Hallo,
in der Ratlosigkeit meiner Trauer habe ich mich hier angemeldet, um Trost zu finden und mich mit Betroffenen auszutauschen, um vielleicht meinen Kummer ein wenig zu lindern. Dafür ist es noch natürlich sehr zeitig, denn meine geliebte Mutti hat sich am 27.12.2018 das Leben genommen. Dabei waren wir Seelenverwandte und das Loch, dass sie in meinem Herzen lässt, ist riesengroß.
Meine Mutti litt seit nun mehr als zwei Jahrzehnten immer wieder unter Depressionen, die auch behandelt wurden. Ihr ging es mal besser, mal schlechter. Das wechselte immer wieder, in den letzten Jahren habe ich mich trotz meiner 26 Jahre für sie stets veranwortlich gefühlt und wir beide genossen unsere gegenseitige Stützung. Zumindest denke ich das. So vieles haben wir gemeinsam gestaltet, nichts besonders Außergewöhnliches, aber eben den Alltag. Ich wohne noch daheim, mit meinem Papa. Da die beiden mehr oder weniger aneinander vorbei lebten, habe ich auch zunehmend den Partner ersetzt, war darüber hinaus auch Lebensberater und Helfer im Alltag (meine Mutti hatte viele physische Erkrankungen, die an sich mit der Depression weniger zu tun hatten, am Ende aber einen furchtbaren, nicht durchdringbaren Teufelskreis bildeten).
Meiner Mutti ging es bereits seit Juni 2018 zunehmend schlechter, aber es ging immer noch und sie nahm ihren Alltag gut selbst wahr. Richtig schlimm wurde es ab Oktober. Eigentlich wollte sie zur Kur fahren, aber die Beantragung wurde seitens des Rententrägers vermasselt und so zog sich der Prozess unnötig hin, ihr ging es dadurch schlechter, bis die Psychologin sie schließlich als rehaunfähig einstufte. Ab diesem Zeitpunkt stand fest, sie solle in eine Psychiatrie. Das wollte sie auf keinen Fall, denn sie hatte vor einigen Jahren in selbiger Klinik einen mehrmonatigen Aufenthalt, der wirklich schlimm war. Dieses Trauma hat sie nie verarbeitet.
Ihr ging es nun zunehmend schlechter, sie aß und trank kaum (innerhalb von 2 Monaten 10kg verloren), schlief nicht und betätigte sich auch kaum. Sie litt immer mehr unter Angstschüben und Panikattacken. Mitte Dezember hatte sie noch Geburtstag, auch das fiel ihr schwer. Dabei wollte ich sie mit den Geschenken voller Liebe überraschen. Jetzt denke ich, habe ich sie vollkommen überfordert, und das hat ihre Depression nur bestärkt. Weihnachten war leider sehr traurig, mit wenigen Momenten einer guten, normalen Stimmung. Dennoch äußerte sie immer wieder mal, sie überlege schon, wie sie ihrem Leben ein Ende setzen könne. Ich habe einen Nachmittag stundenlang mit ihr im Bett gelegen, wir beide haben aus Angst um einander geweint. Und dann habe ich gesagt, so weh es auch mir tut, aber wenn sie glaubt, für sie sei es richtig, dann könne sie es tun. Das bereue ich sehr. Eigentlich wollte ich sie entlasten, ihr zeigen, ihre Sorgen ernst zu nehmen, aber bestimmt war das falsch! Zu Weihnachten selbst setzten vermehrt Panikattacken ein und ich zog mich selbst zurück, weil es mir mit der allgemeinen Situation schlecht ging. Ich war so traurig, wie schön war es früher, wie schwer jetzt. Ihre Panik vor der Klinik, die am 27.12. starten sollte, engte ihren Blick sehr stark ein. Sie empfand sich zudem immer mehr als Belastung, sagte, sie habe mir alles versaut (leider klappt es mit meiner Berufsorientierung nur schwerlich). Jetzt denke ich oft, ich habe neben ihr gestanden, und nichts getan, nur zugesehen. Meine Gedanken sagen mir eigentlich eher, dass ich für sie wie all die Jahre viel tat, aber es fühlt sich nicht so an. Vielleicht sagte sie auch deshalb, sie habe mir alles versaut, weil sie glaubte, ich richte mein ganzes Leben auf sie aus. Ich weiß es nicht, ich grübel darüber so viel nach.
Am 26.12. ging es ihr früh ganz gut, alles war normal. Aber gegen nachmittag äußerte sie, sie überlege schon, wie sie herunterspringe. Ich habe in dem Moment das gar nicht so wahrgenommen. Ich muss auch dazu sagen, manchmal habe ich ihr gesagt, ich glaube, ihre Suizidankündigungen seien ein Hilfeschrei. Hat sie das nur noch mehr verletzt?!
Am 27.12. hat sie mein Papa nun in diese Klinik gebracht, ich war nicht mit. Auch das bereue ich!!! Wir haben uns nur kurz in Eile im Flur verabschiedet, ich habe sie gedrückt und gesagt, wir sehen uns am Samstag, wenn wir dich besuchen. Es war unsere letzte Begegnung. Warum bin ich nur nicht mitgefahren??
In der Klinik wirkte sie wohl gefasst und sie wollte sich ja auch helfen lassen, sie sagte oft, sie müsse ruhiger werden, alles annehmen, was kommt. Ich glaube nicht, dass sie ihren Suizid geplant hat, er war aber immer als Option in ihren Gedanken verankert, weil sie viele Menschen seit ihrer Schulzeit kannte, die so gegangen sind. Nach den Arztgesprächen muss sie am selben Abend die Klinik verlassen haben, was dort erst am nächsten Morgen auffiel!!!!!! Ist das nicht schlimm? Ein Mensch in größter Erregung wurde nicht begleitet. Wir können es uns nur erklären, dass sie in einer Panikattacke die Klinik verließ, ohne Blick zur Seite. Denn sie wurde ja nicht gesehen, was sich ein Mensch mit massiven Angststörungen eigentlich nicht traut... aus Angst, eben entdeckt zu werden, so dass der Plan scheitert. Und sie hat dann einen Weg von über 4 Kilometern bewältigt, was eigentlich durch ihre körperlichen Erkrankungen kaum möglich sein dürfte. Was ist nur in dieser Klinik an diesem Abend passiert... ist das Trauma aufgebrochen? Sie hatte stets Angst, sofort in die Psychiatrie verlegt zu werden. Immer wieder kamen ihre Erfahrungen von damals auf. Wie muss sie sich nur in ihren letzten Stunden gefühlt haben? Auf dem Weg? Auf der Brücke, von der sie dann sprang? Meine liebe Mutti, die immer an uns 3 Kinder dachte!! Das passt alles nicht so zu ihr, denn sie hat auch keinen Abschied hinterlassen. Ihr Herz hätte ihr das aber immer befohlen. Ich kann es mir nur mit dieser massiven Panik erklären, in deren Folge sie erst einmal aus der Klinik musste, vielleicht bildete sich diese Ausfluchtsoption auch erst, als sie merkte, was ihre Flucht bedeuten könnte - eben das verlegt werden. So viele Fragen, die mich beschäftigen!
Es ist so unerträglich, dass der Mensch für den ich alles gegeben habe, den ich über alles liebte, auf diese Weise aus meinem Leben trat. Mit nur 55 Jahren. Ich bin manchmal auch wütend, aber dann denke ich, ich darf sie nicht verurteilen. Das Umfeld und auch wir als Familie hätten doch ihre Hilfeschreie viel früher erkennen müssen, dahinter steigen, was sie bedeuten. Aber nie hätte ich gedacht, dass die Depression und Angst über unser so inniges Verhältnis siegen. Meine Mutti war doch immer da.
Ich weiß, dass erst wenig Zeit seit dem vergangen ist. Die Beerdigung besteht noch bevor. Ich habe sehr viel Angst. Immerhin konnten wir uns trotz des Sturzes von ihr noch persönich verabschieden. Aber sie fehlt so sehr, niemand ist da, mit dem ich so einfach und doch tiefgründig sprechen kann, der mich bedingungslos liebt und akzeptiert. Die eigene Mutti nicht retten können, es schmerzt sehr. Und ich wünschte mir, sie wäre hier, dass ich sie drücken und sprechen kann. Weihnachten tut mir so leid, ich hätte doch ihre Ängste erkennen müssen. Natürlich wollten wir mit der Klinik Hilfe, aber wir hätten sie nicht dort hingeben dürfen. Das bereue ich ebenso.
Erst 24 Stunden später erfuhren wir überhaupt von diesem ganzen Schicksal, denn unsere Mutti war ohne Dokumente bei sich nicht identifizierbar. ich kann nicht vergessen, wie die Polizei hier saß, die Sanitäter, der Seelsorger. Wie wir alle angerufen haben. Es ist unbegreiflich, dabei soll es real sein?!?!?!?!?!
Und oft denke ich auch, wenn sie es wenigstens bewusst für sich getan hätte. Dann könnte ich damit besser leben, aber scheinbar hat uns die Angst auseinandergerissen! Das ist so sinnlos!! Und hätte jemand in der Klinik darauf geachtet, oder wäre ich an diesem morgen mitgefahren oder hätte sie noch am nachmittag besucht! Ich mache mir so viele Vorwürfe.
Meine Mutti war die beste. Sie war so unendlich lieb, hat immer allen Menschen selbstlos geholfen, ihr Schicksal angenommen aber auch für Besserung gekämpft. Warum reicht die Kraft jetzt nicht mehr aus. Ich bin so traurig darüber, sie fehlt so sehr!
In tiefer Trauer,
traurigerSohn