Liebe Andrea,
herzlichen Dank für Deine ausführliche Antwort und auch für die Fragen.
Tereschkowa ist mein Nickname fürs Forum.
Den Namen habe ich mir von Walentina Tereschkowa geliehen, das ist eine sowjetische Kosmonautin.
Sie ist die erste Frau, die ins All bzw. in den Kosmos flog.
Meintest du als beistand einen Rechtsanwalt für die Journalisten? Oder einfach einen klugen starken zweiten Menschen?
Zunächst meinte ich einen Menschen, dem Du vertraust und die/oder der Dein Anliegen versteht und Dich darin unterstützen
will und kann.
Wenn es niemanden in Deinem Umfeld gibt, dann kann ein Therapeut oder eine Therapeutin sehr hilfreich sein
- zumindest für den ersten Schritt.
Rechtsanwälte kommen, wenn überhaupt erst ganz zum Schluß.
Das ist sehr teuer und es ist sehr schwer den passenden zu finden.
Wenn Du es schaffst, dass Journalisten sich für Benjamins Geschichte interessieren und darüber berichten, dann ist es danach leichter
eventuell einen Rechtsanwalt zu finden, wenn Du einen brauchst.
Ein Schritt nach dem anderen. Es ist nicht egal wann welcher Schritt dran ist.
Für die Vorbereitung scheint mir jemand wichtig, die/der Dich unterstützt und dem Du vertraust.
Wichtig dabei scheint mir zu sein, dass Dir jemand Dein Anliegen nicht versucht auszureden oder nicht daran glaubt, dass es gelingt
Journalisten für Dein Anliegen zu interessieren. Wenn das jemand - wenn auch nur aus Zuneigung oder Hilflosigkeit - versucht,
ist sie/er nicht geeignet.
Ich verstehe was Dein Anliegen für Dich bedeutet.
Natürlich ist das sehr schwer und es besteht die Möglichkeit es nicht zu schaffen, aber es gar nicht erst zu probieren ist keine Lösung für Dich.
Einfach ist es nicht und Du wirst viel Kraft, Klarheit und Unterstützung brauchen.
Also: Schon mal essen und schlafen üben für die Kraft...
Der erste Schritt scheint mir zu sein alles was passiert ist und Dir wichtig scheint in eine Art Zeitachse zu notieren.
(Was dann später für Journalisten relevant sein könnte, kannst Du später noch entscheiden.)
Es geht zunächst darum, dass Du alle Ereignisse (auch emotionale) chronologisch vor Dir sehen kannst,
denn zunächst brauchst Du diese Klarheit, erst dann ist sie auch andere zu vermitteln.
Das habe ich auch getan, gemeinsam mit einer (sehr tollen!) Psychiaterin, weil es in meinem Umfeld niemanden gab, der verstand warum
"bestimmte Details", die ein paar Monate vor meinem Schock passierten so wichtig für mich sind.
Es verstand auch niemand, dass ich mich nicht entscheiden kann, ob ich manche Umstände immer und immer wieder gedanklich durchgehe.
Ich kann das nicht "zu tun oder zu lassen". Das passiert. Diese ständige Kreiseln ist auch nicht - wie oft angenommen - das Problem,
sondern für die Psyche eine Lösung.
Nach einem solchen Schock ist es so als wenn man einen Schrank mit ganz vielen kleinen Dingen, die einem aber sehr wichtig sind umgeworfen hat und nun versuchen muss die Dinge wieder an den Platz zu stellen an dem sie vorher standen... dieser Schrank muss erst wieder ordentlich
eingeräumt sein bevor es einen klaren Schritt "nach vorne" gehen kann.
In meinem Kopf kreiseln noch immer einzelne Geschichten ganz klar und scharf und dazwischen gibt es noch immer Lücken.
Wenn mir etwas neues für diese Lücken einfällt bin ich oft nicht sofort in der Lage einzuordnen ob dies zum Teil Monate vor oder nach einem anderen mir im Kopf kreiselnden Ereignis liegt. Das verwirrt mich noch zusätzlich, dass mein Zeitgefühl so durcheinander ist.
Geht es Dir auch so?
Meine Psychiaterin sagt, das sei bei einem Schock nicht ungewöhnlich.
Seit ich mir die "Zeitachse" gebaut habe, ist es viel einfacher, diese kreiselnden Gedanken einzuordnen.
Vielleicht solltest Du das - mit oder ohne - Unterstützung probieren.
Dass Deine Wut auf einige der eingeschalteten Professionisten gerechtfertigt ist, steht für mich außer Frage.
Allerdings macht diese Wut auch leicht ohnmächtig allem und sich selbst gegenüber, deshalb scheint es mir wichtig genau zu
klären wer, was wann getan bzw. eher nicht getan hat.
Dass es sich in erster Linie um "Unterlassungen" handelt macht es leider noch komplizierter.
Falsche Handlungen sind klarer zu sehen und zu argumentieren als "Nicht-Handlungen".
In Benjamins Geschichte scheinen mir diese Zusammenhänge hoch komplex und nur sehr, sehr schwer überschaubar zu sein.
Aber das ist egal, wie bei dem Schrank. Es muss aufgeräumt werden.
Das wird Dich auch sehr viel Kraft kosten.
Doch die Mühe diese Verantwortlichkeit bzw. Vernachlässigung dieser Verantwortlichkeit klar zuzuordnen lohnt sich in dem Fall.
Hinter jedem noch so undurchsichtigen System stehen einzelne Menschen mit ihren Entscheidungen.
So wie Deine Text klingen - ich hoffe ich trete Dir damit nicht zu nahe - übernimmst Du momentan viel zu viel Verantwortung, die
ich von "außen betrachtet" bei anderen sehe.
Allerdings Deine "innere Stimme" und ihre Wut auf andere scheinen Dich nicht zu täuschen.
Auch deshalb lohnt sich das Aufräumen.
Danach ist Deine und Benjamins Liebe besser sichtbar und spürbar.
Warst Du wie geplant heute auf dem Zentralfriedhof?
Ich werde am Wochenende viel am Computer sitzen und freue mich auf Deine Antwort.
Ganz herzlich,
Tereschkowa