanden und kann sich auf dieser Basis besser weiterentwickeln.
Das ist meine tiefe innere Überzeugung.
Den Weg müssen wir alleine gehen, aber wir können uns gegenseitig stützen.
Und zu denen, die die Gnade besitzen, das Leben grundsätzlich als positiv und lebenswert anzusehen, kann ich nur sagen, dass sie diesen ganz besonderen Schatz sorgsam hüten und ihr Leben danach ausrichten und sich freuen sollen, dass ihnen das Glück vergönnt ist, sich einen sehr schmerzhaften Teil des Trauerweges erspart zu haben oder aber ihn sehr rasch überwunden zu haben.
Sie werden ihresgleichen finden und können mit Ihnen gemeinsam Ihren ganz persönlichen Trauerweg beschreiten.
Der eine Weg ist ebenso richtig wie der andere.