Mein lieber Schatz,
wieder habe ich einen Tag ohne dich geschafft.
Im Moment habe ich das Gefühl, die Zeit rast nur so dahin. Gestern warst du noch bei mir, nächsten Monat bist du schon ein Jahr fort. Ich kann es immer noch nicht fassen.
Ob ich Ostern zu unserer Tochter fahre, steht noch in den Sternen. Es hat sich noch niemand gemeldet, der sich um Mutter kümmern will. Eine meiner Kolleginnen meinte, ich solle sie in die Kurzzeitpflege geben. Das mache ich auf keinen Fall. Mir dreht sich das Herz um, wenn ich nur daran denke. Ich habe deinem Vater versprochen, dass ich mich um Mutter kümmere, da gehört Kurzzeitpflege sicher nicht dazu!
Für den Impftermin werde ich versuchen, Urlaub zu bekommen. Es hat sich leider auch niemand gefunden, der Mutter fahren würde, obwohl deine beiden Schwestern jetzt Rentner sind. Egal, irgendwie schaffe ich das auch.
Ich habe große Angst davor, dass mich deine Mutter auch verlässt, dann bin ich ganz allein.
Ich weiß, dass es mit ihren 95 Jahren nicht mehr ewig dauern wird, aber ich glaube, ich habe mich inzwischen zu einer übervorsorglichen Glucke entwickelt. Ständig habe ich Angst, dass ihr irgendwas passiert. Ich habe inzwischen ein Babyfon, damit ich mitbekomme, wenn sie nachts unruhig wird und ich sofort zu ihr kann.
Ihre Schwerhörigkeit wird auch immer schlimmer, ohne Hörgeräte hört sie gar nichts mehr.
Nächste Woche nehmen wir Abschied von Onkel Klaus. Am Mittwoch beten, Donnerstag Requiem und Freitag dann Beerdigung. Das wird auch noch mal hart. Ich weiß, du mochtest meinen Onkel auch sehr gern. Er hat ja am 24.12. Geburtstag und weil ich da immer noch viel zu tun hatte, bist du immer zum Gratulieren zu ihm gegangen. Ich glaube, du hast das auch gern gemacht, weil du dann bei unseren Vorbereitungen für Heiligabend erst mal raus warst. Egal, ich habe dir diese kurze Auszeit immer gegönnt.
Lieber Schatz, ich warte darauf, endlich wieder mit dir vereint zu sein. Trotzdem habe ich mir auch einen Impftermin geholt. Widerspricht sich das? Ich habe nur Angst davor, so elendig zu ersticken. Ich möchte einfach einschlafen können wie du. Aber bei mir ist dann niemand, der mich in den Armen hält. Ich will nicht mehr so viel weinen, kann es aber nicht aufhalten.
Ich vermisse dich unendlich.
Die Armbanduhr, die du mir vor ein paar Jahren geschenkt hast, ist stehen geblieben, Batterie leer. Deine geht noch. Also trage ich die jetzt. Sie ist zwar ein bisschen groß, aber es fühlt sich so gut an, sie an meinem Handgelenk zu tragen.
Ich liebe dich.
Deine Manuela