Liebe Melina,
diese Frage war auch für mich die am meisten Verhasste. Ist sie eigentlich immer noch. Aber ich habe gelernt, sie zu akzeptieren. Zumal: Freunde (die echten!) möchten auch wirklich wissen, wie es uns geht, wie wir uns fühlen. Natürlich wissen sie, dass es uns nicht gut gehen kann. Manche möchten uns damit mitteilen, dass sie uns zuhören werden, wenn wir reden möchten. Andere möchten uns signalisieren, dass sie sich um uns sorgen und es nicht anders ausdrücken können. Meine beste Freundin fragte mich in der ersten Zeit nach dem Tod meiner Mama nie, wie es mir geht, sondern wie ich den Tag verbracht habe oder schickte mir einfach so einen Gruß. Und das tatsächlich täglich. Weil sie Angst um mich hatte und genau wusste, was der Verlust für mich bedeutete.
Eine andere gute Freundin schrieb sehr oft: "Ich weiß, die Frage ist total doof, aber: wie geht es dir? Klar, nicht gut, aber... ich weiß gerade nicht, wie ich es anders beschreiben soll und ich möchte doch wissen, ob alles in Ordnung ist bei dir - obwohl es das natürlich nicht ist... ach, du weißt schon.".
Und ich finde, damit hat sie das Dilemma, dass unsere FreundInnen haben, auch sehr gut beschrieben.
Ich denke, Trauernden würde es helfen, wenn sich die Menschen nicht abquälen würden, irgendetwas zu sagen. Der Satz "Ich weiß nicht, was ich sagen soll" ist doch gar nicht so falsch. Was soll man schon bei dem Tod eines geliebten Menschen sagen? Es gibt keine Worte, die diesen Schmerzen beschreiben und keine, die ihn lindern können. Alles, absolut alles klingt in diesen Momenten nach reiner Phrasen-Drescherei. Trotzdem fühlen sich alle verpflichtet, etwas zu sagen. Auch irgendwie verständlich. Aber du bist definitiv noch nicht in der Phase, wo du Verständnis haben kannst. Und das musst du auch nicht, Melina.
Ich träume auch nach elf Monaten sehr, sehr oft von meiner Mama. Die meisten Träume laufen nach dem gleichen Muster ab. Sie sitzt plötzlich neben mir und ich rufe aus: "Mama! Ich wusste doch, du bist nicht weg!" und dann erzähle ich ihr, was alles so passiert ist. Das sind tatsächlich sehr oft reale Dinge, die gerade in meinem Leben/meinem Alltag aktuell sind.
Seit etwa einem halben Jahr hat sich eine kleine, aber bedeutende Sache in diesen Träumen verändert. Meine Mama antwortet mir seitdem: "Natürlich bin ich nicht weg, das werde ich nie sein. Ich werde immer bei dir sein."
Und ich bin davon überzeugt, dass dem auch so ist.
Auch wenn es mir lieber wäre, wäre sie in ihrer körperlichen Hülle bei mir, dass ich sie noch umarmen könnte, in ihre liebevollen Augen blicken dürfte und ihr wunderbares Lachen hören könnte. Aber sie lassen uns nicht allein, wenn sie merken, dass wir sie brauchen.
Fühl dich gedrückt, liebe Melina, und sei nicht zu streng mit dir, gib dir Zeit - auch wenn du das gerade absolut gar nicht hören möchtest. Zeit ist unser Feind und Freund zugleich. Ich bin fassungslos, dass meine Mama fast ein Jahr nun tot ist. Wo sind diese Tage geblieben? Doch ich bin auch dankbar dafür, dass die Zeit so schnell vergeht. Wenigstens eine Erleichterung in diesem schweren Verlust.