Lieber Daniel,
ich war in letzter Zeit nur sporadisch im Forum und habe deinen thread erst jetzt gefunden.
Auch wenn du nun schon eine kleine Weile hier bei uns bist, möchte ich dich doch noch herzlich willkommen heißen und dir mein Mitgefühl aussprechen.
Die Mutter zu verlieren ist ein schrecklicher Verlust - besonders wenn man so innig mit ihr verbunden war wie du.
Du hast deine Mutter viel zu früh verloren.
Ich kenne diesen Schmerz ganz genau.
Ich war 11 Jahre alt, als sich meine leibliche Mutter vor einen Zug warf. Von jetzt auf gleich war sie weg, ohne ein Abschiedswort, ohne Abschiedsbrief.
Jahre später habe ich meine Pflegemutter - gleichzeitig mit meinem Pflegevater - durch einem Verkehrsunfall verloren..
Meine Pflegemutter hat mir viel bedeutet. Sie war wie eine "echte" Mutter. Hat mich geliebt als wäre ich ihr eigenes Kind. Und das, obwohl ich es ihr einige Jahre lang nicht leicht machte.
Sie war die Basis, auf die ich mich immer stützen konnte. Nach ihrem Tod wußte ich einige Jahre nicht mehr, woran ich mich orientieren sollte....
Ich erzähle dir das, damit du weißt, dass ich mir sehr gut vorstellen kann, wie es gerade in dir aussieht.
Der Tod eines Elternteils ist immer auch ein Stück weit der Abschied von der Kindheit.
Man verliert einen Teil seiner Wurzeln.
Mit ihrem Tod hat das Leben seine Sicherheit verloren.
Durch den Verlust meiner Mutter war das Urvertrauen in und für das Leben plötzlich weg.
So viele Jahre begleitete deine Mutter dich durchs Leben.
Ihr verdankst du dein Leben.
Sie hat dich umsorgt, behütet und beschützt und dir eine glückliche Kindheit und Jugendzeit geschenkt. Sie hat damit die Grundlage gelegt, dass du weiterhin (irgendwann) glücklich und erfolgreich leben kannst.
Sie war die Person zu der du bei jedem kleinen oder großen Kummer flüchten konntest (das habe ich jedenfalls so aus deinen Berichten gelesen) und plötzlich ist sie unwiderruflich fort..
Das ist unfassbar....
Das ist kaum zu ertragen....
Die Welt zerbrach in abertausende Scherben...und es gibt keine Möglichkeit mehr, die Scherben zusammenzufügen.
Man fühlt sich schrecklich allein, verloren... irgendwie "lebensunfähig".
und man fällt in ein Loch der Einsamkeit, egal wie viele Menschen um einen herum sind.
Es herrscht ein absolutes Gefühlschaos.
Man ist nur noch Schmerz (so empfand ich es)
Doch das ist völlig normal.
Was du gerade fühlst ist die Liebe zu deiner Mutter die sich jetzt in Trauer verwandelt und dich mit ihr verbindet. Deine Trauer ist die Brücke zu ihr.
Trauer ist Liebe.
Ich habe auch noch andere mir sehr liebe, wichtige Menschen an den Tod verloren so z. B. meine engste und vertrauteste Freundin und nicht zuletzt den Vater meiner Kinder.
Aus dieser Erfahrung heraus kann ich dir versichern, dass du langsam, gaaaaanz langsam lernen wirst, mit diesem schrecklichen Verlust umzugehen.
Der Schmerz vergeht nicht, aber er wird mit der Zeit anders.
Er verliert seine brachiale Gewalt, wird milder.
Das wirst du mir jetzt zwar nicht glauben können oder wollen, aber ich will es dir dennoch jetzt sagen:!
Hinter den düsteren Wolken ist ein warmes Licht.... für dich, für alle hier.
Ich hoffe, dass du mir glauben kannst - zumindest ein kleines bisschen.
Und ich hoffe, Daniel, dass du die Kraft findest, nach diesem Licht zu suchen und dass du es auch finden wirst.
Doch zuvor musst du durch ein sehr steiniges Tal wandern und diese Tal nennt man nicht umsonst "Tal der Tränen".
Auf diesem Weg gibt es leider keine Abkürzungen, keine Umwege - zumindest wenn man seelisch gesund bleiben möchte.
Alle Gefühle müssen durchlebt, durchleidet werden.... Kein Gefühl ist falsch. Jedes einzelne Gefühl hat seine Berechtigung.
Manchmal ist man wie erstarrt, manchmal weint man sich die Seele aus dem Leib, manchmal ist man zornig, manchmal fühlt man sich ohnmächtig, hilflos, Manchmal fühlt man gar nichts, manchmal hat man Schuldgfühle, meint zu wenig getan, zu wenig geliebt zu haben. Manchmal sieht man etwas Licht im Tunnel und glaubt dass man vorwärts geht und dann ist es wieder stockfinster und man verliert alle Zuversicht und glaubt, alles keine Minute länger ertragen zu können.
3 Schritte vor - 2 zurück.
Das alles ist völlig normal und ich glaube jeder der hier im Forum schreibt kennt diese Auf und Abs, diese rasante Achterbahnfahrten zur Genüge.
Daniel, all deine Gefühle, die du jetzt durchlebst, sind ok.
DU bist ok.
Ich dachte oft, ich sei verrückt oder auf dem Weg dahin. Doch ich war nicht verrückt. Die Situation war ver-rückt. War unbegreiflich. Nicht fassbar.
Jeder geht mit seiner Trauer anders um. Es gibt da kein Patentrezept. Jeder muss und wird seinen eigen Weg finden.
Ganz wichtig ist meiner Meinung nach, dass du nichts tust, was dich noch schlechter fühlen lässt, denn das kann ganz gefährlich werden.
Wenn du in ein tiefes Loch gefallen bist, lenk dich ab durch Sport, spazieren gehen, Filme schauen, Schreiben, Raus gehen usw. Auch wenn dir im Augenblick auch nicht danach ist!!! Tu es einfach!
Schreien, auf Kissen einprügeln hat mir auch geholfen.
Was dir persönlich gut tut, musst du selbst herausfinden. Da gibt es kein allgemeingültige Rezept. Hauptsache du tust etwas,
Habe Geduld mit dir selbst, denn so einen Schicksalsschlag kannst du nicht von heute auf morgen verkraften, da brauchst du einfach viel Zeit dafür. Ich spreche jetzt nicht von Tagen oder Monaten. Es kann durchaus 2 oder 3 Jahre dauern...
Kennst du Momo?
Immer wenn ich nicht mehr weiter weiß, denke ich an Beppo den Straßenkehrer aus diesem Buch - immer nur einen Besenstrich und dann kommt der nächste.!!!
Und ich füge noch hinzu - zwischen den Besenstrichen kleine Erholungspausen machen.
Achte gut auf dich. Trage Sorge für dich.
Und noch was.
Oft hatte ich ein schlechtes Gewissen. Dachte nicht genug für meine Lieben gemacht zu haben, glaubte sie "vernachlässigt" zu haben, ihnen zu wenig gezeigt zu haben, wie sehr ich sie liebe, warf mir vor mir zu wenig Zeit für sie genommen zu haben, zu sehr mein eigenes Leben gelebt zu haben (speziell bei meinen Pflegeeltern)
Als es dann für mich am Schlimmsten war, habe ich all das aufgeschrieben, was ich mir alles vorwarf und habe dabei viele Tränen vergossen.!!! Anschließend schrieb ich auf, was ich meiner Meinung nach gut gemacht habe und das war fast noch schmerzhafter.
Doch danach war mir klar: ich habe mich immer bemüht mein Bestes zu geben - und das ist doch das allerwichtigste, oder nicht? Das ist doch genau das, was letztendlich wirklich zählt.
Und ich bin überzeugt, dass meine Lieben das auch so wahrgenommen haben. Dass ich das tat, was mir möglich war.
Lieber Daniel, ich denke, du kannst das auch von dir sagen. So wie ich dich gelesen habe, warst du ein guter Sohn und deine Mutter hat das sicher immer gewusst .
Du meine Güte, jetzt habe ich schon wieder einen Roman geschrieben. Hoffentlich habe ich Dich nicht mit meinem Text erschlagen.
Ich wünsche dir für die kommende Zeit viel Kraft, Mut, Geduld und Menschen, die immer für dich da sind.
Alles Liebe
blaumeise
Bitte entschuldige meine Rechtschreibfehler. Deutsch ist nicht meine Muttersprache und mit der neuen Rechtschreibung stehe ich auf Kriegsfuß.