• Vielen Dank euch beiden.


    Am 1. November letzten Jahres war ich auf einer Wanderung auf der schwäbischen Alb unterwegs, als urplötzlich dichter Nebel aufzog. Da kam mir dieses Gedicht von Hesse in den Sinn. Wie schnell es sich bewahrheiten sollte, ahnte ich da noch nicht.


    Und da ich klassische Lyrik liebe, noch ein Nachschlag:

    Im Abendrot

    Wir sind durch Not und Freude

    Gegangen Hand in Hand:

    Vom Wandern ruhen wir beide

    Nun überm stillen Land.


    Rings sich die Täler neigen,

    Es dunkelt schon die Luft,

    Zwei Lerchen nur noch steigen

    Nachtträumend in den Duft.


    Tritt her und lass sie schwirren,

    Bald ist es Schlafenszeit,

    Dass wir uns nicht verirren

    In dieser Einsamkeit.


    O weiter, stiller Friede!

    So tief im Abendrot,

    Wie sind wir wandermüde -

    Ist dies etwa der Tod?


    Joseph von Eichendorff

  • Lieber Josef, das Gedicht von Eichendorff habe ich das erste Mal in einem Spielfilm gehört, in welchem es von der wunderbaren Iris Berben rezitiert wurde.


    Heute habe ich ein Gedicht des alten Spötters Heinrich Heine:

    Lamentationen

    Das Glück ist eine leichte Dirne

    Und weilt nicht gern am selben Ort;

    Sie streicht das Haar dir von der Stirne,

    Und küsst dich rasch und flattert fort.


    Frau Unglück hat im Gegenteile

    Dich liebefest ans Herz gedrückt;

    Sie sagt, sie habe keine Eile,

    Setzt sich zu dir ans Bett und strickt.

  • Und noch etwas von Heinrich Heine:


    Mein Herz ist traurig


    Mein Herz, mein Herz ist traurig,

    Doch lustig leuchtet der Mai;

    Ich stehe, gelehnt an der Linde,

    Hoch auf der alten Bastei.


    Da drunten fließt der blaue

    Stadtgraben in stiller Ruh′;

    Ein Knabe fährt im Kahne

    Und angelt und pfeift dazu.


    Jenseits erheben sich freundlich,

    In winziger, bunter Gestalt,

    Lusthäuser und Gärten und Menschen

    Und Ochsen und Wiesen und Wald.


    Die Mägde bleichen Wäsche,

    Und springen im Gras herum;

    Das Mühlrad stäubt Diamanten,

    Ich höre sein fernes Gesumm.


    Am alten grauen Turme

    Ein Schilderhäuschen steht;

    Ein rotgeröckter Bursche

    Dort auf und nieder geht.


    Er spielt mit seiner Flinte,

    Die funkelt im Sonnenrot,

    Er präsentiert und schultert -

    Ich wollt′, er schösse mich tot.

  • Danke schön, Josef.


    Heute habe ich ein paar Zeilen des alten Anarchisten Erich Mühsam, der viel zu früh von den Nazis ermordet wurde:


    Nach all den Nächten, die voll Sternen hingen,

    nun diese dumpfe, trübe, nasse Nacht,

    als wär die Arbeit aller Zeit vollbracht

    und niemals wieder Hoffnung auf Gelingen.


    Wohin die Schritte weisen, da das Ziel

    ertrank im nebeligen Grau der Wege?

    Ich such nur noch, wo ich mich niederlege,

    den stillen Platz. Verloren ist das Spiel.


    Ich höre vieler Menschen Schritte tasten -

    verirrte Menschen, einsam, müd und arm -

    und keiner weiß, wie wohl ihm wär und warm,

    wenn wir einander bei den Händen fassten.


    Erich Kurt Mühsam

  • Aber gerne doch.


    Abschied


    Was ist das Leben? Kommen nur und Schwinden,

    Ein Wechsel nur von Nacht und Tageshelle,

    Verlust und Schmerz, Sehnsucht und Wiederfinden,

    So schwebt durch Traum und Wachen hin die Welle, -

    Drum lächelt hoffend in der Trennung Wehen

    Durch Abschiedstränen schon das Wiedersehen.


    Ludwig Tieck

  • Verborgenes Leid


    Im Walde wohnt mein Leid,

    Ich darf es niemand klagen,

    Zum Walde muß ich′s tragen

    Zur tiefsten Einsamkeit.


    Kommt je in künft′ger Zeit

    Ein Mensch zu jenen Gründen,

    Im Walde kann er finden

    Mein scheues Herzeleid.


    Sieht er im Walde weit,

    Recht einsam und verschwiegen,

    die tiefsten Schatten liegen,

    Das ist mein finstres Leid.


    Ludwig Uhland


  • Stufen

    Wie jede Blüte welkt und jede Jugend

    Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,

    Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend

    Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

    Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe

    Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,

    Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern

    In andre, neue Bindungen zu geben.

    Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,

    Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.


    Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,

    An keinem wie an einer Heimat hängen,

    Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,

    Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.

    Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise

    Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;

    Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,

    Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.


    Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde

    Uns neuen Räumen jung entgegen senden,

    Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,

    Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!


    (Hermann Hesse)

  • Die Andern sind das weite Meer.
    Du aber bist der Hafen.
    So glaube mir: kannst ruhig schlafen,
    Ich steure immer wieder her.

    Denn all die Stürme, die mich trafen,
    Sie ließen meine Segel leer.
    Die Andern sind das bunte Meer,
    Du aber bist der Hafen.

    Du bist der Leuchtturm. Letztes Ziel.
    Kannst Liebster, ruhig schlafen.
    Die Andern... das ist Wellenspiel,

    Du aber bist der Hafen.

    Mascha Kaléko

  • Alles geben die Götter, die unendlichen,
    Ihren Lieblingen ganz,
    Alle Freuden, die unendlichen,
    Alle Schmerzen, die unendlichen, ganz.


    Johann Wolfgang von Goethe