Tod des Vaters und Trauma

  • Hallo erstmal, mein Name ist Vivienne und ich bin 22 Jahre alt. Nach langem suchen bin ich auf diese Plattform gestoßen und habe mich nun dazu entschieden meine Gedanken und Probleme hier niederzuschreiben.

    Wie bereits der Titel verrät geht es um den Tod meines Vaters und verschiedener Probleme die sich jetzt aufgrund dessen zeigen oder wieder hoch kommen... Ich habe bisher sehr verzweifelt nach Trauergruppen und Trauerbegleitung gesucht bei denen ich mich wohl fühle, musste aber bisher leider jedes mal feststellen das meine Trauer, mit dem viel zu langen Rattenschwanz, irgendwie nirgends so recht einen 'Platz' findet. Ich habe mich nur umso weniger verstanden gefühlt, auch wenn mir bewusst ist das meine spezielle Situation vermutlich eher weniger verstanden oder nachempfunden werden kann, war und ist es dennoch oder gerade deswegen, ziemlich schwer mit dieser absoluten Einsamkeit und Überforderung klar zu kommen. Irgendwie habe ich wieder das Gefühl nirgends richtig rein zu passen...

    Ich versuche mich irgendwie kurz zu halten und nicht meine gesamte Lebensgeschichte hier niederzuschreiben, kann allerdings nichts versprechen. Danke an diejenigen die sich die Zeit nehmen sich meinen Text durchzulesen oder gar zu antworten!

    Mein Vater ist am 16.07. überraschend gestorben, vermutlich an einer Sepsis -> septischem Schock und dem darauffolgendem Organversagen. Ich konnte mich nicht verabschieden, was die gesamte Situation nur noch anstrengender macht, weil es sich so anfühlt als würde er jederzeit einfach wieder nach Hause kommen. Trotz dessen, dass es jetzt schon/erst (es fühlt sich beides nicht richtig an, schwer den Tod eines geliebten Menschen anhand eines Datums oder vergangenen Wochen weniger zu vermissen...) 5 Wochen her ist, habe ich es noch immer nicht realisiert. Es ergibt irgendwie keinen Sinn und das obwohl ich im Krankenhaus war und ihn tot im Bett habe liegen sehen, er sah beinahe friedlich aus so wie er da lag... Aber er war eiskalt und hatte einen ganz blauen Hinterkopf/Ohren, woher das alles kommt ist mir bewusst. Irgendwie fühlt es sich dennoch wie ein sehr eigenartiger Traum an.

    Nun erstmal etwas zu mir, ich bin psychisch generell sehr instabil, mir wurden mit 19 Jahren eine Emotional-Instabile Persönlichkeitsstörung (Borderline) als auch eine Komplexe PtBs diagnostiziert. Dementsprechend bzw. dem voraus gingen schon früh verschiedene Traumatisierungen und unschöne Erlebnisse, Suizid Versuche, Fremdunterbringungen als auch Therapie/Psychiatrie. Psychische Probleme liegen in meiner Familie, meine Mutter hat Depressionen und mein Vater war ebenfalls Borderliner, hatte Hypochondrie und war Alkohol-/Tablettensüchtig. Mir ist bewusst, dass das alles ziemlich extrem wirkt wenn man es nur so liest, aber meine Eltern sind gute, herzliche und freundliche Menschen, nach außen würde Ihnen das vermutlich niemand anmerken. Um es anders zu sagen, ich hatte meinen Vater sehr lieb, auch wenn er so war wie er nun mal war.

    Unabhängig davon war mein Vater allerdings Ursache für einige meiner erlebten Traumata, nicht für alle, aber die Zeit von 13-18 Jahren war er kein guter Vater. Ich wurde nach einem sexuellen Übergriff (durch eine dritte Person) von meinem Vater verbal bedrängt und nach meinem ersten Suizidversuch und 6 Monaten Psychiatrie von ihm aus dem Haus geworfen, ich hätte die Familie kaputt gemacht und sei nicht mehr seine Tochter <- diesen Satz durfte ich mir noch zwei weitere Male anhören in den darauffolgenden Jahren. Er hat mich Angst gemacht, mich traumatisiert, verstoßen und mich als Lügnerin dargestellt. Das alles ist jetzt nur sehr grob beschrieben, es gab noch andere Situationen und Erlebnisse in Bezug auf ihn welche dazu geführt haben das mein Vater eben einer meiner Trauma-Verursacher wurde, aber es gab natürlich auch sehr schöne Zeiten und Dinge mit ihm an die ich mich gerne zurückerinnere (es war nicht alles schlecht...).

    Ich lebe nun seit Ende 2018 wieder zu Hause, durch einen eigentlich unschönen Zufall und seitdem ging es bergauf. Bis vor ein paar Wochen war es besser als je zuvor, zu mindestens was die Familie betraf... in den letzten 4 Jahren war er wieder mein Vater, es hat zwar gedauert bis man sich wieder näher kam und Vertrauen aufbauen konnte aber nach etwas 10 Monate hatte ich endlich wieder eine Familie und Eltern die mich geliebt haben, mir zur Seite standen und mir bei allem was danach kam versucht haben zu helfen.

    Und jetzt ist er tot, gerade als es besser wurde und ich mich ihm endlich öffnen konnte stirbt er... Er war schon lange körperlich sehr krank, es war normal das er immer mal wieder ins Krankenhaus musste. Allerdings hatte er eine Tendenz sich nicht helfen zu lassen, Angst vorm Krankenhaus, log uns in Bezug auf Aussagen der Ärzte etc. immer wieder an und war eben dazu auch noch Hypochonder. Etwa 10% von dem was er gesagt hat (in Bezug auf seine körperliche Verfassung) war wahr und real... Wir haben wirklich alles versucht ihm zu helfen, zuletzt hat meine Mutter ihm ein Ultimatum gestellt weil er auf Dauer wirklich die Familie kaputt machte und jedem einzelnen von uns irgendwie weh tat, entweder er wird endlich trocken (Es gab schon vieeeele Versuche, alle erfolglos... Er habe es im Griff etc.) oder er muss ausziehen. Das ist dann aber auch wieder im Sand verlaufen...

    Von Mai bis Juli diesen Jahres war er 6 mal immer wieder im Krankenhaus... Diabetes, Herzinsufizienz, COPD, Aspetose, neurologische Schäden, etc.etc. ... Der Arztbrief bestand unter anderem aus knapp 1 1/2 Seiten an Diagnosen, um ehrlich zu sein hätte er zu dem Zeitpunkt garnicht mehr Leben können. Am 15.07 ist er dann Tagsüber gegen 10 Uhr mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus, er hat sich bei niemandem verabschiedet. Er hatte seit ein paar Tagen sehr starken Durchfall und Fieber, lediglich das Fieber war etwas neues. Am 16.07. gegen 10:30 Uhr hat meine Mutter dann den Anruf bekommen er sei um 06:08 Uhr verstorben, ich war es gewohnt mich darauf einzustellen das er nicht mehr nach Hause kommt, aber dieses mal wusste ich nicht einmal das er weg war und habe mich nicht verabschiedet...

    Ich konnte mich also nicht mit ihm aussprechen, ihm nicht mehr sagen das ich ihn lieb habe oder ihn umarmen... Vor allem war es 1 1/2 Wochen vor seinem Tod so anstrengend und psychisch schädigend mit und durch ihn das sowohl meine Mutter, mein kleiner Bruder als auch ich einfach sehr gleichgültig wurden, einfach nur um uns selbst zu schützen... Es ging wirklich nicht mehr anders, dennoch fühle ich mich jetzt schuldig und komme damit nicht klar.

    Und jetzt, nach etwas über 5 Wochen fühlt es sich noch immer nicht real an. Alles bringt mich zum weinen, ich beschäftige mich nur noch um nicht nachzudenken und bin seitdem in einer schweren depressiven Episode (diese nicht so hübschen wo man sich Wochenlang nicht die Zähne putzt, duscht und vergisst zu essen oder zu trinken). Es fühlt sich irgendwie an als wäre der Zugriff auf die entsprechenden Traumata mit ihm verschwunden, als würde diese jetzt in einem kleinem Boot durch mein Kopf schippern als wäre es ein großer Ozean. Sie sind da, ich habe ständig Flashbacks, Albträume und Panikattacken, aber irgendwie durch den Tod meines Vaters keine Kontrolle mehr darüber weil die Person nun mal nicht mehr da ist... Als würde ich diese Traumata jetzt nie los werden können, nie mehr darüber sprechen können und somit nicht wieder stabil werden. Es gibt irgendwie keinen Anhaltspunkt in der Realität mehr durch den ich darauf 'zugreifen' kann...

    Ich trauere, schaffe es wegen all der Trauer nicht wütend zu sein und wenn ich nicht wütend sein darf dann habe ich wieder das Gefühl alles sei meine Schuld und ich würde mich nur 'anstellen'...

    Neben der 'normalen' Trauer, dem Vermissen und der Einsamkeit habe ich jetzt auch noch eben damit zu tun. Ausserdem habe ich derzeit keine Ambulante Therapie weil ich vor seinem Tod von der Kinder- und Jugendtherapie in die Erwachsenentherapie wechseln musste und mir dementsprechend eine/n neue/n Therapeutin/en suchen musste/muss. Ich bin also in der Situation irgendwie ganz alleine und schaffe es aufgrund der depressiven Episode auch nicht mir Hilfe zu holen. Gelinde gesagt ist derzeit alles also mehr als nur beschissen...

    Ich weiss nicht genau was ich tun oder nicht tun soll, bin überfordert, weiss nicht mehr weiter und fühle mich abgrundtief einsam.

    Ich habe keine spezielle Frage an irgendjemanden, ich wollte das lediglich irgendwie einmal los werden können...

  • Liebe Vivienne, erst einmal ein leises Willkommen hier von mir im Forum. Ich finde es gut, dass du das Forum gefunden hast :) Probiere es wirklich mal aus. Vielleicht ist es ja etwas für dich :) Mir hat das Schreiben und der Austausch hier wirklich gut geholfen!


    Ich kann es natürlich total verstehen, dass du deinen Papa vermisst und alles noch so komisch und wirr ist in deinem Kopf. Ich habe letztes Jahr meine Mama verloren und vermisse sie noch immer schrecklich. Bei dir ist es doch sozusagen gerade erst passiert. Du kannst es also noch gar nicht verarbeitet haben. Stress dich da also nicht zu sehr. Das ist alles ganz normal. Die Trauer, die Wut, die Angst.... es gehört alles dazu.


    Dass du selbst mit psychischen Problemen zu tun hast, tut mir sehr leid. Ich denke an dich und sende dir Kraft, dass du es schaffst dir entsprechende Hilfe zu holen. Du schreibst aber auch, dass du ja auch schon in Behandlung warst. Vertrau darauf, was du dort gelernt hast. Die Leute dort während der Therapie vermitteln Methoden, um wieder im Leben zurecht zu kommen und das kannst du schaffen! Die Zeit ist gerade schwer, aber du weiß es eigentlich! Schau auf dich und pass auf dich auf <3

  • Liebe Vivienne,

    wie geht es dir momentan? Dein Beitrag ist schon eine Weile her, habe ihn gerade gelesen. Tut mir sehr leid für dich, so eine Situation ist bestimmt nicht einfach.
    Aber ich kann deine Situation ein wenig nachempfinden… in unserer Familie sind leider auch Dinge vorgefallen, die man vorher hätte aussprechen müssen, bevor meine Mama von uns gehen musste. Trotzdem kann ich ihr nicht böse sein, dass diese Dinge nicht geklärt wurden, aber es ist sehr schwer zu akzeptieren, dass dies nun nicht mehr möglich ist.
    Alles Gute für dich, Birke