Liebe Adi,
ich kann Dich gut verstehen!
In der vergangenen Woche gab es in den Medien die Meldung von diesem Ehepaar bei dem die Frau
nach 71 gemeinsamen Jahren einen Tag nach ihm starb. Hast Du die gelesen?
So klingen Geschichten, bei denen das Leben gnädig zu den Liebenden ist.
Liebende durch den Tod zu trennen ist barbarisch - und ich weigere mich darin etwas anders zu sehen.
Es ist interessant wie sich die eigne Wahrnehmung ändert:
Noch vor einem Jahr hätte ich die Kleinanzeige über das Ehepaar zwar wahrscheinlich mit Rührung gelesen,
doch kurze Zeit später in Anbetracht der Gemengelage der Weltpolitik sicherlich vergessen.
Heute ist es umgekehrt ob Brexit, Nationalratswahl oder eine affektgesteuerte amerikanische Politik
- alles erreicht mich höchstens am Rande, um kurze Zeit später in Vergessenheit zu geraten.
Kennst Du das kleine Buch von Julian Barnes "Lebensstufen"?
(Ich habe es hier im Forum schon öfter erwähnt.) Im dritten Teil beschreibt er wie sich seine
Wahrnehmung als er um seine Frau trauerte veränderte ... das ist tief berührend und ich fand mich im diesem
Text sehr wieder.
Freunde und Bekannte:
Stille. Von allen Seiten.
Auch dies hätte ich - hätte ich es mir vor einem Jahr vorstellen sollen - noch vollkommen anders eingeschätzt.
Mit dieser zusätzlichen Einsamkeit hätte ich nie gerechnet.
Ich fragte mich sehr oft, was ich bzw. besser wir - P. und ich - falsch gemacht haben könnten.
Haben wir unseren Wert für diese Menschen vollkommen überschätzt?
Oder bemerkten wir nicht, dass die Menschen um uns herum zu schwach sind dem Leben auch ins Gesicht zu sehen,
wenn es sich von seiner gnadenlosen Seite zeigt?
Nein.
Im Nachhinein betrachtet - zumindest ich hätte es spüren können.
Mir fallen eine Menge Kleinigkeiten auf an denen ich es hätte erkennen können.
Falls es so etwas wie "Zukunft" geben sollte - werde ich sicherlich diese kleinen Zeichen nicht mehr übersehen können.
Und das ist gut so.
Um so höher sind Freunde zu schätzen, die in dieser Zeit da sind.
Auch frage ich mich oft, wie es gewesen wäre, wenn nicht er sondern ich plötzlich gegangen wäre?
Wären sie ihm bessere Freunde gewesen?
Hoffentlich - denn alles ander bricht mir in der Vorstellung das Herz.
P. glaubt an Freundschaft.
Auch diese barbarische Seite des Lebens werde ich nie verstehen. Nie verstehen wollen.
Und bevor jetzt wieder eine Diskussion entsteht über Toleranz, Unsicherheit etc.... oder
stellen wir uns vor wie wir vorher reagiert haben auf Trauernde.... bitte nicht.
Es gibt zu diesem Thema nichts, was ich nicht versucht hätte selbst zu bedenken.
Mein Herz ist durch die verzweifelten Rettungsversuche der Freundschaft bereits erschöpft -
ich habe alles getan und bedacht, was in meiner Macht stand um sie zu retten, denn es waren unsere Freunde.
Ich schildere eine persönliche Empfindung und halte nicht "Weltgericht über die Menschen."
Nichts liegt mir ferner.
Meine Freunde und Bekannten sind nicht Eure - ich wünsche und hoffe aufrichtig für Euch, dass Ihr sie besser ausgewählt habt.
Denn so wie die Trauer anerkanntermassen individuell ist - sind es auch Freunde und Bekannte.
Nur als Preis für meine Trauer und gegen die Einsamkeit den Wert und Anspruch der Freundschaft zu reduzieren
werde ich nicht. Denn ich werde auch weiterhin an Liebe und Freundschaft glauben.
Lieber Adi, dies ist nun doch ein unerwartet egozentrischer Text geworden.
Gewährst Du ihm Deine Gastfreundschaft in Deinem Thread oder soll ich ihn verschieben?
Mittlerweile übrigens mache ich, wenn ich mal wieder allzu einsam bin so:
Ich stelle mir ein Treffen mit "ehemaligen" Freunden und Bekannten einzeln und konkret vor.
Wir sitzen gemeinsam am Tisch - hinter uns liegt die Erfahrung unserer gemeinsamen (oder eben nicht gemeinsamen) Zeit
der vergangenen Monate.
Was hätten wir uns sagen?
Eben. Leider.
Schon wieder kein Trost von meiner Seite,
doch aufrichtiges Mitgefühl,
ganz herzlich,
Tereschkowa