Negative Verabschiedung

  • Hallo,
    habe in einem anderen Teil des Forum schon über die Verabschiedung von meinem Papa geschrieben.
    Möchte es hier nochmals tun vielleicht lesen hier einige Bestatter mit und es kann verhindert werden, daß andere trauernde die gleichen leidvollen Erfahrungen machen müssen wie ich.


    Ich hatte mir fest vorngenommen Papa nochmals zu sehen. Das habe ich auch beim Bestatter bekanntgegeben, bzw. hat er mich danach gefragt. Papa ist am 15.11. verstorben und die Verabschiedung fand am 3.12. statt. Also doch eine gewisse Zeit dazwischen.
    1. Punkt der mich sehr gestört hat: Der Sarg wurde vor meinen Augen geöffnet und der Bestatter hielt die ganze Zeit den Sargdeckel. Er stand somit fast genau vor mir.
    Es gab mir nicht die notwendige Zeit und auch nicht die "intimität" die ich gebraucht hätte.


    2. Der Anblick war ein nicht wirklich schöner. Ich hatte gehofft einen friedlich wirkenden Papa vorzufinden. Aber weit gefehlt. Sein Mund war weit aufgerissen. Die Haut fleckig und stellenweise stark geschwollen (Ohren) Der Anblick war ehrlich gesagt grotesk. Meine Mama hat das nicht verkraftet.


    3. Meinen Kindern wurde somit die Möglichkeit genommen sich von ihrem Opa zu verabschieden. Es war ganz einfach nicht die Zeit und die Ruhe . Sargdeckel aufklappen, kurzer Blick hinein ein für sie wahrscheindlich monströser Anblick. Nein das wollte ich ihnen ersparen.
    wäre Zeit und Ruhe gewesen dann hätte ich es vielleicht gewagt.


    Ich weiß nicht ob es in Österreich an und für sich gebräuchlich ist Verstorbene "herzurichten". Ich war der annahme ja. Besonders nach dem Gespräch mit dem Bestatter in dem ich sogar eine offene Aufbahrung in Erwägung zog.


    Diese Zeile sollten diesem Berufszweig zum nachdenken anregen!!!!! Habe in letzter Zeit den Eindruck gewonnen, daß der Tod ein wirklich lukratives Geschäft ist, wo auf Gefühle der Hinterbliebenen nicht wirklich rücksicht genommen wird. In dieser Situation ist man doch bereits alles zu bezahlen, damit es eine schöne Feier wird.


    lg Gaby

  • Hallo Gaby,


    leider sind in Österreich wenige Bestatter ausgebildet, um Versorgungen durchzuführen. Mit unserer Fortbildungsabteilung der TrauerHilfe versuchen wir die Situation zu verbessern, aber das geht nur langsam. Was mich an deiner Geschichte am meisten stört, ist, dass der Bestatter dich Glauben gemacht hat, dass er sich um eine Versorgung kümmert. Auch wenn wir nur wenige Thanatopraktiker in Österreich haben, hätte er dich drüber informieren können, dass 1. er selber keine Versorgung durchführen kann, er aber 2. einen Thanatopraktiker beauftragen kann, wenn ihr euch verabschieden wollt. Das Mindeste wäre gewesen, wenn er euch auf den Anblick vorbereitet hätte. Wie gesagt, wenn ich das alles höre, macht es mich traurig und wütend!!! Danke auch für deinen Eintrag hier im Feedback-Forum für Bestattung! Das regt sicher zum Nachdenken an - hoffe ich!


    Alles Liebe
    Christine

  • Hallo Ramses!


    Die von Dir geschilderte Art der Verabschiedung kenne ich nur zu gut - ich muss gestehen, auch ich habe das früher so gemacht. Als ich 1994 begonnen habe, war der gängige Satz: "Schauen sie sich den Verstorbenen besser nicht mehr an, sondern behalten sie ihn so in Erinnerung, wie er zu Lebzeiten war". Wenn dann trotzdem jemand darauf bestanden hat sich am offenen Sarg zu verabschieden, so wurde das tatsächlich meist wie von Dir geschildert erst am Friedhof gemacht.
    Diese Verfahrensweise war für mich und viele andere Kollegen aber immer schon sehr unzufriedenstellend und das hat die Richtung der TrauerHilfe bei ihrer Gründung vor 4 Jahren maßgeblich beeinflusst: Die Abschiednahme am offenen Sarg ist heute eines unserer zentralen Themen und wir sind inzwischen wirklich sehr gut dafür gerüstet. Nicht nur die Versorgung des Verstorbenen ist in unserem Einzugsgebiet bestens gewährleistet - viele TrauerHilfe-Kollegen haben in der Zwischenzeit auch eine eigene Räumlichkeit, in der eine Verabschiedung in angenehmer Atmosphäre und ohne Zeitdruck gewährleistet ist.
    Darüber hinaus versuchen wir auch etwas von dem Schaden den wir Bestatter in der Vergangenheit angerichtet haben wieder gut zu machen, indem wir den Angehörigen den so wichtigen Abschied am offenen Sarg nicht mehr ausreden, sondern sie aktiv auf diese Möglichkeit hinweisen.


    Schade, dass es immer noch Fälle wie den von Dir geschilderten gibt, aber die gute Nachricht ist: Ich bin jetzt 44 und sicher die letzte Bestattergeneration, für die die Tabuisierung des Todes Teil der Firmenpolitik ist (oder zumindest war!). Und diese Tabuisierung ist meiner Meinung nach auch die Ursache für diesen nicht gerade würdevoll zu nennenden Abschied den Du erleben musstest!


    Viele der jungen Bestatter nutzen jetzt schon die Ausbildungsmöglichkeiten der TrauerHilfe in denen vor allem die bislang immer vernachlässigte psychologische Komponente betont wird.


    Martin