Liebe Kornblume,
hab vielen Dank für deine ehrlichen Worte! Mich nerven diese Phrasen á la "Das wird schon wieder!" oder "Zeit heilt alle Wunden". Tatsächlich nicke ich oft einfach nur, weil es mir zu blöd ist, dazu etwas zu sagen - bei den meisten spiele ich ohnehin die "Normale", die, die man kennt. Denn wer versteht einen schon?
Hier verstehen mich viele, du zum Beispiel, liebe Kornblume. Ich weiß, dass der Schmerz niemals verschwinden wird, doch ich sage das niemanden, weil ich auch weiß, welche Diskussionen dann vom Zaum gebrochen werden. Natürlich wird man sich mit dem Schmerz "arrangieren", sich daran gewöhnen, wie man sich auch an so vieles andere im Leben gewöhnt. Aber ich werde niemals über diesen Schmerz hinwegkommen können, denn ich werde niemals aufhören, meine Mama, diesen wundervollen Menschen, diese großartige Mutter, diese zuverlässige Freundin, diese starke Frau, den immer lachenden Clown und die trotz aller Widrigkeiten überzeugte Frohnatur, kurz: meine andere Hälfte, die werde ich niemals aufhören, zu vermissen. Sie wird mir immer fehlen.
Es ist quasi der Phantomschmerz, den man hat, nachdem einem ein wesentliches Körperteil amputiert wurde.
Ich war schon immer dankbar, genau diesen wundervollen Menschen als Mutter haben zu dürfen. Nie konnte ich die anderen verstehen, die von ihren Müttern genervt waren oder ihnen ggü. Geheimnisse haben. Ich war niemals von meiner Mama genervt, nicht einmal in der Pubertät, und es gab nie Geheimnisse zwischen uns. Ich habe ihr blind vertraut, ich habe ihr blind alles ANvertraut.
Und da ich wusste, dass uns das Schicksal viel zu wenig Zeit miteinander schenken würde (denn, ich sagte es schon: wie schön wäre es gewesen, wenn wir einfach gemeinsam von dieser Welt gingen und so immer zusammen wären), kam für mich auch nie in Frage, "auszuziehen". Was Unwissende nicht verstanden haben und oft für "Nicht-Loslassen-Können" oder "nicht-auf-eigenen-Beinen-stehen-können" hielten, war für mich eine Selbstverständlichkeit.
Meine beste Freundin, Italienerin, hatte nicht einmal verstanden, was daran so unnormal sein soll. Ein weiterer Grund, warum meine Mama und ich dieses Land so lieben.
Es tut so höllisch weh, ohne sie zu sein. Wahnsinn, dass du, Kornblume, diesen Schmerz schon seit 7 Jahren erträgst (ertragen musst)!
Meine Mama hat um ihre Mutter 30 Jahre lang getrauert. Wobei ich sagen muss, die letzten 10 Jahre waren weniger "schlimm" als die 20 zuvor. Sie hatte dann vor allem diese Dankbarkeit, von der du sprichst, doch die macht das Vermissen ja nicht besser.
Dennoch ist es für mich unvorstellbar, wie man diesen Schmerz so lange überleben kann.
Aber wie wir alle wissen: es ist uns so vieles unvorstellbar und es geschieht dennoch. Was der Mensch in der Lage ist, zu ertragen und zu überleben, ist doch selbst schon unvorstellbar.
Ich sage mir jeden Tag: sie muss nicht mehr leiden. Sie muss keine Schmerzen mehr haben. Sich nicht mit dämlichen (Pardon!) Ärzten herumplagen. Ihr Kreislauf muss nicht mit der Hitze kämpfen, die Gelenke nicht mehr mit Regen und Kälte. Doch dann erscheint mir ihr immer währendes Lächeln vor Augen, diese unermüdliche Stärke und Lebenslust, und ich schüttle den Kopf und frage mich, mal wieder: Warum?!
Auf diese Frage wird es keine Antwort geben. Ich weiß. Trotzdem stelle ich sie mir, hadere mit dem Schicksal, welches mir meine über alles geliebte Mama so früh genommen und sie vorher so schrecklich krank gemacht hat.
Nichts davon hat sie verdient. Und ich hätte ihr so gerne noch so viel gegeben. In ein paar Wochen ist ihr Geburtstag, aber dieses Jahr darf ich keine Torte backen, keine rote Rosen kaufen, keine Geschenke verpacken und mich auf ihre Reaktion freuen. Diese Freude über Kleinigkeit, gepaart mit dem Satz "Das sollst du doch nicht für mich! Gebe nicht immer so viel Geld für mich aus! Ich habe doch alles - ich habe dich." Und ich werde nicht antworten: "Das alles ist nichts gemessen daran, was du für mich bist."
Ich werde dieses Jahr auch nicht zum 29. Mal hören, wie sie die letzten Wochen vor meiner Geburt Erdbeer-essend im Partykeller verbracht hatte, weil der Sommer 1991 viel zu heiß war. Ich werde dieses Jahr nicht mehr an meinem Geburtstag hören: Heute vor 29 Jahren hat mein Leben einen Sinn bekommen und mir das größte Geschenk bereitet!
Es tut so gut, dass alles niederschreiben zu können und zu wissen, dass die, die das lesen, mich verstehen. Auch wenn es schöner wäre, wenn wir alle gar nicht erst den Grund hätten, hier zusammen zu finden, trotzdem: Danke!