Weihnachten ist erst wieder, wenn es an der Tür klingelt

  • :!:Triggerwarnung für: Drogen, Alkohol, Depressionen - selbst zerstörendes Verhalten. :!:


    Spoiler: kein Happy End, aber eine Stabilisierung.



    „Ich geh mal eben auf die Toilette“, sagte meine Mama damals zu Oma und mir. Kurz darauf klingelte es. Aufgeregt lief ich zur Tür, wo Mama scheinbar gerade aus dem Badezimmer kam. 
„darf ich?“, fragte ich und ich durfte. Da stand der Weihnachtssack mit Geschenken. 
„der Weihnachtsmann musste schon los, aber er hat dir Geschenke dagelassen.“

    der Weihnachtsmann kam nicht mehr, seit er einmal da gewesen ist und ich Angst vor ihm hatte. Doch die Geschenke kamen noch, denn ich war artig.

    Ab da folgte der Teil, dass ich Geschenke verteilte. Als ich älter wurde und ich wusste, dass Mama die Geschenke vor die Tür stellte, packte ich Geschenke für meine beiden Lieblings Menschen zu den anderen Geschenken in den Sack.

    Manchmal schliefen wir bei omi, manchmal fuhren wir nach Hause. Dieser Tag bei omi war immer etwas besonderes. Es war gemeinsames Essen, gemeinsames André Rieu im Fernsehen sehen, oder gemeinsames Musik hören. Unser letztes gemeinsames Weihnachten, lief Andrea Boccelli und ich spürte, dass etwas anders war.


    Als meine omi uns verließ, war nichts mehr wie es war. Meine omi, war das Puzzleteil, was uns zusammenhielt. Meine Mama und ich stritten oft, waren verschieden, uns trennten Welten und doch räumten wir zusammen alles in Kisten und übergaben nach 4 Wochen eine Wohnung, die über 50 Jahre von Mamas Familie bewohnt wurde und 21 Jahre mein zweites zu Hause war. Meine Omimi war mein Ansprechpartner, mein zu Hause, meine Sicherheit wenn es mit Mama Streit gab und der einzige Mensch dem ich sagen konnte, dass ich eigentlich Frauen liebte, nachdem mein erster Freund weg war.


    Kurz darauf lernte ich einen neuen Freund kennen, brach mit meiner Mama die nicht an mich glaubte und feierte Weihnachten anders, als jemals zuvor. Ich fühlte mich gebrochen, weil meine Mutter nicht darum kämpfte, mich zu behalten, oder mir zu zeigen, dass sie doch an mich glaubte.


    Erst 4 Jahre später, Hochzeit ohne Mama, beschissene Ehe und viel Einsamkeit später, machte ich einen Schritt auf meine Mama zu und rief sie an. Eigentlich wollte ich ihr einen Brief schreiben und las ihr den am Telefon vor. Wir weinten beide und sie entschuldigte sich das erste mal in meinem Leben aufrichtig dafür, nicht an mich geglaubt zu haben.


    Im Laufe der nächsten 1,5 Jahre veränderte sich unser Verhältnis grundlegend. Sie wurde meine beste Freundin, mein Ratgeber, mein Fels in der Brandung. Und der Mensch, der mich abholte, als ich nachts um halb 2 weinend anrief und sagte, dass mein Mann eine neue samt Kind in unsere Wohnung gebracht hat und ich hier raus musste. Sie holte mich ab. 2 Koffer, 2 blaue Säcke und ohne meinen Hund verließ ich den Mann, dem ich 6 Jahre mein Leben anvertraut hatte.


    Das einzige, was dieser Mann getan hat, war mein Selbstbewusstsein zu drücken, als ich 20kg abnahm und mich fast betrog, wodurch ich alles wieder zunahm. Er nahm mir Hobbys, Freunde, Hoffnung und mich. Wenn ich arbeiten gehen wollte, sagte er ich soll es nicht tun, aber er warf mir auch oft vor, nicht zu arbeiten. Mein ganzer Charakter war an ihm und seinem Messi leben zerbrochen. Er schwängerte sie, fragte sie kurz vor meinem Geburtstag ob sie ihn heiraten würde, nutzte unsere Wohnung und unsere Einrichtung um mit ihr ein liebesnest zu bauen und sperrte mir das Konto, bevor ich auch nur aus der Wohnung war.


    Erst jetzt, 5 Jahre später frage ich mich, ob das seelischer missbrauch war.


    Kaum war ich bei Mama, blühte ich auf. Ich klagte den Unterhalt ein, obwohl ich immer gesagt habe, es ginge nie um Geld. Ging es auch nie, bis er mich ohne jeden Cent rausgeworfen hat. Ich rächte mich, in dem ich von dem Geld all das tat, was er mir in 6 Jahren nie gegeben hat. Ich fuhr 2x alleine ans Meer um zu heilen, schickte meine Mama nach Rügen, wir flogen nach München, fuhren nach Berlin und zahlte dankbar alles was ging. Ich setzte mein antidepressiva ab, welches ich zuvor 5 Jahre nehmen musste. Von der 5 Jahre bestehenden angststörung, wegen der ich teilweise nicht mal das Haus verlassen konnte, war nichts mehr zu spüren.


    Manchmal sprachen meine Mama und ich abends, was sich teilweise bis nachts um halb 4 zog, obwohl sie um 5:40 aufstehen musste. Die Nächte haben wir geliebt.


    Auch als ich ein Jahr später endlich eine eigene Wohnung fand, verloren wir uns nicht. Im Gegenteil. Die Wohnung war 5 Etagen über ihr. Ich ging zur Therapie, saß oft bei Mama, wir bereiteten uns auf die Scheidung vor und ich begann eine Maßnahme vor Jobcenter. Wir fuhren eine Woche vor Weihnachten nach Berlin und dann kam die WhatsApp die mich für immer prägen würde.


    20.12. • 6:25 Uhr „Hilfe“


    Ich rannte runter, rief den Rettungswagen und hörte sie unten am rtw „Luft“ rufen. Früher fanden wir das lustig nach Luft zu rufen, ab da war es nie wieder lustig. Ich packte ein paar - zu viele Sachen und fuhr zu dem Krankenhaus. Angeblich eine Lungenentzündung. Ich stand auf der Intensivstation, sah sie an und wir wussten beide, dass sie log. Wir haben es über eine Woche gespürt, aber ignoriert. Hätten wir es nicht ignoriert, wäre dann alles anders? Nein, sagte man mir im Nachhinein.


    „Ich lasse dich schlafen. Ich komme später wieder.“, sagte ich.

    „Ich hab dich lieb.“

    „Ich hab dich auch lieb.“


    Unser Abschied.


    Am selben Tag ging es in eine andere Klinik und dann in die nächste. Ich hörte künstliches Koma, Operationen, wann ich kommen könnte.


    Der Punkt, den viele nicht verstehen werden, aber meine Mutter wusste. Durch meine Oma und vielen Krankenhaus Aufenthalten konnte ich nicht ins Krankenhaus. Die Klinik war über 2 Stunden Busfahrt entfernt. Im Bus gab es kein Klo. Ich konnte nicht fahren. Deswegen hatten wir uns verabschiedet. Sie dachte, wir sehen uns nie wieder.


    Am 21. fuhr ich nicht. Sie war weiterhin im Koma.

    Am 22. wollte ich fahren, ließ es aber. Es fühlte sich noch nicht richtig an.

    Am 23. hieß es, sie holen sie aus dem Koma. Ich fuhr.


    Wider Erwarten stand ich auf der Intensivstation. Zwischen über 10 Betten mit Menschen, die alle mehr abwesend als anwesend waren, doch ich sah nur in die Augen, die mir alles sagten, was ich nicht wissen wollte und tief in mir schon wusste, als ich am 20. das „Hilfe“ bekam. Ich werde meine Mama nie wieder mit nach Hause nehmen. Es gab keinen Abschied für mich, denn den hatte ich schon. Aber ich nahm Worte für ihren Freund - meinen Stiefvater mit.


    Ich schaffte es nicht mal bis nach Hause, als ich den Anruf bekam.


    Ich stand vor der Entscheidung meine Wohnung nach 7 Monaten aufzugeben, oder mein über 20 Jahre bestehendes zu Hause aufzugeben. Ich konnte die Wohnung kaum betreten. Das Gefühl von zu Hause, der Geruch und die Sicherheit verschwanden Stück für Stück. Ich holte Lebensmittel hoch, um sie dann doch wegzuwerfen, weil ich nichts essen konnte. Ich goss Blumen, lüftete, heulte im Bett meiner Mama und flehte meine beste Freundin an, sie mir wiederzugeben. Ich plante einen Sarg, ein Grab, bezahlte meins gleich mit und suchte Blumen aus.


    Ich zog ein und gab meine Wohnung ab. Brach auf der Beerdigung zusammen, obwohl ich stark sein wollte. Ich trank, nahm Drogen, brach die Therapie ab, startete 10 Monate später eine Tagesklinik, brach kurz darauf die Maßnahme ab weil ich den Weg nicht schaffte und war komplett am Ende.


    Meine beste Freundin zog ein, damit ich die Wohnung halten konnte. Sie wirtschaftete sie runter und ich war zu depressiv, um es zu verhindern.


    Sie hasste Weihnachten. Sie ließ mich jedes Silvester alleine. Sie fuhr alleine in den Urlaub. Als sie wieder auszog, brach sie den Kontakt nach 27 Jahren wortlos am Todestag meiner Oma ab. Das war dieses Jahr. An meinem Geburtstag 7 Monate später, blockierte ich sie endgültig. Ich hatte den Kontakt, als ich zu meiner Mama gezogen war, schon mal abgebrochen. Weil sie mich auf ihren neuen Welpen aufpassen ließ, obwohl ich gerade meinen Hund bei meinem Ex lassen musste. Sie fuhr nie mit mir ans Meer, unternahm allgemein nie etwas mit mir. Ihr Geburtstag und ihre Hochzeit waren immer wichtiger, als irgendwelche Abschnitte von mir. Sie wollte, dass ich ihren 30. Geburtstag und ihren Junggesellinnen Abschied plane, während ich bei beiden Ereignissen egal war. Im Grunde war sie mein Ex in weiblich. Ich hab sie nur wegen dem Verlust in mein Leben geholt und sie hat mich am Leben erhalten, aber eine Freundin war sie wohl nie.


    Ich habe meine erste feste Freundin. Ich trinke seit letztem Jahr nicht mehr, nehme noch länger keine Drogen mehr. Wir haben aus der Wohnung ein zu Hause gemacht, was alleine an putzarbeit Tage gedauert hat und stehen kurz davor, das erste mal zu schmücken. Heute soll es soweit sein, während sich am 23.12 der Todestag zum vierten Mal jähren wird. Ich habe Angst, ob das die richtige Entscheidung ist.


    Mein Stiefvater ist 10 Monate nach meiner Mama gegangen.

    Dieses Jahr im September ist mein erster Freund verstorben.

    Mein zweiten Hund hatte ich ein Jahr, ist letztes Jahr im September verstorben.


    Ich habe am 1.12 meinen ersten Job seit der abgebrochenen Ausbildung angefangen, habe über 10kg abgenommen, mich beim Sport angemeldet. Ich schlafe mit meiner Freundin in einem Bett, was ich mit meinem Exmann nie konnte.


    Ich habe viel falsch gemacht, mich verloren, viele falsche Wege gewählt, die falsche Freundin zurückgeholt und doch versuche ich nun mehr richtig zu machen. Ich versuche nicht zu bereuen, dass meine beste Freundin weg ist. versuche stolz zu sein, weil ich arbeite. Ich werde vielleicht nie wieder Richtung Ostsee, Berlin, oder München fahren können. Vielleicht werde ich mich nie wieder so sicher und zufrieden fühlen, wie in dem Jahr, wo meine Mutter und ich zusammengewohnt haben. Wir hatten viel zu wenig Zeit.


    Ich werde aushalten, durchhalten und weitermachen, bis es an der Tür klingelt und kein Sack mit Geschenken, sondern meine Mama, beste Freundin, mein Fels in der Brandung wieder vor mir steht.

  • Es hat nicht geklingelt. Es gab keine WhatsApp. Keinen Anruf, keinen Brief, keine brieftaube, keine Bilder die von der Wand gefallen sind, kein flackerndes Licht. Nichts.


    Der Todestag kam und ging, ohne das es Zeichen gab, oder die Welt weiter unterging, als sie sowieso schon untergegangen war.


    Es bleibt alles wie es war.

  • Fast 30 Jahre habe ich gebraucht, um sagen zu können, dass mein Puzzle komplett ist und alles so bleiben kann. Ich war fertig entwickelt, glücklich, zufrieden und auf gutem Wege, etwas aus mir zu machen.


    Dann fiel das Puzzle runter und nicht nur ein Teil fehlte, sondern 90% des Puzzles wurden einfach zerstört. Mühselig versuchte ich ein paar teile wieder zusammenzusetzen, doch wenn ich ein Teil fand, wurden zwei wieder weggenommen.


    Es wird nie wieder vollständig sein.