Lieber Josh,
deine Geschichte berührt mich zutiefst
und die "Sache" mit A. macht mich betroffen.
Ich habe lange hin und her überlegt, ob ich dir bezgl. A. schreiben soll, denn es steht mir nicht zu dir - und ich will es auch nicht -, Ratschläge erteilen zu wollen. Aber jetzt mach ich es doch.
Alkoholismus ist eine vertrackte Sache und hat seine eigenen Gesetze, die mit dem reinen Verstand nicht zu verstehen sind.
Nicht jeder, der viel Alkohol trinkt, ist abhängig und manch einer , der wenig trinkt , ist dennoch abhängig. Wieso jemand abhängig wird und der andere nicht, ist wissenschaftlich , so weit ich weiß, noch nicht geklärt. Mir persönlich gefällt der Vergleich mit einer Allergie, einer organischen Intoleranz. Ich zum Beispiel kann Unmengen von Erdnüssen essen, eine ehemalige Arbeitskollegin von mir nicht. Schon eine Minimenge wirkt auf sie wie Gift. Genauso wirkt Alkohol auf bestimmte Menschen. Bei dem einen wirkt übermäßiger Alkoholgenuss ( abhängig von Kondition ) schwer auf Herz, Nieren, Leber, Nerven., höhlt aber nie die Existenz dieses Menschen ( und die seiner Familie ) aus. Der Alkohol wirkt sich eben bei ihm "nur" schädlich aus.
Bei dem anderen ist Alkohol nicht nur schädlich, sondern eine eigenständige, gefährliche Krankheit. Eine Krankheit , die unheilbar und unaufhaltsam fortschreitend ist und letztendlich zum Tod oder Siechtum führt. Das ist Fakt. Bei diesen Menschen bewirkt ein Glas Alkohol, das unwiderstehliche Verlangen nach einem zweiten, dritten, vierten.... ( Kontrollverlust ) Die Sucht ist stärker als die Willenskraft. Es ist keine Selbstbeherrschung möglich. Der Alkohol übernimmt die Macht. Da helfen auch keine Tricks wie zum Beispiel " ich trinke erst nach 18 Uhr", oder _ich trinke nur Bier oder Wein und keinen Schnaps" oder "nur 2 Gläser", oder, oder....Der erste Schluck Alkohol setzt diesen Kreislauf des zwanghaften trinken müssens in Gang und dem ist der Süchtigige hilflos ausgeliefert.
Das einzige was solchen Menschen hilft ist Nichts trinken., und dadurch dem Alkohol keine Chance geben. Bei den AA heißt es : das erste Glas stehen lassen.
Ich weiß nicht, ob A. Alkoholikerin ist ( das weiß im Grunde genommen nur sie ) aber du hast von diversen Entzügen geschrieben und daher nehme ich an, dass sie alkoholkrank ist. In diesem Fall kannst DU lieber Josh, SIE nicht "retten", kannst DU IHR die Flasche nicht wegnehmen. DU wirst den Kampf gegen den Alkoholismus von A. NIE gewinnen .DER ALKOHOL WIRD IMMER STÄRKER SEIN
IMMER
Egal wie groß deine Liebe zu A. ist. Du kannst ihr nur dabei helfen, wenn SIE aus tiefsten Herzen trocken werden will, wenn sie einsieht, dass sie krank ist und dass sie Hilfe braucht und es alleine nicht mehr schafft. Zu diesem Schritt braucht sie sehr viel Mut und bei diesem Schritt kannst du ihr helfen, vorher nicht. Alles vorher, z.B Aufstellen von Trinkregeln, Flaschen verstecken oder ausschütten, Drohen, Betteln, Vorwürfe, Anklagen, Weinen, zu Versprechungen zwingen oder gar das Ausbügeln von ihrem Fehlverhalten und so weiter und so fort bringt nichts. Im Gegenteil: sie verlängern nur das Leiden von A. Sie wird erst aufhören können, wenn die negativen Erfahrungen mit Alkohol größer sind als seine positiven Wirkungen, genauer gesagt, es muss erst ein massiver Leidensdruck, ihr persönlicher Tiefpunkt ( der ist bei jedem anders) da sein.
Der Wunsch nach Nüchternheit kann nur von A. kommen .Keine Anschuldigung deinerseits ,kein Wutausbruch, kein Sarkasmus ändert die Situation. Nur sie selbst kann sich vom Zwang des Trinkens befreien
Es liegt nicht in deiner Macht. Ebensowenig bist du für ihr Trinken verantwortlich.
Sei ihr ein guter Freund aber achte auf dich. Sei gut zu dir und lass dich nicht in ihre Krankheit verwickeln. Zieh Grenzen. Es gibt weder einen moralischen noch gesetzlichen Zwang ihre alkoholabhängigen Verhaltensweisen, die Auswirkungen der Sucht hinzunehmen, weder Wechselhaftigkeit, Unzuverlässigkeit, Demütigung noch Verzweiflung. Du musst nicht zulassen, dass das Verhalten ( nicht die Person) von A. dein Leben durcheinander bringt. Du solltest Position beziehen."Bis hierhin und nicht weiter". Mir hat gefallen als du sinngemäß schriebst: ich gehe den Weg der Sucht mit ihr nicht zum bitteren Ende. Das ist okay! Den Weg der Sucht sollst du nicht mit ihr gehen ( schon aus Selbstschutz ) aber den Weg der GENESUNG , DEN JA . Aber davor muss SIE handeln.
Vielleicht kannst du ihr dabei helfen eine Selbsthilfegruppe ( z.B. AA ) zu finden. Hast du schon daran gedacht selbst eine Selbsthilfegruppe ( z B. Al-Anon ) zu besuchen?. Dort wirst du lernen, dich selbst zu schützen UND gleichzeitig A. "erfolgreich" zu helfen, ihr beizustehen ohne dich selbst zu verlieren.
Jetzt noch ein kurzes Wort an die anderen hier die alkoholkranke Menschen verurteilen ( habe ich so aus einigen Beiträgen herausgelesen )
Alkoholiker sind krank - schwer krank. Sie sind keine schlechte Menschen. Alkoholismus ist eine Krankheit, kein Makel. Er ist ein Leiden, kein Vergnügen. Er ist Sklaverei, kein Spaß. Ein Alkoholiker trinkt, weil er muss
 nicht , weil er will.
Es ist normal, dass er heilige Versprechen, Schwüre ( er glaubt sie in diesem Augenblick selbst ) nicht einhält, dass er unzuverlässig ist. DAS MACHT DER ALKOHOL!!.Das gehört zum Krankheitsbild , wie das Fieber bei Lungenentzündung.
Lieber Josh, ich hoffe, ich habe dich nicht mit diesem Beitrag verletzt.
Ich wünsche dir alles Liebe und viel Geduld und Gelassenheit im Umgang mit A. Sucht.
Sei lieb zu dir selbst und achte dich selbst
blaumeise
Nachtrag
Apropos AA
soweit ich weiß, endet in der Regel jedes Meeting der AA mit dem Gelassenheitsspruch.
Ich finde ihn sehr hilfreich und er hängt bei mir über meinem Schreibtisch. ( eine verstorbene Userin dieses Forums hat ihn mir mal geschenkt )
Vielleicht gibt er dir auch etwas. Das Wort " Gott" kannst du ruhig durch ein anderes ersetzen, wenn du nicht gläubig bist.
Gott gebe mir
die Gelassenheit,
Dinge hinzunehmen,
die ich nicht ändern kann ,
den Mut,
Dinge zu ändern,
die ich ändern kann,
und die Weisheit,
das eine vom anderen
zu unterscheiden.
Dieses Gebet/ Spruch hilft mir auch in meiner Trauer um meine lieben Verstorbenen und im Durchstehen vieler anderer Schwierigkeiten. Mir persönlich gibt er Halt. Ich finde, es ist ein einfaches Rezept für ein gesundes Gefühlsleben. Wobei - die Sache mit der Weisheit - das ist ganz schön schwierig - finde ich. Aber wir üben ja 