Liebe Leonarda,
es tut mir leid, dass es dir so schlecht geht und ich glaube dir,dass du das Gefühl hast, an diesem Schmerz zu ersticken.
Ich denke, jede(r) der hier schreibt, kennt dieses Gefühl aus eigener Erfahrung.
Du gehst gerade durch eine sehr schwere Zeit.
Es tut einfach alles so schrecklich weh.10 Wochen ist es erst her seit deine Mama starb , es ist alles noch so frisch - da kann noch nichts verarbeitet sein, da ist man irgendwie immer noch in einem Schockzustand.
Es ist sehr schwer zu akzeptieren, dass die geliebte Mama nicht mehr da ist. END-GÜLTIG nicht mehr da ist und auch NIE mehr kommt, man sie NIE mehr sehen, NIE mehr berühren kann...
Der Schmerz ist immens ABER DIESER SCHMERZ , liebe Leonarda, IST AUCH SEHR WICHTIG!
Dieser Schmerz hilft dir nämlich dabei, den Tod deiner Mama wirklich anzunehmen , den Verlust zu verarbeiten und der Schmerz ist auch die Voraussetzung dafür, dass sich irgendwann diese Wunde schließen und heilen kann. An diesem Schmerz führt kein Weg vorbei, da musst du durch und da gibt es auch keine Abkürzungen.
Das klingt erst mal bei damit hart , ist aber die Realität.
Das Gute und Beruhigende und Tröstliche - mit der Zeit verändert sich der Schmerz, er ist zwar noch da, aber er ist ANDERS, nicht mehr so quälend und er vermischt sich mit dem Gefühl der Dankbarkeit, diesen Menschen überhaupt " gehabt" zu haben, .....
Aber bis man dahin kommt, liebe Leonarda, dauert es eine Weile .Viele Tränen müssen geweint werden...und alles zusammen erfordert viel Geduld und einen langen Atem.
Und noch was. Kein Therapeut (und sei es auch der berühmteste und beste der Welt) kann dir deinen Schmerz und deinen Kummer abnehmen. Das kann im Moment niemand. Was ein Therapeut eventuell leisten kann , ist dich ein Stückchen auf deinem schweren Weg begleiten und dir u.a. dabei helfen, deine Schuldgefühle realistisch zu betrachten und dir dabei helfen, deine Gedankenmuster zu ändern.
Es sind deine Schuldgefühle die mir irgendwie Sorgen machen.Es ist normal in dieser Situation mit dem Schicksal zu hadern - ganz normal -aber ich habe das Gefühl, du legst noch eine Schippe drauf und zerfleischt dich, zerstörst dich selbst.
Es tut mir immer weh zu lesen, wie du dich quälst mit solchen Gedanken wie: "wenn,wenn,wenn ich doch nur"
.. oder "das hätte nicht geschehen dürfen" (Ärzte) usw.
Ich möchte dir keine Vorschriften machen, Ich erdreiste mich nicht ,dir zu sagen , was du tun oder fühlen sollst, aber eines will/muss ich dir doch sagen ( und bitte verzeihe mir, wenn ich dir jetzt zu nahe treten sollte und ich dich unabsichtlich kränken sollte): Leonarda, bitte - bitte bemühe dich, aus diesem negativen Gedankenkarussell auszusteigen!! Solche Gedanken schaden dir nur, sie vergiften dich! Diese Anklagen machen dich nur bitter und erzeugen irgendwann Hass. (und der zerfrisst dich auch - so von Innen - nicht die anderen - DICH!)
Diese Gedanken sind absolut schädlich für dich UND dadurch auch für deine Familie, denn sie zerstören ,auf Dauer gesehen, dein restliches Leben. Schuldgefühle und Anklagen lähmen und während man um die Schuldgefühle und Anklagen kreist, versäumt man zu leben...ja verlernt zu leben.
Ich weiß ,worüber ich schreibe, denn ich kenne dieses Leben mit Selbstvorwürfen und Schuldgefühlen zur Genüge. Ich kenne dieses zerstörerische Gedankenkarussell, dieses Gefühl und dieses grübeln, grübeln, grübeln UND ich kenne - leider - aus eigener leidvollen Erfahrung auch die fatalen Folgen, die sich aus solch einer Denk- und Verhaltensweise ergeben können
Ich glaube,solche Gedanken sind eine normale Reaktion innerhalb eines Trauerprozesses. Aber man muss ganz arg aufpassen. Irgendwann muss man sich fragen: will ich in diesem unproduktiven "wenn-nur" Zustand bleiben oder will ich mich auf die Zukunft bzw den Heilungsprozess konzentrieren.Irgendwann muss man wählen und sich für eine Seite entscheiden.
Was war lässt sich durch nichts auf der Welt ändern, lässt sich nicht rückgängig machen.Zu mir hat einmal jemand gesagt: schreib alles "ich hätte sollen" oder "es hätte nicht sein dürfen" auf ein Blatt und dann ziehe darunter einen ganz dicken Strich, von ganz links am Blatt bis ganz rechts am Blatt und dann leg das Blatt für immer weg. Die Person hatte vollkommen Recht.
Ziehe einen Schlußstrich und akzeptiere, dass das Vergangene einfach das ist, was es ist, Dass es so ist, wie es ist.
Schwere Kost - ich weiß, aber es ist eine ENTSCHEIDUNG, die du treffen musst! Eine Entscheidung für dich oder gegen dich.
Es klingt hart und irgendwie bin ich jetzt wahrscheinlich auch brutal aber mit all deinen Schuldgefühlen, mit all deinen Anklagen an die Ärzte, mit all den Selbstvorwürfen machst du deine Mama nicht wieder lebendig. Das Einzige was du erreichst ist , dein großes Leid noch größer zu machen.
Was hilft es dir und deiner Mama , wenn du dich durch Schuldgefühle ständig zerfleischt, wenn du dich ständig selbst noch mehr nach unten ziehst?
Du weißt nicht, ob deine Mama nicht auch so gestorben wäre oder welche Komplikationen es nach der OP gegeben hätte bzw welches Leben sie nach einer OP eventuell hätte führen müssen.Kein Mensch weiß das.Niemand kann in die Zukunft schauen.
Dinge geschehen und manchmal geschehen so grausame Dinge ,wie du sie erleben musstest und so etwas ist ganz schrecklich.Man ist verzweifelt aber Leonarda, nicht davon, aber auch gar nichts, lag in DEINER Hand. Du hast zu diesem Zeitpunkt DEIN Bestmöglichstes getan! Mehr konntest du nicht tun.
Was ändern deine Gedanken an der Situation? Es ändert sich nichts außer...
Und welchen Preis zahlst du für diese negativen Gedanken? Ist der Preis nicht doch etwas zu hoch? Was meinst du?
Diese Art von Gedanken sind sehr ungesund., sie können Leben zerstören.
Denke daran, dass deine Mama IMMER das Beste für dich wollte.Spüre in dich hinein und frage dich" was wünscht sich Mama für mich".Ich glaube, dass einer ihrer Wünsche für dich ist, dass du dich nicht davon abhalten lässt ZU LEBEN, dass du glücklich bist, dass du liebevoll mit dir umgehst und dass du auf dich achtest.
Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Lieben nicht wollen ,dass wir uns mit Schuldgefühlen quälen und dadurch vergessen zu leben.Ich denke, sie wollen uns glücklich sehen, seelisch gesund und zufrieden. Ich glaube, dass wenn wir so leben, wir auf diese Weise unsere Liebe zu ihnen am deutlichsten zeigen. Wir ehren sie ,indem wir sorgfältig und behutsam mit uns selbst umgehen.
Ich weiß, es ist sehr schwer diese Schuldgefühle abzubauen.
Ich weiß, man kann nichts gegen das Auftauchen solcher Gedanken machen. Sie tauchen einfach aus dem Nichts auf. Aber ich weiß auch,dass es möglich ist, etwas gegen diese zerstörerischen Gedanken zu tun.Man ist ihnen nicht hilflos ausgesetzt.Man muss sich ihnen nicht ausliefern.Man kann sie durchaus verjagen.Ich habe z.B. gelernt , beim Auftauchen solcher Gedanken BEWUSST an etwas anderes zu denken.Ich denke z.B. immer an einen ganz bestimmten schönen Platz in den Dolomiten.Dort habe ich mit rabelein ( einer verstorbenen Userin aus diesem Forum) eine emotional sehr schöne Zeit verbracht.Ich pendle dann zwischen den beiden Bildern ( Schreckensbild und positivem Bild) hin und her und kann entscheiden bei welchem Bild ich bleiben will und ich bleibe inzwischen immer länger.bei dem positiven Bild ( und das verändert dann auch meine Stimmung) und lasse mich immer weniger von den dunklen Gedanken beherrschen.Ich fühle mich dann nicht mehr so ohnmächtig und ausgeliefert. Ich unterdrücke dadurch nichts aber ich habe eine Wahlmöglichkeit und das befreit.
Es gibt noch viele andere Methoden.
Ich hoffe, ich habe dich jetzt nicht erschlagen mit meinen Gedanken.Es sollten nur Denkanstöße sein, denn wie schon anfangs geschrieben, tut es mir sehr leid, dass es dir so schlecht geht .Ich war ja selbst in einer ähnlichen Situation und ich wurde sehr, sehr krank, weil ich nicht rechtzeitig dagegen ansteuerte und mich dieser negativen Strömung zu lange hingab.
Ich hoffe, du nimmst mir diesen Beitrag nicht krumm. Ich habe lange mit mir gerungen, ihn auch abzuschicken.
Und noch etwas, Deine Mama ist zwar tot, aber sie ist nicht "wirklich" fort. Sie lebt in dir weiter, sie ist ein Teil von dir und wenn du mal Kinder
hast, dann ist sie auch Teil von ihnen und lebt in ihnen und durch sie weiter.
Und du kannst deine Mama immer noch um Rat fragen - du musst halt nur tief in dich hinein horchen.
Ich schreibe meinen Lieben immer noch Briefe und schreibe mir dann auch selbst ihre Antwortbriefe. Auf diese Weise waren wir uns schon oft sehr,sehr nahe... trotz Tod.
Liebe Leonarda, ich wünsche dir alles Gute.Ich wünsche dir, dass du etwas findest, dass dich beruhigen kann und dir ein gewisses Gefühl der Sicherheit gibt. Ich wünsche dir, dass du in deinem Schmerz kleine Inseln findest, auf denen du dich ausruhen und Kraft tanken kannst. und vor allem wünsche ich dir, dass du trotz allem - zumindest hin und wieder - etwas findest, worüber du dich freuen kannst.
blaumeise - immer noch unsicher ob sie diesen Beitrag auf die Reise zu dir schicken soll
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