wird es irgendwann leichter?

  • mein papa ist am 27.11.2011 an speiseröhrenkrebs gestorben.
    wir hatten eine komplizierte beziehung, ich hatte 2001 den kontakt zu ihm abgebrochen und ihr könnt mir glauben das es dazu eine sehr lange vorgeschichte gibt und es sehr böse zuging. ich war von anfang an ein "papa-kind" und es würde den rahmen sprengen zu erklären warum ich den kontakt abgebrochen habe.


    im frühjahr 2011 habe ich von meiner mutter (meine eltern sind seit langem geschieden hatten aber lockeren kontakt) von seiner krebserkrankung erfahren. da bei meiner mama aber fast jeder gleich stirbt wenn er sich mal in den finger schneidet habe ich diese information als übertrieben abgetan. durch meine tante (seine schwester) wurde mit der zeit klar dass es doch sehr bedrohlich ist.
    im endeffekt hat mich meine cousine kontaktiert, sie kennt "unsere" geschichte, aber trotzdem meinte sie ich solle mir das nochmal überlegen denn wir hätten wohl nicht mehr viel zeit. es ginge nicht mehr darum wer schuld sei, was alles passiert ist,..... es ginge nur noch um die zeit die wir miteinander hätten. dafür werde ich ihr ewig dankbar sein, ob ich ohne ihre intervention den schritt getan hätte weis ich nicht.


    irgendwann anfang november stand ich vor dem krankenhaus in dem er seit einiger zeit war, mit tränen in den augen. ich habe es an diesem tag nicht geschafft hinein zu gehen. aber meine grossmutter hatte mich gesehen und sich gedacht ich sei ihn besuchen gekommen. da sie geistig schon etwas nachlässt hat man sie nicht ernst genommen als sie es beim nächsten besuch bei meinem vater zu spreche gebracht hat, weder mein papa noch meine tante. da wurde sie aber recht resolut und meinte sie sei zwar alt und etwas langsam aber mich erkennt sie schon noch.


    ein paar tage später läutet mein handy, meine tante war dran und meinte: "ich geb das telefon jetzt weiter, jemand will mit dir reden, ist das ok". ich habs schon gewusst bevor ich das gespräch angenommen habe.
    mein vater, sie stimme kaum zu erkennen: "warum bist du nicht rein gekommen, ich hätte mich so gefreut dich zu sehen. kommst du, weisst du wie es um mich steht?"
    ich hab nur gestammelt, wie ein roboter: "ja, ok".
    nach dem gespräch war ich knapp vor einem zusammenbruch und mein mann wusste klarerweise nicht was los war.


    irgendwann später hat mich meine tante angerufen, sie hoffe ich sei ihr nicht böse aber nachdem sie gehört hatte das ich schon vor dem krankenhaus stand war klar das dieses "ich will ihn nie wieder sehen" nicht mehr gültig sein. ausserdem wollte er mich sprechen.


    sein "ich hätte mich so gefreut dich zu sehen" hat mich so getroffen. es war im grunde der satz auf den ich 10 jahre gewartet hatte.


    am nächsten tag stand ich dann im krankenhaus, hatte nur die zimmernummer und stehe plötzlich vor der abteilung onkologie und palliativ-pflege. ein hammerschlag in den magen und ins herz.
    ewig bin ich vor dem zimmer gestanden und die schwestern waren schon besorgt. aber ich musste erst meine kräfte sammeln was man auch akzeptiert hat. plötzlch biegt meine tante um die ecke und ich konnte ihre überraschung sehen. sie hat es kaum geglaubt dass ich da war. wir haben uns noch kurz einen kaffee zusammen gegönnt, sie hat mich etwas aufgeklärt und dann bin ich sehr zaghaft hinter ihr in das zimmer hinein. wie ein kleines kind nachdem es etwas angestellt hat.
    mein papa, immer kräftig seit ich denken kann, lag in diesem bett und war haut und knochen. seinen blick werde ich nie vergessen. ich hab meine sachen hingelegt, wusste nicht was ich tun, sagen soll. ich solle zu ihm kommen, ich bin an die seite vom bett, hab seine hand genommen, sein gesicht gestreichelt und nur gesagt "alles ist gut".


    alles was zwischen uns passiert ist war da weg. es war als ob wir in einer blase wären in dem moment und auch bei den folgenden besuchen. irgendwie ist es als ob es 2 realitäten gegeben hätte, diese komplizerte beziehung und die letzten wochen im krankenhaus.


    besuche haben ihn sehr angestrengt, auch emotionell. das mussten wir natürlich akzeptieren und so habe ich ihn offiziell nicht jeden tag besucht. aber ich war jeden tag dort, hab mich bei den schwestern erkundigt wie sein tag war, wie sein zustand ist. er hat oft geschlafen, dann habe ich im wartebereich gewartet und war auch manchmal nur kurz bei ihm drinnen. manchmal war er auch gar nicht richtig wach und wir haben nur wenige saätze gewechselt. dann hat er an anderen tagen wieder witze gerissen, bei der abendvisite usw.
    er bekam schon lange künstliche nahrung ,erst durch eine bauchsonde, dann über die vene. es hingen einige infustionen, katheter, usw....das klingt furchtbar doch in der zeit war es irgendwie nicht so erschreckend, es war irgnedwie fast normal. es hat ihn auch nicht gestört wenn man vor ihm gegessen hat zb.


    mitte november wurde es schlechter, er hätte nochmal operiert werden sollen aber die op wurde abgesagt. alles was man ihm zuführte (flüssigkeit) rann quasi durch ihn durch. wie viel man ihm gesagt hat über die gründe das man derzeit nicht operiert weis ich nicht. er hat immer mehr geschlafen, konnte nicht mal mehr etwas trinken.


    am montag bevor er gestorben ist hat er dauernd erbrochen und man wollte ihm eine sonde legen die das gleich ableitet damit er sich nicht so anstrengen muss. aber er wollte das nicht, hatte panik vor einer sonde. er wurde monate vorher irgndwie durch eine sonde ernährt und das dürfte sehr unangenehm gewesen sein.
    an diesem tag habe ich meine handynummer bei den schwestern hinterlassen mit der bitte mich anzurufen wenn sie meinen es wäre soweit, egal zu welcher uhrzeit. ich hätte mich nicht aufgedrängt, jeder hat das recht so zu gehen wie er möchte. aber ich wollte da sein falls er nicht allein sein wollte wenn seine zeit auf dieser welt zu ende geht.


    am mittwoch hat er viel geschlafen war kaum noch munter und ich weis nicht wie viel er noch registriert hat. am freitag war sein bett flach gelegt, er hat leise gestöhnt und es war einfach nur furchtbar. an diesem tag war ich mit meiner oma dort und es war so furchtbar wie hilflos sie dastand, ihrem sohn nur die hand gestreichelt hat. es ist absolut herzzerreissend das mitzuerleben. aber ich war froh das sie nicht alleine dort war.
    am samstag war es nicht anders, ich bin nach dem krankenhaus zu meiner mutter gefahren. da war besuch und ich konnte keinen klaren gedanken fassen, ich weis nicht mal mehr wer dort war.


    sonntag früh hat mich mein mann geweckt und mir gesagt meine tante hat angerufen, mein papa ist eingeschlafen. ich habs nicht geglaubt, ich hab geschrien, nein, die mussten mich doch anrufen, mich hat niemand angerufen,.....aber es war so.


    nach vielleicht 5min heftigen weinens uns brüllens war es vorbei. ich hab meine kollegin informiert das ich nicht ins büro komme am montag, ein paar leute verständigt, überlegt was ich tun muss....was jetzt zu erledigen ist. wie eine to do list. dürfte wohl eine schutzfunktion sein.


    zu mittag waren wir im krankenhaus, mit meiner mama, meinem bruder, meinem mann. ich war irgendwie der "macher" zu diesem zeitpunkt, hab noch ein paar persönliche sachen von ihm entgegengenommen, blumen besorgt, meinen bruder an die hand genommen und dann sind wir zu ihm ins zimmer. er sah sehr friedlich aus, sein gesicht war so entspannt.
    mich wundert das heute noch aber ich denke ich bin so "konstruiert", würde ich in so einem moment den schmerz komplett zulassen würde ich zusammenbrechen. aber soweit ich es beurteilen kann mach ich es nicht bewusst.


    da er seinen körper der medizin gestiftet hatte gab es kein begräbnis. ich bin auch nicht ungglücklich darüber, weder bin ich gläubig noch gebe ich etwas aus diese gesellschaftlichen verpflichtungen. er hatte nur den wunsch das sein name auf den grabstein seiner geliebten grossmutter dazu kommt, den haben wir erfüllt.
    bei der räumung der wohnung habe ich die fotoalben, einige bücher, cd`s und andenken für micht mitgenommen.
    in seinem schlafzimmer stand exakt die gleiche leselampe wie ich sie habe.


    nun ist das bald 10 monate her. ich hab das nicht mal ansatzweise verarbeitet, sobald ich nur an ihn denke steigt mir der kloss im hals auf. bei einer szene in einer fernsehserie wo jemand im sterben lag musste ich umschalten und konnte mich ewig nicht beruhigen. und immer wieder kommen situationen, gedanken wo ich kaum die tränen zurückhalten kann, schon bei kleinigkeiten.
    wird es irgendwann leichter werden? kann es sein das durch unseren nichtkontakt alles noch viel schwieriger ist? hier spielen sicher selbstvorwürfe mit, das bereuen um verlorene zeit etc.
    ich musst damals diesen schritt setzen und stehe immmer noch dazu. aber ich bin auch froh das ich noch ein paar wochen mit ihm hatte.


    ich hatte letztes jahr ein burnout mit begleitender depression und noch ein paar begleiterscheinungen, war 4 monate krank geschrieben, allerdings bevor ich wieder kontakt zu meinem papa hatte. die rückkehr in meinen job war extrem schwierig und ist letztendlich auch gescheitert, ich habe gekündigt und mit ende september endet dieses arbeitsverhältnis.
    die firma an sich ist nicht wirklich schlecht, der bereich in dem ich tätig war ist extrem demotivierend. ein interner wechsel war in 8 monaten nicht möglich.


    nun habe ich beschlossen für 3 monate nach asien zu fliegen, um mich wieder zu finden, einen neuen blickwinkel zu bekommen, abstand zu unserer "immer schneller-immer mehr" gesellschaft zu bekommen. ich denke das ist ein guter weg für mich und ich werde endlich zeit haben mich mit mir und meinen emotionen zu beschäftigen.
    ich werde nach thailand, kambodscha und laos reisen, mich treiben lassen und auch ab und zu mich bei einigen der sozialen orgnaisationen dort betätigen.


    nun ist das ja ein ordentlicher roman geworden :rolleyes: . aber irgendwie hat es gut getan das alles mal nieder zu schrieben.

  • Liebe susi,
    herzlich willkommen hier und mein herzliches Beileid zum Tod deines Vaters!
    Es wird schon "leichter" werden, aber es braucht Zeit. Die Zeit heilt die Wunden nicht, aber man lernt mit ihnen zu leben. Grade das erste Jahr ist schwer, das zweite auch noch und du hattest ein Burnout davor, das hat dich natürlich auch geschwächt und noch viel empfindsamer gemacht. Dann die schwierige Beziehung zu deinem Vater ... da ist einfach viel liegen geblieben die letzten Jahre! Aber ich bin froh, dass du am Ende noch einen Weg zu ihm gefunden hast, dass ihr Frieden geschlossen habt. Das ist ganz entscheidend.
    Dass du eine Auszeit nimmst und nach Asien reist, finde ich gut! Pass aber auf, dass du den Draht zur Arbeitswelt nicht ganz verlierst! Wir Menschen brauchen Auszeiten, aber wir brauchen auch Struktur und Normalität!
    Alles Liebe
    Christine

  • Liebe Susi,


    auch von mir herzlichen willkommen im Forum und mein herzliches Beileid zum Verlust deines Vaters.


    Wünsche dir viel Kraft und eine schöne erholsame Zeit in Asien.


    Liebe Grüße


    Manu