Ich durfte meinen Bruder bis zum Ende begleiten

  • Hallo

    Ich bin Mittlerweile seit ca anderthalb Monaten hier im Forum unterwegs und ich denke ich möchte meine Geschichte mit euch teilen.


    Mein Bruder ist am 17.Oktober 2019 gestorben und wie der Titel vermuten lässt kam sein Tod nicht plötzlich.

    Er wurde im Dezember 2018 mit einem Hirnstammtumor Diagnostiziert. Die erste Chemo und die Experimentelle Behandlung hatten nichts geholfen bzw bestenfalls haben sie das Wachstum etwas verlangsamt. Zur 2. Chemo kam es dann nicht mehr.


    Die Zeit die wir mit ihm hatten war geprägt von Hoffnung. Die Ärzte waren zuversichtlich und die Experimentelle Behandlung wirkte vielversprechend. Es gab zwar einige Rückschläge aber die Symptome wurden zwischendurch auch mal besser.

    Eines der Symptome war allerdings Schwindel, Gleichgewichtsstörungen und Doppelt sehen. Von daher brauchte er irgendwann oft Hilfe und einen Rollstuhl damit er zumindest halbwegs selbstständig war. Trotzdem ließ er sich nicht unterkriegen was eine Riesen stütze für uns war. Er hat seine Situation akzeptiert und das beste daraus gemacht. Auch wenn es ihm aufs Gemüt schlug für sehr vieles im Alltag Hilfe zu brauchen. Wir haben, im vergleich zu vor der Krankheit, wesentlich mehr Zeit verbracht. Wir haben uns z.B. "Aktivitäten" gesucht die uns beiden Spaß machen und die er auch ohne Probleme mitverfolgen konnte.

    Wie schon gesagt, die Zeit war geprägt von Hoffnung und Zuversicht. Man lebte aber auch von Termin zu Termin. Etwa alle 3 Monate war ein MRT um den Verlauf zu sehen.

    Anfang September wurde es dann rasant schlechter. Wir machten außerplanmäßig, nach 3 Wochen, einen weiteren MRT und Arzttermin. Das Ergebnis war wenig überraschend aber verdammt schlimm. Zuvor war in ca 3 Monaten fast nicht passiert und in 3 Wochen hatte sich der Tumor sehr schnell vergrößert. Es wurde sofort eine andere Therapie angeordnet die 2 Tage später beginnen sollte.

    An dem Tag (es war ein Donnerstag) kam er ins Krankenhaus, wurde aufgenommen und am nächsten Tag sollte die Therapie beginnen. Also ich am Abend dann zu ihm kam war ich richtig geschockt. Morgens konnte er wohl noch reden, essen und war so wie ich ihn am Tag zuvor noch erlebt mit ihm Blödsinn gemacht und gelacht hatte. Am Abend allerdings konnte er sich nur noch über ein sehr angestrengtes "Ja", Kopfschütteln, Daumen hoch, Daumen runter und ein bisschen auf dem Smartphone tippen verständigen. Ich werde dieses Bild nie vergessen. Ich war völlig unvorbereitet. Die Schwestern und Ärzte meinten er hätte einen Krampfanfall gehabt, sei erschöpft und würde sich die nächsten Tage erholen. Dies war leider nicht der Fall. Es wurde von Tag zu Tag schlechter. Ich war jeden Tag bei ihm. Es war von der Familie auch fast durchgehend am Tag jemand bei ihm um ihm zu helfen. 2 Tage vor seinem Tod kam dann der Anruf das doch wirklich durchgehend jemand bei ihm sein soll. Wir (seine Frau, meine Schwester, unsere Eltern und ich) sind alle hingefahren und bei ihm geblieben bis zum Schluss. Wir hatten alle noch etwas Zeit um mit ihm zu reden, alles bzw vieles zu sagen was wir sagen wollten quasi abschied nehmen. Wir waren 2 Tage Tag und Nacht bei ihm. Nur mal morgens 3 Stunden dann Zuhause um etwas Schlaf zu finden und um uns um alles zu kümmern was noch zu tun war. Ich bin froh das ich bzw wir diesen weg mit ihm gehen konnten. Er hatte mir so viel Kraft gegeben in dieser Zeit. Es war für mich selbstverständlich und ich hätte es auch nicht anders gewollt. Wir hatten noch furchtbar schöne Momente mit ihm. So merkwürdig das auch klingt. Ich war letztendlich auch bei seinen letzten Atemzügen dabei.

    Es war und ist beruhigend zu wissen das er nicht leiden musste, Die Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen haben sich wirklich großartig um ihn und uns gekümmert.

    -So viel zu der Geschichte wie ich meinen Bruder verloren habe-


    Im nachhinein bin ich natürlich viel am überdenken. Vor allem was Beziehungen zu Familie, Freunden und generell anderen Menschen angeht.

    Ich habe dabei zum Glück Hilfe von meiner besten Freundin, meiner Schwägerin und von der Trauerbegleitung unserer lokalen Hospizgruppe.

    Damit bin ich glaube ich auf einem ganz guten Weg.



    So das war jetzt natürlich sehr sehr viel Text also danke an alle die so weit gelesen haben,


    Ich möchte an dieser Stelle noch allen, bei denen es jetzt auch "frisch" ist oder die einfach so gerne Kontakt hätten oder einfach Redebedarf haben, anbieten mir einfach Privat zu schreiben.

  • Frydeloni, Deine Geschichte liest sich gut, so traurig sie auch ist.

    Es scheint, dass Du Dich in Frieden von Deinem Bruder verabschieden konntest. So, als hätte das Buch, das das Leben mit Dir und Deinem Bruder beschreibt, ein gelungenes Ende erzählt und Du es ohne offene Fragen schließen kannst.

    "Furchtbar schöne Momente " hattest Du noch mit ihm. Ja, die haben sich bei mir auch eingebrannt, als meine Mutter im Sterben lag. Sie bekam als halbwegs gesunde Frau die Diagnose der akuten Leukämie und verstarb innerhalb nur einer Woche. Ich war jeden Tag Stunden im Krankenhaus bei ihr. Sie war völlig klar im Kopf bis 12 Stunden vor ihrem Tod. Und ich hatte noch am letzten Tag mit ihr furchtbar schöne Momente. Lachen, Geschichten erzählen etc.

    Nur ein Abschied nehmen war mir nicht vergönnt. Dazu war es viel zu schnell und konnte mit ihr auch nicht thematisiert werden. Ihren letzten Atemzug habe ich begleiten dürfen, aber mein Buch mit ihr bleibt leider ohne Schluss.

    So kann ich nun nicht in Frieden zurück blicken. Es bleibt das Bedürfnis nach einem gelungenen Ende.

    Du scheinst es für Euch gefunden zu haben. Das liest sich gut.

  • Lieber Frydeloni,

    Nochmal ein offizielles "Herzlich Willkommen" hier im Forum- auch wenn der Anlass immer sehr traurig ist. Mein Mitgefühl zu deinem Verlust.


    Als ich deine Geschichte las, fühlte sich das sehr friedvoll an. Ihr konntet Abschied nehmen, auch das ist in der Trauer ganz besonders wichtig. Schön das ihr diesen schweren Weg gemeinsam als Familie gehen konntet.


    Ich hoffe der Austausch hier tut dir gut... Schreib wann immer du magst...

    Alles Liebe & Viel Kraft <3

    Isabel

  • Ja ich denke auch das es sich ganz gut liest. Natürlich gab es auch viele Momente die schrecklich waren. Tage und Stunden die richtig schwierig waren. Mein Bruder hat mir in dieser Zeit wahnsinnig viel Kraft, durch seine stets positive Art mit der Situation umzugehen, gegeben. Zumindest hatte er diese mir gegenüber eigentlich immer (auch wenn ich wusste das es ihm selbst sehr zu schaffen macht). Da alles irgendwie schnell aber auch langsam ging hatten wir ja noch einige Zeit und die Psycho-Onkologin der Krankenhauses hatte uns empfohlen nochmal jeder alleine mit ihm zu reden. Mein Moment wurde dann leider durch einen Pfleger unterbrochen (was ja nicht schlimm war da er nur seinen Job macht) aber irgendwie hat es sich dann nichtmehr ergeben. Wir hatten viel mehr Vorbereitungszeit auf alles.


    Es tut mir leid das von deiner Mutter zu lesen. Eine Woche ist wirklich verdammt schnell. Da bleibt wenig Zeit für einen Abschied geschweige denn die Realisation der Lage. So scheiße wie das ganze ist.. immerhin war sie noch klar und du konntest mit ihr reden und schöne Stunden verbringen. Klingt für mich so als könntest du auch im guten an die Zeit denken.

    Ein gelungenes Ende dafür das man einen geliebten Menschen verliert.. schwierig. Aber ja vielleicht kommt das dem schon ganz nahe. Bei uns beiden bei jedem auf seine Art.


    Seine letzten Tage waren teilweise sehr frustrierend. Momente die mich immer noch verfolgen und ich oft überdenke. Dinge die man durch die sehr schwierige Kommunikation nicht herausgefunden hat. Ihm irgendwie zu helfen, ihm das noch angenehm zu machen, ihm zu bringen was er braucht.

    In der einen Nacht die wir im Krankenhaus verbracht hatten, hatte ich einen Gedanken den ich nicht haben wollte.. der mich verfolgt und der mir sehr leid tut.


    Danke für die freundliche Begrüßung :)


    Ja ich habe von Anfang an versucht im guten an alles zu denken. Auch wenn die Erinnerungen immer noch verdammt weh tun erinnere ich mich gerne. Die Trauer wird sich legen und die guten Erinnerungen bleiben.


    Bis jetzt ist der Austausch wirklich gut, wenn auch in diesem Bereich des Forums recht rege. Aber ich bin froh auf dieses Forum gestoßen zu sein da das Hilfsangebot für Hinterbliebene Geschwister recht gering ist.

    Dankeschön :)




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    Es gibt jetzt noch so viele Momente die mich aus der Bahn werfen. Ich habe eine Zeit lang mit ihm in der Firma von unserem Papa zusammengearbeitet. Er war da schon ein paar Jahre und ich erst 3 Monate. Und manche Kunden wissen von all dem nichts und kennen nur Ihn. Heißt es passiert hin und wieder das ich mit seinem Namen angesprochen werde. Das ist jedes mal so frustrierend und ein Schlag ins Gesicht.

    Er hat mir so vieles im Privaten sowie im Arbeitstechnischen Bereich gezeigt.. gerade heute hatte ich wieder einen Moment in dem ich dachte "Oh ich weis nicht wie das geht ich könnte doch.. ihn... fragen...". Diese Momente sind furchtbar.

  • Er hat mir so vieles im Privaten sowie im Arbeitstechnischen Bereich gezeigt.. gerade heute hatte ich wieder einen Moment in dem ich dachte "Oh ich weis nicht wie das geht ich könnte doch.. ihn... fragen...". Diese Momente sind furchtbar.

    Liebe Frydeloni,

    Das kann ich natürlich verstehen... Die Momente wo einem wieder schlagartig bewusst wird was man verloren hat. Solche Momente hat man immer wieder. Ich kenne es von mir auch bei schönen Ereignissen die man dann mit dem Menschen teilen will, und es dann nicht mehr kann.


    Ich hab mir für mich das Ritual das ich es dem Menschen auf Papier schreibe, und dann je nach Gefühl entweder irgendwo platziere, verbrenne oder es dem Wasser übergebe.

    Vielleicht findest du auch ein schönes Ritual für dich...


    Liebe Grüße <3

    Isabel

  • Es ist sehr traurig aber ich bin eigentlich auch froh das ich diese Person eben nicht vergessen habe.


    Ich hab mir für mich das Ritual das ich es dem Menschen auf Papier schreibe, und dann je nach Gefühl entweder irgendwo platziere, verbrenne oder es dem Wasser übergebe.

    Vielleicht findest du auch ein schönes Ritual für dich...

    Oh das klingt nach einem schönen Ritual, das werde ich für mich ausprobieren :) die Idee gefällt mir sehr gut.

    Ansonsten habe ich ein Buch das ich nur ihm gewidmet habe. Darin schreibe ich alles auf was mich gerade beschäftigt und auch was ich so noch erfreuliches erlebt habe. Einen Brief der von eher negativen Gedanken gegen Ende in eine positive Richtung geht.

    Oder ich gehe zu dem Baum den wir für ihn gepflanzt haben (Mein Profilbild) und rede da mit ihm.

    Das kann ich natürlich nicht immer machen aber ein Stück Papier hat man ja fast immer greifbar :)

  • Lieber Frydeloni,

    auch von mir ein offizielles "Herzlich Willkommen" hier im Forum. Und zu gleich möchte ich Dir mein tiefes Mitgefühl zur Aussprache bringen.

    Ich hoffe der Austausch hier tut dir gut? Schreib gerne über das was Dich berührt und deine Gedanken die Du zu deinen Gefühlen hast tut Dir auch gut


    Lichtvolle Grüße zu Dir

    Maik