Liebe Jilly,
wie sehr ich deinen Worten nachfühlen kann. Ich bin 3 Tage nach dem Begräbnis von Kristin wieder arbeiten gegangen. Ich habe diese bedrückende Trauer zu Hause nicht ausgehalten und gedacht ich steh sonst nie wieder auf.
Das arbeiten hat mir gut getan, die Ablenkung für einige Stunden war wie Balsam auf meiner Seele. Aber das nach Hause gehen und kommen war unerträglich. Alles war wie es niemals hätte sein sollen und dieses wechseln auf die bewußte Seite, sie ist nicht da, sie kommt nicht von der Schule, ich brauche nichts zu kochen hat mich jeden Tag wieder zerissen. Besonders weil ich jeden Tag um die gleiche Zeit nach Hause gekommen bin wie ihre Freunde von der Schule.
Mit der Zeit ist der Schmerz abgeflacht. Auch das wurde zu einer Normalität. So grausam es sich anhört. Sich dieser Tatsache zu stellen, ist nicht nur sehr mutig, sondern auch sehr wichtig. Sich davor zu verstecken oder einzuigeln würde nichts an all dem Schmerz nehmen, es aber unendlich lange hinaus zögern.
Wobei es aber dann im Sommer auch einen Zeitpunkt gab, wo ich mir ganz bewußt eine Auszeit vom Job genommen habe und jetzt 5 Monate nur zu Hause war, und auch das war wichtig für mich.
Einfach auf sein Gefühl hören, jeder ist anders, was einem hilft, ist für den anderen noch lange nicht gut.
Ich weiß nicht wieso und eigentlich kann man das ja gar nicht vergleichen, aber nachdem Kristin von uns gegangen war, fiel mir eine Situation mit meinem Sohn vor vielen Jahren ein.
Er hat damals gerade Fahrrad fahren gelernt und ein neues Fahrrad bekommen. Wir haben unsere erste Ausfahrt in den Wald gemacht und gegen Ende ist er wirklich böse gestürzt. Er hat sich die Knie und die Hände blutig geschlagen. Mir war aber auch sofort klar, wenn er jetzt nicht aufsteigt, steigt er für sehr lange Zeit nicht mehr auf. Also habe ich ihn getröstet und verarztet und danach mit viel Liebe , aber dennoch "gezwungen" mit dem Fahrrad nach Hause zu fahren. Mit meiner Hilfe, indem ich ihn leicht gestützt habe. Die ersten Ausfahrten danach war er sehr unsicher und hat immer wieder meine Hilfe gebraucht , aber irgendwann ist er wieder ganz alleine gefahren.
Diese Situation hat so in meinem Kopf gehämmert. Immer wieder. Und ich hab sie jetzt auch für mich in dieser Situation angewendet.
Für mich war das gut so, egal ob arbeiten, auf Einladungen gehen, den Kindergarten betreten, Ausflüge machen, Einkaufen gehen.
Übringens konnten wir alle sehr, sehr lange nicht TV schauen und eigentlich interessiert es mich bis heute nicht.
Ich habe mir am Anfang sehr schwer mit dem Glauben getan, sehr schwer und da gab es Momente voller tiefsten Zorn und Wut über diese Ungerechtigkeit. Ungerechtigkeit auf menschlicher Ebene. Auch bei mir war dieses: du warst immer für andere da, hast geschaut d du nicht urteilst, usw.. wieso also sie, wieso also wir. da gibt es doch so viele menschen die sich nicht kümmern, nicht um sich, nicht um andere, die tratschen, andere verletzten oder noch viel schlimmeres. warum also wir und nicht die.
und gerade darin lag dann irgendwann der sinn für mich. weil sie gefangene ihrer selbst sind. sie werden immer dort stehen und auch den rest ihres lebens genau so verbringen. sie werden niemals die schönheit der natur, des lebens sehen und empfinden.
ein kindersterbebegleiter sagte mir einmal. in all den jahren hat er feststellen müssen, d es tatsächlich immer die guten trifft. niemals die menschen, denen man in dunklen stunden eine kleine lebenserfahrung "wünschen" würde.
Wir durften liebe erfahren, grenzenlose liebe und der sinn liegt nicht hier auf dieser erde, dafür wäre alles viel zu sinnlos oder einfach.
es gab situationen da hab ich mir manchmal gedacht beim und nach dem tod meiner tochter, niemand, kein gott dieser welt hätte dies verhindern können, aber trotzdem habe ich mich getragen, eingehüllt gefühlt. was auch immer das war.
es hat mir auch sehr geholfen einfach mit meiner tochter zu sprechen, was würde sie von mir erwarten, was würde sie mir sagen. das war die größte kraft in mir. in ihrem sinne, mit ihrer kraft, mit ihrem willen, mit ihrer stärke, mit ihrer lebensfreude weiterzumachen. damit sie an dem tag wo wir uns wiedersehen, mit stolz auf mich blickt.
liebe jilly, jetzt habe ich dich wohl total niedergeplaudert.
ich wünsche dir für heute einen guten arbeitstag und viel kraft.
karina