Beiträge von Greteline
-
-
-
Wie schade, Christine, dass du nicht hier wohnst. Wir haben nämlich auch eine Senioren- Theatergruppe, die unbedingt noch Teilnehmer sucht.
Und wieder muss ich eine Geschichte von Ulrich erzählen.
Wir kannten uns noch nicht lange, und hier wurde ein Theater- workshop angeboten. Nur ein Tag. Samstag. Mit Pizza in der Pause.
Ich sagte zu Ulrich, dass ich da gerne teilnehmen möchte und fragte noch, mehr so zum Spaß, ob er mitkommen möchte.
Und seine Antwort rührt mich bis heute.
Er sagte: "Ja. Ich komme mit. Ich hatte noch nie irgendwie mit Theater zu tun und kann mir nicht vorstellen, dass es mir gefällt. Aber es macht dir so viel Spaß, dass ich es richtig verstehen will. Ich möchte fühlen wie es ist Theater zu spielen, damit ich mitreden kann. Außerdem gibts Pizza, das ist toll. Aber eine Bedingung: wenn es mir nicht gefällt, darf ich gehen."
Wir gingen hin, und er blieb den ganzen Tag. Am Abend saß er nachdenklich auf dem Sofa und sagte, dass er jetzt erstmal alles für sich sortieren muss. Er hatte richtig, richtig viel Spaß gehabt, obwohl er es vorher gar nicht für möglich gehalten hatte.
Dennoch wollte er nicht aktiv bei uns mitspielen, einfach weil er keine Texte auswendig lernen wollte. Nur in dringenden Notfällen, wenn sehr knapp eine winzige Rolle ausgefallen ist, dann hat er doch ausgeholfen.
Jetzt weine ich wieder. Ich kenne wirklich kaum jemanden, der so inbrünstig gerne aus voller Seele gelebt hat wie Ulrich. Was haben wir alles zusammen gemacht! Und wie sehr war er den Menschen zugewandt! So gerne hat er Menschen beobachtet, neue Kontakte geknüpft, sofort geholfen wo nötig...
Er war Ausbilder am Frankfurter Flughafen, das Wach- und Sicherheitspersonal wurde durch ihn geschult. Er war sehr groß und stämmig, mit tiefer, lauter Stimme, und wirkte auf manche seiner "Schüler" zunächst etwas furchteinflößend, das wusste er. Aber es hat ihm so großen Spaß gemacht, wenn sie so langsam auftauten und zutraulich wurden. Dann hatten sie gemerkt, was für ein unheimlich liebenswerter Mensch er war.
So viel haben wir miteinander gemacht.
Gerade dieses Jahr haben wir einfach so aus Spaß, obwohl wir beide kein bisschen singen können, zusammen ein paar Gesangsstunden genommen!
Letztes Jahr waren wir Eisbaden und haben uns wochenlang hier im Bach darauf vorbereitet!
Wenn einer eine neue Idee hatte was man mal ausprobieren könnte, hat der andere sofort ohne zögern mitgemacht.
Unsere gemeinsame Mentalität war: Erinnerungen sammeln. Worauf möchte man zurückschauen, wenn man mal alt ist? Die faulen Tage auf der Couch, die werden vergessen. Aber alles was man neu ausprobiert hat, wo man aktiv war, das hat Bestand. Und wenn man zögert, weil man nicht weiß ob eine Idee gut ist? Trotzdem machen! Auch wenn's schiefgeht ist es eine Erinnerung, wo man sich später sagen kann "weißt du noch, wie bescheuert das war als wir...?"
Schön, dass wir so viel gemacht haben. Schade, dass ich die Erinnerungen nur alleine habe. Jetzt ist er tot.tot.tot.tot.tot.tot.tot..................toooooooooooooot
Heute saß ich auf dem Fahrrad und plötzlich erlebte ich wie im Film dass ich sterbe und er mich mit seinen riesengroßen Händen in Empfang nimmt... Ich musste mich richtig schütteln um wieder in die schreckliche Realität zurückzukommen, saß auf dem Fahrrad und weinte und weinte... wie auch jetzt wieder...
-
Guten Morgen
ich glaube es wird ein festes Ritual, mir einen Kaffee zu kochen und dann hier reinzuschauen. Es hilft mir hier zu schreiben und eure lieben Antworten zu lesen, auch wenn ich es noch nicht gut schaffe da richtig drauf einzugehen, das tut mir wirklich leid. Ich finde es alles so schrecklich, auch was dir passiert ist, liebe Christine, mit deinem Sohn! Und dann fürchte ich, dass ihr mich so ich- bezogen findet, dass ihr mir bald nicht mehr antworten wollt, aber ich brauche euch! Bitte bleibt ihr wenigstens bei mir, irgendwann wirds besser mit mir. Ihr könnt mir alles schreiben, ich lese es alles mit vollem Herzen, ganz bestimmt. Nur die richtige Antwort darauf gelingt mir nicht.
Eben habe ich etwas ganz Schlimmes erlebt. Ich musste selber eine Klopapierrolle wechseln.Das Ritual sieht eigentlich Folgendes vor:
1. Ich sehe eine leere Klopapierrolle im Bad.
2. Ich halte sie Uli vor die Nase: "Brauchst du die noch, oder warum ist sie nicht im Müll?"
3. Uli: "ähhhh... ich brauch die noch. Zum Basteln."
4. Ich: "Ach so, ok. Dann tu ich sie mal in deine Nachttischschublade".
Das war kein Streit, das hat uns beiden Spaß gemacht. Wir wussten beide, dass nie im Leben irgendwas damit gebastelt wird. Ich glaube, er hat die leeren Rollen absichtlich liegengelassen, damit wir dieses Ritual vollziehen können.
Und jetzt musste ich selber eine Rolle wechseln und einfach so, ohne blöden Spruch, ins Altpapier geben. Wusstet ihr wie weh es tun kann eine Klopapierrolle zu wechseln?
Letzte Woche habe ich seinen Nachttisch leergeräumt. Bestimmt 20 Klopapierrollen.
Kennt ihr das auch, dass eine eiskalte Welle den Körper durchfährt? Und seit gestern habe ich Kopfschmerzen, da hilft keine Ibu. Das gehört sicher zur Trauer dazu.
Ich leide. So viele liebe Menschen haben mir gesagt: "Melde dich, wenn ich irgendwas für dich tun kann. Ich bin immer für dich da." Ich bräuchte aber, dass sie von selber kommen, habe kaum die Kraft jemanden anzurufen, mache mir dann auch gleich Gedanken dass ich niemanden überstrapazieren möchte mit meiner Trauer und überlege, wie ich die Last- also mich- gerecht verteile... wem kann ich mich jetzt schon wieder zumuten, wer hält mich aus...
Am Wochenende fahre ich zu Freunden. Die haben sich gerade auch ein Wohnmobil gekauft, Übergabe ist jetzt im September. Sie haben es gekauft, um mit uns zusammen schöne Touren zu machen. Tolles timing. Statt einer schönen Tour werde ich sie bitten mir zu helfen, schöne Fotos auszusuchen, die ich an der Abschiedsfeier aufstellen kann.
Gestern Abend war ich bei der Generalprobe unseres Theaterstücks. Ich kenne es zwar praktisch auswendig, aber so richtig, mit Kostümen, Licht- und Tontechnik, hatte ich es noch nicht erlebt. Deshalb bat ich Sonja mit mir hinzugehen. Es ist wirklich toll geworden. Wir schreiben unsere Stücke meistens selber, dieses ist ein Mitratekrimi, das Publikum wird mit einbezogen. Heute und morgen sind die Aufführungen, wir sind ausverkauft.
Am Montag wird der Erfolg gefeiert mit einem Grillfest. Ich habe mir offengelassen ob ich komme. Das ist auch wieder so was. Da soll doch gefeiert werden! Verderbe ich da nicht das ganze Fest, wenn ich mich mit meiner Trauermine dazwischensetze? Andererseits, sind nicht genau dazu Freunde da? Vielleicht wollen die ja auch, dass ich komme? Die wollen doch nicht, dass ich traurig und alleine zu Hause bleibe? Aber halte ich so ein Fest überhaupt aus?
-
Guten Morgen euch allen,
die Nacht ist vorbei. Magnesium mit Melatonin wirkt, wie soll ich sagen, besser als gar nichts.
An dem Sonntag, der dem Abschalten vorausging, war ich vormittags mit meiner Schwester spazieren. Und plötzlich läuteten die Kirchenglocken. Und da spürte ich sofort den ganz starken Drang: jetzt ist doch irgendwann Gottesdienst! Wann genau? halb 10? halb 11? Ich wusste es nicht. Ich gehe nur selten zur Kirche, aber meine Theatergruppe ist der Gemeinde angeschlossen, deshalb kenne ich dort viele Leute. Ich wollte auch jetzt auf keinem Fall jetzt den Gottesdienst besuchen, aber beinahe rannte ich zur Kirche weil ich den Gedanken hatte, dass Ulrich unbedingt in den Fürbitten erwähnt werden muss. Hoffentlich finde ich schnell jemanden den ich darum bitten kann! Und ich war gerade beim Eingang angekommen, da sah ich schon Sonja, die den Kaffee für nach dem Gottesdienst vorbereitete. Sie zog mich sofort in einen Nachbarraum, ich erzählte ihr heulend was bei uns los ist, währenddessen stieß Edith (aus meiner Theatergruppe!) dazu und es stellte sich heraus, dass genau sie heute die Fürbitten spricht. Sie war sehr sehr erschüttert und versprach, die richtigen Worte zu finden, auch wenn sie selbst mit Sicherheit dabei anfangen werde zu weinen.
Sonja war es dann auch, die mich am nächsten Abend zu diesem schrecklichen Gespräch begleitete, sie war beim Abschalten dabei und gab Ulrich den Abschiedssegen. Das kann sie. Es ist ein Wunder dass ich genau sie angetroffen hatte, als ich zur Kirche rannte.
Trauerbegleitung ist auch so ein Thema. Ich weiß, dass keine 200m von mir entfernt eine Marlies wohnt, die im Hospizverein aktiv ist. Ich kenne sie ein bisschen, und irgendjemand sagte mir, Marlies leite eine Trauergruppe. Also rief ich Marlies an. Leider löst sich vielleicht der Verein bald auf, deshalb gibt es im Moment doch keine Gruppe, aber sie bietet mir Einzelbegleitung an.
Meine Schwester hat mir mit der Post ein Mandala- Malbuch für Erwachsene geschickt und Filzstifte dazu.
Und ich heule, heule, heule. Zuwendung tut mir so gut.
Ja, Christine, ich bin "um die 60". Im kommenden Februar habe ich 60. Geburtstag.
-
Ich bin gerade nach Hause gekommen. Ich gehe eigentlich in eine Theatergruppe, am kommenden Wochenende ist Aufführung, und heute Abend wird die Bühne aufgebaut. Direkt als der Mist mit Ulrich losging, habe ich meine Rolle abgegeben und es wurde noch Ersatz gefunden (man hätte die Rolle auch streichen können, sie war sehr klein). Meine Theaterfreunde sind auch sehr sehr lieb zu mir, ich gehe jetzt manchmal zu den Proben, einfach nur zum zugucken und Nichtalleinesein, muss aber gar nichts machen. Um mich herum wurden Dinge geschleppt, Stühle gestellt, Luftballons aufgeblasen etc, aber ich durfte einfach da sitzen und ein paar Chips essen, die mir gereicht wurden. Dort trauern auch alle um Ulrich. Er wollte zwar nicht selber auf die Bühne, aber er mochte die Leute und die Atmosphäre dort so gerne, dass er einen Trick gefunden hatte um dazuzugehören: er hat bei Aufführungen für alle gekocht. Beim ersten Mal gab es aufgebackenem Fleischkäse mit Baguette, dann Nudelauflauf in drei Variationen und dann selbstgemachte Linsensuppe für 60 Leute. Und alle haben das Essen gelobt und er hat sich so gefreut, dass es den Leuten schmeckte. Und auch sonst hat er hinter der Bühne so viel geholfen, unser Theaterleiter hat mal gesagt : "Vor den Aufführungen bin ich immer total im Stress, aber wenn ich sehe dass Ulrich kommt, fällt alles von mir ab denn dann weiß ich: alles wird gut."
Auf der Abschiedsfeier wird es auch wieder Ulrichs geliebten Fleischkäsbrötchen geben, außerdem Kartoffeln mit Salzkruste und Kräuterquark. Ein typisches Uli- Essen. Mich graut es so vor dieser Feier. Die Söhne haben den ganzen Kram mit der Pietät übernommen, da spätestens wäre ja aufgeflogen dass wir gar nicht verheiratet sind. Aber sie haben gesagt, alles soll genau so gemacht werden wie ich es will. Und so gibt es also zwei Termine vor denen mir graut. Am 12. September ist Urnenbestattung im Friedwald, dort wo seine Söhne wohnen. Das ist ca 180km von hier entfernt. Und am 21. September ist hier eine Abschiedsfeier.
Ich glaube, erst wenn dieser ganze Spuk vorbei ist, werde ich erst begreifen müssen was überhaupt passiert ist. Mir geht es jetzt schon richtig schlecht, aber danach wird es bestimmt noch schlimmer. Heute ist mir bewusst geworden, dass ich selber wahrscheinlich noch ca 30 Jahre leben werde. Ich MUSS mir ein neues Leben aufbauen, ich kann doch nicht 30 Jahre nur trauern und auf den eigenen Tod hoffen! Ein schönes Leben- oder auch nur ein lebenswertes Leben ohne Ulrich scheint mir unvorstellbar. Und dann komme ich mir so undankbar vor. Ich hatte 9 tolle Jahre! Ich bin gesund, ich lebe in keinem Katastrophengebiet, ich habe Freunde, ich habe keine existentiellen Probleme und heule hier rum. So viel Durcheinander im Kopf und im Herzen. Es tut einfach nur weh.
Liebe Christine, wie lange hast du denn das Tavor genommen? Und was genau war das Problem als du damit aufhören wolltest? Heute Abend versuche ich es mit Magnesium und Melatonin. Mal gucken ob's wirkt.
-
Danke, ihr Lieben. Es ist so schwierig in mich reinzuhören was ich brauche, was mir gut tut. Einerseits versuche ich möglichst ausgefüllte Zeit zu haben. Andererseits ist alles schlagartig zu viel. Ich kam heute gegen 15:30 Uhr von der Arbeit zurück, just in dem Moment wollte eine Nachbarin und Freundin loslaufen zum Rathaus um etwas zu erledigen. Sie fragte mich ob ich mitlaufen möchte. Da bin ich gleich mitgegangen. Immerhin insgesamt 7km. Dann fragte sie, ob ich noch in ein Cafe möchte. Da habe ich nur noch losgeheult. Das war einfach zu viel. Ich will halt so gerne am Abend müde und erschöpft sein- das bin ich zwar sowieso, Trauer ist purer Stress! Aber dennoch habe ich so einen Druck in mir dass ich denke ich muss mich komplett verausgaben, in der Hoffnung dass der Schlaf nachts dann besser wird. Ich schlafe so schlecht. Der Arzt hat mir Tavor gegeben, aber nur 20 Tabletten, und mit Vorsicht einzunehmen, macht süchtig. Ich versuche so wenig wie möglich davon zu nehmen, halbiere diese winzigen Tabletten sogar und die beiden letzten Nächte habe ich es nur mit Melatonin versucht, klappt aber nicht. Das Tavor muss aber reichen bis zum 21. September, denn da ist Ulrichs Abschiedsfeier, das halte ich ohne Tavor nicht durch.
-
Danke euch allen. Ja, es ist seltsam dass es einem hilft dass es anderen genau so geht. In einem Podcast habe ich gehört dass in Deutschland jedes Jahr 950.000 Menschen sterben, jeder hinterlässt ca 4 richtig Trauernde, das macht knapp 4 Millionen Trauernde pro Jahr... wir sind nicht allein. Der Tod gehört dazu. Grausam.
Mein Kopf blendet konkrete Erinnerungen aus, wahrscheinlich um mich zu schützen. Ich sehe Ulrich nicht vor mir, ich sehe nur die Leere. Alles ist noch sehr abstrakt. Ich muss mir immer wieder laut die Worte vorsagen: "Uli ist tot", das muss ich dann hören und es klingt noch so unwirklich. In mir ist alles so durcheinander, ein strammgezogener Gurt liegt ums Herz, alles tut weh.
Mein Umfeld ist sehr lieb zu mir, ich bekomme viel Zuwendung und Zuwendung tut mir gut, bringt mich aber sofort wieder zum Weinen. Ich war zwei Wochen krankgeschrieben, habe mich aber entschieden jetzt wieder arbeiten zu gehen. Jeden Tag zwei Stunden. Das ist nicht so lang und schafft ein bisschen Struktur im Tag. Die Alternative wäre ja alleine zu Hause zu sein, das bin ich auch so noch genug! Ich arbeite in einer Grundschul- Nachmittagsbetreuung. Die Kolleginnen schicken mich immer zur Essensaufsicht, denn da bekomme ich selber auch was zu essen. Sie sagen, ich soll doch auch was Warmes bekommen und ich koche mir ja zu Hause nichts. Und dann heule ich schon wieder weil ich das so lieb finde.
Die ersten zehn Tage war ich nie allein, erst haben Freundinnen im Wechsel auf mich aufgepasst und bei mir geschlafen, dann kam meine Schwester. Seit Sonntagabend versuche ich aber alleine zurechtzukommen.
-
Hallo.
Ich bin ganz neu hier. Morgen ist Ulrich zwei Wochen tot.
Die neun Jahre mit ihm waren die schönsten meines Lebens. Und auch seines Lebens, die schönsten neun Jahre mit mir.
Wir waren gerade noch drei Wochen im Urlaub, durch Polen ins Baltikum, mit unserem selbstausgebauten Wohnmobil. Ein sehr auffälliges Wohnmobil, beklebt mit großen bunten Prilblumen und grasgrünen Felgen. Er hat es für uns beide ausgebaut, und wir haben es geliebt, jedes Wochenende und jeden Urlaub waren wir damit unterwegs, etwa 80 Nächte pro Jahr verbrachten wir im Wohnmobil. Während dieses Urlaubs hatte er seinen 60. Geburtstag, an diesem Tag war er ein bisschen nostalgisch und er sagte zu mir: "Versprich mir, dass ich vor dir sterbe". Ich versprach es nicht.
Dann musste er wieder arbeiten, und ich hatte noch zehn Tage frei. Ich fuhr zu meiner Tochter, 260km entfernt, helfen mit den drei Enkeln und so.
Einen Tag bevor ich sowieso wieder heimfahren wollte klingelte mein handy. Polizei. Ulrich liegt im künstlichen Koma auf der Intensivstation. Sie hatten wohl bei uns zu Hause an der Tür geklingelt, und dann meine Telefonnummer von den Nachbarn bekommen. Meine Tochter schmiss mein Gepäck in den Kofferraum, 10min nach Anruf saß ich im Auto und fuhr ab. Die Tochter rief mir noch hinterher: "Denk dran, ihr seid verheiratet".
Wir sind nicht verheiratet, aber ohne diese Lüge hätte ich ihn ja nicht besuchen dürfen auf der Intensivstation und auch keine Informationen bekommen. Seine Söhne wohnen weiter weg und hätten sicher nicht so schnell kommen können. Von der Autobahn aus fuhr ich direkt zum Krankenhaus. Ich unterschrieb dass wir verheiratet sind und durfte zu ihm. Ich erfuhr, dass er umgekippt sei und 40 min reanimiert wurde. Die Ursache des Umfallens sei noch unklar, wahrscheinlich kein Herzinfarkt und kein Schlaganfall, er hat hohe Entzündungswerte, morgen gehts ins CT, davon verspricht man sich viel. Das CT war dann erst am übernächsten Tag, also Donnerstag. Seitdem ist meine Welt schwarz.
Es lebt nur noch das Stammhirn. Es wird keinerlei Kontaktaufnahme nach außen mehr möglich sein. Morgen Abend großes Gespräch, Seelsorge wird dabei sein. Da wurde ich erstmal ohnmächtig.
Die Söhne hatte ich natürlich längst informiert und sie kamen dann auch zu diesem Gespräch. Sie deckten meine Lüge als Ehefrau und lobten mich sogar dafür, ich habe alles richtig gemacht. Bei dem Gespräch wurde uns dann vermittelt, dass man Anfang der kommenden Woche die Geräte abstellen sollte. Dazu mussten wir Angehörigen gar keine Entscheidung treffen, es gab auch keine Patientenverfügung. Aber es gibt offenbar ein Gesetz: wenn ein Patient am Leben gehalten werden soll, muss dazu ein Ziel formulierbar sein. Was will man damit erreichen, was erhofft man sich damit? Bei Ulrich gab es einfach nichts was man da hätte formulieren können. Auch die Ethikkommission befürwortet das Abschalten. Ein weiteres Gespräch wurde für Montagabend vereinbart. Auch hierzu kamen die Söhne. Und dann ... überstürzte sich alles. "Wenn jetzt alle hier sind, worauf sollte man noch warten..." Ich war gottseidank gestützt von einer Freundin. Sie gab Ulrich den Abschiedssegen. Ich gab Ulrich das nachträgliche gewünschte Versprechen dass er vor mir sterben darf. Es war grauenvoll. Es hieß, der Sterbeprozess kann nach dem Abschalten bis zu einer Woche dauern. Ich durfte bei ihm bleiben. Er atmete selber noch ziemlich gut, da bekam ich sogar ein bisschen Angst dass er nun doch zu so einem Dauer- Komapatienten wird, das will ja keiner. Aber mir wurde erklärt, dass das nicht passieren kann, er bekommt keine Flüssigkeit und keine Nahrung mehr. Nur Morphium.
Es war das pure Grauen. Er hatte keinen Schluckreflex mehr, wurde zwar ständig abgesaugt, aber es hörte sich an wie im whirlpool, so laut! Ich glaube , man hatte erwartet, dass er bereits in der ersten Nacht stirbt. Als er am nächsten Morgen noch lebte, kamen wir in ein Zimmer auf Normalstation, ich im Zustellbett. Ich wollte unbedingt bei ihm bleiben, denn es gibt doch diese Berichte von Fast- Sterbenden, die zurückgeholt wurden und berichten, dass sie das Zimmer von oben gesehen haben, und falls das stimmt wollte ich, dass er dann sieht dass ich da bin. So ging es dann bis Donnerstag mittag. Da wurde es plötzlich still im Zimmer. Kein Gurgeln, kein Whirlpool. Ganz plötzlich.
Gestern mittag bin ich ein bisschen gestolpert, eine Kollegin sagte "fall nicht". Da habe ich losgeheult. Oh doch, ich will fallen, ein gnädiger Sturz, eine Ohnmacht...
Mir fließen jetzt schon wieder die Tränen. Wie ist es mir gelungen, gerade diesen Bericht zu schreiben? Ich halte das Leben gerade nicht aus. Freunde haben gestern Abend das Wohnmobil abgeholt. Stellen es bei sich vors Haus, damit ich es nicht immer sehen muss. So bunt und fröhlich mit den Prilblumen, für uns gebaut. Sie fahren es alle zwei Wochen, damit die Batterie sich nicht entlädt. Entscheidungen treffe ich später.