Trauer um einen dementen Freund

  • Liebe Trauergemeinde,


    nach dem Verlust meiner Mutter dachte ich, dass es nichts mehr gibt, dass mich wieder so stark trauern lässt. Aber es ist anders gekommen.


    Seit nunmehr 7 Wochen leidet ein enger Freund (wir waren in Jugendtagen auch ein Paar), völlig unerwartet an einer schnell fortschreitenden Demenz. Er ist 53 Jahre alt.
    Nicht nur ich, sondern der gesamt Freundeskreis steht fasslungslos vor dieser Situation und weiß nicht, wie er damit umgehen sollen. Dazu kommt auch noch, dass seine Familie wenig (fast gar nichts) unternimmt, um ihn in einer entsprechende Pflegeeinrichtung unterzubringen. Sie scheinen auch den Ernst der Situation zu negieren. Da wir außerhalb der Familie stehen, können wir nichts unternehmen.Oder doch? Eine Sachwaltschaft wurde vom Spital beantragt, aber das sind ja nur die Formalia.


    Was uns alle sehr zu schaffen macht, ist einen Freund, mit dem einen viel verbindet und mit dem man fast wöchtentlich etwas unternommen hat, plötzlich in einer anderen geistigen Welt lebt und wir nicht mehr mit ihm kommunizieren können.


    Hat jemand Erfahrungen mit dieser Art von Trauer. Es ist wie ein nie enden wollender Abschied.


    Lilo

  • Liebe Lilopsy,


    wenn wir jemanden durch eine Demenz verlieren, dann ist das ein Abschiednehmen auf Raten. Viele kleine Abschiede sind zu bewältigen. Ich kann mir vorstellen, dass das schlimm ist, vor allem, wenn der Verlauf der Demenz rapide erfolgt und natürlich ist es einfach schrecklich, wenn man diesem Verfall zusehen muss, ohne etwas tun zu können.


    Ich kann mir vorstellen, dass die Familie noch nicht richtig realisiert hat, dass euer Freund früher oder später in einer Pflegeinrichtung besser untergebracht ist als zuhause. D.h. seine Familie braucht wahrscheinlich noch Zeit, dass sie loslassen kann.


    Könnt ihr euren Freund regelmäßig besuchen? Was könnt ihr als Freunde noch mit ihm unternehmen? Was freut ihn?


    Ich denke, die Chance, die hier besteht, ist, dass ihr euch ganz bewusst verabschieden könnt. Und ihr könnt ihn in die Welt, in der er sich geistig befindet, soweit begleiten, indem ihr ihn darin unterstützt, das zu bekommen, was ihm gut tut oder gefällt. Und wenn ihr auch den Eindruck habt, er versteht gar nichts mehr: Menschen spüren bis zum Schluss, wenn jemand da ist und dass sie nicht alleine sind: Menschen spüren Körperkontakt und mögen Stimmen, auch wenn sie nicht mehr verstehen, was gesagt wird.


    Ein Buch, das mich sehr berührt hat:


    In Ruhe verrückt werden dürfen


    Es ist ein Pflegeratgeber, aber sehr spannend und hilfreich, um zu verstehen, was wichtig ist, wenn man mit demenziell veränderten Menschen zu tun hat.


    Viel Kraft!
    Christine

  • Danke Christine für Deine tröstenden Worte.


    Ja es ist ein Abschied auf Raten. Wir, seine Freunde, haben einen regelmäßigen "Besuchsdienst" eingerichtet, so dass er nicht alleine ist. Das Buch werde ich mir besorgen, auch wenn ich nicht weiß, ob ich jetzt die Kraft habe es zu lesen.


    In einem anderen Thread habe ich über den Tod meiner Mutter geschrieben, die im April verstorben ist. Auch über ihrem Tod bin ich noch nicht hinweg und wahrscheinlich überwältigt mich jetzt die Situation mit unserem dementen Freund so stark.Manchmal weiß ich nicht, ob es für mich gut ist, ihn zu besuchen, aber andereseits hätte ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich es nicht tun würde.


    Lilo

  • huhu lilo,


    ich kann mir vorstellen wie schwer es für dich ist -im april deine mutter und nun ein freund der sich leise aus dem leben verabschiedet. da kommt schon einiges bei dir zusammen.


    du fragst dich manchmal ob es gut ist ihn zu besuchen. was bedeutet dieses manchmal? ist es ein dauerhafes gefühl, oder eben nur manchmal? ich denke, es ist völlig ok wenn du auf das schaust was dir gut tut. die familie deines freundes hat hier auch eine verantwortung für ihn. sie muss sich um ihn kümmern. wenn du die kraft hast, freut er sich sicher über deinen besuch. menschen fühlen, auch wenn sie dement sind wer bei ihnen ist. der gehörsinn ist der letzte sinn der "abgeschaltet" wird.


    für deine entscheidungen wünsche ich dir viel kraft
    burkhard

  • Auch Burkhard danke für deine Stellungnahme.


    Das schlimme an der Situation ist nicht nur, dass er sich aus dem Leben entfernt, sondern dass die Familie einfach alles an einen Kurator abgibt und glaubt, dass dieser alles erledigt, inklusive medizinische Betreuung, Besuche etc. Seine Familie zieht ihn auch mit den ältesten Hosen/Hemden an, als wäre er es nicht mehr wert, seine Lieblingskleidung wie bisher zu tragen.


    Können Freunde außer ihn zu besuchen wirklich nichts tun?


    Lilo

  • Liebe Lilo,


    ich glaube, das ist doch das beste, was ihr tun könnt - ihn zu besuchen. Was würdest denn du dir an seiner Stelle wünschen? Ich würde mir am meisten wünschen, wenn meine Freunde um mich herum wären und mir das mitbringen, was ich am liebsten hatte als ich noch gesund war: Z.B. meine Lieblings-CD oder aber mein Lieblingseis oder meine Lieblingsspeise, villeicht ab und an mal einen Schluck/Löffel voll Rotwein, - einen von dem sie wissen, dass ich ihn gern hatte. Als mein Opa im Sterben lag, hat er sich ein Bier gewünscht, das hat er bekommen. In kleinen Schlucken über den Tag verteilt. Als er dann in Agonie lag, waren wir einfach alle da und haben ihm den Mund befeuchtet, weil der schon ganz ausgetrocknet war. Er konnte nicht mehr schlucken, aber ein Wattestäbchen mit kühlem Bier, das hat ihm sichtlich gut getan! Ich glaube, das war damals das beste überhaupt, was wir für ihn gemacht haben. (Jetzt hast du sicherlich einen schlechten Eindruck von meiner Familie und denkst dir: Die saufen sogar noch im Sterben, aber ganz so ist es nicht gewesen :D)


    Demente Menschen sind zwar geistig stark eingeschränkt und auch das Erinnerungsvermögen wird immer schlechter, aber sie können schmecken, hören und spüren und wenn ihr hier Dinge für ihn organisiert, die er gerne hatte, dann schafft ihr über Vertrautes eine neue Art von Vertrauen und könnt so einen Weg in seine Welt finden.


    Alles Liebe
    Christine