Liebe Lea,
ich freue mich dich zu lesen und ich finde diesen Thread schön.
Gerne geselle ich mich mit meinen Gedanken dazu, wenn ich darf...
Ja, Verlustängste.
Der Tod meiner Mutter war ein Moment, vor dem ich mich mein Leben lang gefürchtet habe. Ich hatte bei Todesfällen zuvor Angstzustände und Albträume, und ich hatte keine Angst ob ich das bewältigen würde können, und wenn ja wie.
(Einmal hatte ich einen Albtraum vor Jahren, dass die Sonne nicht aufgehen wird und meine Mutter stirbt.
Ich bin aufgewacht und bin losgelaufen um den Sonnenaufgang zu sehen. Einen Moment hätte es wirklich so sein können, dass die Sonne nicht wieder kommt. Aber sie kam...) und so war es dann auch...im Leben...
Jahre später...
Als dann die Diagnose kam hatte ich einerseits Glück Leben in mir zu spüren. Vielleicht hat mir das die Kraft gegeben, und den Weg gezeigt. Gleichzeitig war die Ironie so bitter, das Leben war gerade so schön wie nie, und dann dieses Damoklesschwert!
Es war aber auch, und das hat mich überrascht und mich auf ganz innige Art beschenkt die Kraft der Liebe
meiner Mutter, über alle Abgründe der zwischenmenschlichen Verletzung und Verwundung hinweg, über die Abgründe des Todes hinweg, mir eine Verbundenheit und Liebe zu schenken, eine Großzügigkeit, einen Trost - also, wenn es wirr klingt: die Art wie sie gegangen ist, wie sie gestorben ist,
war so großherzig, so als wolle sie es mir leicht machen, so als wolle sie mir noch einmal das Leben schenken, und mir mit ihrer Liebe die Botschaft da lassen "genieße es, du sollst nicht zerbrechen"
Was also bleibt ist dies:
einerseits natürlich die Gewissheit dass meine unendliche Liebe zu bestimmten Menschen mich verwundbar macht, mich überwältigt, und es möglich ist dass das Schicksal mich zerstören kann, oder fast indem es mir das Liebste nimmt. Was ich dann täte - mir den Kopf rasieren und buddhistische Nonne werden? Ich weiß es nicht.
Ich weiß wenn ich mit den lieben Menschen liege (und ich will sie nicht nennen um die Götter nicht neidisch zu machen dann habe ich das Geschenk des Hier und Jetzt, und kann dieses Geschenk voll annehmen und diese Schönheit ist der Zauber des Lebens und der Liebe
ist es wie das Gedicht von Jandl
liegen, bei dir
ich liege bei dir.
deine arme halten mich.
deine arme halten mehr als ich bin.
deine arme halten, was ich bin
wenn ich bei dir liege und
deine arme mich halten.
- Ernst Jandl, dingfest
Die Liebe ist das Risiko wert.
Die Umarmung des Lebens - kann ich es so nennen?
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Und dann noch ein weiterer Aspekt...
die Trauer und der Verlust haben mich sehr dankbar gemacht, unendlich dankbar
(und auch beschämt)
für das unverschämte Glück dass ich habe.
Das Leben ist grausam, und schwer zu verstehen.
Ich höre von den Menschen in Kriegsgebieten, von Menschen auf der Flucht.
30 Kinder ertrunken vor nicht allzu langer Zeit, das ist eine ganze Kindergartenklasse!
Was für eine unfassbare Tragödie.
Bomben und Milliarden Waffendeals -
Ich denke daran dass sie nicht einmal die Zeit haben zu trauern, ihre Toten zu begraben.
Um ihr nacktes Leben fürchten müssen, Hunger leiden müssen, gar nicht die Kraft zu haben
trauern zu dürfen.
Mir geht das nahe, weil ich von meiner Mutter weiß was Krieg und echter Hunger ist.
Und welch Elend Krieg und Hunger mit sich bringt.
Trauer macht wie Liebe verwundbar, aber sie öffnet einen auch - und verbindet.
Ich hoffe von ganzem Herzen - und auch naiv - auf Frieden, in mir, in der Trauer
und in der Welt. Ich werde das wahrscheinlich nicht erleben und auch nicht verstehen aber ich möchte verstehen, wie man ein Mensch sein kann - wie - ich glaube es war Exuperie sagt
und diese Postkarte stand neben dem Bett meiner Mutter - die rote Schritt auf dem vergilbtem Papier
ich glaube in etwa so
"man braucht lange um ein Mensch zu werden"
Zu überlegen, was kann ich tun? Im Kleinen?
Was macht mich aus? Und was mein Leben?
Wie kann ich Angst, Hass,Neid, Ekel, Furcht im Zaum halten
annehmen, weiter gehen -
und Mitgefühl, mit mir und jedem Menschen neu erfahren
das Leben erobern
so dass ich mir selbst
und meinem Kind auch Rede und Antwort darüber
stehen kann, darüber
wie man in dieser so rätselhaften
schönen und grausamen Welt als Mensch
existieren und dann Mensch sein kann.
Was heißt es, am Leben zu sein?
Ich weiß das klingt abgedreht, aber ich schreibe es einfach mal hierher weil es für mich das ist, was mir wichtig ist.
Und nein, das ist kein Gutmenschen-Plädoyer.
Es sind einfach meine Gefühle.
Es ist also Mut und unendliche Dankbarkeit die mir helfen,
den Augenblick anzunehmen die ich in der Trauer geschenkt bekam.
Und dann Hoffnung weiter zu geben, ohne groß zu überlegen...
ein sinnvolles Leben , ein sinnvolles Da- sein
es ist ja auch was du zum Beispiel machst
in deiner Arbeit, Menschen die es schwer haben in der Begegnung zu unterstützen
und privat, mit deinem Mut neu zu lieben
und ja, es geht schnell dass die Dunkelheit Menschen verschlingt
(auch einen selbst). Die dunkelste Stunde vor dem Sonnenaufgang...
es gibt viele Wege...
...die Musik des Lebens wie Fontaine sagt...Teil davon sein
nicht gegen die Stille, die kann man genießen
aber gegen das Stumme, die Leere, das Nichts.
Den alles was gelebt hat und speziell die Liebe zu den mir geliebten, verstorbenen Menschen klingt für mich.
Wie Rilke sagt...die Fragen zu lieben wie geschlossene Bücher um dann, unbemerkt eines Tages in die Antwort hinein zu leben...
und nein ich habe keine Drogen konsumiert
es hört sich wahrscheinlich seltsam an
ich kann es nicht anders sagen
aber genau das ist das Geschenk
das aus meiner Größten Angst entstanden ist
und das ich von meiner Mutter erhalten habe.
Mit liebem Gruß,
schwurbelig
M<3lena