Lieber Matthias,
Schon wieder blaumeise
Danke, dass du so ausführlich auf meinen Beitrag eingegangen bist.
Wie gut ich dich mit all dem, was du geschrieben hast, verstehen kann!
Du hast mehr mit mir gemeinsam als du denkst!
Ich merke, dass du auf dem besten Weg bist, dich selbst zu zerstören
(zerstören zu wollen)
Deshalb wollte ich dir mit meinem Beitrag Anregungen zum Überlegen geben.
Ideen, Denkanstöße keineswegs Ratschläge), damit du aus diesem ewigen Kreislauf deiner dich zerstörenden Gedanken, ausbrechen kannst. Sollte "nur" Hilfestellung geben. Und keine, wie du schreibst, Aufmunterungsversuche. Ich halte nichts von "Durchhalteparolen." Ich schreibe hier in diesem Forum nur von meinen eigenen, selbst durchlebten Erfahrungen.
Und ich hoffe, du hast meinen Beitrag nicht als Bevormundung angesehen, nicht als Moralpredigt. Nichts läge mir ferner.
Ich hoffe sehr, dass ich dir damit nicht zu nahe getreten bin.
Wenn es so wäre, dann möchte ich mich dafür entschuldigen.
Im Grunde möchte ich dir dadurch helfen dass ich dir aufzeige, was - auch für dich - trotz großem Verlust, zu erreichen ist
und dass es sich lohnt, nicht allzufrüh aufzugeben.
Ich will dir Hoffnung vermitteln
UND dich anstacheln.
Denn ich denke, auch dafür ist ein Trauerforum da!
Nicht nur zum Trösten, nicht nur um "Pflästerchen", aufzukleben, um Mitgefühl und Verstehen zu vermitteln.
Es ist auch da, um neue Wege aufzuzeigen, neue Sichtweisen einzubringen, einiges aus anderen Blickwinkeln zu beleuchten. Ein Austausch der Gedanken. Auch wenn die entsprechenden Worte manchmal hart klingen und im Augenblick schmerzen. Aber nur so kommen wir aus unseren Löchern, nur so lichtet sich der Nebel.
Wir drehen uns in der Trauer zu oft im Kreis bzw schrauben uns nach unten.
Ich bin seit 2017 im Forum aktiv und ich habe viel gelernt hier. Gerade aus den Beiträgen der "alten Hasen". Ich habe viel gelernt von all denen, die mir ein Stück auf dem Trauerweg voraus waren.
Bei ihnen habe ich gelesen, wie sie aus ihren Löchern gekrabbelt sind, wie es ihnen gelungen ist, mit ihren Schmerzen und der Hoffnungslosigkeit konstruktiv umzugehen. Bei ihnen konnte man lesen, dass das Leben wieder lebenswert werden kann.
Nicht alles was ich las, war zu diesem Zeitpunkt für mich machbar. Vieles hat mir nicht gefallen. Vieles habe ich erst Monate später verstanden und konnte es dann peu a peu in mein Leben einbauen. Vieles habe ich abgelehnt, ja mich auch oft ganz arg darüber geärgert, habe mich verletzt gefühlt, unverstanden gefühlt....
Doch irgendwann merkte ich: an allem ist ein Körnchen Wahrheit, das ich herausfiltern kann.... und dass es mir hilft
Dafür bin ich den alten Hasen dankbar. Dafür bin ich dem Forum dankbar.
Ich wüßte nicht, wo ich jetzt wäre ohne diese "Tritte."
Leider schreiben zur Zeit so wenige "Alte". Das ist schade. Es wäre sooo hilfreich.
Ich bin oft so erstaunt darüber, wieviel unglaubliche Kräfte man hat. Kräfte, von denen man nie geglaubt hat, dass man sie besitzt. Wir alle haben diese Kräfte. Du ganz sicher auch.
Der Mensch hält viel aus. Wie viele Menschen haben sehr viel Schlimmes im Krieg oder in den Konzentrationslagern überlebt . Dieses Wissen nimmt uns zwar nicht den Schmerz den wir gerade fühlen, relativiert ihn aber, macht ein bisschen demütiger...finde ich.
Matthias - wirklich :
Trauer wandelt sich.
Wir ändern uns.
Ich habe in meinem Beitrag nicht geschrieben, dass dies von heute auf morgen geht. (und nochmal, was sind 10 Monate!). !
Es ist zur Zeit zu früh für "fröhliche" Gedanken.... Viel zu früh, um zu spüren, dass der Schmerz sanfter wird.
Das braucht Zeit. Viel Zeit.
Trauer braucht Zeit.
Mit einem Trauma Leben zu lernen braucht Zeit.
Trauer ist Arbeit.... Schwere Arbeit.
Arbeit die auslaugt und uns an
unsere Grenzen bringt.
Vergiss das nicht. Gib dir diese Zeit.
Und nochmal.
Glaube mir, ich verstehe dich voll und ganz. Schließlich war ich selbst einmal so verzweifelt, dass ich einen Selbstmordversuch unternahm und auf der Intensivstation aufwachte. Ich weiß, von was ich schreibe.
Unser Leben ist erstmal kaputt.
Und manchmal kann man nichts anderes tun als klagen. Es ist ein Teil der Trauer.
Doch trotzdem sollte man die Hoffnung nicht vergessen.. Sie ist das, was uns am Leben erhält. Sperr sie nicht weg.
Immer wieder lese ich von deinen Schuldgfühlen. Von deiner Überzeugung versagt zu haben.
Schuld...
NEIN, NEIN, NEIN, du hast keine Schuld. Streich dieses Wort. Du hast Dorit nicht sterben lassen. Für jeden kommt der Tag, an dem er sterben muss. Und für Dorit war das eben dieser Tag. Ich denke, der Todestag ist für jeden von uns vorbestimmt.. Und niemand ändert was daran. Selbst der fähigste Mensch nicht. Selbst die größte Liebe nicht. Es gibt Dinge, da kann man nur hilflos und ohnmächtig daneben stehen. . Das klingt hart - ich weiß. Aber das ist die Realität!
(Übrigens, Schuld beinhaltet, dass man vorsätzlich, also mit Absicht d. h völlig bewußt, etwas getan hat. Und das hast du ja nicht.) Und es tut mir leid, dass dir das widerfahren ist. Dass du Dorit so liegen sehen musstest.... Grausam.
Im Moment versuchst du dich gegen dieses Schicksal aufzulehnen und das nimmt dir deine ganze Kraft.
Mir ging es erst besser, als ich erkannte, dass es zwecklos ist, dagegen anzukämpfen, dass ich es hinnehmen muss.,ohne wenn und aber. Hinnehmen heißt nicht, es für gut zu befinden. Es heißt für mich, es sein zu lassen. Zu erkennen,dass jede Auflehnung nichts an der Situation ändert aber alles nur noch viel schlimmer macht. Diese Erkenntnis zu erlangen ist schwer.
"Dieser Weg wird kein leichter sein. Dieser Weg ist steinig und schwer" (schwirrt mir jetzt durch den Kopf - ein Lied??)
Derzeit kann ich dir, lieber Matthias, die Hand reichen. Ich bin auch wieder mal dabei, mich auflehnen zu wollen. (Tod von Klaus, meine neue Chemotherapie) und ich bin wieder einmal meilenweit vom Annehmen entfernt.(muss ich mir immer wieder hart erkämpfen, dieses Annehmen). Aber ich habe mir fest vorgenommen, mein Schicksal in den Arm zu nehmen und zu versuchen, mit ihm zu leben und dem Schicksal die Stirn zu bieten... Hoffe, es gelingt wieder.
Wir werden nicht gefragt. Wir wollen das nicht.... aber wir müssen. Es gibt keine echte Wahl. Es gibt keine andere Wahl, die sonst in Frage käme. Das andere wäre eine Schei... alternative und wäre furchtbar. .
Ich hasse dieses Schicksal....
Ich wünsche dir und mir viel Kraft und ein wenig Friede im Herzen.
Du meine Güte, ich habe schon wieder so viel geschrieben.
Wenn ich dich damit nerve, dann schreibe es mir. Ich werde mich dann von deinem thread fernhalten und dich von meinen Predigten verschonen.
Alles Liebe
blaumeise